Dienstag, 29. April 2008

Micah P. Hinson, Paris, 28.04.08


Konzert: Micah P. Hinson
Ort: La Flèche d'or, Paris
Datum: 28.04.2008
Zuschauer: ca.250-300
Konzertdauer: ca. 35 - 40 Minuten


"Dieses Konzert möchte ich meiner Frau Ashley widmen*, wir haben vor kurzem in Abilene, Texas, geheiratet, ich liebe sie".

Rührende Worte (die Frauen im Publikum seufzten: "hach, wie romantisch") des eigenwilligen, ja eigenartigen Sängers Micah Paul (P.) Hinson.

Bisher kannte ich immer nur seine tiefe, verraucht klingende Stimme, die man einem verlebten 50-60 jährigen Country - Musiker zuordnen würde. In Musikzeitschriften hatte ich aber am Rande mitbekommen, daß sich hinter dem Künstler mit dem unglaublich leidenschaftlichen Gesang ein ganz junger Bursche verbirgt. 27 Jahre alt ist er inzwischen, aber als ich ihn und sein Debütalbum "Micah P. Hinson and The Gospel Progress" im Jahre 2004 kennenlernte, war er gerade einmal 23. Und hatte - wenn man Wikipedia und anderen Quellen glauben kann - bereits höchst schmerzliche Lebenserfahrungen hinter sich. Alkoholprobleme, Valiumabhängigkeit, Gefängnis wegen Fälschung von Rezepten und Verlust seines gesamten Hab und Gut, inklusive seiner Musikinstrumente und Aufnahmen. Scheiße gelaufen!...

Diese schlimme Phase soll sich im Jahre 2000 angespielt haben, hinderte Micah P. aber nicht daran, mit Hilfe der Band The Earlies "The Gospel Progress" einzuspielen und im Jahre 2005 mit "The Baby And The Satellite" nachzulegen. 2007 folgte Album Nummer 3 "Micah P. Hinson And The Opera Circuit".

"Kennt hier jemand meine bisherigen Alben? Konnte man die in eurem Land finden?" (es gibt Leute, die sich melden) - "Wirklich, ein paar Franzosen haben ernsthaft Alben von mir? - Thanks to this internet shit maybe, no?" (Micah P. Hinson mag das Internet nicht sonderlich, er hat noch nicht einmal eine MySpace Seite: "I hate this shit" vertraute er mir später an, sympathisch!)

Als "shit" bezeichnete er übrigens auch seine Musik, zumindest "most of the time". Er erklärte nämlich, daß er jetzt endlich auch in Frankreich eine record company hätte, was folgende Konsequenzen hätte: "Now that I have a real record company in France, you can see me playing more often if you want to, but most of the time it's shit!" - Später ging er mit dem Niedermachen der eigenen Person sogar noch weiter und meinte gar: "I don't have any talent at all; but it's because some of you see a talent in me, that I have the great honour to play in Paris"

Meine Güte, der Mann ist brutal zu sich selbst! Wie kann er nur von sich behaupten, null Talent zu haben? Klar, sein Gesang ist manchmal reichlich schief, er trifft nicht immer jeden Ton, aber dafür hat seine Stimme einen dermaßen großen Wiedererkennungswert und der Kerl selbst eine solch unfassbare Inbrunst und Hingabe, daß einem die Spucke wegbleibt! Wie er seinen Mund verzieht und aus voller Kehle seine herzerweichenden, oft pessimistischen Lieder schmettert , (Textzeile eines Songs: "You are the girl of my dreams, but it seems that my dreams never come true") ließ mich jedenfalls nicht kalt. Ganz alleine auf seiner Gitarre (mit dem Bild einer (seiner?) jungen Frau in der Mitte) spielte er seine Kompositionen und merkte zynischerweise einmal hinterher an: "Yes, I know this song was boring, but on the album it's much more entertaining!"

Ich persönlich empfand kein einziges Lied als "boring", auch wenn nicht jeder im Publikum meine Meinung teilte. Mein Freund Philippe zum Beispiel gähnte desöfteren vor sich hin und meinte hinterher auch, daß ihn das Ganze eher ermüdet habe. Vielleicht hätte er sich einmal ein Album von Micah P. zulegen sollen? Oder an meinem Platze stehen müssen, um Ergriffenheit zu spüren?! Ich persönlich war nämlich hautnah dabei und stand zufällig neben der überaus reizenden und niedlichen Frau des nicht gerade klassich schönen Sängers (ja, ich bin oberflächlich, ich weiß) und bekam so genau mit, wie sie gerührt Richtung Bühne schaute, Texte mitsang und von einigen Liedern Videos mit ihrer Kamera anfertigte. Manchmal schaute ich durch ihre Linse und sah ihren Mann mit seiner Bretonenkappe, den zerstanzten Ohrläppchen und seiner Kassenbrille auf - und abwandern und in sein Mikro winseln, so daß mir ganz melancholisch zumute wurde. Der Ami legte aber auch wirklich Herzblut in seine Songs, meine Güte!

In den Pausen zwischen den Liedern war er aber immer wieder zu Scherzen aufgelegt, wie man das ja oft unerwarteter Weise bei Songwritern erlebt, die man sich traurig und niedergeschlagen vorstellt. In einer besonders witzigen Szene erzählte er von seinem Vater, einem Psychologen, der - wenn ich das richtig verstanden habe - seine Patienten immer dazu animierte, in seiner Praxis Gitarre zu spielen. Micah fand das wohl selbst sehr seltsam und bezeichnete das Ganze dann auch als "stupid stuff". Der Mann hat wirklich Humor!

Herrlich war auch, als er über sein neues, im Laufe des Jahres erscheinendes viertes Album sprach, in dem wohl in dem Titel irgendwo das Wort "red" auftaucht. Sofort nachdem er das ausgeprochen hatte, schickte er nämlich schnell hinterher: "But I'm not a fucking communist!"

Kein Kommunist, aber vielleicht ein Prog-Rocker? Auch über dieses Musikgenre machte er seine Witzchen, erzählte, daß er auch mal ein solch abgefahrenes 10 Minuten-Stück aufs Parkett legen wolle, daß ihm dies wohl aber nie gelinge. Vielleicht ist es aber auch besser, wenn er beim Alt. Country bleibt, wozu er natürlich auch ein passendes Sprüchchen auf Lager hatte. "oh, ihr glaubt wohl in Frankreich, daß dieser ganze Country-Kram 'shit' sei, aber das stimmt nicht immer," "there is some good country stuff, believe me"...

Ich glaubte ihm aufs Wort, schließlich kann ich mit Country und Folk eine Menge anfangen, genau wie ich das auch mit dem gesamten Set konnte, in dem neue und alte Songs verschiedener Alben bunt gemischt wurden.

Herzergreifend!

Setlist Micah P. Hinson, La Flèche d'or, Paris:

01: Abilene
02: As You Can See
03: Beneath The Rose
04: Tell Me It Ain't So
05: You Can Tell Yourself
06: Lovers Lane
07: Seems Almost Impossible
08: Drift Off To Sleep
09: When We
10: I Keep Loving
11: It's Been So Long
12: Close Your Eyes
13: Oh No

- Links

- Video zu Close Your Eyes (bei last fm fälschlicherweise "For Your Eyes")
- Video zu It's Been So Long
- mehr Fotos von Micah P. Hinson

Konzertbesucher von Micah P. Hinson könnten auch mögen:

- Bonnie "Prince Billy" in Paris 2007
- M. Ward in Paris 2006
- Iron & Wine in Paris 2008
- ansonsten auch Lambchop oder Smog, aber die haben wir leider noch nicht im Programm.

* und ich diesen Konzertbericht meiner Mutter. Danke für alles und daß Du mich bei diesem Blog unterstützt!




 

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