Dienstag, 28. Juni 2016

Anohni, Down the Rabbit Hole Festival, 26.06.2016


Konzert: Anohni
Ort: Down the Rabbit Hole Festival
Datum: 26.06.2016
Dauer: 75min
Zuschauer: 4.000

Der dritte und letzte Abend des Festivals war für alle im Vorfeld das größte Mysterium. Ein Headliner mit nur einer CD ? Dazu noch die ganzen anderen Geheimnisse um den/die ehemalige(n) Sänger(in) von Anthony and the Johnsons. Was würde auf der Bühne passieren ? 

Während sich diese Fragen unter den interessierten Konzertgängern mehren, hatten die anderen Besucher wichtigere Probleme. Durch die Sperrung der Parkplätze mussten fast alle Camper mit Pendelbussen zurück zu ihren Autos, was die Abreise auf den sowieso schon durchtränkten Zeltplätzen nicht verkürzte. Als dann am Sonntagnachmittag die Sonne plötzlich erstrahlte, nutzen das die Meisten für eine zeitige und möglichst geregelte Abreise. 

Der Name Anohni dürfte sowieso, selbst bei den konzerterfahrenen holländischen Gästen, kaum einen Bleibereflex ausgelöst haben. Der Veranstalter wusste sicher mehr, zumindest waren die Vorgaben der Show eines Headliners würdig. 

Das zu Beginn nur halbvolle, riesige Zirkuszelt wurde mit einer unfassbar großen Videoleinwand ausgestattet. Davor befanden sich nur zwei Keyboard/Laptopplätze und in der Mitte eine Art Showtreppe an deren Bühnenkante eine riesiger, zum Mikrophon geneigter LCD-TV stand. 

Denn was es zu sehen gab sprengte so ziemlich jede Vorstellung eines "normalen" Konzertes. 

Die Show beginnt mit einer wundervollen, elegischen Videosequenz und den Texten von Hopelessness: "How did i become a virus". Ein Klagelied, wie so viele an diesem Abend, hier mit einem blutverschmierten Gesicht auf der Leinwand. 

Anohni singt erst hinter der Bühne, erscheint dann aus dem Nichts und trägt eine zunächst lächerlich aussehende Mischung aus Burka (Vollschleier), "Das schwarze Phantom" und Imkeranzug. 

Bis auf die Handschuhe sollte sich dies auch den ganzen Set über nicht ändern. Staunende Gesichter sind die Folge, die Konzentration auf die Musik fällt zunächst schwer, aber der brillante Sound und die helle, zutiefst soulige Livestimme von Anohni sorgen für Gänsehaut am Stück. Überhaupt, diese Stimme...klingt sie auf CD manchmal ermüdend, so ist sie live eine Offenbarung.

Mit einer Leichtigkeit nimmt sie jede der noch so vertrackten Hürden der Arrangements: jubiliert, träumt, weint, lacht und tanzt dabei über die gesamte Bühnenbreite. Sie füllt das Zelt mit Wärme und der Hoffnung, die Anohni mit ihren, wenn auch manchmal platten Thesen, entfachen möchte. 

Es gibt kein einziges älteres Stück. Im Gegenteil, fünf weitere Songs sind neben dem kompletten Album zusätzlich im Programm.

Auf der Leinwand folgen konstant immer nur ausdrucksstarke Gesichter in Großaufnahmen, zu deren Lippenbewegungen Anohni live singt. 

Ist es ein Gospelgottesdienst, eine Kunstinstallation,ein Konzert, wer will das sagen?
  
Immer wieder laufen den Gesichtern Tränen über die Wangen, eine fast unerträgliche Intensität strahlt von der Leinwand. 

"Obama" wird zur offenen Anklage, viel gewaltiger als auf der CD klingt das hier, voller Wut und trotzdem tanzbar schleudert Anohni Beats und Message durch den Raum. Vielleicht wirkt das alles auch nur so gut, weil politische und gesellschaftliche Äußerungen heute in der Popkultur so selten geworden sind.

Anohni wählt den Weg der Künstlerin, benutzt ihr Talent und oft vorhandenen Selbstzweifel um andere aufzurütteln und zum Nachdenken anzuregen. Keine neue Idee, aber eine fast vergessene. 

Das Konzert beendet sie im Liegen, schaut selber zur Leinwand und hört die Stimme von Ngalangka Nola Taylor, deren Stimme jetzt erstmals nicht die von Anohni ist, sondern ihre eigene:

"Wir wundern uns, was in der Welt geschieht. Alles verändert sich, und man wundert sich, wird es besser, wird es schlimmer ? Was können wir gemeinsam tun um aus der Welt einen besseren Platz zum Leben für uns alle zu machen ? Was haben wir der Welt angetan ?"

Dann erlischt das Licht und einen kurzen, langen Moment ist die Stille spürbar, der Rest ist Jubel.

Fotos: Michael Graef


 

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