Donnerstag, 24. April 2008

Emily Jane White, u.a., Paris, 23.04.08


Konzert: Emily Jane White (Joanne Robertson, Tujiko Noriko)
Ort: Le Point Éphémère, Paris
Datum: 23.04.2008
Zuschauer: ca. 250



Das Festival "Les femmes s'en mêlent" ist in vollem Gange. Seit letzten Mittwoch musizieren in Paris und der französischen Provinz junge Damen mit schönen Stimmen um die Wette und bescheren mir und den anderen Besuchern meist wundervolle Momente voller Leidenschaft und Poesie. Das Beste an dem Festival ist, daß man jedes Jahr neue Künstlerinnen entdecken kann und es deshalb einfach nie langweilig wird.


Heute hat der Veranstalter wieder ein ganz besonders glückliches Händchen bei der Auswahl der Musikerinnen gehabt. Am Start waren Emily Jane White, Tujiko Noriko und Joanne Robertson.

Die Letztgenannte durfte als Erste ran. Oder sollte ich besser sagen, sie mußte ran? Joanne Robertson aus London schien mächtig aufgeregt, ja fast eingeschüchtert zu sein. Dabei ist das Point FMR wahrlich kein großer Konzertsaal, hier passen vielleicht 250 bis maximal 300 Personen hinein. Und diejenigen, die da waren , sahen eine junge Frau, die ohne einen Blick in die Runde zu werfen, die Bühne betrat, verängstigt ihre Gitarre ergriff und loslegte. Zuerst glaubte ich, daß es sich nur um ein Mädchen handele, daß noch einmal einen letzten Soundcheck durchführt, aber ich hatte mich getäuscht, es war wirklich die Künstlerin Joanne Robertson selbst.

Gleich das erste Lied stellte sie als "a new one" vor. Ihre Stimme war warm und wehleidig, ein wenig wie bei Cat Power, aber weinerlicher und stärker in die Länge gezogen. Mir gefiel das auf Anhieb, trotz der Brüche die da manchmal drin waren. Gerade die Tatsache, daß sie unsicher und verloren wirkte, übte eine Anziehung auf mich aus. Ich brauche keine Künstler, bei denen alles immer perfekt durcharrangiert und hochprofessionell ist. Sängerinnen mit einem Stewardess - Dauergrinsen wären mir zuwider. Joanne grinste nicht, sondern verzog vielmehr beim Singen regelmäßig die Mundwinkel, ein wenig wie alte Semester das noch von dem Pseudo-Punker Billy Idol her kannten. Manchmal dachte ich, sie leide an Zahnschmerzen, aber das war einfach ihre Mimik. Die Freundin von Fotograf Robert Gil, die neben mir stand, wußte zu berichten, daß Miss Robertson vor dem Konzert reichlich Whiskey getrunken habe, was ich nicht mitbekommen hatte. Es war mir aber auch egal, weil ich mich auf den Gesang und das spärliche Gitarrespiel konzentrierte. Alles war einfach aber dennoch ergreifend, die starke Melancholie die von den Liedern und der leidenden Stimme ausgingen, war fast magisch zu nennen. Dabei schien es Joanna wirklich nicht sonderlich gut zu gehen, sie hustete häufig und erklärte dies damit, daß sie auf der kürzlich absolvierten US-Tournee alle ziemlich krank geworden seien. Sie hätte auch zuviel geraucht, was sie aber nicht davon abhielt es außerordentlich zu bedauern, daß sie nicht rauchen dürfe. "It's a shame that I can't smoke up here"...

Ich glaube aber, daß war besser für sie, ihr Husten war wirklich hartnäckig und wäre durch die Qualmerei bestimmt nur noch schlimmer geworden. Schade, daß Joanna nur gerade einmal 27 Minuten eingeräumt wurden, zu wenig um ein fundiertes Urteil zu fällen. Auch im Hinblick auf ihren angeschlagenen Zustand, scheint es mir zu früh, qualifizierte Aussagen zu treffen. Nur soviel: Ihre mitunter kindlich wirkende Stimme (Joanna Newsom?) hat mich nicht kalt gelassen und ich werde sie auf jeden Fall im Auge behalten. Hoffentlich kommt sie bald wieder nach Paris zurück.

Liedtitel werden morgen nachgereicht!

- Und das sagt das klienicum.blogspot.com über Joanne Robertson.

Für die danach auftretende Japanerin Tujiko Noriko gilt letzter Satz allerdings nicht. Was die schlanke junge Dame da mit Hilfe ihrer Laptops und Synthesizer produzierte war - wie die Franzosen so schön sagen- "abominable". Wer des Französischen nicht mächtig ist, schlage bitte in einem Wörterbuch nach. Nur so viel sei verraten: es ist kein Kompliment! Ich hielt das Gepiepse jedenfalls nur 10 Minuten aus, dann mußte ich an die frische Luft.

Aber das Beste kam ja noch. Und das war ohne jeden Zweifel der atemberaubend gute Auftritt von Emily Jane White. Zusammen mit einem bärtigen Kontrabassisten betrat sie gegen 23 Uhr die kleine Bühne und trug zunächst drei Lieder an der Gitarre vor. Der Titeltrack ihres Debütalbums Dark Undercoat wurde gleich an den Anfang gestellt.

"And if I was a deep bathtub would you sink down to the bottom of my love?", sang die Blondine mit sanfter, aber dennoch fester Stimme.
"I'm not strong, I'm not strong", widerholte sie textlich mehrfach. Aber stimmte das? Auf mich machte sie von Beginn an den Eindruck einer starken Persönlichkeit. Sie war ruhig und konzentriert, aber nicht schüchtern, oder gar verschlossen. Ohne großen Gesten und Mimik füllte sie trotz ihrer geringen Körpergröße die Bühne aus. Sie hatte Präsenz, ohne dabei dominant zu wirken. Ihr Kleidungsstil war etwas eigen, man könnte ihn als eine Mischung aus Hippie-und Gothiklook bezeichnen. Die Haare trug sie offen und natürlich und ich hätte sie mir als kalifornisches Flower-Power Girl vorstellen können. Witzigerweise kommt die Dame auch noch aus San Francisco. Meine Aufmerksamkeit erregte ihr Kettenanhänger, ein kleiner Totenkopf, den sie über einer schwarzen Netzbluse trug. Nicht unbedingt mein bevorzugter Kleidungsstil bei Frauen, aber das war bei ihrer warmen, unter die Haut gehenden Stimme so etwas von egal. Ihr Bassist sang bei einigen Liedern leise im Background mit und gab dem Ganzen so eine leicht chorale Note. Schon nach kurzer Zeit war ich versunken und ließ meine Seele von den melancholischen Klängen streicheln. Das sichere und gekonnte Gitarrenspiel harmonierte wunderbar mit den herrlichen Tönen, die der Kontrabass erzeugte. Hier waren Könner am Werk, keine Frage! Das wußte auch das Publikum zu schätzen und verhielt sich ausgesprochen ruhig und aufmerksam, so wie es sich gehört.

Nach dem Albumtrack Dagger setzte sich Emily Jane hinter das Piano und trug eine wundervolle Ballade Ghost Of A Horse vor.
Das war wirklich zum Niederknien und erinnerte entfernt an "Yesterday" von den Beatles. Ich war hingerissen wie klar und präzise die Stimme rüberkam, der Sound war ausgezeichnet. Emily Jane lobte diese Tatsache mehrfach im Anschluß an das Konzert. Schade, daß man noch nicht mittels Tonträger in den Genuß dieses Liedes kommt, es ist nicht auf dem Debütalbum der Kalifornierin enthalten. Sie hatte, wie sie mir hinterher erzählte, ganz einfach Lust, neue Titel zu spielen. Zu diesen Neuheiten gehörten auch Frozen Heart und Lady Mac Beth ("i wanna dance with misery"), beides ebenfalls Pianostücke. Schwer zu sagen, welcher dieser Songs schöner war. Mir kam dies vor wie ein schöner Traum, schon lange bin ich nicht mehr so tief in die Atmosphäre eines Konzertes eingesunken. Das war einfach atemberaubend und herzergreifend - "beau à pleurer" - wie die Franzosen sagen. Mit Time On Your Side und Wild Tigers I Have Known kamen gegen Ende dann noch einmal zwei Albumtracks, änderten aber nichts an der Tatsache, daß Neuheiten in der Überzahl waren. Dabei ist "Dark Undercoat" gerade erst in Frankreich in den Läden erschienen, die Musikindustrie sollte wirklich einmal etwas schneller die jeweiligen CDs veröffentlichen, sonst wird sie immer mehr von den neuen Entwicklungen überrollt. Bevor das zweite Album im Herbst auf den Markt kommen wird (angeblich auch in Europa) kann man sich aber erst einmal mit Dark Undercoat" die Zeit auf angenehme Weise vertrösten.

Emily Jane White, ein aufsteigender Stern am Folkhimmel! Und sehr gut französisch spricht sie obendrein. Gute Voraussetzungen, um hier extrem erfolgreich zu werden. Ich verwette meinen Hintern darauf, daß sie in ein paar Monaten die nicht kleine Cigale ausverkaufen wird, so wie das Alela Diane vorgemacht hatte, mit der sie oft verglichen wird.

Setlist Emily Jane White, Point FMR, Paris:

01: Dark Undercoat
02: Victorian America
03: Dagger
04: Ghost Of A Horse
05: Frozen Heart
06: Lady Mac Beth
07: Time On Your Side
08: Never Dead
09: Wild Tigers I Have Known
10: Road

11: Acrobat (Z)

Das klienicum listet das Debütalbum von Emily Jane White, "Dark Undercoat" übrigens in seiner Jahresliste auf Rang 114, nur ganz knapp vor den grausam schlechten Little Man Tate. Da liegt Blogger-Freund Eike mit Sicherheit ausnahmsweise mächtig daneben!



4 Kommentare :

E. hat gesagt…

zunächst: zauberhaft, wie freundlich du mit joanne umgegangen bist, eine wohltat, ein fest. denn sie hat es verdient, auch auf tonträger.
im offensichtlichen gegensatz zu frau emily. ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie ich ihr den platz in der jahresliste zuweisen musste, mal abgesehen davon, wer vor- oder nach ihr rangierte.
ich habe sie dir dennoch empfohlen, weil sie potential und tiefe hat. was deinem bericht nach hiermit bewiesen wäre.

E. hat gesagt…

ergänzung:
aus der reihe: tipps für "wo-geh-ich-heute-abend-in-paris-auf-ein-konzert": http://profile.myspace.com/index.cfm?fuseaction=user.viewprofile&friendid=89076180&MyToken=9b235366-0099-40bc-a05e-e75fa47be5ee
paßt auch zum thema: folk is the new soul, ebenso die dame, die ich heute im blog vorstellte (auch mit konzerttipp). hinten angestellt noch der hinweis auf das konzert von my morning jacket, deren neuer output was für dich sein könnte, oliver. mehr dazu im blog! liebe grüße!

Oliver Peel hat gesagt…

Marie-Flore spielt heute abend im Divan Du Monde? Das hätte ich gar nicht mitbekommen.

Danke, Eike!!
My Morning Jacket habe ich bei Dir natürlich schon gesehen, ich mag die Band. Aber "wer auf die Stimme abfuhr, bekommt eine solche erteilt?" - Das klingt ja weniger gut?!

E. hat gesagt…

das zitat war teil einer aneinanderreihung von tatsachen, die my morning jacket nun nicht mehr bedienen, u.a. eben die ausschließlich beschränkung auf des frontmann stimme.

 

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