Samstag, 7. Juni 2008

Klee & Tocotronic, Köln, 07.06.08


Konzert: Klee & Tocotronic (medienfest.nrw)
Ort: Mediapark, Köln
Datum: 07.06.2008
Zuschauer: am Ende mehrere Tausend
Dauer: Klee 55 min, Tocotronic 85 min


Franz Beckenbauer hat einmal den UEFA-Cup den Cup der Verlierer genannt, weil der die Teams vereint, bei denen es nicht für den Pokal der Landesmeister gereicht hat. Glaubt man dem Musikmarketing, findet an diesem Wochenende in der Eifel die Champions League der Indie-Szene statt. Parallelveranstaltungen zu Rock am Ring könnten also immer nur die UEFA-Pokale der Festivals sein. Komisch, ich hätte mich am Samstag für mehrere Bands entscheiden können, keine davon spielte am Nürburgring. Natürlich hat Köln eine klassische Affinität zum UEFA-Cup, aber auch objektiv sind Klee und Tocotronic an einem Abend wahrlich keine Veranstaltung für Verlierer!

"Deine Zukunft" war das Motto des "medienfest.nrw", in dessen Rahmen Freitag und Samstag namhafte Künstler auf der großen Bühne im MediaPark in Köln auftraten. Mehr oder weniger namhaft, während Freitag mit Tocotronic und Klee zwei Großkaräter engagiert wurden, entsprach das Samstag Programm mit Dickes B! und Stefanie Heinzmann schon eher meinen Vorstellungen von einem Medienfest.

Vor Klee sollte um 18 Uhr Nil beginnen. Vor einigen Wochen hätte ich die Band schon einmal sehen können, verpasste den Auftritt im Blue Shell aber. Warum mit Traditionen brechen, dachte ich und betrat das zwar durch Zäune abgetrennte aber nicht kontrollierte Festivalgelände erst kurz vor Klee. Auf dem Platz vor dem
Cinedom trudelten glücklicherweise dann auch mehr Leute ein, vorher hatten sich die wenigen Zuschauer auf dem Gelände verlaufen oder eine der Attraktionen der Messe aufgesucht (z.B. die Wurstbude aus dem Kölner Tatort).

Daß Moderatoren bei Medienfesten (und ähnlichem) dazugehören, nehme ich in Kauf. Die Damen, die die Ansagen hier offenbar gewonnen hatten, waren allerdings ganz schrecklich. "Jetzt kommt Klee, die sind noch etwas besser als Nil..." Gruselig!

Zu den passiv gehörten Nil kann ich mir kein Urteil erlauben, Klee waren aber von Beginn an wieder toll! Leider war der Festivalplatz bei weitem nicht voll, ein großer
Teil der zu Beginn vielleicht 500 Zuschauer (ich kann so etwas nicht schätzen) war allerdings gezielt wegen der Kölner Band da, denn überall sangen Leute mit, tanzten und hatten viel Spaß.

Sängerin Suzie - Spitzname Kölsche Kylie - trug diesmal schwarz - Bluse, Jacket und kurze Hose Ton in Ton. Wäre die Hose etwas weniger knapp gewesen, hätte man von einem braven Outfit sprechen können... "Die Stadt", die
wunderschöne Pophymne der Klees, eröffnete den Auftritt. Schöner geht es kaum. Aber gleichschön, denn es folgte ein weiterer meiner Lieblinge, "Tausendfach", bevor mit "Zwischen Glauben und Vertrauen" das erste Lied des in Kürze erscheinenden Albums "Berge versetzen" kam. Mit der neuen CD bei Universal wird Klee hoffentlich bald einem größeren Publikum bekannt, es wäre ihnen so zu gönnen. Die drei neuen Lieder, die ich nach dem Melt! Club im Gloria zum zweiten Mal hörte, sind dafür alle sehr geeignet!

Im Vergleich zu meinem letzten Klee Konzert waren "
Bis an den Rand der Klippen" und "Liebe mich Leben" neu im Set. "Standard kompakt" dagegen scheint gesetzt zu sein. Suzie forderte uns vorher auf zu tanzen. Das wäre ganz einfach, sagte sie und stampfte abwechselnd wenig grazil mit den Beinen auf: "Wie in der Dorfdisko!"

Als zweites der neuen Lieder folgte "Die Königin", ein Hit, ohne Zweifel. Und auch eine radiotaugliche Single.

Mittlerweile hatten sich immer mehr Türkeifans vor dem Festivalgelände versammelt, die ihre Mannschaft auf Kinoleinwänden spielen sehen wollten (es ist gerade EM...). Die türkischen Kölner machten ziemlich viel Radau von außen und fingen an, ordentlich zu nerven. Als einige von ihnen in eine Ansage von Suzie herein Schlachtrufe sangen, reagierte die Sängerin in typischer Suzie-Art, sie stimmte einen Fußballgesang an (zum Nachsingen: "shalala lalalalalaaaaa, shalala lalalala, shalala lalalalalaaaaa, das Lied heißt 'Zwei Herzen'"). Danach war es draußen still und auf der
Bühne toll, denn diese erste Single aus "Berge versetzen" ist auch beim zweiten Hören der wundervolle große Hit. Das ist das schönste Stück deutschen (Indie-) Pops, das ich in den letzten Jahren gehört habe.

Mit "Nicht immer aber jetzt" und natürlich "Gold" endete das kurze aber schöne Konzert nach 50 Minuten. Obwohl die Stadt Köln wieder einen Finger drauf hatte (und die Hals-Nasen-Ohren-Ärzte laut Suzie die Lautstärke kontrollierten), durfte Klee eine Zugabe spielen. "Für alle, die" bildete dann einen schönen Schlußpunkt.

Das Konzert war sehr schön, wenn auch nicht mein schönstes Klee-Konzert bisher. Dafür war das Publikum zu unruhig, dadurch die Stimmung zumindest in der Mitte des Platzes zu gedämpft. Auch ist es zwar sehr nett, daß man Getränke und Essen auf den Platz mitbringen durfte (neben uns stand eine Gruppe, die sich eine Pizza vom Bringdienst teilte und den gratis Wein dazu aus der Flasche trank), dauernd über leere Flaschen zu stolpern begrenzt das Nette aber ein wenig.

Setlist Klee, Mediapark, Köln:

01: Die Stadt
02: Tausendfach
03: Zwischen Glauben und Vertrauen
04: Mein Geheimnis
05: Bis an den Rand der Klippen
06: 2 Fragen
07: Liebe mich Leben
08: Standard kompakt
09: Die Königin
10: Dieser Fehler
11: Zwei Herzen
12: Nicht immer aber jetzt
13: Gold

14: Für alle, die (Z)

Tocotronic hatte ich bisher höchst wechselhaft erlebt. Im vergangenen Sommer haben die Hamburger mich vollkommen beeindruckt und damit mein Bild von ihnen als Liveband zurechtgerückt, das sie bei einem lustlosen und sehr genervten Konzert in Herzogenrath geprägt hatten. Nach den ersten paar Zeilen des Eröffnungsstücks "Hifi Science Fiction" war ich sicher, die falsche Entscheideung getroffen zu haben, nach Klee nicht in eine Kneipe zum Fußball gegangen zu sein. Die Trefferquote von Sänger Dirk v. Lowtzow entsprach ungefähr der der Türken zur gleichen Zeit. Meine Begleiter vertrieb dieser Holperstart ganz schnell, ich war zäher. Oder neugieriger. Was auch immer. Ich blieb jedenfalls.

Und das wurde belohnt, denn das Konzert wurde immer besser, auch wenn das etwas dauerte. Dann allerdings packte es mich ganz stark. Man muß nichts über die Qualität der Lieder und Platten von Tocotronic schreiben. Unbestritten sind die Hamburger eines der hellsten Lichter am deutschen
Indiehimmel. Aber die Brillanz dieser fabelhaften Stücke auch live zu vermitteln, ist etwas anderes. Wäre ich dem Impuls gefolgt, früh zu gehen, hätte ich Tocotronic jetzt für eine mittelmäßige und oft lustlose Liveband gehalten. Mit jedem Stück verblasste dieses Bild, die Band spielte meinen schlechten Eindruck fabelhaft weg.

Spätestens beim Yves Saint Laurent gewidmeten "Verschwör Dich gegen Dich" konnte ich es genießen. Stücke von "Kapitulation", dem aktuellen Album, bildeten den Schwerpunkt des Konzerts, natürlich "Aus meiner Festung", die Singles "Kapitulation" und "Imitation", dazwischen ältere Sachen wie "Sie wollen uns erzählen", "Let there be rock" oder "Hi freaks". Je dunkler es wurde, desto mehr ging
ich in der Musik auf - trotz der unglaublichen Knalldeppen* neben mir, die dauernd "lauter, lauter" brüllten, sich dann aber während der Lieder wieder laut zu unterhalten, ihre "lauter"-Rufe waren also vollkommen berechtigt...

Nach 65 Minuten beendete ein echter Knaller (Wortwitz) das Konzert, "Explosion" von "Kapitulation", ein herausragendes Stück Musik! Daß das nicht das Ende sein sollte (die Türken spielten ja auch noch), war allen klar, die Band zierte sich aber eine Weile. Für das Warten wurden wir mit "Mein Ruin", dem wundervollen "Ich bin viel zu lange mit Euch mitgegangen" und "Drüben auf dem Hügel" entlohnt. Um es mit Sven Regener zu sagen: Diese Viertelstunde Zugabe war stark! Begeistert und vollauf
zufrieden leerte sich dann der Platz. Vom Band lief eine deutsche Sängerin (war das Alexandra?), als plötzlich die Band wieder erschien.

Die Stadt Köln habe ihnen noch etwas Zeit genehmigt. Hat das Ordnungsamt mittlerweile guten Musikgeschmack? Sei's drum, das Ergebnis war gut, der Abschlußsong mehr als das. "
Ich habe Stimmen gehört" knallte noch einmal richtig Verzückung in die Gesichter. Wow, was für ein Schlußpunkt! Auch wenn es etwas dauerte, haben Tocotronic mich wieder überzeugt. Diesmal haben sie es nur ein wenig spannender gemacht. Aber das paßt ja ganz schön zum Fußball. Solange am Ende die gemochte Mannschaft gewinnt...

Setlist Tocotronic, Mediapark, Köln:

01: Hifi Science Fiction
02: Sie wollen uns erzählen
03: Verschwör Dich gegen Dich
04: Die Grenzen des guten Geschmacks 2
05: Aber hier leben, nein danke
06: Aus meiner Festung
07: Luft
08: In höchsten Höhen
09: Let there be rock
10: Kapitulation
11: Imitationen
12: Sag alles ab
13: Hi freaks
14: Explosion

15: Mein Ruin (Z)
16: Ich bin viel zu lange mit Euch mitgegangen (Z)
17: Drüben auf dem Hügel (Z)

18: Ich habe Stimmen gehört (Z)

Links:

- aus unserem Archiv:
- Klee, Köln, 17.05.08
- Klee, Saarbrücken, 30.05.07
- Klee, Köln, 22.03.07
- Klee, Köln, 26.10.06
- Tocotronic, Hohenfelden, 17.08.07
- Fotos von Klee & Tocotronic


* Ich habe bewußt den freundlichsten Begriff gesucht...



1 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Da sehe ich viele Übereinstimmungen im Konzert-Erleben bei Tocotronic. Auch ich fand den Anfang sehr schwach, auch ich hatte "Knalldeppen" um mich (genauer: vor, neben und hinter mir - habe mich dann umgestellt) und auch ich fand es am Ende sehr toll.
Aber benutz doch mal seltener das Wort "Indie", vor allem im Kontext zu RaR - da ist "Indie" doch höchstens Mittags um 14 Uhr auf der Nebenbühne ;-)

 

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