Konzert: Black Mountain (Lofi Folk Festival)
Ort: La Maroquinerie, Paris
Datum: 20.05.2008
Zuschauer: nicht ganz ausverkauft
Konzertdauer: Phosphorescent : 20-25 Minuten, Marissa Nadler : 40-45 Minuten, Jesse Sykes: 45-50 Minuten, Black Mountain: 70 Minuten
Bei mir stand heute das gefühlte erste Lofi Folk Festival in Paris auf dem Programm. Gut informierte Musikfans wussten aber zu erzählen, dass die Premiere dieser Veranstaltung im letzten Jahr stattgefunden hat. Und tatsächlich: wenn man ein wenig im weiten Ozean des World Wide Web stöbert, stösst man sogar auf eine MySpace Seite dieses Festivals mit dem Line-Up von 2007. Vor 12 Monaten waren u.a. Basia Bulat, Rosie Thomas, Do Make Say Think, The National und Gravenhurst dabei. Ich wundere mich selbst ein wenig darüber, dass ich kein einziges dieser insgesamt 4 Konzerte gesehen habe.
Aber was soll's, dann halt eben im zweiten Anlauf!
Am ersten Tag gaben sich in der Maroquinerie gleich vier Künstler/Gruppen die Ehre, das Festival dehnt sich also hinsichtlich seiner Teilnehmerzahl bereits deutlich aus. Am Start waren (in dieser Reihenfolge): Phosporescent, Marissa Nadler, Jesse Sykes und Black Mountain.
Von Phosporescent hatte ich nur am Rande mal etwas aufgeschnappt, ich vermutete hinter dem Namen eine Folk-Band. Manchmal ist das auch wohl so, aber heute hatte wohl keiner der Kumpels von Matthew Houck, der der entscheidende Mann bei Phosporescent ist, Lust oder Zeit den Bartträger zu begleiten.
Matthew erschien also alleine mit seiner Gitarre vor dem noch nicht allzu zahlreich versammelten Publikum und trug insgesamt lediglich vier balladeske Folk-Songs vor, die eine junge schwarzhaarige Frau in der ersten Reihe voller Inbrunst mitsang. Ich vermute mal, dass das seine Freundin war, denn die restlichen Besucher kannten die hübschen Lieder des Barden, dessen Stimme ziemlich stark nach Bonnie "Prince" Billy klang, noch nicht.
Zum Abschluss brachte er seinen Hit "Wolves" (ich gehe davon aus, dass es der Hit war, denn mindestens drei Leute reagierten auf die Liedankündigung mit einem Ausruf der Freude) und dieser Song war wirklich nicht von schlechten Eltern, er blieb bei mir sofort im Ohr hängen, besonders die schmachtende Stelle "they are beautiful". Diese wunderbare Ballade würde ich mir sofort (legal) runterladen, bei dem Rest bin ich mir etwas unschlüssig. Mit einer Band wäre das Ganze bestimmt wesentlich schwungvoller gebracht worden, so war es ein klitzeklein wenig zäh. Dennoch: der Mann hat eine gute Stimme. Ich werde ihn auf jeden Fall im Auge behalten.
Das gilt natürlich auch für die danach startende Marissa Nadler. Aber die Gefahr, dass ich diese schöne Fee aus dem Auge (und den Sinnen) verliere, besteht ohnehin nicht. Seitdem ich die schwarzhaarige Frau mit ihren langen Haaren und dem einfühlsamen Gitarrenspiel zum ersten Mal live gesehen habe (witzigerweise ebenfalls in der Maroquinerie im Vorprogramm von Laura Veirs), bin ich Fan. Ihr letztes Album Song III : Bird On The Water" lief in der Zwischenzeit so einige Male auf meinem i-pod rauf-und runter.
Ein Machwerk voller Schwermut und Melancholie mit dem Thema Tod und Abschied als zentrales Element. Oft wird sie deshalb als gothische Folk-Sängerin beschrieben und ihr äusseres Erscheinungsbild mit den schwarzen Haaren, der hellen Haut und den rot geschminkten Lippen bestärkt diese These. Ein blutsaugender Vampir ist sie deshalb trotzdem nicht, eher eine zerbrechlich wirkende Prinzessin. Und diese Zerbrechlichkeit und Zartheit bezieht sich hierbei nicht nur auf ihr Äusseres, sondern auch ihre Psyche. Depressiv und niedergeschlagen sei sie nach ihrem letztjährigen Konzert an gleicher Stelle gewesen. Sie denke nicht gerne daran zurück, erzählte sie mir später. Auf die Nachfrage, warum das denn so niederschmetternd für sie gewesen sei, antwortete sie, dass sie das Gefühl gehabt habe, dass das Publikum sie damals abgelehnt und nicht geliebt habe. Seltsam, ich hatte das nicht so empfunden.
Heute lief es aber viel besser für sie. Etliche Zuschauer waren nur wegen ihr gekommen und hätten mit Sicherheit gerne auch mehr von der feenhaften Erscheinung und der sirenenhaften Stimme gesehen und gehört, aber leider bekam sie nur recht dürftige 40 Minuten Auftrittszeit eingeräumt. Schade, schade, Songmaterial für ein längeres Konzert hätte sie, schliesslich stehen bereits drei Alben und ein paar EPs auf der Habenseite und ein neues Werk soll noch 2008 in den Regalen stehen, zumindest in ihrem Heimatland Amerika.
Das heutige Set beschränkte sich fast ausschliesslich auf Lieder von Song III: Bird On The Water mit den Highlights "Silvia" und der Singelauskopplung "Diamond Heart", das sie als das "traurigstes Lied, das ich je geschrieben habe" vorstellte. Ich fragte mich, wie sie da zwischen all diesen todtraurigen Liedern ein bestimmtes als das allertristeste herauspicken kann, aber nun gut, sie weiss es sicher am besten...
Ein Auszug aus dem Text mag Klarheit verschaffen:
But I look for you
In the traffic seas
And the bars I’m always frequenting
Your father died
Some months ago
And we scattered his ashes
In the snow
Holidays are the hardest hours of the year
Holidays are the hardest hours of the year
Holidays are the hardest hours of the year
And oh my lonely diamond heart
It misses you my dear
Das will ich dann mal so unkommentiert stehen lassen, möge sich jeder Leser seine Gedanken dazu machen!
Das Beste hatte sich Marissa aber für den Schluss aufgehoben und das war der Song von ihrem ersten Album "Fifty Five Falls". Traumhaft hier das Gitarrenspiel und die engelsgleiche Stimme! Das Debütwerk heisst übrigens "Ballads Of Living And Dying".
So viele Balladen über den Tod, gesungen von einer Frau, die gerade erst einmal 27 Jahre alt ist. Das verwirrt, hat aber auch eine schwer zu erklärende Anziehungskraft. Ich den 40 Minuten hat mich die zerbrechliche Prinzessin völlig in ihren Bann gezogen!
Setlist Marissa Nadler, Maroquinerie, Paris:
01: Dying Breed
02: Mexican Summer
03: Silvia
04: ? (Songzeile I'm growing older)
05: Diamond Heart
06: Fifty Five Falls
Nach Marissa Nadler kam mit Jesse Sykes erneut eine Frau zum Zuge. Die langmähnige Lady aus Seattle hatte allerdings eine männliche Begleitband dabei, ich glaube sie heissen The Sweet Hereafter. Vor allem deren Bassist fiel mir auf, er sah nämlich mit seiner Brille und dem Zauselbart meinem damaligen Geschichstlehrer verblüffend ähnlich. Der Kerl (Bill Herzog) schien davon angetan zu sein, in Paris zu spielen, dies folgere ich zumindest aus der Tatsache, dass er am Ende des Konzertes ein Foto vom Pariser Publikum schoss. Ansonsten stand aber die natürlich hübsche Jesse Sykes ganz klar im Vordergrund. Sie verfügte nicht nur über ein einnehmendes Wesen sondern auch über eine gute Stimme, die aber manchmal auf recht altbackene Kompositionen traf. Ihr Stil ist Alternative Country, allerdings mit solch klassischen Vorbildern wie Neil Young, Lee Hazlewood und The Band. Insofern durfte man hier auf keine grossen Innovationsschübe hoffen, mit dem heutzutage populären Freak-Folk, aber auch mit den komplexen und psychedelischen Kompostionen von den danach startenden Black Mountain hatte das nicht viel zu tun. Aber egal, es muss ja nicht jeder versuchen, das Genre Folk-Musik neu zu definieren.
Und die Ballade "Eisenhower Moon" war wirklich sehr schön. Sie stammt von dem aktuellen Album "Like, Love, Lust And The Open Halls Of The Soul" und verzauberte die Maroquinerie mit einer knisternde Lagerfeueratmosphäre.
Andere Höhepunkte des gut 40 minütigen Sets waren das gehauchte "The Air Is Thin" und der Titeltrack des 2007 er Albums "The Open Halls Of The Soul".
Insgesamt kam das Ganze aber nicht an die Brillianz von Marissa Nadler heran, es wurde allerdings sehr ordentliche Hausmannskost geboten. Und das ist ja manchmal auch etwas Feines...
Setlist Jesse Sykes, La Maroquinerie, Paris:
01: Hard Not To Believe
02: You Might Walk Away
03: Air Is Thin
04: LLL
05: Eisenhower Moon
06: Station Grey
07: Drinking With Strangers
08: Open Heart Of The Soul
09: Gentleness Of Nothing
Jesse Sykes hatte schon während ihres Auftritts durchblicken lassen, dass sie eine Menge von Black Mountain, den Headlinern des heutigen Abends hält. "They are fucking great" (oder so etwas in der Art) rief sie in die Menge und bereitete somit vorbildlich das Terrain für die Kanadier. Auch in der Musikpresse ist man sich einig, dass das aktuelle Album "In The Future" ein Kracher ist, die Bewertungen lagen fast überall im oberen Punkte - bzw. Sternebereich.
Somit konnte eigentlich (fast) nichts schiefgehen für die psychedelisch rockenden Nordamerikaner, oder doch? Nun, das musste man abwarten. Bei vielgelobten Bands besteht auf Grund der hohen Erwartungshaltung immer die Gefahr, dass man enttäuscht wird.
Schon der Auftakt mit der Single "Stormy High" war aber so druckvoll und begeisternd, dass die Zweifel schnell zur Seite gewischt wurden. Nach drei eher ruhigen unf folkigen Acts zuvor, war der knackige Blues-Rock, den Black Mountain bieten, genau das Richtige, um wieder wach zu werden. "Stormy High" wird überwiegend von Rauschebartträger und Bandchef Stephen McBean gesungen, aber im Mittelpunkt stand natürlich die einzige Dame des Quintetts. Amber Webber heisst die niedlich aussehende Sängerin, die auch Tambourin und Rasseln schwang. Ihr vibrierender Gesang sorgte immer wieder für eine willkommene Abwechslung und brachte eine feminine und sinnliche Note ins Spiel. Ohne sie wäre das Ganze dann vielleicht doch zu testosterongeschwängert geworden. Vier harte, zum Teil stark tätowierte Typen konnten eine Frau in ihren Reihen also gut gebrauchen und ganz gentlemenlike wurde ihr dann auch örtlich der Platz in der Mitte überlassen. Sänger und Gitarrist Stephen Mc Bean agierte derweil am äusseren rechten Bühnenrand und sorgte mit seinen heulenden Gitarrenriffs und seiner markanten Stimme für den psychedelischen und bisweilen auch metallischen Sound. Sehr wichtig für den Charakter der einzelnen Lieder war aber auch der rotgelockte Keyboard- und Orgelspieler, der mit ein paar Tastengriffen die peacig-esoterische Atmosphäre herstellte. Durch sein Spiel wurde das Ganze angenehm sphärisch und gerade bei den Balladen, die auch ihren Platz im Set hatten, setzte er Akzente.
Fast das gesamte Konzert bestand übrigens aus Liedern des aktuellen zweiten Albums, mit "Druganaut" in der Mitte wurde aber auch einmal eine Kostprobe vom ersten, selbstbetitelten, Werk gegeben. Und diese Nummer hatte es wahrlich in sich. Tempowechsel, sich fast ins Hypnotisch steigernde experimentelle Klänge und krachende Gitarren. Besser hätten das damals Led Zeppelin nicht hinbekommen, von denen die Kanadier mit Sicherheit beeinflusst wurden. Trotz dieser offensichtlichen 70-ies Anleihen schaffen es Black Mountain insgesamt modern und auch eigenständig zu klingen. Es ist schwer sie in eine Schublade zu stecken, neben Blues-Rock gibt es auch Elemente in den Songs, die in Richtung Post-Rock gehen.
Eine spannende Gruppe also, die sich phasenweise immer mal wieder von ihrer sanfteren Seite zeigte und Tempo und Lautstärke gekonnt drosselte und dann fast nach David Bowie (oder sogar Damon Albarn) klang. Manchmal gab es zwar kleinere Hänger zu verzeichnen, aber letztlich wurde doch sehr gut die Intensität gehalten.
Und gerade der Abschluss mit Bright Lights (Lights Bright) war schlichtweg grandios. Wenn der Song irgendwann explodiert, gibt es kein Halten mehr und dem Zuschauer fliegen die Gitarren und die wuchtigen Drums nur so um die Ohren. Ein richtiger Ohrenputzer zum Schluss, was will man eigentlich mehr nach einem solch gelungenen Abend?
Setlist Black Mountain, La Maroquinerie, Paris:
01: Stormy High
02: Bastards
03: Wucan
04: Queens Will Play
05: Druganaut
06: Tyrants
07: Stay Free
08: Evil Ways
09: Bright Lights
Ausgewählte Konzerttermine von Black Mountain:
29. Mai: Kilbi Festival, Dudingen
30.Mai: 59:1, München
31. Mai: Festsaal Kreuzberg, Berlin
01. Juni: UT Connewitz, Leipzig
02. Juni: Forum, Bielefeld
04.Juni: Melkweg, Amsterdam
3 Kommentare :
zwei alben von phosphorecent zieren mein plattenregal. wenn ich früher gewusst hätte, dass du nachholbedarf hast...
die marissa schaut aber mal wieder zauberhaft aus.
zu Phosporescent : das klienicum muss mich da wohl mal verarzten. Zahnarzt Eike, bitte mal die Lücken schliessen!
Zu Marissa: leider war das Licht bei dem Konzert schwierig zu handhaben. Aber guck Dir mal bitte Marissa bei der Aftershow an:
http://www.flickr.com/photos/oliverpeel/2509662167/
auch frau sykes hat ein zuhause bei uns...
was du geschrieben hast, ist richtig. jesse ist hausbackener als marissa nadler, aber keineswegs ärmlicher. ich mag das sprichtwörtlich hemdsärmlige manchmal sehr gern.
die fotos: ganz wunderbar. wie lässig sie da steht, menno!
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