Samstag, 31. Mai 2008

Martha Wainwright, Nijmegen, 30.05.08


Konzert: Martha Wainwright
Ort: Doornroosje, Nijmegen
Datum: 30.05.2008
Zuschauer: vermutlich ausverkauft (vielleicht 200)
Konzertdauer: 95 min.


Schön zu sehen, daß sich Rockstars manchmal mit den gleichen Problemen rumschlagen wie ich. Martha Wainwright beschäftigte eine Frage so sehr, daß sie eines der ersten Lieder abbrach. Bevor sie es noch einmal beginne, müsse sie unbedingt wissen, wie "Nijmegen" ausgesprochen wird. "Ich habe den ganzen Tag hier gesessen und Interviews gegeben und kam mir wie ein Arschloch vor, daß ich nicht wußte, wie man das spricht..." Natürlich half das Publikum im Doornroosje sofort und lieferte als Antwort "Neimegen", nicht mit ch-Laut, wie ich gedacht hatte, obwohl meine Version doch viel holländischer klingt. Vollkommen blöd, daß man sich so wenig mit diesem Nachbarland auseinandersetzt, wenn man nicht gleich an der Grenze wohnt und regelmäßig in die Niederlande fährt. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß Martha Wainwright gerade auf Tour ist (Deutschland läßt die New Yorkerin aus), wenn wir nicht wegen eines Maximo Park Konzerts auf das Doornroosje gestossen wären und ich mir das Programm der nächsten Wochen angesehen hätte. Nijmegen liegt eine gute Stunde von Köln entfernt, ist also durchaus gut erreichbar, auch wenn man nur einen Kurzkonzerttrip plant.

Der Club mit dem schönen Namen Doornroosje liegt mitten in einem Wohngebiet.
Direkt an der Straße ist ein normales Wohnhaus mit Garten, dessen hohes, wildwachsendes Gras (Wiese, just in case...) Schlüsse auf den Ursprung des Clubnamens aufkommen lassen. Hinter dem Haus liegt ein kunterbunt besprühter Neubau, in dem das Kulturzentrum untergebracht ist. Die Leute, die da gemeinsam mit mir reingingen, waren ein ganz anderes Publikum als bei Indie-Konzerten in Köln. Der Altersschnitt lag wohltuend hoch, viele meiner unbekannten Begleiter wären in Deutschland wohl eher Musicalpublikum, schon einmal ein sehr angenehmer Unterschied. Natürlich zieht eine Singer/Songwriterin wie Martha Wainwright auch bei uns älteres Publikum an als die Kooks z.B., es war aber auffällig, wie viele nicht nach Indie-Freunden aussehende Zuschauer da waren. Auch in den Niederlanden scheint alternative Musik also viel mehr gesellschaftlich verwurzelt zu sein als bei uns.

Schluß mit der Soziologie, es geht um Musik.

Das Doornroosje ist 2006 von einer Zeitung zum besten "Nachttempel" der Niederlande gewählt worden. Ich kenne noch keinen anderen, schließe mich dem Urteil aber sofort an, weil der Club extrem viel Charme besitzt. Es ist schon eine echte Konzertstätte, also nicht so ein gemütlicher Sofa-Laden, aber ein wundervoller. Vor allem war alles so herrlich entspannt und unhektisch. An der Tür zum Saal (ich muß mal gerade abweichen: bis eben hatte ich geglaubt und gehofft, daß Martha im "grote Zaal" gespielt hätte. Die Beschilderung außen am Club ließ mich das vermuten. Der Martha-Saal war aber nicht furchtbar groß, bot etwa 200 - 300 Leuten Platz. Wenn da dann Maximo Park auftreten würden, wäre das ja schon fast ein Radiokonzert. Nach
der niederländischen Wikipedia-Seite fasst der grote zaal aber 1.500 Leute) hing ein Schild mit dem Zeitplan: 20.30 Uhr Doveman, 21.20 Uhr Martha Wainwright, ich würde also früher zu Hause sein als bei manchem Konzert in Köln.

Der Raum erinnerte mich ein wenig an ein Mischung der beiden Clubs Stadtgarten und Studio 672 in Köln. Er ist luftig, hat am Ende eine Bar und eine Bühne, die nicht abgesperrt war. Nach ein paar Minuten Warterei begann
die Vorgruppe Doveman, die mir vorher nichts sagte, dann auch fast pünklich. Doveman kommen aus New York und spielen nach eigenen Angaben "Lamp Rock" und "Insomnia Pop". Das beschreibt es perfekt (auch wenn ich nicht genau weiß, was sie damit meinen). Neben Keyboarder und Sänger Thomas Bartlett, der schon mit The National, Antony and the Johnsons und Yoko Ono gespielt hat, gehörten ein Gitarrist und ein Schlagzeuger zur Band. Ihre myspace Seite nennt deutlich mehr Mitglieder, daher kann ich nicht zuordnen, wer von denen in Nijmegen dabei war. Obwohl Thomas nur rechts am Rand der Bühne stand, war er eindeutig Kopf der Band. Der mittig auf einem Barhocker sitzende Gitarrist war eigentlich keiner, denn er spielte mit einer Ausnahme ausschließlich Banjo.

Die Musik der drei Amerikaner gefiel mir anfangs sehr gut. Der Gesang von Thomas (und ab und an vom Banjospieler) ist kaum mehr als gehaucht. Aktuell erinnerte mich manches an Girls in Hawaii - oder vielleicht treffender an den Twin Peaks Soundtrack. Auf Dauer war diese sehr zurückgenommene Musik aber viel zu ereignisarm, als daß sie mich weiter gefesselt hätte. Ohne es zu merken, hörte ich immer weniger hin, wahrlich kein gutes Zeichen. Irgendwie war das Indie-Fahrstuhl-Musik. Es tat nicht weh, verlor aber schnell die Fähigkeit, wahrnehmbar zu sein. (Und ich rede hier von einem 30 Minuten Auftritt!)

Der Umbau ging schnell und war gut organisiert. Ich hatte keine rechte Vorstellung,
ob Martha alleine oder mit Band spielen würde. Als dann der Bass, der schon auf der Bühne stand, von Doveman nicht benutzt wurde, war es also die Bandvariante.

Erst kam die groß wirkende Sängerin allerdings alleine auf die Bühne. Obwohl ich ihre Musik seit dem ersten Album von 2005 liebe, hatte ich bisher keine Gelegenheit, Martha live zu sehen. Vor zwei Jahren trat sie zwar in Haldern auf, allerdings donnerstags - und ohne mich. In den nächsten Tagen erscheint ihre zweite CD mit
dem unfassbar tollen Titel "I know you're married but I've got feelings too". Da das Album auch bei iTunes bisher nur zerstückelt zu erwerben ist, kannte ich noch keines der neuen Stücke, nur den Verriss von Jan Wigger auf Spiegel online. Die in Montreal geborene Sängerin war extravagent gekleidet. Zu einer schwarzen Bluse trug sie weiße Woll-Leggings, darüben ein Röckchen, das aus Wohnwagen Vorhängen geschneidert zu sein schien und ochsenblutrote hohe Stiefel mit Strass-Edelsteinen auf dem Stiefelrücken. Noch von den funkelnden Stiefeln geblendet, bemerkte ich als nächstes eine nette Marotte: Marthas Mikro war bewußt zu tief angebracht. Sie hätte es ja, wäre das aus Versehen passiert, korrigieren können, sie schien allerdings extra tief singen zu mögen und mußte sich ein wenig bücken, um zielsicher das Mikro zu treffen. Dazu passend bewegte sie ununterbrochen eines ihrer Beine, knickte es, nahm es hoch. Ihrer Stimme schadete dies nicht, denn die war auf dem Punkt da und passte perfekt.

Als erstes bewies sie dies bei "I wish I were" von der neuen Platte. Marthas Stimme hat ein deutlich punkiges Element. Manchmal erinnerte mich ihr Klang an meine Heldin Hazel O'Connor, was mir vorher nie aufgefallen war. "I wish I were" war ein gelungener Auftakt. Als die Band dann auf die Bühne kam, folgten mit "Bleeding all over you" und "Comin' tonight" gleich zwei frühe Höhepunkte. Vor allem das druckvoll gespielte (und damit überraschend laute) "Comin' tonight" gefiel mir ungemein. Ich weiß noch nicht, wie das Lied auf Platte arrangiert ist, live jedenfalls war es perfekt. Zu Marthas Band
gehörten zwei der Doveman-Leute, Keyboarder Thomas und der (hier namenlose) Schlagzeuger. Weiter waren ein Gitarrist und ein Bassist beteiligt. Den Bassisten lächelte Martha mehrfach während des Konzerts an, sodaß mein Klatsch-Ich gleich schloss, daß die beiden etwas mit einander haben müssten. Später beim wundervollen "Far away" vom Debüt lächelte die Sängerin bei der Zeile "I have no husband" in sich hinein, ich fühlte mich bestätigt. Als ich nach dem Konzert ins Booklet der CD sah, stellte ich fest, daß ich richtig gedeutet hatte. Martha und Brad, der Bassist, sind verheiratet (ok, schrecklich schwer war das nicht).

Nach den ersten acht Liedern, von denen bis auf "When
the day is short" alle vom neuen Album stammten (und mich nicht so sehr begeisterten wie die beiden bereits erwähnten), ging die Band wieder, um Martha kurz akustisch weitermachen zu lassen. Vor allem "Far away" war in dieser Konzertphase dann ein Knüller - wenig überraschend, ich mag das Lied sehr.

Überrascht war ich allerdings davon, wie die Sängerin auftrat. Ich hatte eine ganz schrecklich versponnene Hippie-Frau erwartet. Mein Bild des musikalischen Genies aus der so unglaublich musischen Familie (Bruder Rufus, Vater Louden, Mutter Kate McGarrigle), die lustige Anekdote über die Entstehung von "Bloody mother fucking asshole"
und auch ihr Kleidungsstil liessen mich auf eine in sich verschlossene und mit einem kräftigen Haschmich ausgestatteten Frau erwarten. Sie war ganz anders. Martha plauderte mit uns, lachte viel und wirkte überhaupt vollkommen ausgeglichen. Sie fragte zum Beispiel nach Nina Simone, die - so glaube sie - mal in Nijmegen gewohnt habe. Weil aus dem Saal unterschiedliche Zahlen kamen, wie lange die Jazzsängerin in den Niederlanden gelebt habe, kommentierte sie schauspielernd "one year, two years, five years, no ten years, she was born and died her - she still lives in Nijmegen!" Sie war noch nicht zufrieden. Weil Nina Simone reichlich "schwierig" war, wollte sie es näher wissen: "Did she attack anyone? - She did? - Did she kill anybody?"

Richtig abwechslungsreich wurde das Set nachdem die Band im Anschluß an "This life" wiederkam. Ein Großteil der Songs des neuen Albums war vorgestellt, viel Altes wollte sie offenbar nicht spielen, also war Zeit für Extras. Erstes Bonbon war das Edith Piaf Cover "Adieu mon coeur", das sie (als halbe Frankokanadierin) für mein Ohr ohne fiesen amerikanischen Akzent sang. Es folgten noch einmal ein paar Albumstücke (alt und neu), darunter das grandiose G.P.T., das mich immer an Dean Martin* erinnert, und daher einer meiner Lieblinge ist, und das das Set beendete. Aber selbstverständlich kam Martha zurück, zunächst wieder alleine und spielte das angeblich ihrem Vater gewidmete "Bloody mother fucking asshole". Seit ich dieses fabelhafte Lied zum ersten Mal gehört habe, erfreue ich mich immer wieder an der Vorstellung, auf wie vielen romantischen Liebessamplern das Lied wohl zu finden ist, weil es so herrlich lieblich klingt...

Die Band kam zurück, diesmal allerdings auf anderen Plätzen. Bassist und Ehemann Brad spielte nun Schlagzeug, der Gitarrist Bass und der bisherige Schlagzeuger Gitarre. In dieser Konstellation stimmten sie "See Emily play" an, Marthas Interpretation des Uralt-Pink Floyd Lieds - und was für eine aufregende Version! Als
wäre das Stück selbst noch nicht unterhaltsam genug, zerstörten Brad und der neue Gitarrist anschließend das Schlagzeug, traten in die Bassdrum, rissen alles um und hinterließen ein heilloses Chaos. Martha nahm es lächelnd und sang mit "Dis quand reviendras-tu?" ein weiteres Cover. Das Original stammt von der französischen Sängerin Barbara. Aber auch dieses wunderschöne Stück war noch nicht der Abschluß - die Sängerin und Thomas, der Keyboarder kamen noch einmal zurück für "Stormy Weather", den Klassiker aus den 30ern. Nach 95 Minuten war dann endgültig Schluß, obwohl sicher alle noch gerne weiter der fabelhaften Stimme Wainwrights zugehört hätten.

Hoffentlich kommt Martha Wainwright im Herbst noch einmal nach Deutschland. Auch wenn vielleicht nicht alle Lieder des neuen Albums an die Vorgänger herankommen mögen (das kann ich noch nicht beurteilen), werde ich mir blind jedes weitere Konzert ansehen. Ganz sicher war ich aber auch nicht zum letzten Mal in Hollands bestem Nachttempel, dafür sind Club und Programm zu gut!

Setlist Martha Wainwright, Doornroosje, Nijmegen:

01: I wish I were
02: Bleeding all over you
03: Comin' tonight
04: Jesus and Mary
05: Hearts Club Band
06: When the day is short
07: So many friends
08: In the middle of the night
09: Far away
10: Tower song
11: This life
12: Adieu mon coeur (Edith Piaf Cover)
13: Jimi
14: Factory
15: The George song
16: You cheated me
17: G.P.T.

18: Bloody mother fucking asshole (Z)
19: See Emily play (Pink Floyd Cover) (Z)
20: Dis quand reviendras-tu (Barbara Cover) (Z)

21: Stormy weather (Ethel Waters Cover) (Z)

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- mehr Fotos


*Auf einem Roman fand ich einmal den Aufkleber "Besser als Dan Brown". Schöner kann man eine Werbung nicht auf den Punkt bringen. Seitdem kleben auf meinen Dean Martin CDs Aufkleber "Besser als Frank Sinatra" - denn auch daran gibt es keinen Zweifel.



6 Kommentare :

E. hat gesagt…

ach, sehr schön, toller bericht.
auf einen wigger- verriss geb ich nun wirklich nichts. der kennt nur die pole.
im neuen rolling stone gibt es einen prima artikel und für das neue album ***1/2. die machen mich mehr neugierig.
schon dem erstling war ich zugeneigt und die dame ist mir von jeher irgendwie sympathisch. liegt dann doch mehr an den eltern als am bruder.

Christoph hat gesagt…

Den neuen Rolling Stone habe ich noch nicht gelesen, bin gespannt.

Mit dem Bruder geht es mir ähnlich, viel kann ich mit ihm nicht anfangen. Von Talent ist die Familie aber zweifelsohne überschüttet.

Anonym hat gesagt…

Mmmmh. Laut dem Wikipedia-Hörbeispiel (hier) wird es aber schon mit ch ausgesprochen...und ich erinnere mich auch daran, mich mal mit einem Muttersprachler unterhalten zu haben, der meinte, er hätte dort studiert, und er sprach es auch mit ch aus.
Ich bin verwirrt!

Christoph hat gesagt…

Wahrscheinlich habe ich nicht richtig hingehört. Aber das beruhigt mich! Denn Neimechen klingt viel besser!

Oliver Peel hat gesagt…

Ein Barbara-Cover, wie wundervoll! Cécile hat mich schon früh mit Barbara vertraut gemacht. Diese glänzende Sängerin sollte man nicht nur in Frankreich kennen!

Wenn Martha in Paris aufkreuzt und sowohl Piaf als auch Barbara covert, sollte ihrem Triumph eigentlich nichts im Wege stehen!

Oliver Peel hat gesagt…

Les Inrockuptibles haben allerdings das neue Album von Martha ebenfalls verissen. Bemängelt wird die Mainstreamlastigkeit und die zu üppige Produktion. Hmm...

 

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