Sonntag, 10. Februar 2013

Peter Doherty, Paris, 05/02/2013



Konzert: Peter Doherty
Ort: La Maroquinerie, Paris
Datum: 05.02.2013
Zuschauer: ausverkauft, etwa 450-500
Konzertdauer: 75 Minuten


Ist Pete Doherty einer der letzten Rock'n Roller?




Es scheint fast so. Selbt in der Indie-Szene ist man heutzutage umzingelt von formatierten Bands mit Streberlook, straff kalkulierten Karriereplänen und Bausparvertag. Man gucke sich nur die braven Jünglinge von Vampire Weekend an. Oder James Blake. Oder Grizzly Bear. Alles Schwiegermütters Lieblinge. Doherty ist hingegen der Liebling der Enkelin (aber auch der Liebling aller Spießer, die davon träumen, auch einmal so wild und ungezügelt zu leben).

Vielleicht erklärt sich daher seine Anziehungskraft. Er ist unberechenbar, hält sich an keine Regeln, unterwirft sich nicht den Marktmechanismen der Musikszene.

Ein Künstler kann nur touren, wenn er ein aktuelles  Album zu vermarkten hat? Gilt bei Doherty nicht! Seit 4 Jahren hat er nichts veröffentlicht, dennoch spielt er, wenn er gerade Bock hat und ihn Leute sehen wollen. Und gerade in Paris ist das immer der Fall. 1000 Leute zieht er locker, die beiden schnell ausverkauften Gigs in der 500 Leute fassenden Maroquinerie haben das erneut bewiesen. Dabei war er bereits vor ein paar Wochen erst im Bus Palladium aufgetreten. Bei anderen Musikern würde das ein Risiko darstellen - schließlich sind die Leute schnell übersättigt- , bei Pete hingegen ist das kein Problem.

Ein Musiker muss um 21 Uhr auf der Bühne stehen? Auch das gilt bei Doherty nicht. Er nimmt sich alle Freiheiten der Welt, lässt in schöner Regelmäßigkeit erst einmal völlig unbekannte (und meist schlechte) Vorgruppen auftreten, bevor er erscheint. Bei den letzten Konzerten im Bus Palladium und im Gibus spielte er erst ab 24 Uhr. Wohlgemerkt reden wir hier nicht von einer Verspätung, sondern die Ansetzung sah dies so vor.  Da war es heuer in der Maroquinerie schon früh, Peter war planmäßig um 22 Uhr 30 vorgesehen und mit etwa 20 Minuten Verspätung kam er dann auch eingetrudelt (am Vortag soll er vier Minuten zu früh dagewesen sein!)


Mit Zigarette im Mund, schließlich ist er ein Rockstar alter Schule und die rauchen (und saufen) halt eben. Wir waren nun mal nicht bei Chris Martin. Pete mit Kippe im Mund konnte folglich die erste Minute gar nicht singen, weil er am Glimmstengel ziehen musste und spielte stattdessen erst einmal ein langes Gitarrenintro. Sagenhaft! Jetzt könnte man natürlich sofort sagen: "was sollen die Mätzchen, ist doch eine Frechheit?" Dann würde man aber vergessen, daß wir nun einmal bei einem Konzert von Doherty waren und da gelten eben anderen Regeln. Symptomatisch dafür ist, daß auch das Publikum trotz Verbots immer ungeniert raucht. Und kein Spießer würde sich trauen, die Raucher dafür von der Seite anzupöbeln. Wohlgemerkt, ich bin Nichtraucher, aber ich finde, daß sich die Raucher auch ab und zu mal ausleben müssen. Fast habe ich den Verdacht, daß auch die Security vorher angewiesen wird, Qualmerei nicht zu unterbinden. Christoph hat  beim Konzert von Pulp selbst mitbekommen, daß Tabaksüchtige  normalerweise sofort von bulligen Ordnern gezwungen werden das Ding auszumachen, bei Doherty war das noch nie so.




Und getrunken wird und wurde natürlich auch, wenngleich das Publikum heute sehr reif und diszipliniert war und es keine Besoffenen gab, die wild reingröhlten. "Je veux du Champage -ich möchte Champagner", hatte Pete dann auch etwa in der Mitte des Sets halb scherzhaft gefordert, nachdem er ganz am Anfang witzigerweise (und warum auch immer) die Leute gefragt hatte: "voulez vous de l'eau -möchten sie Wasser?"


In einer Stadt wie Paris, in der es seit etwa zwei Jahren strikt verboten ist, in Parks Alkohol zu konsumieren, ist das eine Wohltat. Wo driftet die Rockszene eigentlich sonst hin? Rauchen und saufen bis die Schwarte kracht, daß gehörte früher zu Punkrockkonzerten wie selbstverständlich dazu, heute muss man da schon nach Wacken fahren, um diesen rauschhaften Genüssen zu frönen. Man muss es ja nicht so wild und animalisch  treiben wie die fiesen Heavys, aber ein paar Gläschen dürften doch drin sein.

Ich selbst rauche nicht und trinke höchstens ein Bier, aber als junger Mensch hätte ich Konzerte gemieden, wo ich mir nicht die Birne zuknallen kann. Rockkultur ist auch gelebter Protest gegen zu strenge Regeln. Irgendwo müssen sich die Youngsters auch mal austoben dürfen, sonst behalten sie bleibende Schäden von ihrer Enthaltsamkeit.

Dass Doherty von seiner Drogensucht bleibende Schäden behält, hoffe ich indess nicht. Es wäre naiv zu glauben, daß er von dem Scheißzeug weg ist, selbst wenn er sich wie heute in toller Form präsentierte. Irgendwer, am besten ein guter Freund, seine Freundin, wer auch immer, müsste ihm helfen, sich ordentlich und langfristig zu therapieren, sonst wird es ein böses Ende geben.


Aber erfreuen wir uns trotz dieses beunruhigenden Hintergundwissens einfach mal daran, daß er heute eine wirklich super Figur abgab. Der Gesang war wunderbar und nicht von den sonst leider üblichen Lallerei durchsetzt, sein Blick klar und aufmerksam und sein sonst so chaotisches und unsicheres Gitarrenspiel sicher und melodisch.

Bei früheren Konzerten ist es desöfteren passiert, daß er Lieder in der Mitte abbrach, weil er den Text oder die Melodie vergessen hatte, oder daß er einen Song anspielte und dann einen ganzen anderen mittendrin hinterherschickte. Heute gab es so etwas zum Glück nicht. Da hatte man fast den Eindruck, er hätte ganz gegen seine Gewohnheiten vorher ein wenig geprobt und sich zumindest im Kopfe eine Setlist zusammengelegt.


Eine Setlist, die im Übrigen wohltuend von früheren Konzerten abwich. In den letzten 24 Monaten hatte ich so langsam aber sicher das Gefühl bekommen, Doherty würde im Stile eines Zirkusmenschen einfach mit seinen alten Libertines-, Babyshambles und Solo-Nummer für Jahre durch die Lande ziehen, immer genau das Gleiche spielen und nie an neuen Stücken arbeiten. Eine Art Dauervermarktung alten Ruhms. Heute aber hörte man neue bzw. selten gespielte Songs und am Vortag soll er sogar sechs nagelneue Tracks präsentiert haben. Einige von ihnen werden es dann auch auf sein zweites Album bringen, daß sogar noch für 2013 erwartet wird. Es geht endlich voran! Und als wäre diese nicht der guten News genug, erwähnte Peter fast beiläufig, daß die Babyshambles bereits am 14. März mit einem neuen Drummer live in Paris spielen werden. Für richtige Fans wie mich, denen es in erster Linie darum geht, daß sich der Künstler Doherty weiterentwickelt und nicht jahrelang auf der Stelle tritt, ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk.

Was hat er also nun so alles gespielt?

Gleich zu Beginn gab es den tollen Song The Whole Word Is Our Playground, der zwar uralt ist, aber selten gespielt wird. Eine spitzenmäßige Nummer, die man am besten ein bißchen aufpoliert und aus neue Album packt, schließlich passiert es häufig, daß auch alte Songs auf aktuellen Alben erscheinen und zwar bei allen Musikern und Bands.
 
Dann kam For Lovers, der Song den er zusammen mit Wolfman geschrieben hatte, bevor Don't Look Back Into The Sun (seinem Pariser Nachbarn Renée gewidmet, der im Publikum war) für deutlich mehr Dampf und Mitsingerei sorgte. Gut vorgetragen wie heute, haben diese alten Libertines Lieder nichts von ihrer Faszination verloren, es sind wirklich Evergreens. Das galt auch für das poetische Music When The Lights Go out etwas später, das Doherty oft und gerne spielt, aber nie so gut wie an jenem 5. Februar. "Is it cruel or kind not to speak my mind, and to lie to you rather than hurt you?" Das war so schön und berührend, daß es mir eine kleine Gänsehaut über den Rücken jagte (ich alter Romantiker).



Vorher hatte ein spitzenmäßiges Cover in der Form des Sandie Shaw Songs Always Something There To Remind Me für blendende Stimmung gesorgt. Noch besser war sie allerdings bei What Katie Did, da sangen alle aus voller Kehle den Schubschubdilalila-Singalong mit.

Höhepunkt des Sets (vor den Zugaben) dann aber ganz klar Down For The Outing, eine unwiderstehliche Pfeifnummer, die auf nahezu geniale Weise zwischen Euphorie und Melancholie hin und her wippte.

Spitze auch das nachfolgende Gambling Man mit einer gewissen Prise Country Feeling und ebenfalls ganz großartig die abgewandelte Version mit herrlichen Tempowechseln von The Good Old Day ("if you've lost your faith in love and music then the end won't be long").

Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, daß das Konzert mit mindestens der Note "gut" einzustufen war. Aber es war noch nicht ganz vorbei und die letzten 35 Minuten hatten es auch noch in sich.





Jetzt las er aber erst einmal in Landessprache einen langen französischen Fanbrief vor, bevor er das Schriftstück zur Seite legte und ganz lässig verkündete: "Incidentally Babyshambles are getting back together avec un nouvel batteur. We play at Bus Palladium in Paris march 14th!

Sprachs, griff sich unter dem Johlen der Zuschauer seine Gitarre und schmetterte mit viel Pfeffer What A Waster, den alten Libertines Song.




Drei Lieder später hatte dann die blutjunge Französin Melody Says einen Gastauftritt bei Sheepskin Tearway und blies mit der Kraft von 10 Pferden (hatte sie Lasagne von Fundus konsumiert?) in ihre Mundharmonika. Ihre Stimme war weniger beindruckend, aber für sie war das mit Sicherheit einer der aufregendsten Tage ihres Lebens.




Es folgte eine super sentimentale Version von Back From The Dead mit einer Gitarre, die wie ein Bass klang und einem Drummer, der sich ganz plötzlich hinzugesellt hatte. Nun wurde aus dem Liederabend ein fetziges Rockkonzert, das gewaltig aufrüttelte. Die Stimmung war ab jetzt deutlich ausgelassener und auch chaotischer, was aber nicht zu einem wilden Freejam führte. Doherty blieb trotzdem konzentriert und spielte am Ende das Zigeunerlied Ballad of Grimaldi, eine Schunkelnummer, erst sentimental, im zweiten Teil aber irre schnell mit wild rumhüpfenden Tänzerinnen und unfassbar schrammeligen Gitarren. Ein hammermäßiger Abgang!




Das schnellste Lied des offiziellen Sets, das auch einen Vorgeschmack auf die unglaublich rockige, bzw.punkige  Zugabe in der Form von Pipedown von den Babyshambles gab. Eine richtige Band (wer das genau war? keine Ahnung, ist aber auch egal!) war hinzugestoßen und nun wurde Vollgas gegeben. Peter hatte sein Jacket ausgezogen und auch der Hut war weg. Er war so aufgepeitscht, daß er ins Publikum sprang. Die Ordner hatten viel Mühe, den großgewachsenen Briten wieder auf die Bühne zu ziehen, was den Musiker nicht daran hinderte, nach dem Beatles Cover* Twist And Shout erneut in die Menge zu hüpfen. Er hatte wirklich wahnsinnig viel Spaß an der Sache, grinste über beide Ohren und verließ dann nach 75 vorzüglichen Minuten schweißgebadet die Bühne.




Endlich einmal hatte Peter wieder sein großes Potential voll ausgeschöpft. Bleibt zu hoffen, daß er dieses Niveau halten kann. Leider ist das alles andere als selbstveständlich, denn man darf bei aller Euphorie nicht vergessen, daß er nach wie vor abhängig ist und Abstürze somit vorprogrammiert sind.

Aber verdängen wir dies heute mal und attestieren dem sympathischen Chaoten ein absolut denkwürdiges Konzert!

Konzert Peter Doherty, La Maroquinerie, 05/02/2013

01: The Whole World Is Our Playground
02: For Lovers (Wolfman)
03: Don't Look Back Into The Sun (The Libertines)
04: The Last Of The English Roses
05: Always Something There To Remind Me (Sandie Shaw)
06: Music When The Lights Go Out (The Libertines)
07: What Katie Did (Babyshambles)
08: Down For The Outing
09: Gambling Man
10: The Good Old Days (The Libertines)
11: What A Waster (The Libertines
12: Love Reign O'er Me (Babyshambles)
13: Cell Ceiling Blues (Nothing Comes To Nothing)
14: Sheepskin Tearaway (mit Melody Says)
15: Back From The Dead (Babyshambles)
16: Arcady
17: The Ballad Of Grimaldi

18: Pipedown (Babyshambles)
19: Twist And Shout (Top Notes, Isley Brothers, The Beatles)

*cool bleiben, ich weiß, daß das Original von den Top Notes stammt und die Isley Brothers den Song vor den Beatles gecovert hatten.






7 Kommentare :

Gudrun hat gesagt…

Schöner Bericht Oliver! Und gut dass du hingehst und berichtest , denn ich weiß nun dass das nix für mich ist. Mit Rauchern teile ich mir kein Venue da kann die Musik noch so gut sein. Und wenn betrunkene anfangen mich so anzurempeln dass ich fast umfalle kann da die Musik auch nicht raushauen. War auch schon in meiner ersten Jugend so und ist damit keine Frage des Alters.

Oliver Peel hat gesagt…

Nein, nein, es gab hier definitiv keine Betrunkenen, die andere anrempeln, es war ganz friedlich. Ganz im Gegensatz zu dem Pitchfork Festival in Paris, wo schnöselige amerikanische Hipster einen angerempelt haben, ohne sich zu entschuldigen.

Un die Mehrzahl der Leute haben natürlich nicht geraucht, vor allem nicht in meiner Ecke. Aber ich fand das wie geschildert ok, daß ein paar Leute gequalmt haben.

Unknown hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Unknown hat gesagt…

Peter ist tatsächlich wieder in Form!
Ich habe ihn am Vorabend gesehen. So konzentriert habe ich ihn noch selten erlebt. Vielleicht ging dadurch etwas von seiner Spontaneität verloren, aber dafür war es musikalisch umso besser. Montag hat er leider nicht mit der Band gespielt aber dafür waren einige neue Songs im Programm. War nach 4 Jahren auch mal nötig. Ich hoffe jetzt veröffentlicht er bald auch was Neues, Solo oder mit den Babyshambles.
Cooler Blog übrigens und dieser Artikel ist besonders gelungen.
Und heute abend Paul Banks im Alhambra!


E. hat gesagt…

schöne fotos.

Anonym hat gesagt…

Danke für den tollen Bericht. Ich freue mich riesig endlich mal was über seine Entwicklung zu lesen, d.h. wie es mit ihm Konzerttechnisch weiter geht ;) Danke, ich wünschte, ich wäre dabei gewesen.
Sag mal, wer sind die beiden Frauen auf dem allerersten Foto? Ist das rechts seine Schwester?

Oliver Peel hat gesagt…

Bitte sehr. Peter hat in letzter Zeit so einige tolle neue Songs geschrieben, auch für die Babyshambles. Wird hoffentlich noch 2013 auf Tonträger gebannt. Die beiden Damen sind Katia (links, die Brünette, sie filmt seit Jahren einen Dokumentarfilm über Peter) und seine Tänzerin Octavie, eine Französin, rechts.

 

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