Konzert: Sophie Hunger
Ort: Gebäude 9, Köln
Datum: 09.05.2009
Zuschauer: leider nicht ganz ausverkauft
Dauer: 90 min
Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet! Natürlich war ich nicht zufällig bei Sophie Hunger im Gebäude 9. Die vielen positiven Berichte der letzten Monate hatten mich neugierig gemacht; ihre aktuelle Platte Monday's ghost dann davon überzeugt, etwas zu verpassen, ginge ich nicht hin. Allerdings war ich nicht darauf vorbereitet, wie grandios die junge Schweizerin in meinem Kölner Lieblingsclub aufspielen würde!
Dabei sah es am Nachmittag gar nicht danach aus, daß der Abend gelingen könnte. Gegen Mittag schien es nämlich noch fast unmöglich, den Club in der Nähe der Deutzer Messe zu erreichen. Wegen des sogenannten Anti-Islamisierungskongresses der vom NRW-Verfassungsschutz unter Rechtsextremismus eingestuften "Bürgerinitiative" Pro Köln und der vielen Gegendemonstrationen, sperrte die Polizei Deutz großräumig ab. Schon am Donnerstag, als ich zu Glasvegas fuhr, liefen Dutzenden in schwarze Uniformen gekleidete Polizisten in der Nähe des Gebäude 9 rum. Den Grund erfuhr ich beim Einbiegen in die Deutz-Mülheimer-Straße. Kurz vor dem Club hatte die Polizei ein provisorisches aber sehr eindrucksvolles Gefängnis eingerichtet, dessen Architekten viele amerikanische Serien gesehen haben.
Samstagmittag hieß es dann, ein Simply-Red-Konzert in der Kölnarena sei über die Zoobrücke und die dortige Ausfahrt Messe nach Personen- und Ticketkontrolle erreichbar. Aber ob dies auch für das gute Konzert des Abends - und ohne Ticket galt? Mich machte das ein wenig nervös. "Ich möchte zu Sophie Hunger", schien mir ein wenig dünn. Simply Red hätten die Sonderpolizisten sicher gekannt, wenn sie mich nach meinem Grund für eine Fahrt ins Krisengebiet gefragt hätten. Aber Pragmatismus hin oder her, das hätte ich nicht hinbekommen!
Erleichtert nahm ich dann die Meldung auf der Gebäude 9-Website und im Radio zur Kenntnis, daß die Pro-Köln-Veranstaltung wegen wahnsinnig großen Erfolgs schon frühzeit beendet worden sei und die Zufahrt zum Club frei wäre. So werde ich zwar nie erfahren, ob die ticketkontrollierenden Polizisten an der Brücke auch Stempel verteilt haben (mit Comic-Polizeiautos oder "betrunken fahren ist doof" oder so), kam aber wenigstens rechtzeitig an.
Gottseidank hatten es auch viele andere geschafft und sich nicht abschrecken lassen, das Gebäude 9 wurde nämlich recht voll. Ausverkauft schien es aber nicht, vielleicht hatte die Unsicherheit doch den ein oder anderen zu Hause bleiben lassen. Oder das fehlende Wissen um das Verpass-Potential, so wie bei mir ja auch eigentlich.
Auf der Bühne standen ein paar Stühle und bereits aufgebaute Instrumente. Nichts deutete auf eine Vorgruppe hin. Um 20.15 Uhr, als bei RTL gerade die Suche nach dem allertollsten deutschen Sänger begann, erschien ein sehr kauziger Mann mit Gitarre. Der Sänger, "I'm David Hope from Ireland", spielte sechs ruhige Stücke, erzählte eine Geschichte, wie ein "Chuck Norris beschützt diesen Laden"-Plakat eine Überfallserie auf eine kroatische Bäckerei beendete und hinterließ keine bleibenden Eindrücke bei mir. Schlecht war es nicht, weltbewegend aber auch nicht.
Setlist David Hope, Gebäude 9, Köln:
01: When we were kings
02: See the ghost
03: Watch over you
04: Louise
05: Livin' by the gun
06: Day breaks open
Dann ging es recht flott weiter. Während letzte Vorbereitungen getroffen wurden, füllte sich er Saal weiter. Das Publikum unterschied sich in weiten Teilen aber schon deutlich von den üblichen Kölner Indie-Konzertgängern. Es war irgendwie jazziger (Männer mit Hut und Ehepaare).
Um neun war dann alles bereit. In einem roten Kleid - und alleine - betrat die Schweizerin die Bühne. Sie setzte sich auf den mittigen Stuhl und begann mit einem neuen Stück, das wohl Travelogue heißt. Ich habe dazu leider nichts Näheres gefunden.
War vorher bei David Hope noch enorme Unruhe im hinteren Teil des Saals, herrschte mit dem Beginn Sophie Hungers Konzerts völlige Ruhe. Der Tourmanager hatte Fotografen vorher gebeten, nicht zu nah ranzugehen, weil das Klicken der Objektive störe (sehr gute Idee!). Das passte ins Bild, denn die Sängerin wirkte schüchtern, fast sogar scheu. Von etwaiger Nervosität merkte man als Zuhörer aber nichts. Ihr Spiel und ihre Stimme waren von Beginn an brillant und jenseits aller Kritik. Und spätestens nach dem ersten Applaus sollte der Künstlerin bewußt geworden sein, daß es keinerlei Gründe für Lampenfieber oder Selbstzweifel gab!
Nach Travelogue kam Sophies Band dazu. Sie bestand aus Schlagzeuger, Posaunist, Gitarrist und Bassist. Später stellte sie die vier Kollegen mit einer wundervollen Ernsthaftigkeit und ihrem charmanten Akzent vor (sie haben verdient, namentlich erwähnt zu werden: Christian Prader, Gitarre, Glockenspiel, Klavier und Flöten, Julian Sartorius, Schlagzeug und Glockenspiel, Michael Flury, Posaune, Glockenspiel und Simon Gerber, Bass, dessen erstes Konzert das in dieser Band war).
Shape, vor allem aber Drainpipes im Anschluß begeisterten mich vollkommen. Die Lieder der Sängerin wurden mit solch einer Energie vorgetragen, wie ich sie selten erlebt habe. Und manchmal auch laut! Drainpipes machte manchmal richtig Krach! Ganz wundervoll war das!
Ein nächster toller Höhepunkt folgte wenig später mit dem neuen Mr. Shades. Das Lied wird in der Mitte schneller und hat dabei einen herrlich galoppierenden Rhythmus! Eigentlich dachte ich, damit das beste Stück des Abends schon gehört zu haben. Aber das sollte ich noch einige Male denken. Zum Beispiel als Sophie am Piano saß und trotz widriger Umstände ("das Klavier ist nicht gestimmt!") den grandios ergreifenden Walzer für Niemand sang. Schon beim ersten Hören der Platte entzückte mich dieses wundervolle Lied! Live, so direkt dran, war das Stück noch viel besser! Deutschland sucht den Superstar? Pffff!
Nach Walzer für Niemand setzte Sophie Hunger noch einen drauf: Spiegelbild sangen sie und Gitarrist Christian auf Schwizerdütsch! "Das ist die Sprache, die wir untereinander sprechen!" Das Lachen des Publikums, das vollkommen unpassend war, hat sie aber hoffentlich nicht als arrogant verstanden, es war auch sicher nicht so gemeint, die Zuschauer waren zu verzückt von Sängerin und Band, deplatziert war es dennoch. Spiegelbild in dieser musikalisch exotischen Sprache kam natürlich ganz hervorragend an!
Danach ein Irma Thomas Cover und das schöne Birth-Day, bevor drei ganz große Knüller den normalen Teil beschlossen. Round and round war das erste dieser Highlights. Meine Notiz in meinem kleinen analogen Konzerttagebuch war nur "!!!", das ist meine interne Bestnote. City lights forever (oder nur City lights, ich bin nicht sicher) begann mit Glockenspiel - und einer umfallenden Flasche irgendwo hinten (die aber perfekt passte). Rise and fall schließlich mit dem kurzen schwizerdütschen Mittelteil, von Chrischtian und Posaunist Markchus gesungen, begeisterte dann noch einmal ganz besonders!
Sichtlich gerührt verließ Sophie dann den hingerissenen Saal. Sie hatte irgendwann gesagt, wie viel es ihnen bedeute hier zu spielen, und jedes Wort erschien mir vollkommen aufrichtig - wie auch der begeisterte Applaus!
Der erste geplante Zugabenblock begann mit einer kleinen Anekdote über die Entstehung des Lieds Hotel Belfort. Irgendwann habe sie während einer Tour in dieser Unterkunft ein Stück geschrieben. Als sie das einige Zeit später der Band vorgespielt hat, sagte sie, es handele von dem Hotel in Belfort. Ihre Musiker sahen sie irritiert an und sagten, sie hätten doch nie in Belfort gespielt.
Die nächste Ansage war nicht ganz politisch korrekt, zumindest reagierte das intellektuelle Publikum so (so viel Rotwein hat das Gebäude 9 sicher lange nicht mehr verkauft) - es ging da um wahre Feinde - handelte aber von einem durchaus pcen Künstler, den sie mit seinem ursprünglichen Namen Robert Zimmerman vorstellte. Die von Sophie und ihrer Band gespielte Like a rolling stone Version gefiel mir vorzüglich; das mitreißende Vortragen der Schweizerin ließ aber ohnehin niemanden kalt!
Diesen Teil beendete wieder ein schweizerdeutschen Stück (Die Rede oder d'Red, glaube ich).
Und natürlich mußten sie danach zurückkommen. Wir hätten auch andernfalls ein weiteres Juwel verpasst. Tell the moon war diese Zugabe, und die Band kam dazu komplett nach vorne an den Bühnenrand - mit Posaune, Trommel und Gitarren. Leise und wundervoll! Und nicht durch nerviges Publikum versaut, wie bei ähnlich vorgetragenen Liedern in letzter Zeit. Der Refrain des Stücks ist so wahnsinnig schön, daß schon alleine diese wenigen Zeilen die Fahrt nach Köln gerechtfertigt hatten! Bezaubernd auch, daß die junge Sängerin zwischendurch lachen mußte. Da war alle Schüchternheit wohl endgültig verflogen!
Wir tobten weiter und bekamen noch eine ungeplante Zugabe. Und auch die - das Noir Désir Cover Le vent nous portera - war das schönste Lied des Abends! Sophie wandelte den Text manchmal ab und sang deutsche Zeilen. Wieder ein Gänsehaut-Lied!
Es müssten schon viele musikalische Wunder geschehen*, wenn das nicht eines der besten Konzerte des Jahres gewesen wäre. Ich hatte nicht erwartet, daß mich Sophie Hunger so sehr in ihren Bann ziehen würde, daß die so zurückhaltende Frau, ein solche begeisterndes Konzert spielen würde! Und ich glaube sicher, daß es allen so ging, den regelmäßigen Konzertgängern oder denen, die erstmals im Gebäude 9 waren. Sophie Hunger ist vollkommen mitreißend und wer Gelegenheit hat, muß sie sich dringend ansehen!
Setlist Sophie Hunger, Gebäude 9, Köln:
01: Travelogue (?) (neu)
02: Shape
03: Drainpipes
04: The boat is full
05: Mr. Shades (neu)
06: House of gods
07: Marketplace
08: Walzer für Niemand
09: Spiegelbild
10: Ruler of my heart (Irma Thomas Cover)
11: Birth-day
12: Round and round
13: City lights forever
14: Rise and fall
15: Hotel Belfort (Z)
16: Like a rolling stone (Bob Dylan Cover) (Z)
17: Die Rede (Z)
18: Tell the moon (Z)
19: Le vent nous portera (Noir Désir Cover) (Z)
Links:
- Sophie Hunger in Paris vor ein paar Wochen
* eine The Organ Tour
2 Kommentare :
nein! bitte nicht sachlicher!
ich will lesen, wie du schwärmst!!! ich will von irrem und ängstlichem lesen!
Hey,
I was on your flickr page earlier, and I was wondering if I could possibly use one of your Kills pictures for a tee shirt within an art project I am doing wth school. It would be a one of thing and only worn by me.
H
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