Konzert: Suede
Ort: Alexandra Palace, London
Datum: 30.03.2013
Zuschauer: wohl annähernd 10.000 (es gab noch Karten)
Dauer: 105 min
Englische Wochen beim Konzerttagebuch... beim Fußball deutet das aufs Ende der Saison hin, in unserem Sport kommt sie jetzt langsam ins Rollen.
Der Alexandra Palace ist einer der wenigen Konzertsäle, der auch in Deutschland recht bekannt ist, weil er einmal im Jahr dauerpräsent im Fernsehen ist. Die Stars heißen dann aber nicht Brett Anderson sondern Phil Taylor oder Adrian Lewis, tragen scheußliche Hemden über Bierbäuchen und werfen vor zigtausend betrunkenen Landsleuten kleine Pfeile auf Dartscheiben. Obwohl ich mit einem Freund immer wieder darüber spreche, daß wir uns das mal live ansehen müssten, bin ich heilfroh, daß mein Besuch im Ally Pally einen weniger schlimmen Hintergrund hatte.
Suede sind keine meiner fünf Lieblingsbands. Aber sie - vor allem ihr grandioses erstes Album - sind wichtig genug, um den dringenden Wunsch gespürt zu haben, sie endlich einmal live zu sehen. "Was, du warst noch bei keinem Suede Konzert? Fahr hin, die sind grandios!" war die Standardreaktion meiner Musikfreunde, auf deren Meinung ich viel gebe. Also stand drei Wochen nach My Bloody Valentine die nächste UK-Konzertreise an, diesmal - weil die Anreise nach London so viel einfacher ist - deutlich verkürzt aber nicht minder eindrucksvoll.
Der Alexandra Palace trohnt auf einem Berg über dem Norden Londons. Als wir um kurz nach zehn aus einem der großen Portale ströhmten, sahen wir geradeaus das nächtlich beleuchtete London und einen riesigen Mond. Das wäre auch nach einem Dartabend eindrucksvoll gewesen, nach anderthalb Stunden großer Mitgröhl-Hits (und 15 Minuten Lückenfüllern), war dieser Abschluß aber besser!
Die Lage des "Palace for the people" machte die Anreise ein wenig kompliziert. Die nächste U-Bahn Station ist so weit weg, daß man von dort 15, 20 Minuten mit einem Shuttle-Bus benötigt. Die Vorstellung, mit 10.000 andern zu shuttlen, war wenig verlockend, also fuhren wir mit der der Overground Bahn an eine andere Station und von da mit einem Taxi weiter. Vielleicht war die Vorsicht übertrieben, denn als wir am Ally Pally ankamen, waren die Einlaßgitter vor dem Eingang noch wenig gefüllt. Wir machten es also wie die meisten anderen und gingen noch einmal in die Kneipe neben dem Einlaß. Als wir kurz nach sieben (und damit kurz nach Beginn der ersten Vorgruppe) reingingen, war vor den Türen nichts los, es war der entspannteste Beginn eines Großereignisses seit langem. Aber das ist ohnehin etwas, was Briten meisterlich beherrschen. Am Mittag hatte ich einen Kurzstop ins British Museum eingeplant, hätte aber fast wieder auf dem Absatz kehrt gemacht, weil davor die Hölle los war. Allerdings war die Organisation so perfekt, daß ich trotz hunderter Ostertouristen vor mir ruckzuck im Museum war. Da staatliche Museen in London keinen Eintritt kosten, lohnte sich auch ein Kurzbesuch, obwohl sich vor den Hits der Sammlung (dem Rosetta-Stein z.B.) die Leute stapelten. Wie sehr ich die Briten doch um ihre Kulturliebe beneide. Und um ihre höflichen Landsleute! Besonders, als einige Stunden später meine Sitznachbarn im Flugzeug (Sebi und seine Freundin, Platz 15a und 15b - es besteht keine Gefahr, daß sie das lesen, sie sahen nach Eros Ramazotti und Bon Jovi Freunden aus) mir ihr Gepäck ins Kreuz knallten...
Den Alexandra Palace, präziser unseren Flügel, betrat man durch große Türen. Dort wurden in einem ersten Saal die Kontrollen durchgeführt. Durch die nächsten Doppeltüren kam man ein einen Raum, der so groß wie das Kölner Palladium war. Dort befand sich zwar eine Bühne mit aufgebauten Instrumenten, es war aber nur der Vorraum mit Bars, Kaffeestand, einer Reihe Geldautomaten und Merch- und Essenständen. Den Sinn der Bühne erkannten wir dann, nachdem wir uns gegen die erste Vorgruppe und für den Warteraum entschieden hatten. Denn dort spielte eine Jazzband ein wenig Fahrstuhlmusik für die Wartenden. Herrlich absurd, mit einem Kaffee in der Hand durch die offenen Türen der langweiligen Vorgruppe zuzusehen und die Musik der Easy-Listening-Combo in der Ecke zu hören!
Nach ein paar Rauchpausen in einem durch Bauzäune abgetrennten Bereich außen vor dem Palace, der den Charme eines Gefängnishofes hatte, gingen wir rechtzeitig zu den letzten Vorbereitungen vor Suede in den großen Saal. Und groß meint groß! Der Raum ist breit und tief, vor allem aber riesig hoch. Um viertel nach neun liefen noch die Sex Pistols, bevor der Vorhang fiel, das Logo des aktuellen Albums Bloodsports auf Leinwänden erschien und die Band nach und nach die Bühne betrat. Brett Anderson, der als einziger nicht komplett schwarz gekleidet war, kam als letzter und begann ohne Einleitung mit den drei besten Liedern der neuen Platte. Vor allem Barriers und It starts and ends with you ziehen schon so gut live, daß zumindest vorne sofort sagenhaft gute Stimmung herrschte. Um uns rum irgendwo im vorderen Drittel des Raums waren die Leute am Anfang noch etwas zurückhaltend. Aber mit den drei Hits im Anschluß - Animal nitrate, Metal Mickey und We are the pigs - war jedes Zurückhaltung verflogen. Der ältere Mann hinter mir tanzte von jetzt an durch. Die beiden Großeltern (?) mit ihrem 14jährigen Enkel, der irgendwann Wayne Rooney zum Verwechseln ähnlich sehen wird, hatten ein seliges Lächeln im Gesicht.
Und ja, spätestens jetzt konnte ich nachvollziehen, was mir alle mit auf dem Weg gegeben hatten. Suede sind eine grandiose Liveband! Brett Andersons Anteil daran ist natürlich besonders groß. Er macht zwar auch all die Dinge, die ich in der Regel bei Musikern verachte, Mitklatschanimationen sind bei dem hymnischen Mitsingnummern der Band aber absolut nicht verkehrt.
Der Frontmann, der frappierend dem mitteljungen Udo Jürgens gleicht (nur
trug er an Stelle des weißen Bademantels ein weißes Hemd), sang immer wieder Zuschauer an, zeigte auf irgendwen, kletterte in den Fotograben und lief von einer Seite zur anderen und klatschte seine Fans ab. Und schmetterte währenddessen Kracher wie The drowners. Das war schon enorm gut!
Und das Konzert wäre noch eine Ecke besser als enorm gut gewesen, wenn nicht einige der langweiligeren Stücke des neuen Albums (Sometimes I feel I'll float away) und einige alte wie Everything will flow ("jetzt schunkeln sie!") oder Can't get enough den Schwung aus dem Konzert nahmen. Weniger wäre hier mehr gewesen. Nicht nur wegen der einsetzenden Müdigkeit hätten mir 75 Minuten Hits absolut ausgereicht.
Aber was soll das Jammern, wenn man mit Tausenden glücklich aussehender Briten zeitlose Hits wie So young, The beautiful ones oder New generation mitgröhlen kann?
Daß diese Bands, die ihre große Zeit vor zwanzig Jahren hatten, noch immer so relevant sind, mag nicht für ihre Nach-Nachfolger sprechen. Aber das ist mir an solchen Abenden nochmal egaler als sonst!
Setlist Suede, Alexandra Palace, London:
01: Barriers
02: Snowblind
03: It starts and ends with you
04: Animal nitrate
05: Metal Mickey
06: We are the pigs
07: Sleeping pills
08: Sometimes I feel I'll float away
09: Hit me
10: Filmstar
11: Killing of a flash boy
12: The wild ones
13: Pantomime horse
14: The drowners
15: Can't get enough
16: Everything will flow
17: For the strangers
18: So young
19: Trash
20: The beautiful ones
21: Sabotage (Z)
22: Saturday night (Z)
23: New generation (Z)
2 Kommentare :
Gut erfasst. Wir sind auch extra wegen Suede nach London gekommen u es hat sich mehr als gelohnt. Den Bus v Wood Green konnte man aber ohne Probleme nehmen, wir kamen ganz entspannt an. Und der Support 'Temples' war auch nicht übel. Aus denen könnte noch was werden. Wir standen i d zweiten Reihe u die Stimmung war riesig. Brett fragte ja, ob wir wiederkommen: OH YES!
Jetzt erfahre ich ja doch noch etwas über den Temples - Auftritt. Danke. Und der Suede - Bericht ist natürlich wieder fantastisch, Christoph!
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