Sonntag, 19. Mai 2013

Okta Logue, Darmstadt, 17.05.2013

Konzert: Okta Logue
Vorband: Bees Village
Ort: Centralstation, Darmstadt
Datum: 17.05.2013
Zuschauer: 1.000 (fast ausverkauft)
Dauer: Okta Logue; 116 Minuten  / Bees Village; 45 Minuten


Als wir uns an einem angenehmen Julitag im vergangenen Jahr auf den Weg nach Augsburg machten, um zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate Nada Surf zu sehen, konnten wir noch nicht ahnen, mit einer neuen Lieblingsband aus der Kantine, einem schlauchförmigen Club, außerhalb der Innenstadt, zu kommen. Eine halbe Stunde genügten Okta Logue damals, um auf ganzer Linie zu punkten, einen förmlich wegzublasen. Die vier Jungs, die einer anderen Zeit entstiegen zu sein schienen, spielten virtuosen Psychdelic-Rock mit deutlichen progressiven Elementen und starken Orgel-Momenten, die an Deep Purples Jon Lord, der kurz zuvor verschied erinnerten. Die Enttäuschung, dass nicht wie noch vor einigen Tagen in Dortmund Dirk Darmstaedter für die New Yorker Indie-Pop-Veteranen eröffnete, wich rasch der Gewissheit, dem Auftritt einer besonderen Band auf dem Weg nach ganz Oben beizuwohnen. 

Große Überraschung dann, als sich das Quartett als deutsche Band aus meiner hessischen Heimat entpuppte, sich als vermutlich interessanteste Rockformation, die Darmstadt jemals hervorbrachte, zeigte. Selbst die kalte Musikindustriemaschine honoriert die Klasse mit einem Plattenvertrag beim Major-Label Sony Columbia. Nach dem berrauschenden Stuttgart Debüt im Zwölfzehn im September erklärte Benno Herz, Frontmann und Bassist, rückblickend, dass das Problem solcher Support-Gigs, die kurze Dauer sei. Man werde gerade erst warm. Verständlich bedenkt man, dass Okta Logue über Songs in Support-Slot-Länge verfügen.
Einige Monate später steht Herz mit seinem Bruder Robert (Schlagzeug), Nicolai Hildebrandt (Keyboards) und Philip Meloi (Gitarre) auf der großen Bühne der Centralstation in ihrer Heimatstadt. Glücklich und erschöpft lächelnd blicken die jungen Musiker am Ende des Abends Arm in Arm mit Bees Village, der Vorband aus Frankfurt, und ihren beiden Bläsern in die frenetisch applaudierende Menge. Hunderte erschienen zum Release-Konzert des zweiten Albums, „Tales Of Transit City“, in einer der schönsten Locations der Region. Die Begeisterung des Publikums nach einem annähernd zweistündigen Konzert quittiert die herausragende Qualität der neuen Songs, die unheimliche Spielfreude und musikalische Perfektion der Band. Okta Logue zeigen sich als deutsche Vorzeigeformation, deren erste US-Tour zurecht bereits in Planung ist; mit dem Nachfolgewerk des formidablen „Ballads Of A Burden“ gelang den Hessen eine Platte auf höchstem internationalen Niveau, eine Aufnahme, die im Deutschland der Gegenwart in ihrer Stringenz selbst im psychdelischen bis progressiven Metier einzigartig sein dürfte. 

Bläuliches Dämmerlicht und Kunstnebel kündigen den Beginn des Konzerts an. Ein forderndes, elektronisches Hall-Intro erklingt und Meloi, Hildebrandt und die Herz-Brüder stehen auf der Bühne und eröffnen das Set druckvoll mit „Transit“, dem ersten Track der neuen Platte. Der Song schlägt ein; mit psychedelischen Gitarreneffekten, dezentem Schlagzeugspiel und Benno Herz' markantem Gesang trumpfen Okta Logue schon zu Beginn des Abends groß auf. Niemals zu lange Soli Philip Melois', der mit seiner langen Mähne und dem stilvollen Auftreten zwischen dem jungen Roger Waters und Aerosmith-Gitarristen Steve Perry pendelt und die souveräne Keyboardbehandlung Hildebrandts, die manchmal fast elektronische Atmosphären zwischen New Order und Kraftwerk generiert, prägen das dichte Klangbild.

Gegen Ende schlagen die Beats besonders hoch, es wird deutlich, dass eine Weiterentwicklung stattgefunden hat, die die reine Retroschiene weit verlässt und Okta Logue als relevante Band der Gegenwand und Zukunft ausweist. In den längeren Instrumentalpassagen stehen einem die Haare im Nacken und am Arm zu Berge, dann geht der Song fließend in „Let Go“, einer harmonischen Nummer mit dem vielleicht größten Hitpotential des neuen, weniger sperrigen Albums über. „I see, you're down in misery / If so, slip a lottle closer let me know / What's wrong, twinkle in the sun“, die 60s Referenzen sind reizend, niemals plump und qualitativ um einiges hochwertiger als alles, was die gehypete Neo-Psychdelic-Band Temples aus den Midlands bisher an den Tag legte. Da können sich Noel Gallagher und die Herren von Kasabian noch so sehr in Lobhymnen üben. Immerhin, Casper zeigte sich letzten Sommer begeistert von Okta Logue, selbst wenn man mit seiner Musik wenig anfangen kann, so muss man dem Bielefelder Rapper doch zugestehen, keinen ganz schlechten Musikgeschmack zu haben.  


Benedikt Baum und Sascha Beck, die zuvor mit Eva Baum und Eva Müller als Bees Village ein bemerkenswertes Vorbandset gespielt haben, steuern schöne Backing-Vocals bei. Schon der Auftritt der eigenen Band lebte vom ausgezeichneten, mehrstimmigen Gesang, als Gastvokalisten des Hauptacts sorgen der Bassist und der Gitarrist und Sänger der Frankfurter Gruppe für traumhafte Harmonien. Sascha Baum bewies bereits beim 45-minütigen Auftritt seiner Band mit starken Songs wie „Physical Lie“, „Cold Love“ oder „Nobody Knows“, dessen Grundriff mich positiv ein wenig an „Iron Man“ von Black Sabbath denken ließ, dass er ein fähiger Sänger ist.

Musikalisch haben die Frankfurter ihre Referenzen klar gesteckt, verweisen auf Folkrock-Größen der 60er und 70er ohne sich anzubiedern. Das herrlich leise und unaufgeregte Schlagzeugspiel und die Akkordeon- und Klavierpassagen der beiden Evas taten ihr Übriges für ein gutes Konzert einer Band, die offensichtlich viel Calexico gehört und Neil Youngs Tugenden verinnerlicht hat.
 
Während Okta Logues Set steuern die Vier dann immer wieder – wie auch auf dem Album - perfekte Harmoniechöre bei, die wohl jeden Beach Boys - Connaisseur und Freund des Wohlklangs in Verzückung versetzen dürften.

Die häufigen Vergleiche mit den frühen Pink Floyd greifen sicherlich zu kurz, allerdings brillieren Lieder wie „Shine Like Gold“, das heute Abend das erste gespielte Stück des Debütalbums ist, mit einer ähnlichen Ästhetik und einem Gitarrenspiel das dem jungen David Gilmour wirklich ebenbürtig ist. Dass die Darmstädter auch ähnlich verschrobene Geschichten wie Syd Barret erzählen können wird mit dem neuen Song „Mr. Busdriver“ und „Mr. Zoot Suit“, einem der interessantesten Titel des Debüts, angedeutet. Verstärkt mit Bläsersätzen erzeugt die Band bei ihrem Release-Konzert einen ähnlich satten Sound wie in den Studioversionen, der einen live sprachlos zurücklässt. „Everyday“, das sich nicht auf den beiden Major-Label-Veröffentlichungen findet, ist ein weiteres Highlight. 


 Meist überdurchschnittlich lang, ruft doch kein einziges Lied heute Abend Langeweile in mir hervor. Viel lässt sich beobachten, zahllose interessante Akkordfolgen entdecken. Musikalisch spielt sich alles im hochklassigsten Segment ab; unglaublich, dass man eine derart junge Band vor sich sieht. Betrachtet man eine psychedeliche Power-Ballade wie „Dream On“, würde man darauf wetten, eine ausgefuchste, routinierte Band vor sich zu sehen. Routine kommt heute Abend freilich nie auf, die Freude über den enormen Zuschauerzuspruch ist ehrlich, die Spielfreude echt, hier genießen ein paar bodenständige Jungs den verdienten Erfolg, den gelebten Rockstartraum. Robert Herz, der Schlagzeuger mit den langen Dreadlocks, spielt bis zum Rand der Erschöpfung ohne jemals aufzuhören, fröhlich zu lächeln und synchron mit seinem Bruder zu singen. Die Attitüde stimmt, nervige Starallüren sucht man vergebens.


Mit einem kuriosen Intro beginnt „Just To Hear You Sleep“ von „Ballads Of A Burden“, dann folgt „Judith“, das in großer Blues-Rock-Tradition steht und ein wenig Ähnlichkeit mit „S.F. Sorrow“, der erste Rockoper von den Pretty Things, hat. Darüber singt Benno Herz unprätentiöse Zeilen, mit schönen, treffenden Bilder; „Judith, my dear, / You're waiting for the evening sun / To dry all your tears, / Still carrying that loaded gun, / You're wondering / What it takes to be pleased“.   
Wie „Cats In The Alley“ glänzt der Song im rotweinseligen Dämmerlicht eines lauen Sommerabends, die Musik tritt an einen nah heran. Untypische Liebeslieder mit großartiger musikalischer Umsetzung, Okta Logue gelingen sie immer wieder: „... and I hope we, / We could climb all over the gates / Of the old telephone factory / Again in the westend of the valley / near the railroad / where we used to play / like cats, cats in the alley / and I wonder if you / still see that moon in June“. Angedeutete Drogenmetaphorik, Bilder in Dylan-Tradition mit „Born To Run“-Ethos, es sind hochprozentige Songs, die einen Gegenpol zum perversen Hedonismus, zum vertonten Markliberalismus der David Guetta-Jugend formen.

Den nächsten Song haben wir zuletzt beim Release-Konzert unseres ersten Album 'Ballads Of A Burden' in der Oettinger-Villa gespielt. Es ist heute der richtige Moment es wieder zu spielen, es liegt uns sehr am Herzen“, der aufrichtigen Ansage Benno Herz' folgt der traurige Song „Deal With The Digger“, der mit seiner markerschütternden Geschichte und der passenden Instrumentierung zu dem Besten gehört, was Okta Logue in ihrem erstklassigen Werk bisher kreierten. 


Das Debütalbum endete mit dem fast halbstündigen „Decay“, heute gefällt mir der Song, performt mit Bläserunterstützung besser denn je. Immer wieder erzeugt Hildebrandt interessante Electro-Effekte, es wird hohe Aufmerksamkeit gefordert, doch die Band macht es den Zuschauern leicht zu folgen. Als Dank gibt es „Bright Lights“, den aller Wahrscheinlichkeit nach bekanntesten Song der Darmstädter. Grenzenloser Applaus dankt, „You“, der letzte Titel des neuen Werks folgt und beschließt das reguläre Set.


Für unsere Darmstädter Konzerte überlegen wir uns immer etwas Besonderes“, nach kurzer Unterbrechung steht das Quartett wieder auf der Bühne und wird erneut durch die vier Freunde von Bees Village unterstützt, als man das beste Neil Young Cover spielt, das ich bisher live gehört habe. Das krachende Stück Sozial- und Rassismuskritik, „Southern Man“, in dem der große alte Mann aus den kanadischen Bergen in den 70ern ein zynisches Bild der US-Südstaaten skizzierte und das ihm die bekannte Antwort der, dem „Hurra-Patriotismus“ frönenden, Southern Rockband Lynyrd Skynyrd in ihrem größten Hit einbrachte, wird mit genuinen Chören dargeboten. Ohne für gewöhnlich nach Neil Young zu klingen, ist die Hommage eine leidenschaftliche Referenz an einen der größten popmusikalischen Helden. Ein Medley, das den Fans der ersten Stunde gewidmet wird, folgt, bevor „Chase The Day“ den tatsächlichen Schlussstein des Abends setzt. Philip Meloi, Nicolai Hildebrandt, Robert und Benno Herz sind auf dem richtigen Weg, um eine große Sache, ein international ernstzunehmender Act auf dem Niveau eines Konstantin Groppers zu werden. Die großen Festivals und Hallen, Unmengen an möglichen Fans warten. „Our hearts, out in the toxic rain / If you ever try to name us we'd slip way. / At last, and despite the toxic rain, / We'll be dancing through our dreams built out of sand / We'll chase the day to carry on“.
Im Oktober wird die ausgedehnte Club-Tour Okta Logue erneut in die Kantine nach Augsburg führen, für mich ist es dann wohl wieder an der Zeit für eine Fahrt von Stuttgart zu den Schwaben in Bayerns Südwesten. 



Setlist, Bees Village, Darmstadt:

01: Physical Lie
02: Blew It Away
03: Cold Love
04: Nobody Knows
05: Words
06: Holy Sand Parade
07: Snowman
08: Golden Mountain
09: Outside A World

10: Empty (Z)


Setlist, Okta Logue, Darmstadt:

01: Transit
02: Let Go
03: Shine Like Gold
04: Mr. Busdriver
05: Everyday
06: Dream On
07: Cats In The Alley
08: Mr. Zoot Suit
09: Just To Hear You Sleep
10: Judith
11: Deal With The Digger
12: Hey Dora
13: Decay
14: Bright Lights
15: You

16: Southern Man (Neil Young  - Cover) (Z)
17: Medley (Z)
18: Chase The Day (Z) 


Tourdaten, Okta Logue:

21.05.2013 Köln, Studio 672
22.05.2013 Hamburg, Uebel & Gefährlich
23.05.2013 Berlin, Magnet Club
03.09.2013 Saarbrücken, Garage
04.09.2013 Konstanz, Kulturladen
05.09.2013 Ulm, Roxy
06.09.2013 Würzburg, Café Cairo
07.09.2013 Wiesbaden, Schlachthof
10.09.2013 Hannover, Café Glockensee
11.09.2013 Bremen, Lagerhaus
12.09.2013 Kiel, Schaubude
14.09.2013 Dresden, Beatpol
02.10.2013 Nürnberg, MUZ
03.10.2013 Freiburg, White Rabbit
04.10.2013 Augsburg, Kantine
05.10.2013 Weinheim, Café Central
16.10.2013 PL - Gydnia
17.10.2013 PL - Warschau (plus UFO Mammut)
18.10.2013 PL - Krakau
25.10.2013 Osnabrück, Bastard
26.10.2013 Neumarkt i. d. Oberpfalz, Cooper's
27.10.2013 A - Wien, die Brut
06.11.2013 Leipzig, Werk 2
07.11.2013 Frankfurt/Main, Zoom
08.11.2013 München, Atomic Café
09.11.2013 Stuttgart, Zwölfzehn
04.12.2013 Köln, Luxor
05.12.2013 Aschaffenburg, Colos-Saal 

 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates