Dienstag, 6. März 2012

Wilco, Paris, 05.03.12


Konzert: Wilco

Ort: Le Grand Rex, Paris
Datum: 05.03.2012

Zuschauer: mindestens 2300, nicht ganz ausverkauft
Konzertdauer: Hanne Hukkelberg noch nicht einmal 30 Minuten, Wilco 2 Stunden



Duell der Altherrenbands an diesem kühlen 5. März in Paris! Wilco gegen die Tindersticks. Während die Tindersticks* ihre wunderbaren/einschläfernden Songs im Trianon darboten, rockten Wilco das Grand Rex. Obwohl in anderen Konzertsälen auch noch Soko* und Sleigh Bells anstanden, war für mich klar, daß ich zu der Gruppe aus Chicago musste. Meiner guten Freundin Uschi hatte ich versprochen, pünktlich um halb acht da zu sein. Weil Pünktlichkeit aber nicht zu meinen Stärken zählt, trudelte ich erst gegen 19 Uhr 50 ein. Am Empfang wurde mir dann sofort meine Kamera von den Sicherheitsleuten abgenommen und die stiernackigen Typen nervten im Laufe des Abends auch noch zahlreiche anderen Mitbürgerinnen und Mitbürger, Zuschauerinnen und Zuschauer. Niemand außer den wenigen akkreditierten Fotografen durfte auch nur das kleinste Erinnerungsfoto schießen*, sofort kamen die Gorillas angerannt und schnauzten die Leute an.

Das war aber zunächst nicht das größte Ärgernis, denn es galt erst einmal einen guten Sitzplatz zu ergattern, was auf Grund meiner Verspätung gar nicht so leicht war. Überall saßen die fetten alten Böcke und die biederen verblühten Weiber mit ihren ollen Ärschen auf den butterweich gepolsterten Sesseln und es waren nur noch die unbequemen Klappstühle an den Seiten frei. Ich schnappte mir einen solchen, erntete aber von dem Deppen neben mir nur doofe Blicke. Was wollte der Idiot? Es schien so, als dulde er niemanden neben sich. Ich hielt es ungefähr 10 Minuten nebem diesem Mistkäfer aus, dann suchte ich weiter. In der allerersten Reihe sah ich meinen Kumpel Laurent und neben ihm war noch einer dieser verdammt weichen Sessel frei. Da ließ ich mich nicht zweimal bitten und saß plötzlich wunderbar. Sofort fühlte ich mich deutlich besser und ärgter mich auch nicht mehr darüber, daß ich die wunderbare Norwegerin Hanne Hukkelberg verpasst hatte. Ich mag Laurent sehr gerne und auch die Weiber vorne waren viel hübscher. Besonders am Anblick einer langhaarigen Blondine mit 15 Zentimeter hohen Plateauabsätzen, die nicht allzu weit von mir entfernt rumtanzte, geilte ich mich im Laufe des Konzertes ab und zu schön auf. Zwar kam etwa 20 Minuten später noch Jerome angekrochen, für den mein Platz reserviert worden war (er bestand nicht darauf, diesen einzunehmen, sehr höflich die Franzosen!), aber neben ihm hielt ich es auch auf dem Strapotin (= Klappsitz) 2 Stunden problemlos aus.


Um 20 Uhr 30 ging dann das Konzert los. Schon nach dem ersten Lied war mir klar, wie der Abend werden würde. Brillant nämlich! Der Sound war druckvoll und hochvolumig, aber dennoch glasklar und nuancenreich, es war eine Wonne. Die verzerrten Gitarren dröhnten laut aus den riesigen Boxen, Jeff Tweedy (mit Hütchen) sang perfekt und das Schlagzeug trieb von hinten mit einer Wahnsinnspower an. Wir würden es hier in weiten Teilen mit einem Noise-Konzert im Stile von Sonic Youth zu tun haben, so viel war schnell klar. Trotzdem wurden die ruhigen, die besinnlichen Phasen nicht ausgelassen und Tweedy spielte auch immer mal wieder auf der Akustikgitarre. Dominierender Mann war allerdings der baumlange Nels Cline. Was der aus seiner Elektrischen rausholte war einfach unbeschreiblich. Er schrammelte auf seinem Instrument wie ein Irrer und verhielt sich wie ein Reiter in Aufruhr, dem sein wildes Pferd auszubrechen drohte.

Aber zurück zu den gespielten Songs. Schon an dritter Stelle kam der von Yankee Hotel Foxtrott stammende Klassiker I Am Trying To Break you Heart, der in einem experimentellen Finale endete und in das herrlich harmonische One Wing vom Vorgängeralbum einleitete. Ein herzerwärmendes Lied, bei dem die wehklagende Stimme von Tweedy aufs Beste zur Geltung kam. Das erste riesige Highlight kam dann zwei Stücke später mit At Least That's What You Said (von A Ghost Is Born, 2004). Schon immer einer meiner Lieblinge im Set der Amerikaner hatte der Song mit seinem sensationellen Gitarrenriff heute eine solch gewaltige Sogwirkung, daß es mich nicht mehr auf meinem Sitz hielt. Ich sprang vor Begeisterung auf, wollte am liebsten auf die Bühne springen und mitjammen. Aber das wäre nie gegangen, denn die Ordner gingen überpingelig gegen jeden vor, der sich lediglich vorne vor der Bühne aufbauen und friedlich tanzen wollte. Alles wurde verboten. In den Gängen stehen, nach vorne laufen, fotografieren, einfach alles. Dabei waren wir doch verflucht noch einmal bei einem Rockkonzert und nicht in der Philharmonie! Einige Leute begannen deshalb zu murren, ein Amerikaner schrie plötzlich ganz laut: "Jeff, please tell the security guards to chill out". Tweedy ignorierte den Zuruf aber zunächst und konzentierte sich auf das nächste Lied. Ohnehin war er heute nicht zum Plaudern aufgelegt. In einer Szene erklärte er, daß er heute keine langen Reden halten würde, um so so viele Stücke wie möglich spielen zu können. Witzigerweise ging er aber etwa 10 Minuten später doch auf den Zuruf ein und murmelte ganz trocken: "Hey, security guards, please chill out!" Die Typen verstanden natürlich nicht, daß sie gemeint waren und gingen in der Folge mit der gleichen Härte und Pedanterie gegen vermeintliche Störer vor.


Tweedy schien irgendwann auch genug davon zu haben und ließ sich über die weichen Polstersessel aus. Diese seien "ridiculous". So etwas hätte er noch nie gesehen. Bereits beim Soundcheck hätte er sich beim Anblick der Dinger gesagt, daß die einen sofort verleiten würden, tief einzupennen. Nur um abzuschließen mit: "so you know what you have to do." Die Pariser verstanden den Wink mit dem Zaunpfahl und sprangen nun vermehrt von den Sitzen auf. Bei Impossible Germany, das mit einem unfassbaren Zug gespielt wurde, hielt es am Ende keinen mehr auf seinem Sessel. Es brach ein Jubel wie in einem Fußballstadion nach einenm Tor der Heimmannschaft aus. Minutenlang. Genial!

Und nicht allzu viel später kam mit Via Chicago noch so eine Perle aus dem Altwerk. Zwar ging es hier ruhiger zu als bei Impossible Germany, aber sehr schön war es trotzdem. Viele Amis im Publikum sangen jede Strophe mit. Überhaupt das Altwerk: es zog einfach besser als die eigentlich gar nicht schlechten neuen Sachen. So waren dann auch Handshake Drugs und A Shot in The Arm die Titel, die am stärksten abgefeiert wurden.

Danach war erst einmal kurz Pause, aber der Zugabenteil hatte es noch einmal in sich. Ironisch schmunzelnd erklärte Tweedy, daß Jesus, etc. ein Lied sei, daß sich vorher ungefähr lediglich 17 Leute gewünscht hätten. Natürlich wollten alle diesen alten Hit noch einmal hören und auch die erste Zugabe Missunderstood wurde mit Szenenapplaus begrüßt.

Wir näherten uns langsam aber sicher dem Ende, das letztlich mit dem krachigen I Am A Wheel eingeläutet wurde. Nicht mein Lieblingslied im Set. Es gab aber so viele Hochkaräter, daß ich nun wirklich nicht meckern konnte. Hummingbird hätte ich vielleicht gerne noch gehört, Ashes Of American Flags, Either Way, Sky Blue Sky, How To Find Loneliness, oder She's A Jar, aber das hätte definitiv den Zeitrahmen gesprengt.

Alles in allem ein absolut denkwürdiges Konzert. Kaum eines wird am Ende des Jahres 2012 besser gewesen sein. Wilco sind und bleiben eine Klasse für sich. Eine essentielle Band in extrem guter Form!

Setlist Wilco, Grand Rex, Paris

01: Art Of Almost
02: I Might
03: I Am Trying To Break Your Heart
04: One Wing
05: Bull Back Nova
06: At Least That's What You Said
07: Black Moon
08: Spiders (Kidsmoke)
09: Impossible Germany
10: Born Alone
11: Laminated Cat
12: Via Chicago
13: Whole Love
14: Box Full Of Letters
15: Capitol City
16: Handshake Drugs
17: Dawned On Me
18: A Shot In The Arm

19: Misunderstood
20: Jesus, Etc.
21: Theologians
22: Heavy Metal Drummer
23: I Am The Man Who Loves You
24: I'm A Wheel

* Foto von Jeff Tweedy, Archiv.

* Exkurs: Setlist Tindersticks, Le Trianon, Paris:

01: Blood
02: If you’re looking for a way out
03: Dick’s slow song
04: Chocolate
05: Show me everything
06: This fire of autumn
07: Don’t ever get tired
08: I know that loving
09: A night so still
10: Slippin’ shoes
11: Frozen
12: Come Inside

13: 4.48 psychosis
14: Cherry Blossoms

15: Medicine
16: Goodbye Joe

* Exkurs: Setlist Soko, Café de la Danse, Paris:

01: I Cannot Be Bothered To Open My Eyes Again
02: Cry Baby
03: I Thought I Was An Alien
04: People Always Look Better In The Sun
05: Just Whant To Make It New To You
06: Treat Your Woman Right
07: No More Home No More Love
08: Fake It Until You Make It
09: Little Mermaid Man
10: Don't You Touch Me
11: Destruction Of The Disgusting Ugly Hate
12: For Marlon
13: We Might Be Dead By Tomorrow
14: Trapped In Freedom
15: First Love Never Die
16: ?
17: I've Been Alone To Long
18: Paranoia
19: Why Don't You Eat Me Now You Can
20: My Wishful Thinking/You Have A Power On Me
21: My Dreams Dictate My Reality
22: How Are You ?
23: Happy Hippie Birthday

Aus unserem Archiv:

Wilco, Paris, 29.05.07



1 Kommentare :

E. hat gesagt…

auf jeden fall für das richtige konzert entschieden. wobei die unpünktlichkeit und das versäumen von hanne unverzeihlich sind.

 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates