Dienstag, 16. April 2013

Tonbandgerät, Stuttgart, 13.04.2013

Konzert: Tonbandgerät
Ort: Ein Wohnzimmer mit Blick über die Stadt, Stuttgart
Datum: 13.04.2013
Zuschauer: etwa 40
Dauer: 60 Minuten

 
Ich finde es sehr schön, dass ihr alle eure Smartphones eingesteckt habt und zuhört. Bei unseren richtigen Konzerten schauen viele nur durch das Display zu. Ich habe ja nichts dagegen, aber man erlebt es doch ganz anders.“ Ole Specht grinst, die Zuschauer lachen, hatte der Tonbandgerät-Sänger zu Beginn des Konzerts schließlich noch augenzwinkernd angemerkt, man solle den Ton ausstellen, weil es sonst peinlich sein könnte, wenn es bei einem ruhigen Wohnzimmerkonzert klingle. Ihm sei nämlich genau das beim zweiten Auftritt seiner Band in einem Wohnzimmer passiert.

Tonbandgerät werden riesig. Das hört man ständig, liest man oft und weiß es spätestens, nachdem man die vier Hamburger live gesehen hat.
Dass meine erste Konzertbegegnung mit Isa, Sophia, Jakob und Ole ausgerechnet im Wohnzimmer meiner Freundin am ersten sommerlichen Tag des Jahres stattfinden würde, hätte ich noch vor zehn Tagen niemals in Erwägung gezogen. Dann meldete sich ein Freund bei mir, den wiederum ein Bekannter aus Husum gefragt hatte, ob er nicht spontan ein Wohnzimmerkonzert ausrichten wolle, was für ihn nicht möglich war, sodass er mich fragte, ob wir nicht Lust darauf hätten. Innerhalb weniger Minuten sagten wir zu.

Es ist ein frühsommerlicher Samstag. Die Sonne scheint über Stuttgart, im Kessel steigen die Temperaturen rasch weit über 20C°, auf der Königsstraße ist die Hölle los, die Parks werden wieder dicht bevölkert.

Auch Tonbandgerät entspannen sich tagsüber im Schlosspark vom grauen Flair des Stadtteils Wangen, wo sich das Hotel des Quartetts befindet. Im kultigen LKA Longhorn, einem der prominentesten Clubs Stuttgart, spielten die Vier noch am Vorabend ein starkes, elektrisches Set im Vorprogramm von Bosse, den sie gerade auf dem ersten Drittel seiner ausgedehnten Deutschland-Tour begleiten. Es ist jener Off-Tag vor dem Bosse Konzert in Saarbrücken, der das exklusive Konzert in heimischen Wänden möglich macht.


Gegen 17 Uhr erreicht der schwarze Mercedes Vito, mit dem die Band unterwegs ist, das Haus der Eltern meiner Freundin. Das Kennenlernen verläuft entspannt, der Soundcheck wenig später klingt äußerst vielversprechend. Bevor die ersten Gäste eintrudeln, unterhält man sich angeregt auf der Terasse.

Um halb neun beginnt das Konzert, das nunmehr fünfte Wohnzimmerkonzert, das wir ausrichten. Für Tonbandgerät ist es das sechste und mit „Mal mich“ beginnt es äußerst stimmig. „Und ich muss sagen / ich glaub' ich lieb' dich / wenn ich weiß, wie das geht / wenn ich dann den Takt noch finde / in dem mein Herz für dich schlägt.“
Es ist das aufrichtige Selbstverständnis einer jungen Band, deren gesamtes Potential wohl erst in den kommenden Jahren ausgereizt sein dürfte. Das Debütalbum erscheint erst am Freitag, daran dass es ein großer Erfolg werden wird, zweifelt bereits nach dem zweiten Lied, „Hirngespenster“, im generationsübergreifend bevölkerten Wohnzimmer keiner mehr.

Mit Stuttgart verbindet die Band, die sich in Norddeutschland in den letzten Jahren eine überwältigende Fanbase erspielt hat, deutliche Erinnerungen: Vor fünf Jahren spielte man hier im Jugendhaus West auf einem kleinen Festival vor nicht mehr Zuschauern als am heutigen Tag in diesem Wohnzimmer. Auf dem Programm standen damals neben Tonbandgerät Acts, die heute bundesweit große Hallen füllen; der Stuttgarter Singer-Songwriter Philipp Poisel und eben Bosse. Mittlerweile bei einem großen Major-Label unter Vertrag, ist es kurios zu hören, dass die Band damals - ohne Schlafmöglichkeit zu ihrem ersten Konzert in Süddeutschland aufbrechend - spontan im Fechtkeller einer schlagenden Burschenschaft unterkam.

Die Vorteile, bei einem Majorlabel zu veröffentlichen, zeigen sich schon bei der Videoproduktion, dem Clip zur zweiten Single „Halbmond“ wollten die Schwestern Isa (Bass) und Sophia Poppensieker (Gitarre), Jakob Sudau (Schlagzeug) und Ole Specht (Gesang) gerne ein sommerliches Flair verpassen, was sie der Plattenfirma kurzerhand mitten im Winter präsentierten, die sie entgegen der Erwartungen der jungen Musiker - zwischen 22 und 24 Jahren - selbst nach Gran Canaria fliegen ließ, wo neben dem wunderschönen Video in matten Pastellfarben auch das Albumcover für „Heute ist für immer“ entstand, welches übrigens in Unterensingen bei Nürtingen - also unweit von Stuttgart - unter den Augen des Produzenten Poisels aufgenommen wurde. 
In der ruhigeren Akustikversion entfaltet das extrem eingängige Lied heute seine Wirkung. Ole spielt dazu Keyboard und Glockenspiel, verträumte Blicke füllen das Publikum.
Mit dieser Welt allein“ und „Landebahn“  fallen qualitativ nicht ab, bestechen mit norddeutscher Eleganz und punkten mit unaufgeregter Ehrlichkeit. Hamburger Popmusik ist eben doch besser als grundsätzlich ähnliche Musik aus dem Süden. Mögen Kritiker mal Ähnlichkeit mit Sportfreunde Stiller oder gar Pur sehen, liegen sie doch denkbar falsch: Viel zu unprätentiös sind die Texte, um so etwas zulässig erscheinen zu lassen, umso viel zu bodenständig erscheinen die Vier – ohne jegliche Allüren.

Allüren könnte eine Band, deren erste Single „Irgendwie anders“ auf Youtube deutlich über eine halbe Millionen Mal angeklickt wurde, die die großen Clubs in der heimatlichen Hansestadt scheinbar mit links ausverkauft und mit Preisen überhäuft wird, haben, ohne dass sich irgendjemand wundern würde. Die Bodenständigkeit des gesamten Erscheinungsbilds lässt den Abend magisch erscheinen.  Veröffentlicht im letzten September begeistert die genannte Single heute Abend jeden.
Das Video dazu wurde von Freunden der Musiker in kürzester Zeit auf Sylt gedreht, was Ole so anekdotenreich erzählt, dass er vor dem Konzert gar nicht hätte erwähnen müssen, was für ein großer Bernd Begemann – Fan ist.
Der Sound ist perfekt. Adam, Fahrer, Roadie und Freund der Band, hat hier ganze Arbeit geleistet. „Auf drei“ ist ein schönes Stück Popmusik, das Lehramtstudent (Deutsch und Politik) Ole fast rappt. Sophia ist eine unheimlich filigrane Akustikgitarristen und das Bassspiel der angehenden Juristin Isa ist stets tadellos.

Superman“, eines der ältesten Stücke des noch jungen Band-Oeuvres – und eines der schönsten. „Du bist was du isst, / demnach bin ich nicht interessant / Ich kauf bei dir mal nur Brötchen / und zahl mit Flaschenpfand.“ Gewidmet wird es heute den beiden Besuchern, die damals auch im Jugendhaus West dabei waren und die Tonbandgerät nach dem Bosse-Konzert am Vortag einluden.

Beim vorletzten Lied spielt Ole Melodica. „Ihr bekommt noch einen Song aus dem Norden.“ „Ozean“ ist für mich einer der angenehmsten Küstensongs, die mir spontan einfallen. „Wir sollten da bleiben / Wir sollten da bleiben / Unser Boot ist zwar kein Schiff / Aber es ist besser“. Alle Zuschauer singen geschlossen den Refrain mit. 

 
All die ganzen Jahre“ ist ein würdiger Schlusspunkt eines fantastischen Wohnzimmerkonzerts. Kredenzt wird das Ganze unplugged, alle Saiteninstrumente ausgestöpselt, Jakob, Ole, Sophia und Isa singen gemeinsam. Ein wunderschöner Moment. Dann ist Schluss und der Bernd Begemann & Die Befreiung – Klassiker „Unsere Band ist am Ende“ erschallt vom Band - beziehungsweise iPod. Kann es einen perfekteren Wohnzimmerkonzertabschluss geben? 
Dass das Quartett selbst auch Spaß hatte, wie Sophia im Tourblog am nächsten Tag berichtet, macht die Sache für uns noch schöner. 

Die Tour mit Bosse geht noch ein paar Tage; Morgen spielt man im Morgenmagazin.

Im November geht Tonbandgerät auf große Deutschland-Tour; in Stuttgart wird der Keller Klub bespielt. Und wer weiß, vielleicht gibt es auch irgendwann einmal ein Wiedersehen bei uns im Wohnzimmer mit den grundsympathischen Hamburgern.




Setlist, Tonbandgerät, Stuttgart:
01: Mal mich
02: Hirngespenster
03: Halbmond
04: Heute ist für immer
05: Mit dieser Welt allein
06: Landebahn
07: Irgendwie anders
08: Auf drei
09: Superman
10: Ozean
11: All die Jahre


 

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