Konzert: Björk, Battles u.a.
Ort: Ferropolis (Melt! Festival)
Datum: 20.07.2008
Neben vielen anderen Dingen findet man auch das berühmte Bauhaus in Dessau. Der Stil der Bauhausschule zeichnete sich durch Klarheit und Geradlinigkeit aus. Durch Einfachheit und Schlichtheit in Form und Funktion wollten die Bauhausmeister (so nannte man die Lehrer und Professoren) die Trennung von Kunst und Produktion aufheben. Kunst als Gebrauchsgegenstand. Ist ihnen gelungen, möchte ich sagen. Dann kamen die Nazis und mit dem Bauhaus war Schluß.
2008 sollte Björk in unmittelbarer Nähe Dessaus mit einem visuell beeindruckenden Liveset die Kunst in ihre “Ursprungsform” zurücksetzen. Aber dazu später. Vorher unterhielten uns Get well soon, NeonNeon, die Battles und Hot Chip mehr oder weniger gut.
Weniger gut taten dies NeonNeon und Hot Chip. Letztere find ich völlig überwertet und eine reine Modeerscheinung mit bereits angebrochenem Verfallsdatum. Erstere kannte ich bis dato noch nicht, und so freute ich mich vor Beginn des Sets auf ein Kennenlernen.
Bei den ersten Klängen des instrumentalen Intros dachte ich gleich: “Survivor (ja, die mit dem Rocky Theme), Foreigner, Harold Faltermeyer (ja, Axel F. Theme)”. Alles schreckliche Bands bzw. Produzenten aus längst vergangenen Tagen. Das Umhängekeyboard inbegriffen. Bei NeonNeon tauchte es auf. Will man sowas noch hören und sehen? Ich weiss es nicht…
In der Folgezeit wurde es nicht besser. Peter Gabriel und Marillion, alles scheint möglich, auch Bongo und Calypsorasseln. Als Special guest tauchte später noch DJ Superstar auf. Jetzt wurde es richtig belanglos. “You are amazing” gröllte er uns zu. “You are not”, möchte man antworten. Wir haben uns mittlerweile auf die Treppen im hinteren Bereich zurückgezogen. Der schweinchenrosa Farbklecks (DJ Superstar hatte ein neonrosa Oberteil an - zumindest leuchtete es aus der Entfernung so) auf der Bühne rannte noch ein wenig hin und her, dann war Schluss.
Fazit des Auftritts: die Portion gebratene Nudeln vom Asia-Mann war gar nicht mal so übel!
Get well soon hoben anschliessend das Niveau um ein Vielfaches und sind das erste Highlight des Tages. Gut zu sehen, dass die Umsetzung der komplexen Songs wunderbar funktioniert. Das erzeugt bei uns auch vor dieser grossen Festivalbühne eine Gänsehaut. Sehr beeindruckend. Das schafft nicht jeder Musiker. Grosses Kompliment! Get well soon sind eine unbedingte Liveempfehlung. Es waren intensive 35 Minuten, die den Sonntagsbesuch alleine gerechtfertigt hätten.
Im Anschluss Battles. Das Programmheftchen schreibt irgendwas von Rock 3.0. Dies und die Tatsache das sie aus New York kommen, lassen mich gespannt ihrem Auftritt entgegensehen. Ich werde schnell überrascht, die Rowdies bauen keinen einzigen Mikrofonständer auf. Mikrofone brauchen die Battles . Bis auf zwei, drei Songs ist ihr Set instrumental. Und sehr laut. Und sehr wuchtig.
Gitarre trifft Keyboard. Und das zweimal. Ergänzt werden Ian Williams und Tyonday Braxton durch Drummer John Stanier und Bassist Dave Konopka. Das die Band aus New York kommt, hört man ihr an. Experimentell und innovativ klingt ihr Auftritt. TV on the Radio plus Technobeats, Atari Teenage Riot mit weniger Punk ist mein erster Kategorisierungsvorschlag. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher ob ich das stehenlassen kann, zu einzigartig ist das, was die Battles präsentieren. Das Schlagzeug ist weit am Bühnenrand aufgebaut, die Keyboards direkt daneben. Die Band ist der Frontmann.
Bei Björk ist die Rollenverteilung wieder klassisch. Hier die Sängerin, dort die Band, bzw. die Begleitmusiker. Eine neunköpfige Bläserkapelle steht auf der Bühne. Dazu zwei Keyboarder. Und mittendrin die kleine Isländerin.
Die Show ist sensationell. Hätte man von Björk was anderes erwarten sollen? Grosse Fahnen und vier riesen-LCD Monitore gestalten das Bühnenbild. Das Licht ist abwechselnd blau, gelb und rot. Die Bühne wird dabei indirekt ausgeleuchtet, kaum Spots, wenig Helligkeit. Alles wirkt sehr sphärisch.
Für alle DigiKamFotoknipser machte das die Sache nicht einfach. Gut ausgelichtete Bilder werden wohl eher die Ausnahme bleiben. Und wenn ich das richtig gesehen habe, Pressefotografen wurden nicht vor die Bühne gelassen.
Die Lichtfarben spiegeln sich in den Fahnen und in Björks Kostümkleid wider. Die Blaskapelle (übrigens allesamt Frauen) sieht aus wie eine Mischung aus schweizer Garde und Wächter des Traumlandes. Es passt perfekt. Zeitweise erinnert alles an ein Musical oder eine fantastische Märchenshow.
Das Set ist zweigeteilt. Die erste halbe Stunde gehört schwerpunktmässig den Blasinstrumenten, Björk hat ihre Songs entsprechend umarrangiert. Es ist eine eher ruhige Phase, mehr zum zuhören als zum mitgehen. Das geht eher im zweiten Teil, der aus den tanzbareren, elektronischen Songs zusammengestellt ist. Björks Musikspektrum scheint unbegrenzt. “I’d like to intrrrrrrroducing the band,” sagte Björk vor kurz vor Ende mit diesem wunderbar rollendem rrrr. “Keyboarrrrrrds …..” da, schon wieder. Kann es einen smarteren Englischakzent geben? Nach einer guten Stunde ist der Hauptteil vorbei, es folgt ein kleiner Zugabenblock. “I live by the ocean…” erkenne ich sofort. Eigentlich habe ich in den letzten 12 Jahren wenig Björk gehört, aber “The Ancor song” blieb haften. Grandios! Das Konzert ist ein würdiger Abschluss eines Tages, an dem es keinen einzigen Regentropfen gab.
Am nächsten Morgen treffe ich Los Campensinos! im Frühstücksraum unseres Hotels. Ihren Auftritt hatte ich am Sonntag nicht ganz mitbekommen. Sie sehen müde aus. Sie essen ein wenig, schmieren sich Lunchpakete für unterwegs und nehmen eine Wasserflasche vom Büffettisch mit. Haben wohl Nachdurst…
von Frank von Pretty Paracetamol