Sonntag, 30. August 2009

First Aid Kit & Kitty, Daisy & Lewis, Wiesbaden, 30.08.09


Konzert: First Aid Kit & Kitty, Daisy & Lewis
Ort: Kulturpark, Wiesbaden (Folklore)
Datum: 30.08.2009
Zuschauer: recht viele
Dauer: First Aid Kit 52 min, Kitty, Daisy & Lewis 78 min


Im vergangenen Jahr war ich zum ersten Mal bei der Wiesbadener Folklore. Was abschreckend nach einem Taunus-Trachten-Treffen klingt, ist in Wirklichkeit ein sehr schönes Volksfest im Kulturpark, dem Bereich zwischen Wiesbadener Bahn- und Schlachthof. Die ersten beiden Tage der Folklore (u.a. mit Fettes Brot) hatte ich verpassen müssen, dafür bot das Programm für Sonntag zwei Leckerbissen, die ich unbedingt sehen wollte. Ob First Aid Kit und Kitty, Daisy & Lewis meine Vorfreude rechtfertigen würden, wusste ich da allerdings noch nicht, da ich weder die schwedischen Söderberg- noch die englischen Durham-Geschwister bisher auf der Bühne gesehen hatte.

Die Folklore bietet neben Livemusik auf sechs Bühnen - zwei davon im Schlachthof - Comedy, Theater, Poetry Slams, Kleinkunst, Zirkus und enorm kreative Essen- und Trinken-Stände. Eine wirklich gelungene Sache! Zeit für all das hatte ich allerdings nicht, da ich zwei Minuten vor Beginn der ersten der von mir geplanten Bands ankam. Im Vergleich zum Vorjahr hatte man die Bühne um 90°* gedreht. Der Platz davor war staubig und hatte einige Stellen, die mit Sand aufgefüllt waren. Im hinteren
Bereich standen Bierbänke, die voll besetzt waren. Nur davor stand am Anfang noch niemand. Klara und Johanna Söderberg, die beiden Schwestern, die als First Aid Kit seit einiger Zeit in Indiekreisen Aufmerksamkeit erzeugten, kamen sehr zurückhaltend, fast schon scheu auf die Bühne, weil davor außer ein paar Fotografen niemand stand.

Johanna und Klara sind blutjung, Jahrgang 90 und 93, und wurden vor allem bekannt durch ein Youtube-Video ihres fabelhaften Fleet Foxes Covers
Tiger Mountain peasant song. Dazu muß man dann auch nicht mehr sagen, wenn man es einmal gesehen hat. Aber auch andere Videos, wie der Tiger Mountain peasant song im Wald aufgenommen, zeigen das herausragende Talent der beiden Musikerinnen mit den Norwegerpullis (den schwedischen...).

Klara (mit dem strengen Pony) spielte ausschließlich akustische Gitarre, während die blondere Johanna Keyboard, Gitarre und Autoharp (eine Art Zither) bediente. Das pfiffige an der Musik der beiden - und daher war das Fleet Foxes Cover auch wie für sie
gemacht, sind die zweistimmigen Gesänge. Die erste Stimme kommt von Klara, die ich für die ältere der beiden halte, die aber vermutlich die 15- oder 16-jährige Söderberg Tochter ist.

Gottseidank verflog die Schüchternheit, sobald sie ihre Instrumente in Händen hielten. Das Eröffnungsstück In the morning hätte gut und gerne auch von den Fleet Foxes sein können. Die Harmonien des Lieds sind so wundervoll, daß auch das Publikum schnell seine Berührungsängste ablegte und näherkam. Schnell saßen Kinder im Sand und Erwachsene außenrum und hörten den folkigen Stücken der Schweden-Schwestern zu.

Einige Lieder, die die beiden spielten, stammen von ihrer EP Drunken trees, die 2008 in Schweden erschienen ist und 2009 von Wichita neu aufgelegt wurde. Anfang des Jahres erscheint dann ihr Debütalbum, von dem First Aid Kit auch einige Stücke spielten. Leider habe ich nicht alles erkannt, was Teil ihres gut fünfzigminütigen Sets war, vermutlich waren aber die mir unbekannten Titel auch Stücke, die auf ihrer Platte sein werden.**

Aber EP und Platte sind ja nicht alles... Johanna und Klara nutzen Tools wie Twitter nämlich noch für eine Besonderheit. Auf der Website oder über Twitter kann man
sich Lieder wünschen. Mit etwas Glück spielen Klara und Johanna diese Wünsche in einer ihrer Wald- (oder wo auch immer) Video-Sessions und veröffentlichen sie. Wundervoll!

Vermutlich aus diesem Wunschprogramm stammten auch die beiden weiteren Cover, die das Duo spielte - Universal Soldier von der kanadischen Sängerin
Buffy Sainte-Marie, textlich aktualisiert, und Murder in the city von den amerikanischen Avett Brothers. Neben mir stand jemand, der immer wieder "cool", "super" oder "toll" rief, und genau so war es.

Der Auftritt der beiden Schwestern wäre schon so beeindruckend gewesen, wenn
man allerdings ihr Alter bedenkt, 16 und 19***, ist das alles vollkommen unglaublich! Dazu scheinen beide vollkommen natürlich zu sein. Herrlich ein Dialog der Schwestern, nachdem Johanna uns loben wollte: "Thank you for beeing such a calm and grown-up audience!" - "You always say that!" - "Yes, and there are so many children. I mean serious audience!"

Auch das "Wir spielen jetzt noch zwei Lieder, wenn ihr mögt. Wir wollen euch nicht langweilen. Ist das ok, daß wir noch die beiden Stücke spielen?" war keine Koketterie sondern aufrichtig. Wir fanden das natürlich ok, und die beiden Titel reichten auch nicht, zweimal wurden Klara und Johanna noch rausgeklatscht.

First Aid Kit werde ich sicher wiedersehen, sie haben mich restlos überzeugt!

Setlist First Aid Kit, Folklore Wiesbaden:

01: In the morning
02: Our own pretty ways
03: You're not coming home tonight
04: Hard believer
05: Jagadamba, you might
06: Tangerine
07: Tiger Mountain peasant song (Fleet Foxes Cover)
08: Sailor song
09: Universal soldier (Buffy Sainte-Marie Cover)
10: Cross oceans
11: Wills of the river
12: I met up with the king

13: Murder in the city (The Avett Brothers Cover) (Z)

14: Ghost town (Z)

Nach den schwedischen Schwestern war eine kurze Pause, bevor die drei 50's Geschwister aus England auftreten sollten. Ihr Helfer baute da gerade einen kleinen
Merch-Stand auf, der die phänomenalste Box anbot, die ich je gesehen habe: für stolze 45 € konnte man eine 6fach 10" und 78rpm Schallplattenkiste kaufen! Ich wüsste zu gerne, ob die LPs dann noch aus Schellack gemacht sind!

Über dem Folkloregelände schwebte unterdessen eine besondere Attraktion. Ein riesiger Kran hob eine Metallgondel mit Passagieren über den Platz. In dem geschlossenen Behältnis standen vielleicht sechs Personen, die mal in fiese Höhe
und dann wieder kurz über den Köpfen der Zuschauer quasi als Loge vor der Bühne schwebte.

Kurz nach halb neun war alles bereit für das englische Retro-Trio. Es standen allerdings so viele Instrumente auf der Bühne, daß ich nicht bloß die (ebenfalls blutjungen) Durhams erwartete. Erst kamen aber nur Lewis' Schwestern und sangen ein unbegleitetes Duett. Daisy, die mit Anfang zwanzig die älteste ist, trug ein rotes Kleid und natürlich eine 50er Jahre Frisur. Ihre Schwester Kitty (16?) war ähnlich gestylt und geschminkt und hatte ein blaugemustertes Kleid an. Und alle drei Durham Kids haben eine sexy Schneidezahnlücke!

Nach dem Duett erschien die restliche Band, vorneweg Bruder Lewis in einem cremefarbenen Anzug und mit reichlich Pomade im Haar. Wie aus einer Ritchie Valens Verfilmung! Vervollständigt wurde das Team von einer Kontrabassistin und einem Gitarristen, bei denen ich direkt dachte, das sind die
Eltern! Wikipedia bestätigte meine Vermutung. Mit der ganzen Familie legten sie dann also los.

Ich glaube, am Anfang saß Daisy am Schlagzeug. Aber schon beim nächsten Stück übernahm Kitty. Den lustigsten Trommelstil hatte aber die ältere (rotkleidige) Schwester. Sie ging mit dem ganzen Körper in jeden Schlag. Auch leise Töne unterstützte sie so mit Nachdruck. Es war ein großer Spaß, ihr dabei zuzusehen. Daisy spielte ansonsten Akkordeon, Orgel, Gitarre, Glockenspiel und sang. Schwester Kitty bediente Mundharmonika, Posaune, Banjo, Gitarre,
Ukulele (bei ihrem Hawaii-Lied) und Schlagzeug, während Lewis "nur" Gitarre, Banjo und Schlagzeug spielte.. Ach, und Steelguitar. Musikalische Früherziehung scheint bei den Durhams eine spannende Sache gewesen zu sein!

Die Musik der Band ist einfach beschrieben: Kitty, Daisy & Lewis zuzuhören, gibt einem das Gefühl, bei einem 50er Jahre Highschool Ball in den USA zu sein. Ich tue mich schwer damit, die tausend Unterarten des damaligen Rock 'n' Roll zu unterscheiden, für mich war das, was ich da geboten bekam, purer Rockabilly. Musikalisch wäre das in den späten 50ern nicht originell gewesen; die Hingabe, mit
der die Familie ihre Musik betreibt, macht es heute aber schon besonders. Vor allem dem Vater sah man jederzeit an, wieviel Spaß es ihm machte, diese Art Hausmusik vorzutragen!

Auch im Publikum trieb sich die Wiesbadener Rockabilly Szene rum. Erstaunlich, wie viele Leute es heute noch gibt, die sich in dieser Jugendbewegung wiederfinden. Mods zum Beispiel sehe ich viel seltener. Ex- (und noch nicht ex-) Hippies und 68er waren die zweite deutlich auszumachenden Gruppe im Publikum. Das hatte schon eine gewisse Komik, denen
dabei zuzusehen, wie sie die Musik feierten, die ihre Eltern gehört hatten. Familienmusik eben!

Nur vier Sachen waren in dem Set der Briten modern und daher ein wenig
unpassend: Kuhglocken am Schlagzeug, das Glockenspiel (das hat Buddy Holly sicher nicht benutzt!) und eine kurze Beatbox-Einlage von Daisy bei einem der ersten Lieder (ich kann leider keine Titel liefern, weil ich ihre Platte nicht kenne).

Irgendwann rief die Band einen Gastmusiker auf die Bühne. Den Namen des jamaikanischen Trompeters habe ich leider nicht verstanden. Der Mann aus der Karibik trug ein scheußliches Harlekin Hemd und eine Army Cap (das war die vierte moderne Sache, falls jemand mitgezählt hat) und hatte viel Spaß, mitzuswingen. Manchmal, vor allem bei der letzten Zugabe, übertrieb er ein wenig und stellte sich in den Mittelpunkt. Vorwerfen konnte man ihm das aber nicht, wenn man sah, mit welcher
Begeisterung auch er Musik machte. Und wenn er eben vor dem zentralen Mikro im Weg rumstand, schob ihn Kitty dezent aber energisch weg, um singen zu können...

Das Set bestand überwiegend aus Stücken des Albums sagte mir Lewis hinterher. Und aus einem Cover, das ich von alleine erkannte: Buona sera vom unsterblichen Dean Martin****, dem größten Sänger und Schauspieler der 60er Jahre. Daß ich irgendwann mal ein Lied dieses Manns hören darf, der um so viele Klassen besser war als der überschätzte Frank Sinatra, hat mich gerührt!

Wie schon bei First Aid Kit war das Publikum mit einer Zugabe nicht zufrieden. Als sie zum zweiten Mal rauskamen, schienen Kitty, Daisy & Lewis nicht genau zu wissen, was sie spielen sollten. Also jammten sie zu sechst ewig lang (und melodisch) rum. Dabei zeigten sie ihr ganzes Talent, aber erstmals dann auch ein paar Längen.
Aber das - und meine verlorengegangene Leidenschaft für Musik der 50er dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die drei jungen Engländer ein glänzendes Konzert abgelegt haben!

Und komisch war es auch ab und zu... Meine Lieblingsszene war eine ganz kleine. Irgendwann gab es üble Rückkopplungen des Gitarrenverstärkers. Das Pfeifen konnte der Tonmann nur durch ein Wegschieben des Amps wegbekommen. Lewis kommentierte leise: "That was called The whistler!"

Links:

- mehr Fotos von First Aid Kit
- mehr Fotos von Kitty, Daisy & Lewis



* gegen den Uhrzeigersinn
** dank Johanna konnte ich die fehlenden Titel ergänzen. Tack så mycket, Johanna!
***
ich fand überall nur 15 und 18. Da wir aber mittlerweile fast Herbst haben, sind sie vielleicht schon älter
**** mit ihm wird dieses Lied verbunden, obwohl es ursprünglich von Louis Prima gesungen und von ganz jemand anderen geschrieben wurde



6 Kommentare :

Oliver Peel hat gesagt…

Sachen gibt's! Kitty, Daisy and Lewis haben gestern noch bei Rock en Seine gespielt!

Christoph hat gesagt…

Das weiß ich doch!

Christoph W. hat gesagt…

First Aid Kit finde ich vorzüglich!

Hab mir kurzfristig überlegt, wegen dem Festival extra nach Wiesbaden zu fahren, aber das ist dann doch eine ganze Ecke weg...

Christina hat gesagt…

Du weißt, dass die Autoharp sehr weit oben auf meiner "Instrumente, die ich unbedingt lernen/besitzen will"-Liste ist? Ich wusste gar nicht, dass FAK eine benutzen...sie sind gerade sehr in meinem Ansehen gestiegen :)

Christoph hat gesagt…

Gar nicht teuer die Dinger! Ich bin gestern schon bis zu einer Website mit "Jetzt kaufen" Knopf gekommen.

Christina hat gesagt…

Mmmh. Da wo ich geguckt habe waren es eher so 250 Euro aufwärts :(

 

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