Donnerstag, 9. Mai 2013

Art Brut, Stuttgart, 07.05.2013

Konzert: Art Brut 
Vorband: Keith Top Of The Pops   
Ort: Club Schocken, Stuttgart   
Datum: 07.05.2013   
Zuschauer: vllt. 250 (vermutlich fast ausverkauft)   
Dauer: Art Brut 83 Minuten 
Der Charme Art Bruts lag für mich immer in der Ausfüllung der vakanten Mitte zwischen dem snobistischen Britpop von Pulp und Monty Pythons anarchischem Humor. 
Es muss um Ostern 2009 herum gewesen sein, als mich Art Brut mit ihrem dritten Album „Art Brut vs. Satan“ überzeugten, nachdem ich durch eine Themenausgabe über britische Musik in einem der nach wenigen Ausgaben eingestellten Wiederbelebungsversuche der Zeitschrift Sounds auf das englisch-deutsche Quintett um den exzentrischen Wahl-Berliner Eddie Argos aufmerksam wurde. Pixies-Mastermind Frank Black zeigte sich damals als Produzent verantwortlich und „Alcoholics Unanimous“ und vor allem „Summer Job“ gehörten rückblickend fest zu meinem Oberstufen-Soundtrack.
An Möglichkeiten, die Band live zu erleben, mangelte es seither wahrlich nicht. Die ausgedehnte Tour zum genannten Werk ließ ich mir jedoch entgehen und im September 2011 verhinderte ein Ferienjob eine Begegnung im Frankfurter Nachtleben.
Mit großen Erwartungen betrete ich das Schocken und bin von der Zuschauerflut positiv überrascht: Auf der Bühne spielt bereits Keith Top Of The Pops, ein extravertierter Engländer aus dem Umfeld des Hauptacts, mit einer achtköpfigen(!) Band. Es ist ohrenbetäubend laut, der Auftritt kurios. Musikalisch klingt ein Song wie der andere, trotzdem macht alles gehörigen Spaß. Mit einer Trompeterin, Schlagzeug, Bassisten, fünf(!!) Gitarristen mutet das alles ein wenig wie ein Schulprojekt frei nach dem Motto „Wir gründen unsere eigene kleine E-Street-Band“ an. 
Die Songs ähneln Art Brut sehr und Eddie Argos wird später behaupten, er habe sie geschrieben. Es ist ein Abend der Ironie und trotz des stupiden Gitarrengeschrammels sind die Songs ausnahmslos eingängig. Vermutlich wird mir der Refrain von „Two of the Beatles are dead“, das manch einer sicherlich als pietätslos bezeichnen würde, noch einige Zeit penetrant im Kopf umher schwirren, ebenso wie die ganzen Songs, in denen Keith mal Selbstzeugnis über sich ablegt („This is a song about how amazing I am“) oder wie in „Fuck you, I'm Keith Top of the Pops“, das Eddie Argos vom Mischpult aus mitfilmt, sich mit Jesus vergleicht.
Englischen Humor findet man in Deutschland viel zu selten und so ist der kurze Auftritt der bizarren Gruppe aus sechs Männern und zwei Frauen eine Erfrischung - gerade auch wegen der beißenden Satire auf die großkotzigen Britpop-Heroen aus Manchester, die man trotzdem lieben muss. Nur damit man mich richtig versteht, ich spreche hier in erster Linie von Morrissey und nur sekundär von Oasis. So gibt es einen Song namens „Morrissey will never forgive me“. Zum Schluss folgt „I Hate Your Band“, das Art Brut gewidmet wird.    
Der Club füllt sich immer mehr. Erstmals erlebe ich, dass die Galerie geöffnet ist und ich begebe mich nach oben, da mir nach einem anstrengenden Tag nicht nach sportlicher Betätigung zumute ist. Daran, dass es schweißtreibend wird, dass wild gepogt, ja gemosht, werden wird, zweifle ich zu keiner Zeit, da kann das typische Stuttgarter Publikum so zurückhaltend sein, wie es will. Art Brut Konzerte gelten als wilde Partys, was sich in den folgenden eineinhalb Stunden pausenlos zeigt. Nach einem kurzgehaltenen Umbau stehen Argos' Kollegen mit den skurrilen Namen Ian Catskilkin, Jasper Future (beide Gitarre), Freddy Feedback (Bass) und Mikey Breyer (Schlagzeug) auf der Bühne und spielen „Paradise City“ von Guns N' Roses an. Der Frontmann folgt und „Formed A Band“ gibt es als krachenden Einstieg. Der Schlüsselsong des frenetisch rezipierten Debütalbums lässt das Stuttgarter Indievolk jegliche Reserviertheit ablegen und in kollektive Ekstase ausbrechen. Die Ordner sind sichtlich überrascht von der wild pogenden Menge und leicht überfordert, dabei haben die Leute doch nur Spaß. 
„Hello Stuttgart, how are you“, brüllt Eddie Argos ins Publikum, bevor er anmerkt, dass man mittlerweile zehn Jahre alt und eine Classic Rockband sei, also legitimiert wäre, solch dämlichen Ansagen machen. Selten habe ich auf Indierockkonzerten so viel gelacht wie heute. „My Little Brother“, ein echter Publikumsliebling, ebenfalls vom ersten Album „Bang Bang Rock & Roll“ folgt wie auf Platte im direkten Anschluss. Was steckte doch für eine rohe Energie in diesem Erstlingswerk. Gerade wurde eine Retrospektive veröffentlicht, das Best-Of und Raritäten-Album „Top Of The Pops“ und so erwartet auch die feiernde Menge ein nostalgischer Abend voller moderner Indie-Klassikers. 
Der Bewegungsdrang Argos ist noch immer enorm, der Oberlippenbart und der Ohrring wirken noch immer deplatziert jugendlich, lediglich der etwas größere Bauchumfang zeigt, dass die Zeit nicht spurlos am Sänger vorbei ging. „And yes this is my singing voice / It's not irony / And it's not rock and roll / I'm just talking / To the kids“, heißt es schon in „Formed A Band“ und tatsächlich spricht, ja rappt Argos eher, als dass er singt. Das gelingt ihm natürlich überaus gekonnt, man mag an Mike Skinners The Streets denken, doch ist die Haltung eine ganz andere. Kombiniert mit einem Bühnengehabe, dass ihn wie eine Art Westentaschen-Jarvis-Cocker wirken lässt, besticht der 33-Jährige durch versnobte Coolness. Allein der Performance zuzuschauen macht großen Spaß, doch von einer One-Man-Show ist keinesfalls zu sprechen. Zu kongenial ist das Zusammenspiel mit der frei aufspielenden Band. Jasper Futures Gitarrengepose im Hawaiihemd gehört genauso zum Gelingen des Konzerts, wie die Riffs und Soli seines Kollegen Catskilkin. Bassistin Freddy Feedback im Polka-Dot-Kleid singt Zeile für Zeile mit und Mike Breyer spielt im Stehen Schlagzeug. 
Nach dem ungezügelten Stück Punk „Arizona Bay“ folgt „Summer Job“, das noch heute auf jeder großen Festivalbühne genauso gut wie in einem stickigen Club funktionieren würde. Vom letzten Album „Brillant! Tragic!“ gibt es „Sexy Sometimes“, bei dem Argos in bester Bernd-Begemann-Manier vollsten Körpereinsatz zeigt und sein karierten Hemd weit aufknöpft. Scheppernder Indierock erfüllt den Club unweit des Rotebühlplatzes, zu keiner Zeit hält sich die Menge im Zaum.  
   
Zu „Modern Art“, das über zehn Minuten förmlich zelebriert wird, begibt sich Argos in die Menge, während er herrliche Geschichten erzählt. Die Monty Python Vergleiche sind absolut angemessen. Während der Sänger durchs Publikum läuft und sein wunderbar abwegiges Kunstverständnis offenbart, brodelt es förmlich im stickigen Club. Nach Schilderungen eines Besuchs im Amsterdamer Van Gogh – Museum und dem Aufruf Kunst anzufassen und Gemälde zu essen, setzt die Band, wieder krachend ein und der kollektive Schlachtruf „Modern art makes me want to rock out!“ wird aus hunderten Kehlen gegrölt. 


 
Ist das jetzt Kunst? Art Brut hassen bekanntlich die ewige Bezeichnung als Kunstband, wäre ja unkreativ und naheliegend bei ihrem Namen. Eine gänzlich unverständliche Position ist das in der jüngeren Kunstgeschichte jedoch auch nicht, man denke nur an die Fluxus-Bewegung, die im vergangenen Winter ganz in der Nähe retrospektiv in der Stuttgarter Staatsgalerie gewürdigt wurde. Anti-Kunst ist auch Kunst. Das Publikum pogt, springt, Argos ist mittendrin.
„Bad Weekend“ passt in diesem Kontext perfekt; „popular culure not longer a place to be“. Überhaupt „We make pop music, we make pop music for people who don't like people“
Dazwischen „St. Pauli“ mit der großartigen Zeile „We are Hamburg school“ (Argos ist bekennender Tocotronic-Fan) und dem Refrain mit dem einzigen deutschen Satz, der auf einer Art Brut Platte zu hören ist: „Sorry if my accent's flawed / I learnt my German from a 7 inch record / Punk rock ist nicht tot!“ Das Spiel mit Klischees klappt wunderbar; Fußball, Punk und Diskursrock, wem gelingt das schon?   
Für mich bleibt „Disco 2000“ einer der brillantesten Pulp-Songs und „Emily Kane“, das es direkt nach Alcoholics Unanimous“ gibt, halte ich in seiner untypischen Liebeslyrik für Art Bruts Äquivalent zu dieser cocker'schen Sternstunde. Heute endet die Geschichte von der nie überwundenen ersten Teenagerliebe mit „There's A Light That Never Goes Out“. Dieser Smiths Refrain nach dem Wunsch, Schulkinder mögen ihren Namen in Bussen singen, ist in seiner subtilen Konsequenz bemerkenswert.
Nach einem doppelten Cover endet das reguläre Set – und wenn man so will schließt sich ein Kreis. We Are Scientists' „The Great Escape“ klingt stringenter als im Original, dann das ikonische Gitarrensolo aus „Free Bird“ von Lynyrd Skynyrd. Man sei jetzt Classic Rock. Remember. Zum Schluss die Akkordfolge, mit der stets der Californication-Vorspann endet. Jene US-Serie, in deren ersten Staffel Hank Moody mit seiner Tochter Becca jenen Song immer wieder bei „Guitar-Hero“ spielt.  Nach frenetischen Zugabenrufen folgen vier weitere Lieder, die ebenso begeistert aufgenommen werden. Bei „Brand New Girlfriend“ erreicht die Stimmung ihrem Höhepunkt. Es riecht nach Bier, Gin und Schweiß. 
„Top Of The Pops“ (inklusive „Two of the Beatles are dead“ - Zitat), „Unprofessional Wrestling“ dann endet der Abend mit „Post Soothing Out“ und einem offensichtlichen Slash-Solo von Catskilkin, der seine Gitarre auf dem Rücken spielt. Der Rahmen ist klar gesteckt: „Paradise City“ als Intro, am Schluss eine Guns N' Roses – Referenz. 
Wenn Art Brut vor sechs Jahren genauso viel Spaß gemacht haben, muss es sich um den leidenschaftlichsten Indie-Act jener Zeit gehandelt haben. Lediglich eine Frage stellen sich zwei - tatsächlich anwesende - Classic-Rockfans in passenden, schweißdurchtränkten 80s-Hair-Metal-T-Shits beim Verlassen des Clubs: "Warum haben die nicht 'Axl Rose' gespielt, wenn die schon 'nen Song haben, der so heißt." 
 Setlist, Art Brut, Stuttgart: 

01: Formed A Band (incl. Paradise City, Guns N' Roses - Cover - Intro) 
02: My Little Brother 
03: Arizona Bay 
04: Summer Job 
05: Sexy Sometimes 
06: Direct Hit 
07: Lost Weekend 
 08: Modern Art 
09: Home Altars Of Mexico 
10: Bad Weekend 
11: St. Pauli 
12: We Make Pop Music 
13: Alcoholics Unanimous 
14: Emily Kane (incl. There Is A Light That Never Goes Out - The Smiths - Cover - Refrain) 
15: The Great Escape / Free Bird (We Are Scientist - Cover / Lynyrd Skynyrd - Cover) 

16: Brand New Girlfriend (incl. Kids of America - Kim Wilde - Cover) (Z) 
17: Top Of The Pops (Z) 
18. Unprofessional Wrestling (Z) 
19. Post Soothing Out (Z)

Links:
- aus unserem Archiv:
- Art Brut, Köln, 14.05.2009
- Art Brut, Köln, 04.10.2007
- Art Brut, Frankfurt, 30.09.2007
- Art Brut, Luxemburg, 24.06.2007 (Interview)
- Art Brut, Luxemburg, 24.06.2007
- Art Brut, Köln, 05.06.2007 
- Art Brut, Paris, 18.11.2006

1 Kommentare :

Sophie hat gesagt…

danke für den Bericht, das Konzert hätte mir Spaß gemacht...

 

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