Konzert: Sophia Ort: Theater, Die Wohngemeinschaft, Köln Datum: 28.12.2011 Zuschauer: gut 50 Dauer: gut 105 min
"Du wolltest eigentlich zu der Show am Freitag. Da war ich krank, meine Stimme klang komisch. Du hast nichts verpasst." Ich glaubte kein Wort von dem, was Sophia Mann Robin Proper-Sheppard nach dem Konzert am Merchstand sagte. Auch angeschlagen soll das intime Weihnachtskonzert vergangenen Freitag im Theatersaal der Kneipe Die Wohngemeinschaft ein großes Vergnügen gewesen sein. Ich war damals (haha) zu langsam, stand aber offenbar auf einer Warteliste, die lang genug war, daß sie einen zweiten Konzertabend rechtfertigte, und kam so in den Genuß eines neuen letzten Konzerts des Jahres.
Die Wohngemeinschaft ist eine hippe Kölner Kneipe, eingerichtet wie eine ihrer Namensgeberinnen. Als Highlight steht in einem der Räume ein alter VW Bus, den man als Sitzecke nutzt. Daß zur Wohngemeinschaft ein Theatersaal gehört, war mir neu. Von Konzerten da hatte ich bisher nichts mitbekommen. "Theatersaal" ist allerdings auch nicht ganz richtig. Durch ein Treppenhaus gelangt man in einen bestuhlten Raum im Nachbargebäude, dessen kleine Bühne mit einem Klavier und allerlei 50 Jahre Mobiliar bestückt war.
Kurz nach neun begann Robin Proper-Sheppard seine Show. Um Viertel nach neun verließen die ersten beiden Zuschauer bereits wieder den Saal. "Das waren wohl die beiden Gewinner bei Facebook." Der Rest blieb und sollte das auch nicht bereuen. Das war aber auch nicht sonderlich schwer, schließlich war der Abend "invite only"; Karten gab es nur direkt beim Künstler, die Nähe des Publikums zur Musik war also vorhanden.
Robin hatte im Vorfeld auch dazu aufgefordert, Musikwünsche einzuschicken. Spielte er einen davon, kündigte er dies an. "Das hat sich Natascha gewünscht", "das ist für Kathrin."
Wie sich das für Wunschkonzerte gehört, war das Programm (sicher) ungewöhnlich. Ich hatte Sophia vorher erst einmal gesehen (und war damit neben den beiden Facebook Gewinnern, die hoffentlich anderswo einen schönen Abend hatten, einer der Amateure im Saal), weiß daher nicht, wie gewöhnliche Sophia Konzerte aussehen. Die Setlist umfasste Songs querbeet aus Robins Katalog. Viele dieser Stücke erscheinen demnächst in akustischer Form auf einer Doppel-CD "at home with Sophia - the acoustic sessions", die Robin im Anschluß verkaufte. Bei der Neu-Aufnahme des River Songs für dieses Album sei er im Studio gefragt worden, was denn an dieser Version akustisch sei, es seien dabei ja laute Gitarren beteiligt. "Zehn oder zwölf, aber alles akustische!" Auch in der Wohngemeinschaft wurde es dabei etwas lauter. Dies war aber die Ausnahme. Nur Every day und bei If a change is gonna come verließ der Sänger kurz den sehr ruhigen Grundton des Abends.
Auch wenn es selten krachig wurde, war das Konzert nie langweilig. Auch über fast zwei Stunden fesselte mich das Programm des Sängers, und da schien ich wirklich nicht die Ausnahme zu sein. Einzig die Lichtspiele, die die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos erzeugten, lenkten ab und an etwas ab. Damit hatte es sich aber auch mit den Effekten. Die benötigen Sophia und Robin nämlich auch nicht.
Setlist Sophia, Die Wohngemeinschaft, Köln:
01: Desert Song No. 2 02: Pace 03: Swept back 04: If only 05: Ship in the sand 06: Something 07: A last dance (to sad eyes) 08: Fool 09: Another friend 10: Every day 11: If a change is gonna come 12: Oh my love 13: So slow 14: Lost (she believed in angels) 15: When you're sad 16: I can't believe the things I can't believe 17: Directionless
18: River Song (Z) 19: Jealous guy (John Lennon Cover) (Z) 20: Another trauma (Z)
Konzerte: Farewell Poetry Orte: Le Ciné 104 (Pantin), Eglise Saint-Merry (Paris), Café de la Danse (Paris) Daten: 18.06.2011 & 30.09.2011 & 5.12.2011 Zuschauer: jeweils reges Publikumsinteresse, am vollsten war es in der Kirche Saint-Merry
Chronique en français en bas de l'article!
Das Jahr ist schon fast wieder zu Ende und ich habe sträflicherwiese noch kein einziges Wort zu den drei granatenhaft tollen Konzerten der Pariser Postrockband Farewell Poetry* verloren.Das gehört an dieser Stelle nachgeholt!
Wie ihr alle (alle, ja?!) wisst, bespielten Farewell Poetry bereits am 21. September 2010 mein Wohnzimmer und begeisterten mit einer traumversunkenen Ambientversion ihrer cinematografischen Stücke.
Angesichts ihres kometenhaften Aufstiegs 2011 darf man diese sensationelle Oliver Peel Session (auf dem Foto die Familie von Jayne Amara Ross) gut und gerne als Kult bezeichnen (ich klopfe mir gerade selbst auf die Schulter, hach tut das gut!). Nun aber werden sie von einem Millionpublikum (ok, ich übertreibe etwas) entdeckt und das ist auch gut so. Ihre Auftritte waren samt und sonders etwas ganz Besonderes und auf Grund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen hatte jeder einzelne dieser drei Gigs seinen eigenen Charme.
Wo sie spielten?
Im Ciné 104 beim Festival Coté Courte Court2011
Ein Kinofestival wohlgemerkt, was daran lag, daß die junge Franko-Australierin Jayne Amara Ross, eine der Hauptfiguren bei Farewell Poetry, hochangesehene Filmemacherin ist und im Bereich Kurzfilm ein Podium bei dieser renommierten Veranstaltung geboten bekam. Zum zweiten Mal in Folge im Übrigen. Ein Beleg dafür, wie hoch sie gehandelt wird in diesen mir recht fremden Kinokreisen. Ihre Kunst, die sie auf schwarz-weiße Super 8-Filme bannt, ist schwermütig, pechschwarz, in gewisser Weise abstoßend, fast schockierend (ich denke da an eine Szene, in der ein Penner auf offener Straße eine überreife Frucht hinunterwürgt, sich den ganzen langen weißen Bart besudelt und davon von einem kleinen Mädchen beobachtet wird), aber überaus faszinierend und elektrisierend. Mit ihren projezierten Bildern und ihrem hocherotischen Sprechgesang raubte sie mir fast den Atem. Die Band spielte den Soundtrack zu den Filmen praktischerweise gleich mit ein und die Sogwirkung der Bilder war geradezu magisch. Ein Hammer, ein absoluter!
Setlist Farewell Ciné 104, Festival Côté Court 2011:
01: The Golden House: For Him I Sought The Woods 02: Persephone, A Soft Corpse Comfort 03: As True As Troilus
Die Show in der prall gefüllten Kirche Saint-Merry in der Nähe des Centre Pompidou, war ein episches Erlebnis. Bei Kerzenlicht ließen die zahlreichen Musiker von Farewell Poetry (darunter Gaststars wie Christelle Lassort (Geige), Mina Tindle, Lidwine, The Rodeo, Gaspar Claus (Cello) etc.) sphärische Klänge durch die weiten, hohen Räume schweben und verdichteten die knisternde Atmospähre durch ihren dramatischen und sich ständig steigernden Sound. Auch hier gab es Videos und besonders The Golden House: For Him I Sought The Woods ging mir durch Mark und Bein. Ein wenig makaber, daß man mit ansehen musste, wie eine kleine weiße Ratte von einer Würgeschlange verschlungen wurde, aber die Kraft der Bilder war einfach immens hoch. Bis heute rätsele ich darüber, was der Mann, der wie im Wahn über die verwaisten Bahngleise wankt, in seinem Paket auf dem Rücken trägt. Einen Kadaver?
Setlist Farwell Poetry, Eglise Saint-Mérry, Paris (Les Rendez-Vous Contemporains de Saint-Mérry)
Partie I
01: All In The Full, Indomitable Light Of Hope
02: April: In The Thawing Ruck
03: The Golden House: For Him I Sought The Woods
Partie II
01: For Death Holds A Soft Heart Also
02: Persephone, A Soft Corpse Comfort
03: As True As Troilus
Im Café de la Danse:
Unreal! Diese Vokabel bezog sich leider auch auf meinen Zustand, denn ich hatte in der Nacht davor keine einzige Sekunde geschlafen! Schuld daran war unser Umzug innnerhalb von Paris. Um 8 Uhr morgens am 5. Dezmber standen die Möbelpacker vor der Tür und ich war immer noch nicht mit meinen verfluchten Kisten fertig. Ich hätte fast'ne Meise bekommen, war fix und fertig und reif für meinen ersten Herzinfarkt!! Irgendwie rappelte ich mich dann aber abends, bereits in der nageleuen, mit Kisten zugestellten Wohnung auf, goß einen fiesen Red Bull meine Kehle runter und pilgerte zum Konzert. Mein Zustand war jenseits von Gut und Böse, aber ich hielt trotzdem durch, schoss Fotos und wurde mit einem abermals gigantischen, dieses Mal rockigeren Konzert beglückt. Wow! In jeder Hisicht unvergesslich!
01: The Golden House: For Him I Sought The Woods 02: Penelope On The Boredom Bridge (inédit, neu) 03: Ass In The Fall, Indomitable Light Of Hope 04: As True As Troilus
Pour nos lecteurs français:
L'année 2011 est presque terminé et j'ai même pas parlé un mot des trois concerts épiques d'un des groupes de l'année, Farewell Poetry! Voilà, avec ceci c'est chose faite!
Comme vous le savez tous (?!!), les Farewell Poetry avaient déjà joué une fabuleuse Oliver Peel Session le 21. Septembre 2010 et ravi tous les chanceux spectateurs par une version "ambiente" et en duo (Jayne Amara Ross, Frédéric D. Oberland) de leur morceaux cinématographiques et poétiques.
Vu leur fulgurante ascension 2011 on peut sans exagération parler d'une Session culte en petit comité. Désormais ils sont en train d'être découvert par un public beaucoup plus large et c'est formidable. Leurs prestations avaient toutes quelque chose de vraiment spécial et à cause du cadre changeant, chacun de ces concerts avait son propre charme.
Où ont-ils joués?
Au Ciné 104 lors du Festival Côte Court 2011:
Nous parlons d'un festival de cinéma bien entendu! Ceci s'explique par le fait que la jeune franco-australienne Jayne Amara Ross, une des têtes pensantes de Farewell Poerty, est une cinéaste très douée et remarquée. Comme déjà en 2010 les organisateurs proposaient à Jayne et Farewell de se produire lors de ce prestigieux festival, ce qui prouve le statut de Jayne dans ces cercles. Son art, qu'elle affiche sur des films noir et blanc super 8 est sombre, d'une noirceur presque totale et parfois choquante, mais toujours passionnant et excitant. Avec ses images projetées et son chant ultra sensuel elle me coupa presque le souffle! Le groupe joua la bande son du film en live et le mariage entre les images et la musique était absolument bouleversant. Une véritable gifle! La grosse claque!
à l'Eglise Saint-Mérry:
Le concert à l'église Saint- Mérry tout près du Centre Pompidou était un évènement fantastique. Sous la lumière atmisée des bougies, les nombreux musiciens (dont des guests précieux comme Gaspar Claus (violoncelle), Christelle Lassort (violon) ont dispersé des sons atmosphériques, denses et dramatiques et envouté tout le monde. Ici aussi il y avait des vidéos et la force des images (un serpent qui dévore un rat blanc p.ex.) fut immense. Depuis je me demande tout le temps ce que le mec, qui déambulait sur les rails, portait sur son dos? Un cadavre?
Au Café de la Danse:
Irréel! Le concert et mon état. N'ayant pas dormi la veille à cause de notre déménagement, je me sentais ultra bizarre ce soir-là. Mais ma résistance fut récompensée par un concert de toute beauté et un son plus rock et direct cette fois-ci. A noter également un génial nouveau morceau: Penelope On The Boredom Bridge, mélancolique et ensorcelant, joué au banjo par Frédéric D. Oberland (à écouter ici).
Trois concerts immenses, époustouflants et immanquables donc, qui ont énormément embelli mon année musicale 2011 et que je ne risque pas d'oublier d'aussi tôt!!
Text wird bei Gelegenheit noch ergänzt/chronique plus détaillée à venir! Et puis il y aura aussi les vidéos du Hiboo.com à admirer bientôt...
Alles so schön bunt hier: Coldplay in der Frankfurter Festhalle von Ursula von neulich als ich dachte
Coldplay und ich haben eine etwas holprige gemeinsame Vergangenheit. Erstmals aufmerksam wurde ich auf Band zu "Yellow"-Zeiten, und damals hatte ich den Eindruck, dass man versuchte, die Lücke zu schließen, die Radiohead mit ihrer Abkehr von "einfacher" Musik hinterlassen hatten. Die ersten beiden Alben gefielen mir sehr gut, dann wurde ich mit dem dritten vergrault und legte die Band irgendwo unter "belangloser Stadionpop" ab. In den letzten Jahren kamen dann aber wieder ein gutes Album, außerdem überzeugte mich Chris Martins schmerzfreier Gastauftritt in der britischen Serie Extras davon, dass er wahrscheinlich ein Netter ist. Doch dann kam das aktuelle Album, mit dem ich ganz und gar nicht warm werden kann. Die im Fernsehen übertragenen diesjährigen Glastonbury- und Rock-am-Ring-Auftritte waren dann wiederum ganz schön.
Was konnte man also von einem Konzertbesuch erwarten? Ich war gespannt und suchte zum ersten Mal seit mindestens fünf Jahren die Frankfurter Festhalle auf. Dass sie an diesem Abend ausverkauft war, machte den Unterschied zu sonstigen Konzerten in diesem Jahr, die doch meistens in sehr kleinem Rahmen stattfanden, noch riesiger. Wann war ich überhaupt das letzte Mal bei etwas derart Überfülltem gewesen? Bei der Depeche Mode-Tournee 2001?
Bei der Festival-artigen Einlass- und Taschenkontrolle wurde mir ein Armband übergeben und lediglich gesagt, ich solle es anziehen. Ich sah, dass es verschiedene Farben gab, und vermutete, dass die Armbänder weitere Einlassstufen beschleunigen würden (also eine Farbe für den Innenraum, eine für den ersten Rang und so weiter). Erst etwas später sah ich mir das Ding etwas genauer an, stellte fest, dass es eine Batterie enthalten musste, und befand es für zu hochwertig, um ein einfaches Einlassbändchen zu sein. Das ganze Thema beschäftigte mich aber nicht weiter, denn zunächst galt es, unter 13499 Personen die drei zu finden, mit denen ich verabredet war (und die dank Parkplatzsuche über eine Stunde nach mir eintrafen). Während der Warterei verpasste ich den größten Teil von Emili Sandes Auftritt, aber die letzten drei Lieder machten nicht den Eindruck, als hätte man viel versäumt.
Dadurch, dass wir erst relativ spät in den Innenraum der Halle kamen, konnten wir leider nicht mehr allzu weit nach vorne. Immerhin fanden wir Seitenstehplätze, von denen aus wir, bevor Coldplay auf die Bühne kamen, noch das Szenario beobachten konnten: Auf der Bühne selbst befanden sich eine Art bunte Fahrrad-Traumfänger-Hybride vor einem Graffiti-besprühten Hintergrund, von ihr weg führte ein langer Steg auf eine "Nebenbühne" mitten im Zuschauerraum. Hinter der Bühne und in der Mitte der Halle waren insgesamt drei riesige, runde Projektionsflächen angebracht, so dass zumindest so jeder einen Blick auf die Band erhaschen konnte. Zudem waren die restlichen Bühnenaufbauten und Instrumente - bis hin zu Chris Martins Klavier! - mit neonfarbenen Anstrichen versehen.
Zum Intrumental-Opener "Mylo Xyloto" betrat die Band die Bühne, und beim nachfolgenden Lied "Hurts Like Heaven" wurde der Sinn der verteilten Armbändchen klar: Diese blinkten nun ferngesteuert, rhythmisch und in verschiedenen Farben in der ganzen Halle! Der Effekt war ebenso überraschend wie schön, zumal man als Zuschauer ja gewissermaßen aktiv an ihm teilhatte.*
Und kaum hatte man diesen einmaligen Eindruck verarbeitet, ging es sofort mit dem alten Hit "Yellow" weiter, und dieses Mal wurden vom Bühnenrand riesige bunte Luftballons von beiden Seiten ins Publikum geworfen. Und während ich noch überlegte, was wohl nach dem Lied mit den Ballons passieren würde (man kann sie ja schlecht wieder einsammeln), begann schon als nächstes "In My Place", und nun wurden bei jedem Refrain, während Martin erstmalig den Steg Richtung Publikum ausprobierte, aus Kanonen Tausende und Abertausende Papierschmetterlingen in die Luft geschossen - und ich werde nie erfahren, was mit den Ballons passiert ist.**
Während dieses gigantischen und auch wirklich schönen Special Effect-Feuerwerks dachte ich noch, dass man hier für den exorbitant teuren Kartenpreis von 75 Euro ja einiges geboten bekam. Aber leider schien es danach fast so, als sei das Pulver nun verschossen. Das klingt überaus gemein, denn ich denke, jedes weitere Lied hatte eine spezielle Lichtchoreographie, der Steg und die "Alternativbühne" im Publikum wurden ausgiebig genutzt und es wurde wirklich einiges geboten - aber an die Effekte der ersten drei Lieder kam das alles leider nicht heran. Und das nur, weil man uns vorher so geflashed hatte.
Das Set setzte sich aus den Highlights der fünf veröffentlichten Alben zusammen, berücksichtigte "Parachutes" und "X and Y" aber nur mit jeweils einem Titel. Auf Single-Hits wie "Shiver", "Trouble" und "Speed of Sound" und Konzert-Standards wie "Everything's not lost" musste man dieses Mal verzichten. Auch die Songs des aktuellen Albums "Mylo Xyloto" klangen live gar nicht übel, was vielleicht daran lag, dass auf "Princess of China" und vier weitere verzichtet wurde.
"Up in Flames" und "Us against the World" waren die Lieder, die komplett auf der "Nebenbühne" im Publikum - die ich leider praktisch überhaupt nicht sehen konnte, annährend akustisch dargeboten wurden. Auch sonst war Chris viel läuferisch an den Bühnenrändern unterwegs, für langes Reden fehlte ihm dann wohl der Atem.
Grundsätzlich galt für dieses Konzert wie schon für Noel Gallagher vor einigen Wochen, dass die genaue Planung wohl keinen Raum für Spontaneität ließ - schließlich muss die Konfettikanone ja zum richtigen Zeitpunkt losgehen, und so ist die Setliste auf dieser Tournee stets gleich. Wenn man der Band hier etwas vorwerfen kann, dann die kurze Spieldauer: Coldplay spielen wohl nie mehr als 90 Minuten, diesmal sogar war es sogar etwas weniger. Was uns zusätzlich störte, war der sehr echo-haltige Klang in der Halle (zumindest an zwei von uns getesteten Standorten), der einem den Spaß ein wenig vermieste.
Zum letzten Titel des Hauptteils, "Paradise", blinkten noch einmal die Armbändchen, dann kamen nach kurzer Pause die Zugaben. Nach "Clocks" floss das aus meiner Sicht unnötige Cover von "White Christmas" in "Fix you" über, "Every Teardrop is a Waterfall" schloss das Konzert endgültig ab. Das Publikum griff das Konzert-Highlight "Viva la Vida" anschließend nochmals gesanglich auf, die Band ließ sich davon aber wohl nicht beeindrucken.
Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass beim Herausgehen die LED-Armbänder (ähnlich wie die 3-D-Brillen im Kino) wieder eingesammelt werden würden - schließlich enthalten die Dinger Knopfbatterien und stellen somit eine gewisse Umweltbelastung dar. Zumindest an dem von mit benutzten Ausgang war das aber nicht der Fall. Und so habe ich nun mein höchsteigenes Coldplay-LED-Bändchen. Gerade steht die Band in Berlin auf der Bühne, aber mein Bändchen blinkt nicht mit. Ob es vielleicht an Heiligabend angeht, wenn Chris und Gwyneth daheim den Weihnachtsbaum einschalten?
Setlist Coldplay, Festhalle Frankfurt:
01: Mylo Xyloto 02: Hurts Like Heaven 03: Yellow 04: In My Place 05: Major Minus 06: Lost! 07: The Scientist 08: Violet Hill 09: God Put A Smile Upon Your Face 10: Up in Flames 11: Us Against the World 12: Politik 13: Viva La Vida 14: Charlie Brown 15: Paradise
16: Clocks (Z) 17: White Christmas (Z) 18: Fix You (Z) 19: Every Teardrop is a Waterfall (Z)
* Hier noch etwas zu Coldplays Interesse am LED-Bändchen-Hersteller ** Einen Riesenballon sah ich allerdings später auf dem Heimweg in den Händen einer glücklichen Konzertbesucherin.
Konzert: Mirel Wagner Ort: Institut Finnlandais, 75007 Paris Datum: 16.12.11 Zuschauer: viele! volle Hütte! Konzertdauer. etwa eine Stunde
Mazzy Star, Cat Power, Nico, Vashti Bunyan, Marissa Nadler, so viele fantastische Sängerinnen fallen einem ein, wenn man das bezaubernd schöne Debütalbum von Mirel Wagner hört. Aber das Beste ist: die aus Äthiopien stammende Finnin fügt dem Kanon der beindruckendsten wispernden und hauchenden Folksängerinnen ein neues Kapitel, ja gar ein neues kleines Meisterwerk hinzu.
Und live bewies sie im Centre Culturel Finlandais zu Paris, daß sie nicht nur zart und fragil kann, sondern auch über Temperament und Angriffslust verfügt. Natürlich ist sie deshalb keine vor Wut keifende Scout Niblett, aber Mirel erhob ganz im Gegensatz zum durchgängig ruhigen Album doch immer mal wieder ihre Stimme, wurde ab und zu lauter, intensiver. Dennoch überwognen aber die bedächtigen, sehr subtilen und dezenten Momente, in denen man eine Stecknadel hätte fallen hören Das sehr zahlreich erschienene Publikum (200? 300?) verhielt sich vorbildlich leise und lauschte wie gebannt dem neuen Stern am weiblichen Folkhimmel, der so untypisch wirkt. Finninen stellt man sich eben eher blond und hellhäutig vor, denkt nicht in erster Linie an Immigranten aus Afrika. Aber da saß sie nun da, die eher schüchterne, aber dennoch sehr schlagfertige und humorvolle junge Frau und ließ ihre sirenenhafte Stimme und ihre Akustikgitarre sprechen. Sie präsentierte Songs voller Poesie und Direktheit, vordergründig einfach gestrickt, aber mit einer solchen Sogwirkung und mysteriösen Anziehungskraft versehen, daß man nur staunen konnte. Wie schaffte sie das? Die Leute mit solch simplen Mitteln- eine weiche Stimme, ein paar Gitarrenakkorde- so zu fesseln? Mit Liedern, die bis vor ein paar Wochen niemand kannte und die nur Eingeweihten ein Begriff waren? Die Magie der Musik mag man so etwas nennen und es stimmt schon, die Sache hatte in der Tat etwas Magisches. Die Ungekünsteltheit faszinierte, dieser charmant simple Ansatz, diese Authenzität. Man nahm Mirel Waner ihre Gefühle ab, glaubte den Aussagen ihrer knisternd warmen Songs. Es lag eine nebulöse Düsterheit über ihnen, aber deprimierend und ohne Hoffnung waren sie nicht, obwohl die Sängerin selbst schelmisch anmerkte, daß sie kaum "happy Songs" in ihrem Programm habe und sich vieles um den Tod drehe. Der Tod verlor mit den Liedern von Wagner seinen Schrecken, wurde in warme Tücher gewickelt und unschädlich gemacht. "No Death will tear us apart" sang sie bei No Death und es klang fast wie eine Bezugnahme auf den berühmten Joy Division Song Love Will Tear Us Apart. Ein Highlight im Set, das nicht nur zahlreiche Albumtitel bot, sondern auch mit ein paar neuen Liedern garniert war (z.B. Who Am I To Sing A Lovesong?)
Die Zeit ging schnell vorbei (fast wie im Traum, vielleicht hieß deshalb eine wundervolle Nummer Dream?) und sehr bald war sie schon beim letzten Titel angelangt. Als sie den "last song" verkündete ging ein Raunen der Enttäuschung durch die Reihen, was Mirel spitzbübisch mit: Kennt ihr so etws wie ein "Encore", eine Zugabe? konterte. Die gab es dann in der Tat noch und bei Fräulein Wagner wurde auch das fünfminütige von-der-Bühne-Verschwinden ausgelassen. Sie hielt das für überflüssig und merkte an, daß sie Zeit spare, wenn sie auf der Bühne bliebe und somit sogar noch zwei Stücke performen könne.
Gegen 22 Uhr 15 war dann aber wirklich Schluß und nun, ohne die ganzen Leute, konnte ich die interessante Architektur des Gebäudes bewundern. Mir kam sofort in den Sinn, daß das finnische Kulturinstitut wie eine überdimensionale Sauna aussieht. Finnen und die Sauna, alles nur Klischees? Vielleicht. Denn wer hätte schon gedacht, daß die Nordeuropäer auch Rotwein kredenzen? Gut war der im unteren Gebäudeteil ausgeschenkte Rebensaft allerdings nicht, es fehlte ihm sicherlich die Sonne. Das Bier schmeckte jedoch tadellos und die hübsche Blondine, die den Getränkestand schmiss, sah mit ihren schönen blauen Augen ziemlich genauso so aus, wie man sich Frauen in diesen Breitgraden vorstellt...
Wundervolles Konzert!
Setlist Mirel Wagner, Institut Finlandais, Paris (ohne besondere Reihenfolge): The Road Despair Joe No Hands Dream Red The Well To The Bone No Death Who Am I To Sing A Lovesong? Come Away Child
Konzertankündigung First Aid Kit Orte & Daten: siehe unten
First Aid Kit, diese niedlichen schwedischen Schwestern mit den schönen Stimmen und den feinen Harmoniegesängen gehen im Februar 2012 auf Tour durch Westeuropa. Im Gepäck haben sie dann das neue Album The Lion's Roar und nach dem positiven und spielfreudigen Eindruck, den sie kürzlich in Paris hinterlassen haben, dürften die Konzerte gut werden!
Konzerttermine First Aid Kit:
13.02.2012: Prinzenbar, Hamburg 14.02.2012: Gebäude 9, Köln 18.02.2012: Brotfabrik,Frankfurt 19.02.2012: Postbahnhof, Berlin 20.02.2012: Mascotte Club, Zürich 22.02.2012: Point Ephémère, Paris
Konzerte: Flowers From The Man Who Shot Your Cousin & Nick Jaina Orte: L'Escalier Rouge und Tea- party, Paris Daten: 9.& 11.12.11 Zuschauer: 12 bzw. 18
Wohnzimmerkonzerte sind schon was Feines! Solange nicht geklärt ist, ob, wie und wann es mit meinen Oliver Peel Sessions weitergeht, genieße ich es, bei anderen Homeshows dabei zu sein. Zumal wenn das musikalische Programm so gut und die Gastgeber und Gäste so angenehm und liebenswürdig sind wie an jenem Dezemberwochenende in Paris.
Am Freitag, den 9.12., hatte eine nette Französin in ihre absolut urige und originelle Bude geladen. Diese lag im 13. Pariser Arrondissement und war nur durch einen pittoresken Innenhof mit einem schweren Tor und über eine rote Wendeltreppe zu erreichen. Als ich vor Ort eintraf, hatten es sich schon rund ein Dutzend Folkmusikfans in einem loftartigen Raum auf den Sofas und vor dem lodernden Kamin bequem gemacht. Ein amerikanischer Singer/Songwriter aus Portland/Oregan spielte gerade. Sein Name: Nick Jaina. Der Bursche veröffentlicht auf dem glänzenden Label Hush (Laura Gibson, Peter Broderick, Nils Frahm, etc.) und hat eine ganz wunderbare Stimme zu bieten. Ein leicht verrauchtes, sehr eigenwilliges und ausdrucksstarkes Kehlchen, das mich mitunter an Willy Mason, manchmal aber auch an Sam Amidon erinnerte. Ich war auf Anhieb angetan und räkelte mich zu den sanften Klängen auf der Couch. Er trug das Ganze sehr reduziert nur auf seiner (von Morgan Caris geliehenen ) Gitarre vor und trat so bescheiden auf, als sei er nur ein Nachbar, der mal eben ein paar Songs auf der Akustischen kratzt. Aber Hush Records signt nun einmal keine Dilettanten und so war schnell klar, daß hier ein Könner für gerade mal 12 Leute seine Kunst darbot. Irre! Die Songs kannte ich vorher noch nicht, aber sie waren irgendwie alle erlesen. Vor allem textlich kamen sie sehr charmant, sympathisch und selbstironisch rüber (manche reden von Freak-Folk) und gewährten Einblicke in das Seelenleben eines Portländer Mitdreißigers. Nick erzählte auch immer ein paar einleitende Anekdötchen dazu und erlaubte es somit, ihn in kurzer Zeit ein wenig besser kennenzulernen.
Zwei Tage später vertiefte ich meine Begegnung mit Nick Jaina, denn der Bursche mit dem lichten blonden Haar und der intellektuellen Brille spielte auf einem anderen Wohnzimmerkonzert, diesmal bei der aus Vancouver stammenden Kanadierin Stefana Fratila, die selbst Musikerin ist.Er performte unter andererm das feine, autobiografische Lied Days In My Room, das ich auch als Video beigefügt habe und Cincinatti, einen Titel über eine überaus langweilige und unspektakuläre Stadt wie Nick zynisch schnumzelnd anmerkte (woraufhin jemand im Publikum leicht empört anmerkte: "oh, ein Freund von mir kommt daher"). Den SongYou Were So Good To Me hat er im Original mit der famosen Jolie Holland eingespielt, die aber leider heute nicht in Paris unter den Gästen weilte.
Insgesamt eine tolle Entdeckung, dieser Nick Jaina!
Keine Entdeckung, sondern eine eindrucksvolle Bestätigung meines sehr positiven Bildes waren die beiden Hauskonzerte von Morgan Caris aka Flowers From The Man Who Shot Your Cousin. Der Franzose, der lange Zeit in Vancouver gelebt hat, und akzentfrei englisch spricht und singt, verfügt über eine der schönsten Stimmen weit und breit. Sein Gesang ist unbeschreiblich warm, sanft und berührend und es ist eine riesige Ungerechtigkeit, daß er nicht viel bekannter ist. Er hat nämlich alles in die Wagschale zu werfen, was es braucht, um zu begeistern. Neben der sensationellen Stimme sind seine Songwritingkünste sehr zu loben und fantastische Lieder hat der ungemein bescheidene Bursche in Hülle und Fülle zu bieten. Girls ist eine der Perlen, die er zwar bei der Escalier Rouge Session versemmelte, bei der Tea-Party dann aber perfekt hinbekam. Und Lay Down Your Arms ist solch ein betörender Seelentröster, das dieser Song allein den Kauf des vorzüglichen ersten Albums Hapless (2006) rechtfertigt. Schade ist allerdings, daß man so unendlich lange auf den Nachfolger warten muss. Morgan hat in der Zwischenzeit so viele glänzende Lieder geschrieben, daß es absolute Verschwendung ist, daß diese noch nicht auf Tonträger gebannt wurden. Father's Day zum Beispiel ist wahnsinnig bewegend, Kitchen Firesebenfalls traumhaft. Wer greift dem Kerl mal unter die Arme, hilft ihm die Lieder in der gebührenden Form aufzunehmen, wer vermarktet ihn? In Morgan Caris ist ein potentieller Star der Indie-und Folkszene verschüttet gegangen und wenn ihn nicht mal jemand aus dem Dornröschenschlaf aufweckt, wird er für den Rest seines Lebens kleine Homeshows spielen. Das würde mich zwar nicht stören, wenn ich denn immer eingeladen würde, aber ich würde mich noch mehr freuen, wenn ihn endlich ein breiteres Publikum entdeckt!
Also, ran an den Speck, hört gefälligst FlowersFrom The Man Who Shot Your Cousin! Empfohlen für Fans von James Yorkston, Smog, Lambchop, Hayden, The National, sprich für Fans guter Musik!
Achso: jeder positiv verrückte Musikfan sollte sich in das Abenteuer "Organisieren von Hauskonzerten" stürzen. Es macht einfach irre viel Spaß und die magischen Momente sind unbezahlbar! Bei der Tea-Party beispielsweise saßen 10 Leute auf dem Bett , um den Konzerten zu lauschen, viel mehr Platz gab es ansonsten nicht. Toll und saugemütlich!
Setlist Nick Jaina, Tea-Party, Paris:
01: Another Kay Song 02: Days In My Room 03: True Hearts Are As International As War 04: You Were So Good To Me (featuring Jollie Holland im Original) 05: Winding Sheet 06: Cincinatti
Buchlesung und Autogrammstunde: Jarvis Cocker Ort: Rough Trade Store chez agnes b., Paris Datum: 14.12.2011 Zuschauer: 70 vielleicht?
Das Comeback von Pulp scheint Jarvis Cocker anscheinend nicht vollständig auszulasten, so daß ihm noch Zeit für andere Projekte bleibt. Er hat ein Buch mit seinen Lyrics zusammengestellt, daß unter dem Titel Mother, Brother, Lover vertrieben wird.
Zur Lesung von Auszügen dieses Werkes, in dem 66 Texte (meistens von Pulp) zitiert und kommentiert werden, erschien Mister Cocker im Rough Trade Store zu Paris und signte hinterher artig Bücher, ließ sich abknipsen und plauderte ein paar Takte mit seinen Fans. Viele Mädchen standen Schlange, was wieder einmal beweist, daß musizieren etwas Erotisierendes haben muss. Oder finden Frauen Jarvis wirklich sexy? Wenn er z.B. genauso aussehen würde, aber Buchhändler oder Englischlehrer wäre und nie Musik gemacht hätte?
Gut, diese Frage müssen wir hier nicht klären, viel spannender ist ohnehin, ob Jarvis im Jahre 2012 eine Oliver Peel Session spielen wird. Diesbezüglich angebaggert habe ich ihn natürlich und er schien nicht abgeneigt, merkte aber an, daß er mit Pulp noch einige Termine hätte.
Josh T. Pearson hat seinen Bart übrigens auch Gassi geführt und ist mit ihm ebenfalls zu Jarvis gekommen. Die beiden Musiker kannten sich vorher nicht persönlich, kamen aber hinterher ins Gespräch und mussten es erdulden, daß ich geistesgestörter Blogger die beiden permanent abknipste. Josh bekam das Buch von Cocker geschenkt, ich musste dafür blechen. Blogger sind eben arme Hunde...
Konzert: Jozef Van Wissem Ort: Le Batofar, Paris Datum: 08.12.2011
Der in New York lebende Niederländer Jozef van Wissem ist einer jener Künstler, der mit seiner barocken Laute gegen den Strom schwimmt. Aber nicht nur das alte Instrument selbst, sondern Van Wissems ganz persönlicher Einsatz machen die Faszination aus. Der Bursche hat seinen ganz eigenen Sound entwickelt und begeisterte damit unlängst den kultigen Filmemacher und Punkmusiker Jim Jarmush. Die beiden bringen zusammen nächstes Jahr ein neues Album auf den Markt, 2011 markierte allerdings die Geburt des Werkes The Joy That Never Ends, das sich auch in so einigen Jahresbestenlisten wiederfindet (obwohl das Jahr noch nicht um ist...).
Am 8. Dezember fand im Pariser Batofar ein Konzert von Jozef statt, daß ich allerdings umzugsgestresst verpasst habe. Ich hatte aber das Glück, den Musiker kurz nach der Show zu treffen. Bereits vor ein paar Monaten hat er mir in einem sehr spannenden Interview erzählt, auf welche Weise er auf der Laute komponiert, daß ihn traditionelle Rockbands angeödet haben, weil es da immer nur darum ging, welche Frau der Bassist oder Gitarrist nach dem Gig abschleppt (was oft zum Zerbrechen der Band führte) und wie er Jim Jarmush in Brooklyn kennengelernt hat.
Glotzt bitte auch die tollen Videos von Le Cargo. Da werde ich sehr gelobt, nachdem ich den Kontakt hergestellt hatte :)))
Setlist Jozef van Wissem, Le Batofar, Paris:
01: concerning the precise nature of truth 02: thelema 03: our hearts condemn us 04: in him is no sin 05: the great joy 06: he is hanging by his shiny arms his heart an open wound with love 07: the day is coming 08: love is a religion 09: the joy that never ends 10: concerning the beautiful human form after death 11: it is all that is made
Konzert: Smith & Burrows Ort: La Flèche d'or, Paris Datum: 07.12.2011 Zuschauer: etwa 250 Konzertdauer: circa eine Stunde
"Weihnachten und Musik passen nicht zusammen. Ab November ist Radiohören noch tabuer als im restlichen Jahr. Das Gedudel, das uns (bzw. den anderen) dann als weihnachtlich verkauft wird, ist noch deutlich unerträglicher als der gewöhnliche Popabfall und hat wirklich gar nichts mit Musik zu tun. Geht weg, ihr fiesen Para-Musiker und Radiomusikredakteure! Möge eure Weihnachtsgans widerlich tranig schmecken für das alljährliche akustische Waterboarding!" (Zitat Christoph)
Zum Konzert von Smith & Burrows zu gehen, die ihr Weihnachtsalbum Funny Looking Angels präsentieren würden, barg also ein gewisses Kitsch- und Schmalzrisiko, dem ich mich eigentlich nicht aussetzen wollte. Ich tat es dennoch, weil am gleichen Abend First Aid Kit und die famose Liz Green (ich berichtete hier) auf dem Programm standen.
Von den verdammt früh angestzten First Aid Kit sah ich leider nur ein Lied, Liz Green dann komplett und Smith & Burrows schließlich auch in voller Länge. Ich rechne es mir und meiner Toleranz hoch an, daß ich beim Konzert des Editors Sängers und des Ex-Razorlight Schlagzeugers bis zum Ende aushielt. Was die beiden zusammen mit einer apparten Cellistin und ein paar anderen Musikern (darunter ein Trompeter) kredenzten, war nämlich an Schmalz-und Kitsch schwerlich zu überbieten. Es triefte aus allen Ecken! Dabei hatte es eigentlich nicht übel begonnen. Mit dem üblichen Knautschgesicht und seinem unnachahmlichen Dackelblick intonierte Tom Smith das Black Cover Wonderful Live und ließ mich irrigerweise glauben, daß man hier und heute ein feines, reduziertes Konzert hören würde, bei dem der Editors typische Pathos und Bombast weggelassen und stattdessen auf filigranere Töne gesetzt wird. Auch die Akustikversion von Pappilon ging mir noch gut ins Ohr und The Weight Of The World war ebenfalls brauchbar.
Im Verlaufe des Konzertes, bei dem auch Andy Burrows singen durfte (If I Had A Heart, America, Before I Fall To Pieces) wurde es aber immer gezuckerter und schmalztriefender. Freilich, die Arrangements waren wirklich gelungen und sehr harmonisch, das Cellospiel gefühlvoll, die Pianoparts gediegen. Aber irgendwann wurde der Bogen einfach überspannt. Zuviel Herzschmerz, zuviel weihnachtliche Gefühlsduseligkeit, zu viele "ohs" und "ahs" stießen mir am Ende übel auf. Spätestens als die beiden Burschen dann auch noch weiße Engelsflügel auf ihre Rücken banden, war die Grenze zur Seichtheit weit überschritten. Und wer hatte eigentlich Bock auf das Yazoo Cover Only You? Das Original war doch schon scheiße!
Ich hätte mir Smith & Burrows gut bei "Wetten daß?" vorstellen können. Sülzige, glattgeschmirgelte Unterhaltung für die ganze Familie. Nein, das war wirklich nix für mich! Da höre ich mir doch lieber die Weihnachts-Songs von Low an, die verstehen was von geschmackvoller adventlicher Berieselung.
Auszug aus der Setlist Smith & Burrow, La Flèche d'or, Paris:
- Wonderful Live (Black Cover) - Papillon (Editors) - The Weight Of The World (Editors) - Only You (Yazoo Cover) - America (Razorlight) - Before I Fall To Pieces (Razorlight) - Half A World Away (REM Cover) - The Christmas Song
Konzert: Björn Kleinhenz, Talking To Turtles, Sir Simon (About Songs Christmas Tour) Ort: Spiegelsaal, Walhalla, Wiesbaden Datum: 13.12.2011 Zuschauer: rund 50 Dauer: gut 110 min
Weihnachten und Musik passen nicht zusammen. Ab November ist Radiohören noch tabuer als im restlichen Jahr*. Das Gedudel, das uns (bzw. den anderen) dann als weihnachtlich verkauft wird, ist noch deutlich unerträglicher als der gewöhnliche Popabfall und hat wirklich gar nichts mit Musik zu tun. Geht weg, ihr fiesen Para-Musiker und Radiomusikredakteure! Möge eure Weihnachtsgans** widerlich tranig schmecken für das alljährliche akustische Waterboarding!
Zur "About Songs Christmas Tour" zu gehen, barg also ein gewisses Kitsch- und Schmalzrisiko, dem ich mich eigentlich nicht aussetzen wollte. Die drei Künstler, die diese Tour gemeinsam bestreiten sollten, ließen meine Neugierde größer als meine Angst werden, ich fuhr also kurzentschlossen nach Wiesbaden.
In der hessischen Kurstadt kenne ich nur den Schlachthof als Konzertort. Der wird allerdings gerade umgebaut, also kam ich in den Genuß, in einen spektakulären mir neuen Veranstaltungsort zu gehen. Das Walhalla scheint ein ehemaliges Theater oder Lichtspielhaus (nicht Kino) zu sein, das heute einen etwas runtergekommenen aber deutlich spürbaren Charme hat und als Kino und Konzert- und Theaterstätte genutzt wird. Der Spiegelsaal mit bröckeligem Stuck und einem eindrucksvollen Kronleuchter bietet eine fabelhafte Kulisse für Konzerte. Der kleine foyerartige Raum war bestuhlt und bot etwa 50 Zuschauern Sitzplätze. Auf der Bühne befand sich zwar allerlei weihnachtlicher Lichterkram (u.a. ein Rentier zweifelhaften Ursprungs), aber das passte durchaus.
Um halb neun betrat der Chef des Hamburger Labels DevilDuck Records ans Mikro und stellte die beteiligten Musiker vor. Jörg Tresp ist Urheber einer About Songs Veranstaltungsreihe und der daraus hervorgegangenen Tourneeidee.
Sir Simon, die Band von Simon Frontzek, der wiederum Keyboarder bei Tomte ist, habe ich noch nicht gesehen. Simon alleine hatte in Köln vor ein paar Jahren das Vorprogramm von British Sea Power bestritten und mir dabei gut gefallen. Heute war Sir Simon aber die Bandversion, gemeinsam mit Laury Reichart, der ein wunderbares Luke und Leia T-Shirt trug. Talking To Turtles haben mich vor einiger Zeit für sich gewonnen, gesehen habe ich das Duo aber noch nicht. Claudia Göhler und Florian Sievers haben 2011 ihr zweites Album veröffentlicht, das enorm charmante, kanadisch klingende Indiepop-Songs enthält. Vervollständigt wurde das Lineup von Björn Kleinhenz, dem in Deutschland geborenen Schweden, der für mich in die Kategorie schwedischer Singer/Songwriter gehört, die ich wahnsinnig schätze (mit Pelle Carlberg und Jens Lekman).
Was macht man dann mit fünf Musikern an einem solchen Abend? Sie spielten gemeinsam, so als wäre nichts natürlicher! Zum ersten Stück (Nine to five) stellte sich Simon ans Mikro, Björn ans Schlagzeug, Laury an die Gitarre, Florian an den Bass und Claudia ans Keyboard. Sänger des zweiten Lieds war Björn, Simon wurde Bassist, Florian spielte Banjo und Laury Schlagzeug. Es folgte Grizzly hugging von Talking To Turtles, bei dem Simon die Drums spielte und Björn den Bass.
Die Bands hatten die Lieder der anderen in drei Tagen einstudiert. Und es ging hier nicht um zwei, drei Stücke, die gemeinsam einzuproben waren. Das Konzert dauerte fast zwei Stunden und enthielt immerhin sieben Songs jedes Künstlers! Von Unsicherheiten war trotzdem so wirklich gar nichts zu spüren. Es war, als spielten die fünf seit Jahren gemeinsam ihr Repertoire - großartig!
Ein einziges Mal gab es eine kleinere Unsicherheit, aber auch die war äußerst charmant. Laury stimmte vor einem (Talking To Turtles) Lied das Gemeinschaftsbanjo. Er wurde und wurde nicht mit dem Klang zufrieden (auch der Gurt des Instruments passte ihm kaum - Björn hatte ihm irgendwann ein Kissen als Polster angeboten). "Die klingen ja nie gut, aber so beschissen..." Bis sich plötzlich Björn Kleinhenz einmischte (wohlgemerkt bei einem ihm fremden Lied): "Laury, brauchst du nicht eher die Klarinette?"
[Wieder einmal Gelegenheit, meinen Lieblings-Musikwitz unterzubringen. "Wie klingt eine Klarinette am besten? Leise knisternd in einem Kaminfeuer!"]
Trotz des vielen Wechselns war es ein Konzert aus einem Guß. Es gab keinerlei Hänger, keine schwächere Phasen. Die meisten Lieder wurden gemeinsam bestritten, ab und zu verließen die "songfremden" Musiker aber auch die Bühne und setzten sich an den Rand oder in die erste Stuhlreihe.
Besonders spannend fand ich heute Talking To Turtles, weil ich gehofft hatte, die Band dieses Jahr live zu erleben. Die Lieder des Duos leben zum einen von den fragil klingenden Stimmen der beiden, zum anderen von den sich steigernden Melodien. Neben Grizzly hugging gefiel mir Monster's teeth besonders gut. Aber auch der Rest war überaus hörenswert!
Sir Simons neue Platte kenne ich noch nicht. Aber auch deren Stücke machten Lust darauf, das zu ändern. Goodnight, dear mind und Birthday, Christmas, New Year waren hier die Höhepunkte! Bei Björn Kleinhenz schließlich begeisterte mich ein alter Liebling besondes: Tredje Långgatan 26 von Quietly happy and deep inside.
Nach knapp vierzig Minuten verabschiedeten sich die Bands in eine kleine Pause. Es sei schließlich ein Theater, in dem sie spielten. Björn kam als erster schnell zurück. "Ich will weiterspielen. Hier ist schließlich eine Bühne."
Diese Spielfreude merkte man in jedem kleinen Stückchen. Auch das Publikum hatte reichlich Spaß! Auch als die drei Zugaben vorbei waren (es endete mit dem grandiosen Cindy Lauper Cover Girls just wanna have fun durch Simon alleine), ließ der Applaus nicht nach und konnte nur durch Musik vom Band gebremst werden.
Geht also doch, Weihnachten und Popmusik zu verbinden. So ganz ohne Mariah Carey oder Chris Rea. Bitte alle Jahre wieder!
Setlist About Songs Christmas Tour, Walhalla, Wiesbaden:
01: Nine to five (Sir Simon) 02: The king of rock'n'roll (Björn Kleinhenz) 03: Grizzly hugging (Talking To Turtles) 04: I am in numbers (Talking To Turtles) 05: Monster's teeth (Talking To Turtles) 06: 16 degrees C (Sir Simon) 07: Goodnight, dear mind... (Sir Simon) 08: Mellow my mind (Neal Young Cover) (Björn Kleinhenz solo) 09: Head held high on fearsome pride (Björn Kleinhenz solo)
[Pause]
10: Starlet Queen (Björn Kleinhenz solo) 11: Can't make my day (Talking To Turtles) 12: Betong (Björn Kleinhenz) 13: The last year (Sir Simon solo) 14: Comfort noise (Sir Simon) 15: Fingers crossed (Talking To Turtles) 16: Wonky cradle (Talking To Turtles) 17: Birthday, Christmas, New Year (Sir Simon) 18: Tredje Långgatan 26 (Björn Kleinhenz)
19: China blue (Björn Kleinhenz solo) (Z) 20: Short stories long (Talking To Turtles solo) (Z) 21: Girls just wanna have fun (Cindy Lauper Cover) (Sir Simon Battle solo) (Z)
Mein Zuhause. Mein Blog. ist als kleines privates Konzert- Tagebuch entstanden. Und weil es zur Zeit musikalisch so spannend ist, wächst unsere Sammlung schnell. Wir schreiben die Berichte spontan, unüberarbeitet und so zeitnah wie möglich. Die Reviews stehen meist noch in der gleichen Nacht online, spätestens jedoch am nächsten Tag. Musik ist für uns vor allem Spaß und keine Wissenschaft.
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