Montag, 29. April 2013

Sizarr, Wiesbaden, 19.04.13


Konzert: Sizarr
Support: Julius Gale
Ort: Kulturpalast Wiesbaden
Datum: 19.04.2013
Zuschauer: maximal 200-250 (ausverkauft)
Dauer: Sizarr (ca. 75min), Julius Gale (30min




Mit mir befreundet zu sein, ist manchmal vermutlich überdurchschnittlich anstrengend. Im letzten halben Jahr vor allem aufgrund einer bestimmten Aussage: „Kennst du Sizarr? Die sind so gut! Hör dir die unbedingt mal an!“ Da ich letzten Herbst vollkommen im Kraftklub-Wahn war, bin ich zum Glück kurz nach Weihnachten auch nach Chemnitz zum „Willkommen Zuhause Festival“ gefahren – zum Glück! Kraftklub hätten mir an sich schon genügt, aber das Line-Up sollte eine meiner persönlichen Neuentdeckungen des letzten Jahres für mich bereithalten: Sizarr. Dieser mysteriöse Name in Kombination mit dem noch ominöseren Albumtitel „Psycho Boy Happy“ machte mich bereits im Vorfeld neugierig und die Empfehlung durch die wandelnde Musikenzyklopädie Mr. Griffey aka. Casper tat dann ihr Übriges. Seit letztem Herbst läuft das Album bei mir ununterbrochen und selbstverständlich konnte ich mir deshalb den Auftritt im Wiesbadener Kulturpalast nicht entgehen lassen. Da ich mein Ticket bereits seit Anfang Januar erwartungsvoll bereithalte, hatte ich nur am Rande zur Kenntnis genommen, dass das Konzert mittlerweile ausverkauft war – zurecht! In Deutschland immer noch erstaunlicherweise relativ unbekannt, bekommen Sizarr immerhin international die Anerkennung in der Indie-Welt, die ihnen gebührt – so spielten sie beispielsweise Showcases beim diesjährigen SXWS-Festival in Texas, was nicht jede deutsche Band von sich behaupten kann. Und ja, tatsächlich handelt es sich bei Sizarr um drei junge Herren aus Landau in der Pfalz, die aber ganz im Gegensatz zu ihrer Heimatstadt nach großer weiter Welt klingen.

Für mich war das der allererste Ausflug in den Kulturpalast in Wiesbaden und ich muss sagen, dass das Schlachthof-Team wirklich einen adäquaten Ersatz für die noch nicht wiedereröffnete Räucherkammer aufgetrieben hat. Beim Kulturpalast handelt es sich um eine winzige Venue, die Konzertbegeisterten das Herz höher schlagen lässt – kniehohe kleine Bühne, insgesamt ein etwas geräumigeres Wohnzimmer eben und großartig geeignet für besondere Konzertmomente mit Bands, die glücklicherweise noch in kleinen Clubs spielen – noch.
Der sympathische junge Herr, der sich als Julius Gale vorstellte und den Abend eröffnen sollte, präsentierte eine interessante experimentelle Electro-Pop-Symbiose, deren alles übertönender Bass Mark und Bein erschütterte und mir persönlich nach einigen Songs etwas zu viel wurde. Nichtsdestotrotz zeigte sich Julius Gale als extrem höflicher Opening-Act, der sich mehrfach fürs Zuhören bedankte und tapfer gegen mitunter ziemlich lautes Gerede in den hinteren Reihen – vielleicht war der Bass deshalb auch so ohrenbetäubend – anspielte. Definitiv hörenswert für Freunde von M83, MGMT und Konsorten und wie ich finde auch passend zur klanglichen Vielfalt von Sizarr. Vom Schlachhof als „Indie-Afrobeat-Post-Dubstep“-Konzert angekündigt, spiegelt dies bereits wider, wie schwierig es ist, Sizarr aufgrund ihrer ganz eigenen Mischung aus Einflüssen aller Art irgendwo einzuordnen – aber vielleicht sollte man dies auch einfach nicht versuchen und sich darauf einlassen.

Nach Sizarrs Performance beim Willkommen Zuhause Festival war mir bereits klar, dass ich diesen Abend lieben würde und als dann „Mushin“ als Intro ertönte und in feinster Albummanier in „Word Up“ überging, war es bereits vollkommen um mich geschehen. Das gleichmäßige Wummern der Bässe im Wechsel mit nicht-enden-wollenden Chorgesängen und selbstverständlich die außergewöhnliche Stimme von Sänger Fabian aka. „Deaf Sty“ - all dies erfüllte den winzigen Raum und zwang die Anwesenden unweigerlich sich im Rhythmus mitzubewegen. Während ich im Laufe des Sets selbst damit beschäftigt war, nicht allzu seltsam zu tanzen – bei völliger Überforderung orientiert man sich am besten an Frontmann Fabian – war es extrem interessant das Verhalten der Umstehenden zu beobachten, was von wildesten Gogo-Tanzbewegungen (schräg!), vollkommen entfesseltem Schal-durch-die-Luft-Schwingen (Tatsache!) und einigermaßen koordinierten Bewegungen bis hin zu hilflosem Zucken, aber dann doch lieber cool an der Wand lehnen, reichte. Da es für mich eines dieser Konzerte war bzw. vielmehr eine dieser Bands ist, bei dem/denen mir jeder einzelner Song wahnsinnig gut gefällt, würde ich am liebsten jeden einzelnen endlos lobpreisen, da sie dies auch verdient hätten, werde mich aber auf im Folgenden auf einige Highlights der Highlights konzentrieren. Nach „Pocket Walt“ und den sich kontinuierlich voranwalzenden Beats von „PBEW“ war nun einer dieser Herzinfarkt-Momente für mich persönlich gekommen: „Run Dry“. Gänsehaut. Jedes. Einzelne. Mal. Ich kann es wirklich nicht ansatzweise adäquat in Worte fassen, aber es ist einer dieser Songs, der mich in seiner Schönheit überfordert und nach geschätzten 500 Mal Anhören immer noch jedes Mal wieder die selbe überwältigende Wirkung auf mich hat. „You're on the run, from yourself, from all that hurts. Leave behind, broken parts, of your old world.“

Zeilen, die so tief gehen, mit dieser besonderen Stimme vorgetragen und in sphärische Klänge eingebettet, dann genau diese abstrakte Weite darstellen, in die man sich manchmal flüchtet. Live großartig umgesetzt, definitiv mein Highlight an diesem Abend. Das Sizarr auch weitaus ruhigere Töne anschlagen können, zeigte sich bei „Icy Martini“, das live noch größeres Potential entfaltete, als sich mir auf Platte bisher offenbart hatte. Weitere Höhepunkte für mich „Blade“ und „Purple Fried“, das den ersten Teil des Sets beschloss. Ich muss Sizarr hier auch ausdrücklich noch einmal dafür Respekt aussprechen, dass sie so konsequent immer wieder versucht haben, das teilweise sehr zurückhaltende Publikum immer wieder zu (re)animieren – manch andere Band hätte sicherlich längst aufgegeben. Die erste Zugabe des Abends war ein toller neuer Song namens „Arsnll“, der es hoffentlich bald auf ein nächstes Album schaffen wird. Der letzte Song des Abends provozierte dann tatsächlich noch ein klein wenig Publikumsbeteiligung in Form von Mitsingen, „Boarding Time“, das schon im Vorfeld von „Psycho Boy Happy“ 2012 auf der „Boarding Time EP“ veröffentlicht worden war und als letzter Song unheimlich Lust auf mehr machte.

Ich weiß nicht, was genau Sizarr da live tun. Ich weiß nur, dass ich es großartig finde und sie mir genau das bieten, was mir musikalisch noch in meiner Welt gefehlt hatte. Bring it on, Maifeld Derby, bring it on!


Setlist, Sizarr, Kulturpalast Wiesbaden, 19.04.2013:

01 Mushin
02 Word Up
03 Pocket Walt
04 PBEW
05: Run Dry
06: Fake Foxes
07: Cat Mountaineer
08: Blade
09: Icy Martini
10: Mulo
11: Tagedieb
12: Purple Fried

13: Arsnll (Z)
14: Boarding Time (Z)


Tourdaten Sizarr für den Festivalsommer 2013 – bisher!:

18.05. – Food For Your Senses Festival (Luxembourg)
23.05. - Europavox (Clermond-Ferrand)
01.06. - Maifeld Derby (Mannheim)
21.06. - c/o Pop (Millowitsch Theater Köln)
28.06. - Festival bête de scènes (Mulhouse)
20.07. - Melt! (Gräfenhainichen)
02.08. - Horst Festival (Mönchengladbach)
03.08. - Prima Leben und Stereo (Freising)
16.08. - Frequency Festival (St. Pölten)
18.08. - Dockville Festival (Hamburg)
24.08. - Folklore Festival (Wiesbaden)


Links:

https://www.facebook.com/juliusgalemusic
https://soundcloud.com/juliusgale

http://www.sizarr.com/
https://www.facebook.com/SizarrOfficial 

1 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Ich finde, dass ihre Musik mega subtil ist. Als ich ihr Video zu "Boarding Time" das zweite Mal sehen wollte, dachte ich, weil ich das Video so interessant fand. Die Musik ist mir gar nicht aufgefallen. Erst beim vierten Mal wurde mir klar, was ich daran mochte. Es ist seltsam, weil sie doch einen gewissen Hang zur Dramatik haben...

 

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