Montag, 14. September 2009

Anna Ternheim, Köln, 13.09.09


Konzert: Anna Ternheim akustisch
Ort: Stadtgarten Köln
Datum: 13.09.2009
Zuschauer: fast voller Saal
Dauer: knapp 95 min


In einem Interview hatte uns Anna Ternheim gesagt, daß es ihr wichtig sei, den Besuchern ihrer Konzerte Abwechslung zu bieten. Wir hatten sie zuletzt einige Male mit Band und mit immer stärker instrumentierten Versionen ihrer Lieder des aktuellen Albums erlebt. Für mich vollkommen überraschend kam kurz nach ihrem Haldern-Auftritt die Ankündigung einer kurzen Akustik-Tour. Erste Station war heute der Kölner Stadtgarten.

Als der kühlere Saal endlich geöffnet wurde - der Vorraum hatte wohl nocht nicht gemerkt, daß der Sommer vorbei ist - war bereits alles für die akustische Anna aufgebaut. Auf der Bühne stand zentral und erhöht des rote Klavier der Sängerin, davor, weiter unten, ein quietschroter Plastik-Polsterstuhl, rechts und links davon ein Kontrabaß und ein Xylophon sowie einige akustische Gitarren. So ähnlich hatte ichmir das erhofft.

Anna Ternheim bestreitet ihre akustische Tour gemeinsam mit Johan Berthling und Andreas Söderström, zwei Musikern, mit denen sie bisher nicht aufgetreten ist. Johan Berthling spielt in verschiedenen Jazzbands Kontrabaß (Boots Brown, Tape, Sten Sandell Trio), während Andreas Söderströn neben seiner eigenen Band ass als Gastgitarrist, -trompeter und -xylophonist bei Jenny Wilson oder in Gruppen wie Taken By Trees, The Late Call oder barr auftritt.

"Die beiden sehen doch aus wie Auftragskiller aus einem Bond-Film?" stellte Anna Ternheim ihre neuen Kollegen vor. Den glatzköpfigen Johan und den tätowierten Andreas (das erste Schildkröten Tattoo, das ich je gesehen habe!) könnte ich mir
auch gut als Filmschurken vorstellen. Ihre Qualitäten liegen aber ganz offesichtlich in anderen Künsten, denn beide beherrschten ihrer Instrumente ganz vorzüglich.

Aber der Reihe nach...

Das Konzert begann mit Black sunday afternoon vom aktuellen Album Leaving on a mayday und damit direkt mit etwas Spannendem. Im Gegensatz zu ihren ersten beiden Alben gibt es zur aktuellen Platte keine zweite CD mit akustischen ("naked") Versionen der Stücke. Nur wenige der stark instrumentierten Lieder gibt es auf Tonträgern in diesen wundervollen Alternativformen. Black sunday afternoon, ein nicht nur wegen des Titels besonders düsteres Stück, spielte Anna Ternheim mit Gitarre, begleitet von Andreas an zweiter Gitarre und Johan am Bass. Auch wenn
Andreas ein wenig sang und pfiff, waren beide Begleiter sehr dezent im Hintergrund! Black sunday afternoon ist schon auf Platte eines der Highlights, akustisch aber anderes brillant, eben so, wie ich es erhofft hatte.

Mit Off the road und What have I done folgten zwei weitere Lieder der im Winter erschienenen Platte. Off the road, das die Sängerin schon gemeinsam mit der Norwegerin Ane Brun gespielt hat, war nie mein Liebling von Leaving on a mayday. Auch das - und, um es vorwegzugreifen, alle anderen neuen Stücke - waren großartig in ihren akustischen Gewändern. What have I done hatte es vorher schon so abgespeckt gegeben, trotzdem schön, es einmal live zu sehen! Dazu ging Anna Ternheim erstmals an ihr Klavier.

An ihrem Piano blieb sie dann auch für einen meiner absoluten Lieblinge, das enorm private und traurige Tribute to Linn. Andreas begleitete das Stück auf dem Xylophon
und an der Trompete, beide Instrumente waren aber so zart gespielt, daß sie das Lied nicht kaputt trällerten; es war ein Genuß!

Ein gewisses Risiko steckte in dem Termin heute
schon, denn die drei standen so erstmals gemeinsam auf der Bühne ("It's like dancing with folded eyes"). Dazu war die Anreise in dem schwarzen Minibus aus Schweden offenbar beschwerlich. "Wir hatten eine schreckliche Fahrt", sagte Anna Ternheim, drehte sich dann zu Andreas um und ergänzte "also ihr. Ich bin geflogen." Anreisestreß und fehlende Sicherheit im gemeinsamen Spiel bemerkte man aber nur in wenigen Szenen und nie musikalisch. Andreas hatte seine Trompete backstage nach dem Einspielen liegengelassen und bat Anna, sie noch schnell vor Tribute to Linn zu holen. Bei anderen Liedern waren beide, Johan und Andreas, unsicher, wann und ob sie schon beginnen sollten. Anna nickte dann zur Bestätigung. Wundervoll! Bei Damaged ones (neues Album) sollte es mit Xylophon losgehen, und Andreas wirkte ganz schüchtern und suchte Ermutigung, loszulegen. Auftragskiller! Ab Damaged ones hatte auch der Stuhl ausgedient. Die in New York lebende Stockholmerin fand das dann wohl doch lästig und packte ihn weg, um das Lied stehend und ohne Gitarre zu singen. Sie begleitete sich nur mit solchen Rhythmushölzern (Claves). Eigentlich war auch Damaged ones so abgespeckt wunderschön, wären da nicht die laut mitsingenden Frauen rechts in der Mitte gewesen. Ich hätte nie das Selbstvertrauen, ein akustisches Konzert mit Badewannengesang bereichern zu wollen. Aber seit Fernsehsender jedem einreden, einfach mal vor Publikum schief zu singen, sind solche Hemmschwellen wohl nicht mehr zeitgemäß.

Daß akustisch nicht unbedingt leise bedeuten muß, zeigte Losing you, bei dem die Sängerin (wieder ohne Gitarre) immer lauter wurde. Nach Losing you verließen Andreas und Johan kurz die Bühne, Anna spielte alleine weiter.

Das erste Solostück war ein weiterer Liebling, Nights in Goodwill, eines der schönsten Lieder des Abends, gefolgt von No subtle men. Beide waren nicht neu, so wie die Singer/Songwriterin sie darbot, aber sie waren schön! No subtle men startete allerdings holprig. Anna hatte ihre Gitarre nicht vor dem Stück gestimmt und war unzufrieden mit dem Ergebnis. Sie brach ab und stiegt nach dem Stimmen wieder ein. Musikalisch war das die einzige für mich hörbare Panne des Abends, alles andere war schlicht wundervoll.

Die Begleiter kamen zurück, Anna ging ans rote Klavier und spielte das Lied, das den meisten Applaus bekommen sollte. Vermutlich lag das daran, daß Let it rain sehr laut und energisch vorgetragen wurde. Mir konnte es heute gar nicht leise genug sein, aber es muß ja nicht jeder das gleiche mögen. Mit Terrified spielte das Trio ein weiteres Lied der letzten Platte - schon das siebte. Und die anderen drei sollten auch noch folgen. Eines davon, Summer rain, gibt es schon lange in akustischer Version, nämlich ohne Instrumente von Anna und anderen Sängerinnen vorgetragen (Ane
Brun und Nina Kinert u.a.). Heute bat sie Johan und Andreas, die herrlich schüchtern wirkten, zu sich heran. "Im Chor singen ist gerade eine große Sache in Schweden! Bei euch auch?" ...Gottseidank nicht...

Summer rain mit den beiden Männerstimmen im Hintergrund (strenggenommen waren es höchstens anderthalb; Johan traute sich nicht) ist klarer Punktsieger gegenüber der nur-Frauen-Version! Das Lied hat
durch die unterschiedlicheren Stimmen eine neue Tiefe (haha!), die ihm gut tut. Ein überraschender Knüller in meinen Augen! Und Johan und Andreas haben wahrlich keinen Grund, ängstlich zu wirken, denn auch ihre Stimmen (naja, zumindest die von Andreas, Johans habe ich nicht raushören können) beherrschten sie ähnlich brillant wie ihre Instrumente.

Das neunte der neuen Sachen war No I don't remember, auch sehr schön so abgespeckt, allerdings zwischen anderen Krachern weniger auffällig. Einer dieser Oberkracher sollte folgen...
One to blame mit Xylophon, Bass und Klavier geht vermutlich nicht besser, auch das ein absolutes Glanzlicht des Abends! Ich konnte aber gar nicht genug Hachs seufzen, weil es nahtlos mit To be gone und dem fabelhaften Halfway to fivepoints weiterging.

Da waren siebzig Minuten vorbei, und die drei verliessen die Bühne. Schon bis dahin wäre es ein wundervolles Konzert gewesen, aus Erfahrung weiß ich aber, daß Anna Ternheim immer Zugaben spielt. Auf der Setlist standen China girl und My heart still beats for you als Extras. Es sollte aber noch besser werden. Statt ihres (tollen!) Bowie-Covers kündigte Anna einen "happy song" an. Da sie nur ein fröhliches Lied hat, jubilierte ich schon über einen meiner ganz großen Lieblinge, den Wedding song, der es leider nie richtig auf eine Platte geschafft hat.

My heart still beats for you sollte dann wirklich der Abschlußsong sein. Glücklicherweise ist der Backstage-Bereich im Stadtgarten aber direkt an der Bühne, die Künstler bekommen also noch mit, was draußen los ist. Also konnte Anna schlecht ignorieren, daß lange und laut weitere Zugaben klatschend erfordert wurden. Sie kam zurück: "What now?" Geplant war nichts mehr. Die zugerufenen Wunschlieder ihrer alten CDs kommentierte die Sängerin mit: "Künstler wollen immer die Sachen spielen, die sie zuletzt geschrieben haben. Ihr müßt euch die neuen Stücke mehr erarbeiten." Aber sie hatte ja alle gespielt, also konnten noch drei alte Kumpels folgen. Better be zum Beispiel. Oder das ach so schöne I say no. Den besonders würdigen Schlußpunkt machte aber I'll follow you tonight.

Hätte Anna Ternheim noch My secret und ihr Winnerbäck Cover Elegi gespielt, hätte ich nicht mehr zu ihren Konzerten gehen müssen, weil der Abend perfekt gewesen wäre. So muß ich dann wohl doch wieder...

Ein fabelhaftes Konzert einer liebenswerten Künstlerin! Alles Magengrummeln nach Haldern ist weg! In den kommenden Tagen ist Gelegenheit, die drei Schweden mit dem Kontrabaß in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich zu sehen. Ich kann das nur empfehlen!

14.09.09: Fabrik, Hamburg
15.09.09: Frannz, Berlin
16.09.09: E-Werk, Erlangen
17.09.09: Ringlokschuppen, Bielefeld
19.09.09: Volkshaus, Basel
20.09.09: Fri-Son, Fribourg
21.09.09: Jazzhaus, Freiburg
22.09.09: de Duif, Amsterdam
23.09.09: Alhambra, Paris

Setlist Anna Ternheim, Stadtgarten, Köln:

01: Black sunday afternoon
02: Off the road
03: What have I done?
04: Tribute to Linn
05: Damaged ones
06: Losing you
07: Nights in Goodville
08: No subtle men
09: Let it rain
10: Terrified
11: Summer rain
12: No I don't remember
13: One to blame
14: To be gone
15: Halfway to fivepoints

16: Wedding song (Z)
17: My heart still beats for you (Z)

18: Better be (Z)
19: I say no (Z)
20: I'll follow you tonight (Z)

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4 Kommentare :

konsipura hat gesagt…

Dein Enthusiasmus in Ehren. Aber gerade bei der Location hatte ich noch den Soloauftritt von September '07 in Erinnerung (ein Abend der wirklich perfekt war) und irgendwie hat es hier doch zu sehr wie ein 'normales' Konzert ausgesehen. Man hat gemerkt das das Zusammenspiel noch nicht so geübt war. Für mich waren aber auch irgendwie andere Höhepunkte da. Der Anfang mit BSA und besonders Off the road war fantastisch. Summer rain und für mich vor allen Dingen das von dir abgeschobene No I don't remember fand ich absolut magisch. Sachen wie Losing you, Let it rain oder One to blame waren für mich etwas unpassend im vorgetragenen Arrangement. Mein Liebling No subtle men war ein Ausfall (normalerweise beginnt man bei so ner Panne von vorn) und die 3 Zugaben am Ende fand ich schade. Wie sie selbst gesagt hat, hätte sie lieber was Neues spielen sollen. (Eins von den genialen Sinatra-Covern hätte sich zB mehr als angeboten für eine Soloakkustiknummer) Es war sicherlich ein wunderbares sehr gutes Konzert mit 2 3 absoluten Höhepunkten, aber bestimmt nicht so perfekt, wie es deine Review vermuten lässt.

Guido hat gesagt…

Ich durfte gestern dem Konzert im frannz in Berlin beiwohnen und bin selbst heute noch völlig überwältigt!Es war absolut genial, die Songs waren allesamt toll arrangiert, die Musiker ungemein virtuos auf ihren Instrumenten unterwegs und Anna war UMWERFEND!
Sicher findet nun jeder diesen oder jenen Song in dieser oder jener Version irgenwie besser, aber das ist doch auch Geschmacksache, und im Endeffekt macht doch auch jegliche Variation des Arrangements ein Live-Konzert so unvergleichlich wie jenes von gestern Abend.
Daß die als "eventuell" angekündigten Sinatra-Songs nicht gespielt wurden hatte sicherlich seinen Grund, vielleicht waren sie einfach noch nicht perfekt einstudiert/geprobt...mir lieber wenn sie dann weggelassen werden, um in Ruhe zu reifen.
Für mich waren hier gestern drei Ausnahmemusiker zu sehen, die nicht nur einen wundervollen Job gemacht haben, sondern diesen Abend buchstäblich verzaubert haben, Gänsehaut und Tränen in Hülle und Fülle hervorriefen.

Marcel.folk-freak hat gesagt…

Ich war ebenfalls in Berlin und kann Guido nur beipflichten. Es war wirklich absolut genial. Einmal abgesehen von einem Verspieler ganz am Anfang von What I Have Done schienen sie schon sehr gut eingespielt. Die Setlist sah aber bei uns in Berlin etwas anders aus. Das liegt daran, dass Anna den Solo-Part und den Zugabenteil des Konzerts anscheinend immer unterschiedlich gestalten will. So spielte sie im frannz Club die Songs China Girl, My Secret und Shoreline als Zugabe. Solo performte sie Better Be und I Say No. Was mir noch auffällt ist die Tatsache, dass Anna bei Euch in Köln etwas gesprächiger war als bei uns in Berlin. Ganz am Ende taute sie etwas auf und beglückte Lokalpatrioten wie mich mit dem Statement, dass Berlin warm und herzlich sei. Ansonsten verließ sie sich ganz auf die Kraft ihrer Songs. Gute Songs funktionieren immer, unabhängig von der Instrumentierung. Anna Ternheim hat mit dieser Tour bewiesen. Das Akustik-Konzert ist für mich eine Art Paradedisziplin für jeden guten Musiker. Ich habe ebenfalls ein paar Fotos gemacht, zu sehen auf Flickr.

Marcel.folk-freak hat gesagt…

Ach so, zum Ansehen der Fotos einfach auf meinen Namen klicken.

 

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