Sonntag, 26. Juni 2016

Belle & Sebastian, London, 22.06.16


Konzert: Belle & Sebastian (Tigermilk)
Ort: Royal Albert Hall
Datum: 22.06.2016
Dauer: Belle & Sebastian 110 min, Teleman knapp 30 min
Zuschauer: vielleicht 9.000



1996 erschienen die ersten beiden Alben von Belle & Sebastian, das graue und das rote. Auch das einjährige Jubiläum dieser beiden Meisterwerke wäre eine Feier wert gewesen, das zwanzigste allemal. Also buchte die Band aus Glasgow die Royal Albert Hall für zwei Abende im Geburtstagsmonat von Tigermilk, um dort zu feiern. Juchuu!

Obwohl es wahnsinnig schwierig war, im vergangenen Juli Tickets zu bekommen, war die Halle nicht bis auf den letzten Platz ausverkauft. Habe ich "Halle" gesagt? Das wird der Eleganz der Royal Albert Hall natürlich nicht annähernd gerecht. Wir saßen in einer der Achter-Boxen im zweiten Rang, gleich über dem Orchester.



Der erste Abend machte ein frühes Kommen wichtig, als Vorgruppe waren nämlich Teleman angekündigt. Teleman sind die Nachfolgeband von Pete and the Pirates und haben mit Düsseldorf den Hit des Jahres. Kurz nach ihrer Gründung hatte ich Teleman 2013 schon einmal als Suede-Support in Köln gesehen. Leider fehlten der Band am Anfang die großen Hits ihrer Vorgänger-Gruppe, obwohl drei der vier Telemen schon da Mitglied waren. Mit dem zweiten Album Brilliant sanity sind auch wieder die riesigen Songs da. Düsseldorf und Glory hallelujah sind Knüller, wie sie Pete and the Pirates reihenweise veröffentlicht haben (ohne damit den verdienten Erfolg zu haben). Teleman sind ein wenig wie eine popigere Version der Maccabees (oder sogar der Foals) - mit einer aufregenderen Stimme. Die Stimme hat Thomas Sanders, neben dem dessen Bruder Jonny, Bassist Pete Cattamoul und Schlagzeuger Hiro Amamiya zur Band gehören.



Obwohl der Sound bei uns auf halber Hallenhöhe nicht brillant war und Teleman lediglich eine halbe Stunde Zeit hatten, überzeugte mich das Konzert vollständig! Düsseldorf, Cristina, Tangerine, Glory hallelujah, alles Hits! Die Bühne in der Albert Hall ist riesig, wegen der Größe ihrer Songs wirkten die vier Musiker aber nicht verloren. Zu gerne hätte ich noch eine Weile länger zugehört. Aber es sollte ja noch etwas anderes kommen.

Setlist Teleman, Royal Albert Hall, London:

01: Skeleton dance
02: Düsseldorf
03: Fall in time
04: Cristina
05: Tangerine
06: Steam train girl
07: Glory hallelujah



Über das B&S-Konzert hatte ich mir vorher eine Menge Gedanken gemacht, ganz anders als sonst. Belle & Sebastian sind mir wichtig, den letzten paar Konzerten, die ich gesehen habe, fehlte aber der Pfiff. Sie wirkten zu routiniert, die Setlisten enthielten keine Überraschungen. Ich hatte ein wenig Angst, daß der angekündigte zweite Teil nach Tigermilk der fünfte Aufguß des Standard-Konzerts des letzten Jahres werden würde. Natürlich sollte eine Band, die ihren 20. Geburtstag feiert, sich etwas einfallen lassen, dafür gäbe es ja die erste Hälfte (die zwar nicht überraschend aber doch exklusiv wäre). 



Um 20:45 Uhr ging das Licht aus, das Cover der Platte erschien auf der Leinwand hinter der Bühne und die Band trat mit Streichern und einem Bläser auf. Tigermilk begann, wie Tigermilk nun mal beginnt: mit The state I am in, einem der ganz großen Knüller der Schotten. Und mit Szenenapplaus! Es war eine Geburtstagsfeier, und die wurde ordentlich begangen! 


Anders als zum Beispiel beim Primavera 2015 sah man den Musikern an, wieviel Spaß sie hatten. Nein, das hier war kein Routine-Gig. Und wenn sie im zweiten Teil Perfect couples spielen sollten, egal!

Und es war alles so stilvoll! Auf der Leinwand war bis zu Electic renaissance ausschließlich das Tigermilk-Cover zu sehen. Zum letzten Stück der A-Seite liefen Videos von C-64-Spielen! Von Paperboy, California games... wundervoll! Dann kam ein Plattenspieler und eine Hand, die die Platte umdrehte. Electric renaissance ist das letzte Lied der ersten Seite.

Viele der Lieder der zweiten Seite haben Belle & Sebastian in den letzten 20 Jahren kaum gespielt. Mary Jo zum Beispiel vorher erst zweimal. Für mich ist ein B&S-Konzert besonders toll, wenn Stücke gespielt werden, die ich noch nie live gesehen habe. Es waren einige! Mein zweiter Liebling der Tigermilk-Songs ist aber My wandering are over, thematisch quasi das Gründungslied der Gruppe.



Der erste Teil des Abends war wunderbar, es klang fantastisch, die Band feierte ihren Geburtstag und wir die Band. "Meine Mutter und meine Schwester sind so aufgeregt", sagte Stuart irgendwann. "Sie haben Tickets für Placido Domingo morgen bekommen! Aber heute sind sie hier."

Als Tigermilk durch war, trat die Band ab. Auf der Leinwand erschien ein Film, in dem Gründungs-Bassist Stuart David von der Tigermilk-Entstehung sprach. Auch das war stilvoll und kreativ. Man hatte sich Gedanken gemacht. 



Nach ein paar Minuten kamen die vielen Musiker zurück. Stevie Jackson ging mit Mundharmonika zum Mikro und spielte Fuck this shit von der auch von mir immer sträflich mißachteten Platte Storytelling, dieses Instrumental-Kleinod! Nein, kein Standard-Set...



Es folgte der nächste Top-5-Hit: Dog on wheels! Dann Step into my office, baby und Wrapped up in books. Und weil es ja eine besondere Show sei, wollten sie auch besondere Songs spielen, sagte der Frontmann in seinem herrlichen Glasgow-Singsang. "We'll play you a few deep cuts." Marx & Engels, eine der B-Seiten von der I'm waking up to us EP. Von den gut 200 Liedern meiner B&S-Bibliothek wäre Belle and Sebastian meine erste Wahl gewesen, Marx & Engels die zweite. Es war also eine wundervolle Geburtstagsüberraschung! 



Nach Marx & Engels kamen keine Wahnsinns-Überraschungen mehr, das Konzert hielt aber sein Niveau. Piazza, New York catcher oder There's too much love, das sehr gute The power of three von der letzten Platte und der Folklore-Abschluß mit The boy with the arab strap und Legal man, den Liedern zu denen die Band Leute aus dem Publikum zum Tanzen auf die Bühne holt. Stuart tanzte auch eine Menge, mal mit dem Publikum, mal auf den Mauern, die den Innenraum vom ersten Rang trennen, mal crowdsurfend.



Als der Frontmann seine Tanzpartnerinnen und -partner auswählte und nach vorne holte, tauchten auch erstmals mehr als nur der eine Ordner im Fotograben auf - um den Tänzern über das Gitter zu helfen. Der eine Ordner, der vorher immer da war, hatte auch einen ungewöhnlichen Abend. Er machte Fotos von Leuten in der ersten Reihe mit deren Handys!



Das Konzert endete mit den beiden Zugaben I'm a cuckoo und The party line. Aber es war natürlich nicht nur Party. In Step into my office, baby hatte Stuart erst eingebaut im Text und dann noch einmal danach einen Pro-EU-Appell ans Publikum gerichtet.



Für die nächsten 22 Stunden war es das beste meiner bisherigen Belle & Sebastian-Konzerte! Die Setlist war fantastisch, der Rahmen eh. Aber die Band hatte eben auch riesige Freude und die steckte an! Es war weit mehr als einer dieser "XY performs Z"-Abende! Es war die Geburtstagsparty der größten Indiepop-Band der letzten 20 Jahre!

Setlist Belle & Sebastian, Royal Albert Hall, London:
 

Tigermilk:
01: The state I am in
02: Expectations
03: She's losing it
04: You're just a baby
05: Electric renaissance
06: I could be dreaming
07: We rule the school
08: My wandering days are over
09: I don't love anyone
10: Mary Jo

11: Fuck this shit
12: Dog on wheels
13: Step into my office, baby
14: Wrapped up in books
15: Marx & Engels
16: Piazza, New York catcher
17: The power of three
18: There's too much love
19: The boy with the arab strap
20: Legal man

21: I'm a cuckoo (Z)
22: The party line (Z)


Links:

- aus unserem Archiv:
- Belle and Sebastian, Ásbrú, 02.07.15

- Belle and Sebastian, Ásbrú, 02.07.15 
- Belle and Sebastian, Barcelona, 29.05.15
- Belle and Sebastian, Paris, 31.10.14
- Belle and Sebastian, Larmer Tree Gardens, 01.09.13
- Belle and Sebastian, Barcelona, 27.05.11
- Belle and Sebastian, Minehead, 11.12.10
- Belle and Sebastian, New York, 30.09.10
- Belle and Sebastian, Latitude-Festival, 17.07.10
- Teleman, Wiesbaden, 31.03.14
- Teleman, Köln, 21.11.13



 

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