Mittwoch, 1. Dezember 2010

Angus & Julia Stone, Paris, 29.11.10


Konzert: Angus & Julia Stone

Ort: La Cigale, Paris

Datum: 29.11.2010

Zuschauer: ausverkauft

Konzertdauer: 90-95 Minuten



Welch ein Kontrast! Am Vortag hundsgemeine, unbeschreiblich laute und saumäßig aggressive Musik beim Konzert der kultigen Amerikaner Swans und heute ungemein nette, teilsweise akustische und peacige Klänge beim Auftritt des charmanten australischen Geschwisterpaars Angus & Julia Stone. "Choisis ton camp" sagen die Franzosen. Entscheide dich für ein Lager, bzw. einen Stil...

Hmm. Keine leichte Entscheidung. Zumal die Swans das aggressive Schwein in mir geweckt haben, das noch irgendwo in mir schlummerte. Mann, war das granatenhaft toll, wie uns die Amis mit ihrer höllisch noisigen Musik beballert haben! Bis an die Schmerzgrenze gingen sie und manchmal auch darüber hinaus. Und wie herrlich böse die Burschen teilweise geguckt haben! Vor allem der tätowierte Gitarrist rechts von der Bühne starrte einen brutal grimmig an, so als wolle er andeuten: "Hey, was willst Du kleiner Scheißer? Wenn du ein paar auf die Fresse willst, dann komm her!" Dabei waren die Swans natürlich in Wirklichkeit nicht so finster wie sie auf der Bühne wirkten. Bandleader Michael Gira ließ sich nach der mörderischen Show am Merch blicken, hatte sanfte blaue Augen, einen Cowboyhut und signierte höflich und zuvorkommend CDs. Man sollte halt nie vergessen, daß Musiker auf der Bühne auch ein wenig (manchmal sogar sehr viel) schauspielern. Darf man nicht mit ihrem wahren Wesen verwechseln.

Wie Angus & Julia Stone wohl privat so drauf sind? Sind die dann auch immer so süßlich nett, schüchtern und sanftmütig wie auf der Bühne? Oder zeigen sie ihre andere Seite, fauchen sich im Tourbus an und beschimpfen den jeweils anderen als blödes Arschloch? Wer weiß, wer weiß...

Nun gut, meine Stellungnahme ist jetzt gefragt. Choisis ton camp. Butter bei die Fisch! Also Angus und Julia gingen mir heute in der Cigale mit ihren permanenten Nettigkeiten und dem schüchtern koketten Lächeln teilweise ein wenig auf die Nerven. Vor allem Julia redete zwischen den Liedern so mädchenhaft süßlich, als sei sie gerade erst zwölf Jahre alt und hätte noch nie über die Strenge gezogen. Ihre Masche zog freilich erwartet gut, denn das Publikum fraß ihr von der ersten bis zur letzten Minute förmlich aus der zarten Hand und fand jede noch so kleine Geste und Mimik umwerfend charmant und entzückend. Eine Frau hinte mir lachte permanent, egal was gesagt oder gemacht wurde (z.B. wenn Angus seine Mundharmonika etwas linkisch zurecht rückte, was war daran so komisch?). Ich fühlte mich bisweilen wie in einem Film von Woody Allen.

Überhaupt das Publikum. Keinen einzigen Menschen kannte ich in dem von über 1000 Mitbürgern bevölkerten Saal. Und wenn ich die Leute nicht kenne, dann gehen die nicht oft auf Konzerte! Kurzum: Angus & Julia Stone ziehen hauptsächlich ein Mainstreampublikum an, das im Jahr vier bis 6 Gigs sieht. Ist ja auch nicht so dramatisch. Störender war hingegen, das ein paar arrogante Snobs unter ihnen waren. Links von mir stand ein Brillenträger, der wie der typische Streber aus der Schule wirkte, der aber jetzt auf dicke Hose macht, weil er seine erste Anstellung in einer renommierten Anwaltskanzlei ergattert hat und vor mir standen zwei Kashmir - Pullover tragende höhere Töchter mit hochnäsigem Blick, die unentwegt schnatterten und mit ihren blöden Iphons spielten. Ich fühlte mich zugegebenermaßen etwas unwohl in dieser angeberhaften Nachbarschaft, war aber zu eingekesselt, um mich woandershin zu stellen. Ich wäre ohnehin neben einem der unzähligen Liebespärchen gelandet, die hier Händchen haltend ihrer romatischen Ader freien Lauf ließen. Fand ich ja schon immer ziemlich scheiße sowas. Mit seiner Freundin aufs Konzert gehen und dann fummelnd und schmachtend auf die Bühne glotzen und warten bis "unser Lied" kommt. Grausam. Genau wie meine Frau hassen wir beide diese ganze Romantikkacke mit Kerzenschein und dem ganzen Kokolores. Seichter Dreck aus den verkitschten Achtzigern, den kein Mensch braucht.

Konsequenterweise war dann heute auch die Bühnendeko auf die Romantikerzielgruppe im Publikum ausgerichtet. Lichterketten, omahafte Lämpchen und dazu gedimmtes Licht.

Aber kommen wir zum Konzert. Vorausgeschickt sei, daß ich kein einziges Lied vorher kannte, ganz im Gegensatz zum Publikum, das bei vielen Songs (oft falsch und schief) mitsang. Ich war aus Neugierde gekommen, wollte wissen, was hinter dem Phänomen der Geschwister Stone steckt, die es schafften, die legendäre und ziemlich große Cigale gleich zwei mal hintereinander auszuverkaufen.

Gründe, die Australier und ihre Musik zu mögen, gab es allerdings durchaus. Da war zunächst Julias hervorragende Stimme. Piepsig, mit jeder Menge Kleinmädchencharme und einem gehörigen Schuß Countryparfüm. Sie klang wie eine junge Dolly Parton,
glücklicherweise aber ohne so gräßlich tussig auszusehen, wie die inzwischen in die Jahre gekommene Dolly. Statt Tussilook mit langen Wimpern und falschen Nägeln, machte Julia auf schickes Hippiegirl. Ihr Fummel (ein weißes Spitzenkleid) stand ihr außerordentlich gut und passte perfekt zu ihrer zarten Erscheinung. Sie ist ein unglaublich hübsches Mädchen, verfügt über einen betörenden Augenaufschlag und ein zauberhaftes Lächeln. Das Gesicht ihres Bruders (er wirkte wie ein junger Reinhold Messner) war hinter dem Bart und den wuscheligen Haaren indessen kaum zu erkennen. Sicherlich hat er auch feine Züge, wenn man den den Wildwuchs auf dem Kopf und im Gesicht einmal freilegen würde.

Außer Angus und Julia agierten auch noch andere Musiker auf der Bühne, aber die fielen mir bis auf die Netzstrumpfhose tragende Geigerin, die hin und wieder zum Einsatz kam, optisch kaum auf. Sie spielten auch nicht bei jedem Lied aktiv mit, denn einige Male gab es rein akustische Vorträge auf der Gitarre von Julia. Dieser Wechsel zwischen reduzierten und stärker instrumentierten Passagen war ohne Frage wunderbar ausgewogen. Ein klarer Pluspunkt dieses Konzerts, das in technischer und musikalischer Hinsicht tadellos war. Alles flutschte und man merkte, daß wir es mit einer eingespielten Truppe und erlesenen Musikern zu tun hatten. Besonders schön fand ich die Passgen, in denen Julia Trompete spielte, das war nicht nur optisch ein Genuß. Doof hingegen das Cover von Didi Hallervorden und Helga Feddersen. Die Wanne ist voll mochte ich schon im Original nicht sonderlich und auf eine englische Neuinterpretierung (Your The One That I Want ) hatte ich auch keinen Bock (lol).



Das Highlight kam für mich (fast) ganz zum Schluß. Bei Does The Love spielte sie zum zweiten (oder dritten?) Mal E-Gitarre und der Songs rockte deshalb fast ein wenig.

Bei der Zugabe Hold On klimperte Julia dann am Klavier und spielte ihre stimmlichen Fertigkeiten voll aus. Zwar mag ich es normalerweise nicht sonderlich, wenn demonstrativ mit der Stimme "show off" betrieben wird, aber sie war gesanglich so sattelfest und gut, daß ihr Hochgehen absolut durchging. Nein mehr noch, sie sang fabelhaft!

Insgesamt ein schönes Konzert, das für mich aber sicherlich an einem ungünstigen Tag stattfand. Wenn man vorher einen Gig von den Swans erlebt hat, wird man zwangsläufig fast alles andere zu nett, zu seicht und zu süßlich empfinden...

Setlist Angus und Julia Stone, La Cigale, Paris, 29.11.2010:

01: Santa Monica
02: Babylon
03: For You
04: Black Crow
05: The One That I Want (Die Wanne ist voll)
06: Just A Boy
07: Private Lawns
08: Big Jet Plane
09: I'm not Yours
10: The milky Way
11: And The boys
12: Yellow Brick Road
13: Does The Love

14: Hold On
15: All Of Me



1 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Grossartiger Bericht!

Ich kann solche Schnoesel-Konzerte auch nicht leiden; ein Grund warum ich nicht auf ein Noah & The Whale-Konzert gehen wuerde.

Und merci beaucoup fuer die Details und Fotos aus Boulogne-Billancourt.

Olivia Newton-John ist ja Australierien, und vielleicht Julia's Idol?

Liebe Gruesse, Uschi aus P.

 

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