Sonntag, 12. Dezember 2010

Rebekka Karijord & Chris Garneau,Paris, 11.12.10


Konzert: Rebekka Karijord & Chris Garneau

Ort: Le Café de la Danse, Paris

Datum: 11.12.10
Zuschauer: voll (ausverkauft?)

Konzertdauer: 50 traumhafte Minuten, Chris Garneau 90 gräßlich langweilige Minuten



Chris Garnele, ähem, Garneau ist so etwas wie der Andy Möller unter den Sängern. Eine Heulsuse. Sein weinerliches Geseier im Pariser Café de la Danse ging mir tierisch auf die Eier! Die 90 Minuten des Konzertes, in denen er unerbitterlich hinter seinem Piano rumschluchzte, gehörten zum Zähsten und Schwülstigsten, was ich in diesem Konzertjahr gesehen habe. Chris liefert sich in dieser Hinsicht ein Wettrennen mit John Grant, der vor ein paar Monaten im Nouveau Casino auch unfassbar schnulzig war. Fast wäre ich auf dumme Gedanken gekommen und hätte meinen Gürtel auf der Toilette zweckentfremdet. Aber lohnt es sich wirklich, für einen verweichlichten Pianisten zu sterben? Nö,oder? Mein Vater hätte gefragt: "Hat der Kerl überhaupt gedient?" Sicherlich nicht, so peacig wie der drauf war! Vielleicht sollte man es grundsätzlich verbieten, daß Männer Klavier spielen, Gitarren stehen ihnen einfach besser. Haben männliche Pianisten eigentlich nicht schon immer genervt? Ich meine, seien wir doch mal ehrlich. Hat John Lennon etwa nicht das Musikpublikum mit seinem peacigen Käse regelrecht terrorisiert, als er zu Imagine hinter dem Klavier klimperte und süßlich säuselte? Und haben uns Elton John und Billy Joel etwa nicht im Strahl Kotzen lassen, als sie Nikita und Leningrad auf die unschuldige Menschheit losließen? Womit haben wir heutzutage Chris, die Garnele verdient? Was haben wir verbrochen?

Kurzum: das Konzert von Chris Garneau war von der ersten bis zur letzten Minute scheußlich. Etwas Kurzweil gab es nur durch die Streichersektion und die tolle Trompete. Ansonsten Langeweile und Gefühlsduseligkeiten ohne Grenzen. Und dann covert der Kerl am Ende auch noch meinen Helden Elliott Smith. Frechheit. Between The Bars haben Erica Buettner oder Emily Haines viel besser neu interpretiert.

Großartig hingegen der Support Act des heutigen Abends. Rebekka Karijord und ihre Band begeisterten mich restlos und durften sogar fast 50 Minuten spielen. Von diesem brillanten Auftrit möchte ich gerne morgen mehr erzählen...

Nachtrag: Auf Grund des ersten Kommentares auf diesen Bericht muss ich vielleicht noch einmal das Wesentliche deutlicher rausstellen und die Albernheiten einmal außen vor lassen. Natürlich dürfen Männer Klavier spielen, sie dürfen meinetwegen auch nackt drauf tanzen. Auch Rumweinen ist ihnen selbstredend gestattet, ich oute mich ja hier selbst regelmäßig als Heulsuse. Stammleser wissen das. Mit männlichem/weiblichen Rollenverhalten oder Rollenerwartungen hat das nichts zu tun. Das eigentliche Problem lag heute vielmehr darin, daß mir das Auftreten von Chris Garneau nicht als authentisch erschien. Er hat eine Rolle gespielt, die ich ihm in dieser Form nicht abnahm. Deshalb kam auch außer Langeweile emotional nix bei mir rüber. Der Grat zwischen gefühlvollem Spiel und Gefühslduseligkeit/Schwülstigkeit ist oft schmal, heute wurde er überschritten. Schade. Die Kompositionen und Arrangements des neuen Albums El Radio sind nämlich teilweise brillant.

Chris hat aber zumindest immerhin in einer Szene bei mir klar gepunktet. Als das Publikum langanhaltend klatschte, meinte er: "Merci vous êtes gentils- vous êtes bourrés ou quoi?" - "Danke ihr seit nett, seit ihr besoffen oder was?"

Setlist Chris Garneau, Café de la Danse,Paris:

01: Holy Land
02: Hands On The Radio
03: Winter Song # 1
04: Winter Song # 2
05: Pas Grave
06: Relief
07: Castle-Time
08: Dirty Night Clowns
09: No More Pirates
10: Fireflies
11: We Don't Try
12: Over And Over
13: The Cats And Kids
14: Things She Said
15: Pirates Reprise
16: Sugar

17: Sad News
18: October October
19: Baby's Romance

20: Between The Bars (Elliott Smith)

Aber kommen wir doch nun noch einmal auf Rebekka Karijord zu sprechen. Die schwedische Norwegerin (aufgewachsen auf den Lofoten, dann irgendwann mit der Mutter nach Schweden gezogen), hatte mich am Vortag bei einem Showcase im CD Laden Galsrock bereits entzückt und heute spielte sie (fast) die gleichen Titel noch einmal mit einer richtigen Band und einem großen Flügel. An der Gitarre agierte Jacob Snavely von der schwedischen Rockband Dag för Dag und am Schlagzeug ein mir unbekannter Trommler. In dieser Dreierkonstellation klang das Ganze natürlich etwa anders als beim gestrigen Soloauftritt, aber nicht weniger reizvoll. Zwar ging die Reduziertheit zwangsläufig etwas flöten, dafür aber wurde an Oppulenz gewonnen, ohne dadurhc sofort zu bombastisch zu werden. Im Mittelpunkt stand ohnehin Rebekkas einzigartige Stimme. Mit ihrem Goldkhelchen ist die großgewachsene Dame in der Lage, jede einzelne Stimmung auszudrücken. Ob samtweich gehaucht, oder feste geschmettert, immer traf sie stimmlich ins Schwarze. Ihr Timbre ist unvergleichlich sehnsüchtig, flehentlich, aber auch enorm Trost pendend. A propos Trost spendend: in einer der bewegendsten Szenen dieses feinen Konzertes erzählte sie eine kurze Anekdote zu dem Lied Wear It Like A Crown. Ein aus dem Iran stammender Fan war nach einem ihrer Konzerte zu ihr gekommen und hatte ihr erzählt, daß er sich den Text, in dem es um die Bewältigung von Ängsten geht, zu Herzen genommen hat und von nun an seine Angst wie eine Krone tragen wird. Er sei schwul und im Iran herrsche überhaupt keine Toleranz für Homosexuelle, so daß er sich ständig vor Verunglimpfung, Bestrafung oder Verfolgung fürchten müsse. Der Song von Rebekka gebe ihm aber Mut und Hoffnung, besser mit seinen Ängsten umzugehen.

Waer It Like A Crown war dann auch in musikalischer Hinsicht ein Highlight und neben The Modern Art Of Letting Go das beste Lied des Sets. Erwähnung finden muss aber auch das originelle Nirvana Cover, Smells Like Teen Spirit, das manche Zuschauer erst sehr spät erkannten, dann aber voll drauf ansprangen und mitsangen.

Ein sehr stimmungsvolles,
emotionales Konzert, bei dem man auch schön sehen konnte, wie temperamentvoll die Kariijord ist. Hinter dem Flügel hüpfte sie ständig auf ihrem Stühlchen und rannte sogar einmal kurz tanzenderweise über die Bühne, bevor sie ihr Plätzchen zuürckergatterte. Das gab dann auch sofort Standing Ovations. Sehr schön auch ihre Ausflüge an die Harfe. Diese spielte sie nicht wie andere Kolleginnen (Serafina Steer, Joanna Newsom, Gregory and The Hawk) im Sitzen, sondern im Stehen. Ich sagte doch eben, das die Frau Temperament hat und immer in Bewgeung sein muss!

Erstaunlich, daß sie nicht schon viel bekannter ist. Ihrer gewiss nicht schlechten Tour partnerin Ane Brun kann sie allemal das Wasser reichen und Anna Ternheim wirkt neben Rebkka stimmlich sogar recht limitiert.

Also: das neue Album The Noble Art Of Letting Go kaufen!



6 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Ähmm, ist ja alles Geschmackssache, aber kann das sein, dass deine Vorstellung, was ein "Mann" und eine "Frau" sein soll / darf doch sehr stark von deinem Vater geprägt sind? Wäre Chris als Frau durchgegangen? Wäre es ok, weil er schwul ist und deshalb so sein "darf"?

Oliver Peel hat gesagt…

Cool bleiben und mein Augenzwinkern nicht übersehen!

Anonym hat gesagt…

Waerste mal zu Tav Falco im Combustibles gekommen, das war sehr viril und sexy : )

Bises, Uschi

E. hat gesagt…

deinem vater möchte ich aber auch nicht im dunkeln begegnen! vom alten schlag, was?
ich hab chris als sehr bewegt und auch identitätsstark wahrgenommen. aber deine einschätzung ist jederzeit gerechtfertigt, weil sie eine der möglichen interpretationen widergibt. geschlechterfragen spielen da wohl eine untergeordnete rolle.

Oliver Peel hat gesagt…

Vom alten Schlag war er manchmal, ja. In anderen Fällen dann aber wieder das genaue Gegenteil, sehr locker und immer absolut unangepasst. Letztlich in keine Charakter-Schublade zu pressen. Immer unberechenbar.

Christina hat gesagt…

Vielleicht sollte man es grundsätzlich verbieten, daß Männer Klavier spielen, Gitarren stehen ihnen einfach besser.

NEIN. Definitiv nicht.

 

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