Konzert: Alina Simone
Ort: La Java, Paris
Datum: 14.05.2008
Zuschauer: in der Spitze 30, am Ende 16
"Stößt man auf Alina Simone, trifft man auf zwei verschiedene Kulturen. Ihrer Herkunft nach ist sie Ukrainerin, doch bereits als Baby kam sie in die Staaten. Ihre Abstammung kann sie nicht leugnen, tief verwurzelt scheinen die Sagen und Märchen, das traurige Element des Volkes, aus dem ihre Eltern stammen. Das Klagen, den Schmerz zum Ausdruck bringen, das kann die junge Frau. Aber sie kann den Geschichten auch einen Lauf geben, das Tempo bestimmen und eine Ende benennen.
Ein weiterer Beweis für ihren bewußten Umgang mit der Vergangenheit und ihrer Herkunft wird ihr neues Album "Everyone Is Crying Out to Me, Beware" sein. Hier spielt sie Cover Yana Stanislavovna Dyagilevas ein, einer Punkpoetin der Glasnostära.
Die Vergleiche mit Harvey, Marshall usw. muss Alina Simone nicht scheuen, sie runden ein Bild ab, das den Eindruck von Eigenständigkeit, Mut und Hingabe hinterlässt."
So hübsch und informativ beschreibt Eike vom Klienicum Alina Simone. Das gibt natürlich Lust, ein Konzert der jungen Dame zu besuchen. Und das habe ich auch getan, in Paris bestand schliesslich heute die Gelegenheit dazu.
"Mensch, Oliver, denk mir bloß an den 14. und die gute Alina!!!", gab mir Eike vor ein paar Tagen noch leicht panisch mit auf den Weg. Seine Sorgen waren unbegründet, wenn es um Termine von Musikkonzerten geht, bin ich viel zuverlässiger als sonst und den 14. hatte ich dick in meine kleines rotes Büchlein eingetragen. Auch das kurzfristig erhaltene Angebot, am gleichen Tage Gratiskarten für ein öffentliches Fernsehkonzert von Vampire Weekend wahrzunehmen, schlug ich aus. Das Date mit Alina ging vor.
Zunächst einmal musste ich mich aber mit den Örtlichkeiten vertraut machen. Die Bar La Java, ja wo liegt die eigentlich? Ich hatte noch nie zuvor dort ein Konzert besucht und musste erst einmal herausfinden, wie man da hinkommt.
Die Internetseite des Ladens verriet es: La Java, 105 rue du faubourg du temple, 75010 Paris, Métros Belleville/ Goncourt. Concert Alina Simone 21H00/ 10 Euros.
Die wichtigsten Dinge waren also klar und ich begab mich zeitig zum Ort des Geschehens, um auch ja nichts zu verpassen. In der Gegend wimmelte es nur so vor muslimischen Fleischereien, die den hier wohnhaften Leuten Schweinefleisch in rohen Mengen verkauften (nur ein Witz). Die meisten Händler waren gerade dabei, zu schliessen und mit vereinten Kräften sauberzumachen. Sie hatten ihr Tagwerk volbracht und waren sicherlich froh, nach Hause zu kommen. Für die Fleischverkäufer war es also schon ziemlich spät, 20 Uhr 40 zeigte die Armbanduhr an. Um in die Java zu gehen, war es allerdings noch viel zu früh, als ich die Nummer 105 der rue du faubourg du temple gefunden hatte, stand ich vor verschlossener Tür. Durch eine kleine Passage war ich zu dem Laden gelangt, aber ausser mir war kein Mensch da und nur das Alina Simone Poster an der Mauer beruhigte mich, dass hier und heute doch noch ein Konzert stattfinden müsste.
Um mir die Zeit zu vertreiben, streunerte ich durch die Strassen von Belleville und stellte fest, dass hier die gesamte Gastronomie in nichtfranzösischer Hand war. Neben den Arabern gab es zahlreiche Asiaten, die ihre Produkte feilboten. Sogar die kleinen Papierzettelchen mit abreissbarer Telefonnummer, die man sonst immer in kleinen Läden findet ("suche Job als Babysitter, gebe Gitarrenunterricht, passe auf ihren Wellensittich auf, etc."), waren ausschliesslich in mir unverständlichen asiatischen Buchstaben formuliert.
Belleville (übersetzt: die schöne Stadt) in Paris, weder wirklich schön, noch im eigentlichen Sinne eine Stadt (in dieser Hinsicht verhält es sich ähnlich wie in Berlin-Schöneberg; dort ist es nicht schön und es gibt auch keinen Berg), aber dennoch eine Gegend, in die viele Menschen, die irgendwann mal aus Afrika oder Asien nach Frankreich eingewandert sind, Hoffnungen auf ein besseres Leben gelegt haben. Insofern ging es ihnen mit Sicherheit nicht anders als den Eltern von Alina Simone, die von der Ukraine nach New York übergesiedelt sind.
Alina stand aber immer noch nicht auf dem Programm. Es war inzwischen 21 Uhr 15, la Java hatte endlich aufgemacht, aber in dem länglichen Kellersaal angekommen, stiess ich zunächst auf weitestgehende Leere. Die Leute traten sich nicht gerade auf die Füsse, will heissen: es war kaum eine Sau da! Und leider, leider sollte sich das im Laufe des Abends auch nicht grossartig ändern. Um 21 Uhr 30 waren höchstens 20 Leutchen versammelt, die sich auf den schönen roten Sofas hinter Holztischen lümmelten. Um etwas Produktives zu tun, begab ich mich zu dem kleinen Merchandising Stand, wo schon alles aufgebaut war. Eike hatte mir in Auftrag gegeben, Tonträger von Alina Simone zu besorgen und ich wurde auch schnell fündig. Für insgesamt 25 Euro gingen drei CDs über den Ladentisch. Das Debütalbum der New Yorkerin, genannt "Placelessness", auf dem euphorische Kritiken von internationalen Musikzeitschriften mittels aufgepappten Aufkleber angebracht waren; dann ein Werk "City Island" von einer Band namens "The Artificial Sea", auf dem Alina singt und auch Textschreiberin war; und schliesslich ihr neues Album "Everyone Is Crying Out to Me, Beware", auf dem sie - wie von Eike erwähnt - Cover Yana Stanislavovna Dyagilevas, einer Sängerin der Glasnostära, die bereits mit 24 Jahren gestorben ist, einspielt.
Der nette Herr am Merchandising Stand war richtig froh, dass er CDs absetzen konnte und stellte sich als Chef des Labels Travellingmusic vor, auf dem neben Fräulein Simone auch noch ein paar ander Künstler vermarktet werden (Hoepffner, Andrew Sweeney, Vinaya, CanceIN), unter anderem er selbst. Er nennt sich Lemoine und war heute als Erster an der Reihe.
Nur mit seiner Gitarre bewaffnet, trug er zumeist auf französisch (in zwei Fällen auch auf englisch) melancholische Lieder vor, in denen es oft um die Sonne, den Wind, die Wüste ging. Kein Wunder, der Mann stammt wie das Label aus Toulouse und da kann es im Gegensatz zu Paris richtig heiss werden (den Hitzesommer 2003, bei dem in Paris die alten Menschen wie die Fliegen starben, lasse ich einmal ausser Betracht). Musikalisch erinnerte das Ganze ein wenig an Dominique A, obwohl ich wegen des Akzents auch manchmal an den südfranzösischen Barden Francis Cabrel denken musste. Cabrel zu zitieren ist allerdings ziemlich gemein und Lemoine hat das auch nicht verdient. Also Daumen hoch für den sympathischen Labelbetreiber!
Anschliessend war ein reizendes gemischtes Pärchen an der Reihe, das allerdings (noch) nicht zum Label Travellingmusic gehört. Die hübsche junge Frau mit dem feschen Pferdeschwanz und den schönen Beinen stellte sich als June vor und machte auch ihren Partner bekannt: "et ça, c'est Jim!" "Nous sommes June et Jim." Kinogänger wissen es, es handelt sich um einen Film von Kultregisseur François Truffaut und der dürfte auch als Namensgeber hergehalten haben, obwohl der Streifen genaugenommen "Jules (nicht June) et Jim" heisst.
Und die Darbietung, gerade von ihr hatte auch etwas Theatralisches, es würde mich nicht wundern, wenn die attraktive June irgendwann einmal Schauspiel und Theater studiert hat. Witzigerweise kannte ich die für eine Französin ungewöhnlich hochgewachsene Frau schon vom Tindersticks Konzert her. Wir hatten uns zwar nicht unterhalten, aber mir war ihr bezaubernder Ponyhaarschnitt aufgefallen und auch, dass sie nach dem Gig ein Vinyl-Album in den Händen hielt.
Ein erfreuliches Wiedersehen in der Millionenstadt Paris also und auch ihr Partner Jim war mir schon geläufig, denn ich hatte mitbekommen, dass er mit seiner Freundin spanisch sprach. Ein französisch - spanisches Duo, klar, dass da Feuer und Leidenschaft drin war (immer diese Klischees...)!
Die Rollenaufteilung war folgendermassen: Sie spielte Melodica, Glockenspiel, ein Spielzeugpiano und Percussions, er war an Gitarre und Klavier zugange. Den Gesang bestritten beide und zwar meistens gleichzeitig. Ihre Stimmen ergänzten sich wunderbar und aufgrund des Einsatzes all dieser herrlichen Instrumente kam ein angenehm warmer und intimer Folkpop-Sound heraus, der mir auf Anhieb gefiel.
Auch Alina Simone zeigte sich angetan, denn als sie endlich an der Reihe war (inzwischen zeigte meine Armbanduhr 23 Uhr 40! an), sagte sie gleich zur Einstimmung auf französisch: " Je suis très contente, parce que June et Jim m'ont donnés leur disque (ich bin froh, June et Jim haben mir ihre CD gegeben)." Der Akzent der aus der Ukraine stammenden Sängerin war alles andere als schlecht, die Kleine (sie dürfte nicht grösser als 1, 57 cm sein) ist wahrlich sprachbegabt!
Sie begann ganz alleine mit ihrer Akustikgitarre auf englisch, der Sprache ihrer Wahlheimat (wenn man von Wahl sprechen kann) Amerika. Aus nächster Nähe konnte ich zusehen, wie sie mit ihren zierlichen Händen beherzt in die Saiten griff und ebenso beherzt und eindringlich sang. Ihre Stimme war fest und klar. In niedrigeren Tonlagen hauchte sie die Texte (was ihr mit Sicherheit die Vergleiche mit Cat Power eingebracht hat), wenn sie aber energischer und höher ging, hatte das eher etwas von einer Punk-Röhre. Mir kam vor allem Scout Niblett als Vergleich in den Sinn. Eine Freude ihr zuzuhören, keine Frage! "I want to feel love", flehentlich und laut intonierte sie diese Strophen des ersten Song ihres Sets.
" I think I heard gunshots last night" ging es textlich weiter und das reduzierte Gitarrenspiel harmonierte perfekt zu dem bedrohlichen Text dieser traurigen Ballade. Die Songzeile "Waiting for just the right chance to jump", liess meine Nackenhaare senkrecht nach oben gehen, ging es da etwa um Selbstmord? Aber dann einige Sätze später die Hoffnung: " I hope we'll get it right"... Das ging mir nahe und ihr wehklagender Gesang war gleichzeitig trist und doch wunderwunderschön.
Dann kamen einige Stücke (Titel werden nachgereicht) von der eingangs erwähnten Yana Stanislavovna Dyagileva und die Melancholie wurde immer mehr auf die Spitze getrieben. "Ahahaha", dieser langgezogene Trauergesang war so ergreifend, dass es fast weh tat. Mensch, Alina, was machst Du da mit mir? Ich hatte doch keine Tempo-Taschentücher dabei, menno!
Ich musste nach hinten gehen, um mich etwas abzukühlen und kaufte aus den Händen der reizenden June ihr hübsch- und selbstgemachtes Album ab.
Dann begab ich mich wieder an den linken Bühnenrand. " Gibt es eine spezielle russische Melancholie?", fragte ich mich schmachtend. Ich kam zum Ergebnis, dass jedes Volk anders leidet, trauert und seinem Schmerz Ausdruckt verleiht. Und die Russen können das ganz besonders gut. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass Yana Stanislavovna Dyagileva mit lediglich 24 Jahren gestorben ist (Alina hatte dies auf französisch erklärt), kann man sich vorstellen, dass mich das Ganze nicht kalt liess.
Jammerschade, dass nach lediglich drei russischen Liedern schon Schluss war. Zusammen mit den beiden englischen Songs ergab das nur 5 Titel und 25 Minuten Spielzeit. Aber wie kam es zu dem abrupten Ende? Nun, es gab technische Probleme mit den Steckverbindungen von Alina's Gitarre. Sie konnte ihr Gitarrenspiel nicht hören, versuchte verzeifelt, den Fehler zu beheben, kam dann aber zu dem frustrierenden Ergebniss, besser abzubrechen. June und Jim wollten behilflich sein und er stellte Alina sogar seine Klampfe zur Verfügung. Eine nette, aber letztlich zwecklose Geste, denn natürlich klang diese ganz anders und Alina wollte und konnte auf dem geliehenen Teil nicht weitermachen.
Das zierliche Persönchen verliess also die Bühne und ich dachte schon an den Heimweg. Es war so spät geworden, dass ich mir schon Sorgen machen musste, die letzte Metro, die gegen viertel vor eins fährt, noch zu erwischen.
Aber dann kam nach einer längeren Pause Mademoselle Simone doch noch einmal zurück und spielte mit besser funktionierender Gitarre 10 zusätzliche Minuten. Allesamt russische Lieder (2 oder 3, es gab keine Pausen mehr), eines davon ein traditionelles Lied, das auf keiner CD zu finden ist. 35 Minuten Alina Simone, lange genug, um sich davon überzeugen zu können, dass da eine hochtalentierte Dame am Start war, aber natürlich zu kurz für einen neuen Fan wie mich. Und der bin ich seitdem wirklich. Oliver Peel, der Fan von Alina Simone. Ich werde nicht alleine bleiben, spätestens nach den zahlreichen Deutschland-Konzerten werden einige Anhänger dazukommen. Und dann klappt auch wieder die Gitarre, das hat Alina mir und ihren Besuchern versprochen!
Konzerttermine von Alina Simone im Mai 2008 (Deutschland und Dänemark):
18. 05. 2008 Dreikoenigskeller w/Kat Frankie Frankfurt a.M.
19. 05. 2008 Snuggels Wiesbaden
20.05. 2008 Cafe Mule Leipzig
21.05. 2008 AE w/ Albertine Sarges Berlin
22.05. 2008 Schokoladen w/CASTANETS Berlin,
23.05. 2008 balconyTV Hamburg
23.05. 2008 Mobile Blues Club Hamburg
25.05. 2008 Global Copenhagen
26.05. 2008 TBA Aarhus
27.05. 2008 KulturHuset Holstebro
28.05. 2008 Cafe Brazil Luebeck
29.05. 2008 Polyester Klub Oldenburg
30.05. 2008 Movie w/Kat Frankie Bielefeld
31.05. 2008 Jazztage w/ Poems for Laila Idar Oberstein
3 Kommentare :
ich hocke hier und harre.
ich danke dir persönlich für diesen berührenden text und dass du mich auf diese weise mitgenommen hast!
ich wußte, dass alina dich nicht enttäuschen wird.
enttäuschend allerdings die begleitumstände.
vielen dank!
"Die Rollenaufteilung war folgendermassen: Sie spielte Melodica, Glockenspiel, ein Spielzeugpiano und Percussions, er war an Gitarre und Klavier zugange. Den Gesang bestritten beide und zwar meistens gleichzeitig."
Nach diesen Sätzen dachte ich, ich hätte eine neue Lieblingsband. Habe aber gerade bei mspc reingehört, sooo spannend klang es nicht. Schade. Vielleicht heute abend nochmal in Ruhe ;)
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