Konzert: Waves Vienna Festival
Ort: verschiedene Locations am Donaukanal
Datum: 03.10.2013
Was für so ziemlich jede mitteleuropäische Stadt gilt, trifft auf Wien besonders zu: Winter sind nicht so lustig. Kann natürlich sein, dass ich bei der Kleidungswahl noch ein wenig in Sommernostalgie schwelgte (ein komisches Präteritum) und gleich zum Island-Pullover hätte greifen sollen, aber so oder so sind 5° ein bisserl wenig.
Nur gut, dass sich mittlerweile schon fast alle Festivitäten ins Innere verzogen haben und Festivals auch wenn sie so heißen, nichts mehr mit Outdoor zu tun haben. Das erste Oktoberwochenende wartet da traditionell mit großem Veranstaltungsgebot auf, wenn man will, kann man es gar auf zwei Großereignisse reduzieren: das höchst originäre Konstrukt "Wiener Wiesen" und das "Waves Vienna". Beide betonen im Namen schon den Bezug zur Hauptstadt, doch die jeweils transportierten Weltvorstellungen liegen eher weit auseinander, einzig die Liebe zum Bier eint die beiden Zielgruppen. Den Raum zwischen Donaukanal und Prater dominieren ein Wochenende lang also Dirndl, Lederhosen, Waves-Umhängetaschen und Timetable-Booklets.
Warum ich hier so herumschwafle über die Wiesen, wo doch eh jeder weiß, dass es nicht um Bierzeltbelustigungen gehen wird? Weiß ich auch nicht so genau. Wohl deshalb, weil Kollegin Ursula in ihrem Bericht über das Waves schon einiges erzählt hat. Und weil ich heuer keine lustigen musikalischen Sozialisierungsversuche von angeheiterten Wiesenbesuchern vorm Fluc und Beschwerden über die Lautstärke (von der Wiesen ans Waves wohlgemerkt) erleben durfte, aber doch so gerne darüber schreiben würde. Und natürlich auch, um einfache Dichotomien herzustellen, á la Orwells "Vierbeiner gut, Zweibeiner böse". Alle Vierbeiner lesen also bitte trotz langatmiger Einleitung weiter, es wird nämlich endlich musikalisch.
Dem Manchester-Boy Magic Arm war nämlich die Ehre (oder Bürde, je nachdem) überlassen, den Abend im Odeon zu eröffnen, einem wunderschönen, sehr großen Theater, das zu der frühen Uhrzeit (dreiviertel sieben) erst eine Handvoll Early Birds angelockt hatte. Wie durch Zauberhand allerdings hatte der bärtige Kollege schnell eine atmosphärische Dichte geschaffen, in den Pausen zwischen den Songs glänzte er zwar nicht als großer Erzähler, vermittelte aber das Gefühl, sich gerne mit dem Publikum auszutauschen und sich über jeden einzelnen zu freuen. Die zu erzählenden Geschichten nahmen sich in musikalischer Form sowieso ganz hervorragend aus, wurden von sehr verspielten Arrangements begleitet und ein besonderes Faible hatte der hinter dem Alias steckende Marc Rigelsford fürs Loopen. Bisweilen erinnerten die Klangwelten des Magic Arm da stark an jene von A Thousand Fuegos.
Die Kurzweiligkeit des Konzerts ist zum Teil sicher auch auf die Spontaneität des Künstlers zurückzuführen, der in den Pausen oft umdisponierte, andere Songs als geplant spielte und seinen Mitstreiter Ben, der nach drei Songs erstmals die Bühne betreten hatte, abwechselnd auf die Bühne zitierte und wieder wegschickte. Auf nette Art und Weise natürlich, der Typ ist grundsympathisch, aber doch irgendwie verwunderlich, dass er seinen Kollegen nicht auf der Bühne haben wollte, wenn ein Song ohne dessen Beteiligung auskam. Platz wäre da jedenfalls genug gewesen. Ob die acht Tage, die die beiden zu diesem Zeitpunkt schon gemeinsam auf Tour waren, bereits Abnutzungserscheinungen verursacht hatten? Am Tag zuvor hatten die beiden jedenfalls in München in einer Garage oder Werkstatt gespielt, was Ben zu dem berechtigten Kommentar hinriss, das Odeon sei doch ein wenig ein anderes Kaliber. Ziemlich genau nach 45 Minuten war das Konzert jedenfalls vorüber, eine kurze Verbeugung und weg waren sie. Ein schöner Start ins Festival, recht lange sacken konnte ich diesen aber nicht, da im doch ein Stückchen entfernten Flex Amatorski anstanden.
Eine Viertelstunde deren Konzerts hatte ich bei Ankunft zwar schon verpasst, die restliche halbe Stunde war aber so dermaßen gut, dass sie dieses kleine Ärgernis schnell vergessen ließ. Dabei hatte ich mich erst am gleichen Tag zum ersten mal mit Amatorski beschäftigt, war zufällig auf den Namen im Timetable gestoßen und natürlich gleich an die kürzlich im Konzerttagebuch verfassten Lobeshymnen auf eine Band dieses Namens gedacht. Amatorski klingt ja sprachlich ziemlich slawisch eigentlich, hatte ich mir gedacht, und einen musikalischen Import Olivers von seiner Russlandreise vermutet. Im Timetable stand allerdings ein (BE). Belgien und Slowenien waren nämlich die heurigen Gastländer im Rahmen des Veranstaltungscredos "East meets West".
Für Amatorski gilt "Post-Rock meets Schüchter-Pop", zwei musikalische Hängematten, in die ich mich besonders gern flausche. Wie ein Mangalitza-Schwein (einfach weils ein schöner Name ist) suhlte ich mich im musikalischen Schlamm der Belgier und verlor dabei jeglichen Bezug zum Rundherum. Wobei der Begriff Schlamm die Tonart, die Amatorski anschlagen, ja gänzlich verfehlt. Aber in der Konsistenz gleicht er dem Konzert gewissermaßen, so dicht und einhüllend, richtig wärmend war es. Außerdem haben Amatorski spirituell angehauchte Metaphern wie "engelsgleich" und "überirdisch" sicher schon hundert Mal gehört. Also passt Schlamm irgendwie doch ganz gut. Heißt ja außerdem auch "Perlen vor die Säue" oder? Und ich glückliche, tagebuchschreibende Sau, die dieses Konzert fast verpasst hätte, erlebte also eine sphärische Welt aus Glockenspiel, samten vorgetragenem Schlagzeug, komplex ineinandergreifender Instrumentierung und gehauchtem Gesang.
Dadurch, dass die Band rund um Sängerin Inne zwischen den Songs kaum zum Publikum sprach (dafür oft Instrumente bzw. Plätze wechselte, die Bühne war wohl zu viert mit soviel Equipment doch etwas eng), entwickelte sich eine ganz eigene Atmosphäre, die man nicht zwangsläufig mögen muss. Für viele ist ein Konzert ja erst dann richtig gut, wenn möglichst viel interagiert wird und der Kontakt zwischen Publikum und Band ausgereizt wird, aber ich habs halt hin und wieder gern so schwelgerisch, weltvergessen. Und die Leute rundherum - auffallend viele ältere und professionell wirkende, mit Akkreditierungen ausgestattete Männer übrigens, wohl Leute aus dem Business - schienen mehrheitlich diesen Ansatz zu teilen, den filigranen Songs wurde durch äußerstes Schweigen Respekt erwiesen, ganz am Ende bei Never Told tänzelten glückselige Gesichter durch den Raum (also die Körper zu den Gesichtern), durch die nebelverhängte Bühne verabschiedeten sich die etwas schüchternen Belgier leider schneller, als man überlegen konnte, was "Zugabe" wohl auf flämisch heißen möge. Zauberhaft gutes Konzert, das Hunger auf sehr viel mehr macht, heißt in diesem lustigen Kauderwelsch jedenfalls Amatorski, das steht schon mal fest. Zum Glück hatte die Band in einem Anflug auf Gesprächigkeit vor dem letzten Song schon versprochen: "See you very soon!"
Schauplatzwechsel und raus in die Kälte once again. Zum Glück nur zehn Minuten lang im Eilschritt und nicht länger - so wie die Bands auf dem Red Bull Brandwagen, der hundert Meter vom Flex positioniert war. Der hatte letztes Jahr (damals am Praterstern aufgestellt) gar nicht so schlecht funktioniert, allerdings war da auch das Wetter besser und der Platz doch deutlich belebter als der Donaukanal, wo die Leute vorbeieilten, um schnell wieder ins Warme zu kommen.
So allerdings spielten die zwei für diesen Tag angesetzten Bands in ziemlicher Kälte und vor publikumstechnischer Minimalbesetzung. Vielleicht hätte man da einfach schon am Nachmittag beginnen sollen, wo die Konkurrenz der anderen Bühne sich noch in Grenzen gehalten hätte...
Im Odeon ist es aber schön warm und Frida Hyvönen konnte also in einem sehr luftigen, farbenfrohen Kleid auftreten. Von der schwedischen Songwriterin erlebte ich nur mehr die letzte Viertelstunde, die zwar musikalisch nicht ganz meinen Nerv traf (oder Amatorski zuvor waren einfach zu gut, auch möglich), aber dafür ein wenig mehr auf der Entertainment-Schiene unterwegs war als die Belgier.
Ein Apfel, der auf ihrem Klavier lag, dürfte als Running Gag eine große Rolle gespielt haben, auch mit ihrer Begleitung an den Backvocals erlaubte sie sich den einen oder anderen Scherz, der letzte Song Dirty Dancing blieb mir auch spaßig in Erinnerung. Er handelte von der alten Jugendliebe, die man irgendwann aus den Augen verliert und dann plötzlich als Rauchfangkehrer vor der Tür steht. Erinnern an vergangene Zeiten - Dirty Dancing mit dem kohlschwarzen Homie, schönes Wortspiel. Vergangene Zeiten müssen aber gar nicht so lang her sein, es reicht auch das Jahr 2007, als Frida Hyvönen mit Au Revoir Simone in den USA unterwegs gewesen sei und die nachfolgende Band sehr schätzen gelernt habe, man möge doch bitte bleiben.
Kein Problem - von denen hatte ich mir sowieso sehr viel versprochen. Viele andere taten das ebenfalls, denn der Saal füllte sich deutlich und bald waren alle Sitzplätze besetzt. Die Umbauphase bescherte der Bühne eine auf drei Pulte reduzierte Möblierung, die dann bald von den drei Mädchen in Beschlag genommen wurden. Die im Hintergrund montierten Leinwände wurden (im Unterschied zu farbenfroheren Visuals bei den Künstlern zuvor) anfänglich hauptsächlich grau-weiß bestrahlt, das weiße Bühnenlicht tauchte die Bühne in eine etwas düstere Atmosphäre und dürfte ein schönes Fotomotiv abgegeben haben. Ich fand den Anblick der fünf Fotografen, die am Steinboden vor der Band im Halbkreis saßen, lagen und sich verrenkten, sehr unterhaltsam. Wie fünf Raubtiere, die potenzielle Beute belagern. Rein fotografische Beute natürlich...
Optisch ansehnlich, rissen mich Au Revoir Simone jedoch nicht völlig mit, das Konzert geriet deutlich beatlastiger als ich es von den CDs gewohnt war und generell regierte etwas mehr die hippe Coolness als die Spielfreude, schien mir. Trotzdem bleiben die Songs der Brooklyner Band ausgesprochen gut, treibend und ausgelassen zugleich, gehen leicht ins Ohr und die abwechselnd eingesetzten Stimmen sorgen irgendwie für den Eindruck, bei jedem Song eine neue Person entdecken zu können.
Relativ am Ende gabs dann ein Cover von Mazzy Star, war halt kein ausgefallenes, sondern Fade into You, eh klar. Das war eigentlich recht gut und damit, die leicht distanzierte oder entrückte Coolness des Songs zu transportieren, taten sich die New Yorker auch nicht allzu schwer. Generell finden sich zwischen diesen beiden Bands einige Parallelen bzw. gemeinsame Vorlieben, Mazzy Star sind halt im Endeffekt doch gitarrenlastiger. Und eigentlich gefiel mir dieses Cover fast am Besten am gesamten Konzert, denn das abschließend präsentierte Shadows, auf das ich mich sehr gefreut hatte, erfasste mich nicht völlig. Soundtechnisch war das Konzert gegen Ende hin dafür nach einigen Adaptierungen sehr überzeugend und auch nicht mehr ganz so dumpf und unausgewogen wie zu Beginn.
Nach einem kurzen Besuch im Flex, um jemand abzuholen und 10 Minuten CSS (been there, done that), ging es dann ins Fluc, wo eine Labelnight anstand und die heimischen Velojet ihr mittlerweile viertes Album, glaub ich, vorstellten. Die Location war relativ voll und die Sicht auf die Bühne daher für mich eher eingeschränkt, ich hatte die Band aber zwei Wochen zuvor schon in ihrer Heimatstadt bei einem bumvollen Konzert - Heimspiel nennt man sowas wohl - erlebt und daher auch eine ungefähre Ahnung, was sich da so abspielt. Die vier wagen mit dem neuen Album Panorama nämlich gewissermaßen einen Neuanfang, allerdings eher in vermarktungstechnischer Hinsicht, das Album erscheint nämlich auf einem neuen Label, ist in Finnland aufgenommen worden und besonderer Wert wurde diesmal auf Vinyl gelegt. Die Songs sind von gewohnt hoher handwerklicher Qualität. Mit ihrer Mischung aus Indie-Rock, leicht melancholischem Songwriting und eingängigen Vocals werden Velojet zwar vermutlich nicht reich und berühmt, aber das Herzblut und die Energie, die sie in Musik und Liveauftritte stecken, macht die Band höchst sympathisch. Mit einer guten Stunde Auftrittszeit zwischen dreiviertel elf und dreiviertel zwölf hatten sie auch einen der besten Slots des ganzen Festivals und aufgrund geografischer Lage des Fluc auch kaum Konkurrenz zu dieser Zeit.
Vor allem Sänger Réne nutzte diesen Umstand und feierte mit dem Publikum ein Freudenfest, animierte es zum Mitsingen, der Schweiß rannte ihm von der Stirn und so erging es auch dem Publikum. Neben neueren Songs wie Angeldust, Cold Hands und Away! Away!! kamen gegen Ende hin auch einige wenige Stücke älteren Datums hinzu. Irgendwann kam dann mein Lieblingssong vom neuen Album, The Sea is the Ocean is the Sea. Eine interessante Gleichung!
Mathematisch auf einen Nenner kam ich allerdings nicht mit der Vorliebe der Band, die schönen gelben Vinyls wie beim Diskuswurf durch den Raum zu schleudern und derart zu verschenken, wie sie es schon beim erwähnten Konzert in Steyr geschehen war. Ein bissi mehr Liebe, herst!
Zu Ende ging das Konzert dann mit dem Klassiker I follow my Heart, das zu einer etwa zehnminütigen Version ausgebaut wurde und zur Manifestation der Livequalitäten der Band geriet. Alles in allem ein sehr gelungenes Release-Konzert der Band, für mich auch gleichzeitig das letzte des Abends.
Leider hat mir einmal mehr die Arbeit einen Strich durch ein vollständiges Waves-Wochenende gemacht, das Erlebte hat aber einmal mehr von der ambitionierten Umsetzung des Festivals überzeugt. Schlicht großartig, was da jedes Jahr auf die Beine gestellt wird - und jährlich kommt etwas dazu. Für Musikdiskurs-Interessierte sei daher auch gleich die superb besetzte Konferenzschiene des Festivals herausgehoben, von Panels zum slowenischen Musikmarkt, Feedback-Sessions mit Musikexport-Chefs aus ganz Europa (und Island vor allem ♥) und Diskussionen zu Vermarktungsstrategien von Indielabels war da so ziemlich alles dabei. Sollte man sich alles im Hinterkopf behalten - es muss ja nicht jedes Jahr das Primavera sein! (Also eigentlich schon, aber das Waves kann man als ideale Ergänzung ja trotzdem dazunehmen!) Das nächste Waves kommt nämlich ganz bestimmt. Aber bis dahin fließt noch ein wenig Wasser die Donau hinunter...
aus unserem Archiv:
- Frida Hyvönen, Fontenay-Sous-Bois, 18.12.12
- Frida Hyvönen, Rennes, 21.03.09
- Frida Hyvönen, Paris, 08.12.08
- Frida Hyvönen, Paris, 12.12.06
- Au Revoir Simone, Paris, 20.04.09
- Au Revoir Simone, Paris, 18.04.09
- Au Revoir Simone, Paris, 26.02.07
- Amatorski, Stuttgart, 04.10.13
- Amatorski, Frankfurt, 30.09.13
- Amatorski, Wiesbaden, 07.02.13 (Christoph)
- Amatorski, Wiesbaden, 07.02.13 (Gudrun)
Vielen Dank für die Fotos vor allem an Patrick!
um
12:52
Mittwoch, 9. Oktober 2013
Waves Vienna Festival, 03.10.13
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Julius
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