Konzert: Frank Spilker (als Special Guest beim Song Slam Stuttgart)
Ort: Rocker 33, Stuttgart
Datum: 12.05.2013
Zuschauer: vermutlich über 200
Dauer: 25 Minuten
Setlist, Frank Spilker, Stuttgart:
01: Widerschein (Die Sterne - Song)
02: Es sieht gut aus
03: Universal Tellerwäscher (Die Sterne - Song)
PAUSE (Song Slam)
04: Der Mond und ich
05: Ihr wollt mich töten
06: Wenn Dir St. Pauli auf den Geist fällt (Die Sterne - Song)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Die Sterne in Frankfurt, 08.11.2012
Ort: Rocker 33, Stuttgart
Datum: 12.05.2013
Zuschauer: vermutlich über 200
Dauer: 25 Minuten
Wettbewerbe ziehen immer.
Zu Poetry Slams versammeln sich häufig Menschen, die in ihrer
Freizeit höchstens sporadisch einmal einen Lyrikband in die Hand
nehmen würden. Ähnlich verhält es sich mit Song Slams. So sprechen
diese Sängerwettkämpfe in nicht unbeträchtlichen Ausmaß ein
Publikum an, dass sich für gewöhnlich recht selten auf Konzerte
verirren dürfte. Gerade das macht sicherlich einen Reiz der
Veranstaltung aus, insbesondere für die Verantwortlichen, gelingt es
doch auf diese Weise neue Zielgruppen zu erschließen und
gleichzeitig ein regelmäßiges Event zu schaffen, während sich Slams positiv als eigene kulturelle Szene etablieren.
Der Stuttgarter Song Slam
ist seit einem Jahr im Stuttgarter Kulturleben fest integriert.
Dennoch mache ich mir selbst erst bei der zehnten Auflage vor Ort ein
Bild des Geschehens. Ausschlaggebender Grund, der mich an einem
nasskalten Sonntagabend im Mai ins Rocker 33 in unmittelbarer Nähe
meines Campus' führte, war die Ankündigung Frank Spilkers
als Special Guest. Seit Bestehens gehört es fest zum Konzept, einen
bekannten Star-Gast einzuladen, der ein kurzes Set, während des
Singer-Songwriter-Battles spielen soll.
Auch wenn Die Sterne
nie meine Lieblingsband aus der
Bad Salzufler Fast Weltweit - Szene war, die später – zumindest im Feuilleton –
als Hamburger Schule populär
wurde, zählt Spilkers große Band zu den wichtigsten deutschen Acts
der letzten zwanzig Jahre. Songs wie „Was
hat dich bloß so ruiniert“, „Fick das System“ oder
„Universal
Tellerwäscher“
sind unsterbliche Klassiker, denen ein fester Platz im Kanon
deutschsprachiger Popmusik gebührt. Live machten sich Die Sterne in
letzter Zeit ziemlich rar, sodass es noch zu keiner Konzertbegegnung
kommen konnte. Frank Spilker selbst tritt ohnehin eher selten als
Solomusiker in Erscheinung und fiel in den letzten Wochen und Monaten
vor allem mit Lesereisen zu seinem gleichermaßen originellen wie
gelungenen Debütroman „Es interessiert mich
nicht, aber das kann ich nicht beweisen“ auf.
Mit sechs
Akustikversionen alter Sterne-Klassiker und Solosongs rechtfertigt
der 47-Jährige meinen Besuch des Stuttgarter Song Slams. Dass die
restlichen Acts zum Vergessen waren und in diesem Bericht keine besondere Erwähnung finden, ist da völlig nebensächlich.
"In einem Laden zu sitzen, der uns persönlich nichts bringt, / Macht uns nächtelang schwitzen, weil der Tag nicht so swingt." Im schwarzen, die oberen Knöpfe geöffneten Hemd, das eine Goldhalskette offenbart, eröffnet der buchstäblich riesige Musiker die erste Hälfte seines viel zu kurzen Sets mit "Widerschein", einer großartigen Sterne-Single. Der 1996 veröffentlichte Song ist in vielerei Hinsicht typisch für den Sound der Band Mitte der 90er. Die reduzierte
Akustikversion Spilkers punktet vor allem in der stoischen
Vermittlung. „Ich laufe heute wohl außer Konkurrenz. Einer
meiner Kollegen bat mich Backstage schon einmal das Niveau zu senken.
Das fällt mir leicht, schließlich spiele ich als erster“,
kündigte der Hamburger seinen
Opener an, dessen ersten Zeilen wohl auch auf Spilkers Auftritt
bezogen werden könnte. Persönlich dürfte ihm dieser Auftritt wenig
bringen, Fans sind kaum da, das Publikum ist während des kurzen Sets
störend unruhig. Spilker hingegen ist die Ruhe in Person, legt
lyrisch ein enorm hohe Messlatte, wischt sich eine lange Strähne aus
dem Gesicht, kündigt „Es sieht gut aus“
aus dem 2005er Album der Frank
Spilker Gruppe
an. Lakonisch
beginnt die beschwingte Loserballade mit dem scheinoptimistischen
Text. „Du weißt,
wenn man Briefe nicht öffnet, / dann gelten sie trotzdem als
zugestellt. / Und daß sich zu deinen Problemen / auf diese Art noch
eins zugesellt. / Doch jedes Mal, wenn es schwierig wird, / schwörst
Du wieder auf diese Taktik. / Es sieht gut aus es sieht sehr gut aus,
/ wenn man nicht so genau hinsieht.“ Es
sind Lieder wie dieses, die den Unterschied zur großen grauen Masse
deutschsprachiger Poplyrik offenbaren. Man muss kein Schreihals sein,
um gehört zu werden und erst recht kein weinerlicher Liedermacher
aus provinziellen Metropolen, der die Charts stürmt, um zu berühren.
Wie viel wertvoller sind doch pointierte Alltagsbeobachtungen, die
einen tatsächlich nachdenklich stimmen, was keinesfalls mit peinlich
berührt verwechselt werden sollte. „Was
wollen wir machen, Therapie? / Oder gehen wir noch mal einen heben?“
Zahlreich
sind die Musiker, bei denen so ein Vers wie gewollter Zynismus wirkt.
Bittertraurige Bilder zu malen, die nicht auf ein zynisches Weltbild
abzielen, erscheint weitaus schwieriger. Wie vielen Hamburger
Kollegen gelingt es Spilker gekonnt; fraglos ist er einer der besten
Lyriker der nationalen Popgeschichte.
Wer
daran zweifelt, wird auch im Rocker 33 sogleich eines Besseren
belehrt. „Universal Tellerwäscher“,
das meines Erachtens außergewöhnlichste, ja beste Stück der
Sterne, öffnet die Augen. Der KulturSPIEGEL fragte ihn vergangenen
Monat in der Rubrik „Mit
17 hat man noch Träume“
nach dem Sterne-Titel, den er wählen würde, falls er eine
Autobiografie schreibe. Die Antwort referiert auf den Song:
„Universal
Tellerwäscher. Als der Song entstand, gab es nur die Filmproduktion,
heute heißt auch das größte Plattenlabel so. Ziemlich gut für
eine Musiker-Biografie.“ In
der minimalistischen Akustikversion entfaltet der Text seine Wirkung
ausgezeichnet. Immer politisch engagiert, findet sich Sozialkritik in
den meisten Sterne-Liedern. „Universal
Tellerwäscher“ ist
dabei als Exempel zu verstehen. Neben „Was
hat dich bloß so ruiniert?“ ist
es ihr womöglich bekanntester Song.
Man wippt auf den Hockern im bestuhlten Club hin und her, ertappt
sich selbst beim Mitsingen, während zu viele desinteressiert wirken.
„Von euch wird
erwartet die erste Strophe mitzusingen. Das ist ja ein Lied in der
Tradition von Hank Williams und Woody Guthrie, da ist das üblich.“
Bedauerlicherweise
macht kaum einer mit. „Danke,
bis später. Viel Spaß!“ Dennoch
lächelnd verlässt der Protagonist mit dem markanten, schmalen
Oberlippenbart die Bühne und macht Platz für den Song Slam.
Nach
Kandidaten in „hirnlos“-T-Shirts,
Songs „über's
Ficken“,
Uli Hoeneß' Penis oder Mathematik, die nicht weiter kommentiert
werden sollen, freue ich mich umso mehr über die Rückkehr des
Hamburgers, der noch drei weitere Lieder spielen wird.
„Das
nächste ist eines meiner ältesten Lieder, das ich auch schon sehr
lange nicht gespielt habe. Das dürfte, ja, das müsste noch aus den
80ern sein.“ Der
melancholische Trink- und vermutlich auch Trennungssong ist ein
entspanntes Chanson in der Tradition eines Serge Gainsbourg.
„Der Mond und
ich / Wir sind schon wieder voll / Wir hatten uns geschworen / Nie
mehr“. Konsequenterweise
ist „Ihr wollt mich töten“,
das es direkt im Anschluss gibt, ein ganz neuer Song, den es wohl
auch immer wieder in der Akustikversion auf den Lesungen zu seinem
ersten Roman zu hören gibt. „Das
ist ein Country-Song, wenn man davon ausgeht, dass man einen
Country-Song hat, wenn es um Loser geht, die sich wehren wollen.“
Die
zuvor gezogene Verbindung zu Woody
Guthrie und
Hank
Williams,
hier hat sie ihre Berechtigung. Wie Nils
Koppruch gelingt
es Spilker countryeske Klinge mit guter Lyrik zu kombinieren; in
Deutschland ist das nahezu ein Unikum. Eine umgekehrte Mörderballade,
ein Großstadt-Blues, ein begeisterndes Lied. Leicht erkältet, muss
er kurz husten.
Zum
Schluss noch einen Sterne-Klassiker, "Wenn Dir St. Pauli auf den Geist fällt“. Ein
guter Sänger im klassischen Sinn, war Frank Spilker freilich nie,
wohl aber ein außergewöhnlicher, wer Texte dieser Klasse schreibt,
ist ohnehin nicht mit den üblichen Attributen zu umschreiben.
„Ich möchte mich in die Ecke verkriechen / aber hilft nicht / Ich
könnte den ganzen Tag nur noch schreien / aber nein / Da hilft
nichts auf der Welt / wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt“.
Ich wünsche mir innerlich, weitere Lieder. Es soll nicht passieren,
der größte Hit wird ausgespart, es ist Schluss. Trotzdem spielt
Spilker ein ausgezeichnetes Set, das das Niveau des Abends ungleich
erhöht.
Den
Song Slam gewinnt übrigens ein badisches Hip Hop – Duo mit Songs
über Vergebung oder Vergeltung, ich weiß das nicht mehr so genau,
Blut und jeder Menge Selbstbewusstsein: „Wollt
ihr als nächstes einen Song zum Abgehen oder einen mit richtig
krassem Tiefgang?“
Für das kommende Jahr soll die Veröffentlichung eines neuen Die Sterne – Albums geplant sein. Es ist wieder an der Zeit. Wir
brauchen euch, wirklich!
Setlist, Frank Spilker, Stuttgart:
01: Widerschein (Die Sterne - Song)
02: Es sieht gut aus
03: Universal Tellerwäscher (Die Sterne - Song)
PAUSE (Song Slam)
04: Der Mond und ich
05: Ihr wollt mich töten
06: Wenn Dir St. Pauli auf den Geist fällt (Die Sterne - Song)
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- Die Sterne in Frankfurt, 08.11.2012
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