Freitag, 18. April 2008

Blonde Redhead, Paris, 17.04.08


Konzert: Blonde Redhead
Ort: Le Bataclan, Paris
Datum: 17.04.2008
Zuschauer: wahrscheinlich ausverkauft
Konzertdauer: gut 90 Minuten

Jane Birkin und Serge Gainsbourg eingraviert in Beton am Eingang zur U-Bahn Station Rochuart-Barbès. War das jetzt Zufall, daß mir die beiden französischen Nationalheiligtümer ins Auge springen, oder sollte mich das daran erinnern, daß die Gruppe des heutigen Konzertabend, Blonde Redhead, stark von der Musik des einstigen Traumpaares beeinflusst ist?

Ich kam gerade vom Showcase der bezaubernden Sängerin Barbara Carlotti, den sie in dem Virgin Megastore von Barbès gegeben hatte und war auf dem Weg Richtung Bataclan, wo der Gig von Blonde Redhead stattfinden sollte. Ist schon verrückt, dachte ich auf der Fahrt, da gibt es eine Gruppe, die aus zwei italienischen Zwillingsbrüdern (Amedeo und Luce Pace) und einer Japanerin (Kazu Makino) besteht und ausgerechnet die machen Musik, auf die die Franzosen fliegen. Und dann wohnt das Trio auch noch in New York. Sachen gibt's...

Vor den Pforten des Bataclan angekommen, hatte sich schon eine riesige Schlange gebildet, die auf Einlass wartete. Es war erst kurz nach 8, ich hatte also genügend Zeit, noch ein Crêpes zu essen. Mein Magen knurrte, ich hatte bisher nur gefrühstückt. Der nette Crêpes-Verkäufer fand es so lustig, daß ich mit meiner Kamera da rumstand und kam plötzlich auf die Idee, daß ich ein Foto von ihm schießen sollte. Das machte ich gerne, nahm meinen Snack entgegen und reihte mich mampfend in die Schlange ein. Der bullige Gorilla am Eingang wühlte durch meine Tasche und wies extra darauf hin, daß man nicht fotografieren solle. Meine Kamera sah er nicht, sein Problem! Im Inneren des Saales angekommen spielte gerade noch das australische Trio Devastations. Ich hatte das von dem Vorgängeralbum als ziemlich ruhig und hübsch gemacht in Erinnerung, hier klang das allerdings sehr noisy und unausgegoren und ich konnte kaum glauben, daß dies die gleiche Band sein soll, die ich von der CD her kannte. Der Fotograf Robert Gil, den ich auf den Namen der drei lärmenden Burschen ansprach, bestätigte mir aber: "Ce sont Devastations." Seltsam...

Danach stand ich einige Zeit blöd rum, wie das halt eben immer so in der Umbaupause ist. T-Shirts brauch' ich keine und etwas trinken wollte ich auch nicht.
Also war Langweile angesagt, die aber pünktlich um 21 Uhr endlich beendet wurde. Als Erste kam Kazu Makino, die dürre Japanerin mit ihrem Dirndl-Kleidchen auf die Bühne geschlichen, dann folgten die Pace-Zwillinge. Ein langes Intro mündete irgendwann in den Hit "Falling Man" vom Vorgängeralbum "Misery Is A Butterfly". Ein starker Auftakt, gesungen von Amedeo mit seiner "die-Welt-ist-ungerecht-Stimme". Ihn und seinen Bruder konnte man halbwegs erkennen, die Frau auf der Bühne war aber fast durchgängig in dichten Nebel gehüllt. Blonde Redhead sind dafür bekannt, keine Spots zu benutzen, sie verschwinden regelmäßig unter einer Glocke aus blauem, grünen und roten Licht. Toll für die Zuschauer, beschissen für die Fotografen, die kaum ein scharfes Bild schießen konnten.

Das mystische Licht ist Teil der melancholisch-düsteren Inszenierung und soll den Charakter der Musik unterstreichen. Und der ist nun einmal eher depressiv,
sehnsüchtig, träumerisch, sinnlich und manchmal auch ein wenig kitschig. Ja, das kann man ruhig sagen, Blode Redhead bewegen sich durchaus nahe an der Kitschgrenze, da sowohl der Gesang von Kazu, als auch Amedeo sehr gesäuselt und nasal daherkommt. Aber wahrscheinlich ist es gerade das, was die Faszination des Trios ausmacht. Auch Gainsbourg und Birkin haben damals ihre Sinnlichkeit und Frivolität auf die Spitze getrieben, man denke nur an das liderliche Stück "Je t'aime" (moi non plus). Auch Kazu stöhnt und seufzt manchmal, als würde sie gerade Höhepunkte der Lust erklimmen. Nimmt man noch ihren sexy-lasziven Tanzstil hinzu, ist man schon das ein oder andere Mal sprachlos. Sie sieht so unschuldig aus, so zart, so zerbrechlich und dann diese Vamp-Nummer, wie passt das zusammen? Alles Show, oder empfindet sie wirklich so viel Lust und Leidenschaft (und das kommt von leiden), wenn sie ihre Lieder ins Mikro haucht? Man müßte sie schon persönlich kennen, um das zu wissen und so bleibt das Rätsel bezüglich ihres Wesens intakt.

Mit Lied 2 und 3 der Setlist bleibt man thematisch beim aktuellen Album "23", aber das Konzert will nicht so richtig in Fahrt kommen,
der Großteil des Publikums steht nur rum und klotzt mit unbewegter Miene auf die Bühne, wo sich Kazu und Amedeo eine heiße Flirt-Nummer liefern. Der Funke ist noch nicht übergesprungen, aber das ist oft so bei dieser Art von Musik. Nicht wirklich tanzbar das Ganze, aber das wußte man vorher. Ein altes Lied von Melody Of Certain Damaged Lemons. "In Particular", wird überraschend gut aufgenommen, das kurze, prägnante Gitarrenriff und der wippende Takt, kommt an. "SW" und auch "The Dress" bleiben trotz der Stöhneinlage bei letztgenanntem Titel recht fad, die Lieder sind irgendwie zu rund, zu steril, um richtig zu begeistern. Gerade falle ich in eine gewisse Lethargie, als mich das noisige und sehr rockige "Melody Of Certain Three" mit Wucht aufrüttelt. Endlich wird einmal die Noisekeule herausgeholt und man versteht, warum Blonde Redhead damals mit Sonic Youth verglichen wurden. Davon sind sie inzwischen musikalisch recht weit entfernt, die Band wird mit jedem Album poppiger und radiotauglicher.

In der Folge weiß "Equus" zu gefallen, während die alten Stücke "Ten" und "I'm There Will You Choke On Me" eher vor sich hinblätschern. Das Trio verabschiedet sich zum ersten Mal und meine Gefühle sind gemischt. Schlecht war es bis dahin nicht, aber richtige Begeisterung sieht anders aus.

Zum Glück haben sie die New Yorker das Beste für den Schluß aufgehoben. Der Zugabenteil ist nämlich stark und überzeugend, vor allem der Hit "23", der bisher die größte Zugnummer darstellt.

Nach dem melancholischen und getragenen "Melody"
(Melody Nelson? Gainsbourg?) scheint Schluß zu sein, die meisten Besucher bewegen sich Richtung Ausgang, auch ich glaube nicht mehr an eine Fortsetzung.

Aber dann kommen sie doch noch einmal zurück und spielen nach dem eher mauen "Silently" die weltschönste Version von "Misery Is A Butterfly".
Endlich komme auch ich ins Schwärmen, das Lied ist herzergreifend und geht nahe. Allein für diesen Song hat sich der Kauf der Eintrittskarte gelohnt! Versöhnt verlasse ich mit der Meute der schwitzenden Zuschauer das Batclan und habe ein kleine Träne im Auge, weil sich die Musiker gerührt mit Kushänden verabschiedet hatten. Hach...



Setlist Blonde Redhead, Le Bataclan, Paris:

01: Falling Man
02: Dr. Strangeluv
03: Spring And By Summer Fall
04: In Particular
05: SW
06: The Dress
07:
Melody Of Certain Three
08: Equus
09:
Ten
10:
I Am There While You Choke On Me

1. Zugabenblock:

11: Publisher (Z)
12: 23 (Z)
13: Melody (Z)

2. Zugabenblock:

14: Silently (Z)
15: Misery Is A Butterfly (Z)

Links:

- Video von Melody Of Certain Three
- Original-Clip zu Equus



Fotos von Blonde Redhead hier



 

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