Freitag, 8. November 2013

Pitchfork Festival Paris, 3. Tag, Paris, 02.11.13


Konzert: Pitchfork Festival, Paris, dritter und letzter Tag, mit Youth Lagoon, Majical Cloudz, Omar Souleyman, Yo La Tengo, Hot Cip, Glass Candy u.v.a.
Ort: Grande Halle de la Villette, Paris
Datum: 02.11.2013
Zuschauer: 2000 glaube ich (oder mehr?)
Konzerte von 17h bis 6 Uhr am nächsten morgen


Man kann sie nicht mehr hören. Die ganzen Kommentare zu den Hipstern. Gerade beim Pitchfork Festival sind sie inflationär, weil die Veranstaltung als große Messe der Hipster dieser Welt gilt. Vor drei Jahren fand ich es selbst noch lustig (oder war das vor zwei?), aber inzwischen langweilt das Thema auf brutale Weise. Reden wir also nich pauschal über Typen mit Bart, Wollmütze, bis obenhin zugeknöpften Holzfällerhemden und Tattoos, sondern über die Zuschauer, die dieses Event bevölkern. Wie sind sie drauf, wo kommen sie her? Die erste Frage ist schwierig (die passende Antwort wäre wohl: kommt drauf an), Letztere ist einfacher zu beantworten. Sie kommen wirklich aus der ganzen Welt. Aus den USA, England, Schweden, Deutschland, Italien... und natürlich Frankreich, schließlich sind wir in Paris. Manche Leute reisen wirklich von ganz weit an, nur für das Pitchfork Paris, welches 3 Tage dauert und Leuten, die alle Konzerte sehen wollen, einiges abverlangt. Aufgrund der hohen Preise (130 Euro für den 3-Tages Pass, 80 für den 2-Tages Pass und 50 Euro für die Tageskarte), könnte man vermuten, daß es sich um Wohlstandsjünglinge und höhere Töchter handelt, aber ich will keine Klischees pflegen, ich weiß nicht aus welchen Kreisen die Leute kommen. Eigentlich ist das ja auch ganz egal. Fest steht aber, daß man tief in die Tasche greifen muss, um beim Pitchfork dabei zu sein. Wohl dem, der wie ich in Paris wohnt und keine teure Übernachtung bezahlen muss, die die Rechnung noch üppiger werden lässt. 

Auf dem Gelände selbst fließt das Geld auch nur allzu schnell ab. Jetons muss man im Mindestwert von 10 Euro erwerben (Zwangsumtausch wie damals beim Grenzübergang nach Ost Berlin?), darunter machen sie es hier nicht. Aber man braucht eh mehr Jetons, wenn man konsumieren will, denn 0,5 Liter Bier kosten 7 Euro (3, 5 Jetons), ein Burger schlägt mit 8 Euro (4 Jetons) zu Buche und der Rest ist auch nicht viel günstiger. Bedenkt man, daß die Konzerte um 17 Uhr beginnen und teilweise die ganze Nacht lang laufen (so war es zumindest am letzten Samstag), wird man also genötigt sein, ein paar mal die Fressbuden aufzusuchen und auch für Getränke ordentlich zu blechen, will man nicht verdursten. Ich persönlich habe 15 Jetons= 30 Euro verballert, das dürfte aber eher unterer Durchschnitt sein. Der Abend am Samstag kostete mich also 80 Euro. Da ich bis 3 Uhr blieb und die letzte U-Bahn nicht später, sondern um 2 Uhr fuhr, musste ich auch noch ein Taxi nehmen. Kostenpunkt für meine Strecke: 20 Euro. Musste ich aber nicht zahlen, weil ich mir das Taxi mit freundlichen und großzügigen Leuten geteilt habe, die meinten, meine Strecke hätte eh auf dem Weg gelegen. Glück gehabt, sonst wäre ich schon bei 100 Euro gewesen! Tja und dann gab es da ja auch noch die CD Stände (Rough Trade, Balades Sonores), an denen man sein Geld loswerden konnte, schließlich macht es ja Spaß, die Silberlinge der auftretenden Bands zu erwerben, um zu Hause noch einmal in Erinnerungen zu schwelgen. Ich selbst war brav und habe nur zwei CDs gekauft, Kostenpunkt 27 Euro. Der ganze Abend kostete mich also 107 Euro.

Was hat er mir aber gebracht? War er die Kohle wert?

Nun, der Beginn war schon einmal recht ernüchternd. Und damit meine ich noch nicht den musikalischen Teil, sondern die Einlasskontrolle. Schlimm wie man da von allen Seiten und an allen Körperteilen betatscht wurde, ärgerlich, daß meine Bridge-Kamera nicht durchkam. Ich musste sie an der Garderobe abgeben und verlor Zeit, um das (für mich) erste Konzert zu sehen. Beim End Of The Road Festival konnte man gut sehen, daß man gar keine Einlasskontrollen braucht, wenn das Publikum gesittet ist. Ziehen etwa die Picthfork Bands Rüpel an? Die Frage muss erlaubt sein...

Drinnen dann: nix los. Gegen 18 Uhr war noch kaum ein Schwein da, die Stimmung bei Majiical Cloudz deshalb auch mau, ohne daß es einen Bezug zur Güte der Band geben musste. Zwei Lieder bekam ich von den Burschen noch mit, zu wenig, um mich näher über sie auszulassen.

Die danach startende Sky Ferreira war dann ein schlechter Witz. Das war eine Art Indie Avril Lavigne und dermaßen öde, daß ich schon zu diesem Zeitpunkt draußen ein Bier trinken gehen musste, um die ganze Veranstaltung zu ertragen. Totengräberstimmung, miese Künstler, es konnte nur besser werden!

Mit Youth Lagoon wurde es das auch dann. Eine Band aus Boise, Idaho stellte sich vor, hatte aber musikalisch mit den Landsleuten Buil To Spill wenig zu tun. Statt saftigem gitarrengetriebenen Indierock wie bei Doug Martsch gab es viele Synthiesizer und recht wenige Gitarren zu hören, wenngleich man nicht von einer reinen Elektropband sprechen konnte. Es war eher ein Grenzgänger zwischen sphärischem Pop mit Synthieeinsatz und Rock der leicht pathetischen und psychedelischenArt. Von Bombast will ich nicht reden, aber mitunter wurde es recht episch.

Sehr auffällig die Stimme des Sängers. Eine knatschige, hohe, kindliche Stimme, die Assoziationen zu MGMT, den Flaming Lips und Mercury Rev heraufbeschwor. Trevor Powers heißt der Lockenkopf der Youth Lagoon vorsteht (und eigentlich die Band ist) und mit seinem sehr speziellen Gesangesorgan sicherlich polarisiert.

Aber es gab auch recht lange Instrumentalphasen, in denen er (logischerweise) schwieg und die Keyboards, die Gitarren und das Schlagzeug einen Wettkampf ausfochten. Die Songs dauerten deshalb teilweise bis zu 10 Minuten und durchlebten mehrere Phasen, in denen Stimmung, Rhythmus und Intensität variierten. Das war faszinierend, wenngleich es Geduld erforderte, die nicht bei allen Leuten im Publikum vorhanden war (blöde Labertaschen immer!).

Nehmen wir zum Beispiel den Track Dropla, der voller Nuancen und Feinheiten steckte, quirlig und poppig perlend klang, gleichmäßig und mit viel Schlagzeugeinsatz voranschritt und nach etwa 5 Minuten in eine dreampoppige Sequenz abdriftete, in der die hübsche kleine Pianomelodie ständig wiederholt wurde. Das Ganze hatte auch eine kosmische Note und erinerte insofern umso mehr an die Flaming Lips. 






Oder nehmen wir auch Sleep Paralysis. Ein verhuschter, verwunschener Song mit windschiefen Synthies, dem kennzeichnenden Quäckgesang und einem stark melancholischen Moment. Als Hörer wanderte man durch psychedelische Traumlandschaften und konnte sich der Sogwirkung des Tracks schwerlich entziehen. Zwar nervten ein paar Leute in meiner Umgebung, aber stören lassen wollte ich mich dadurch nicht. Wuchtig arbeitete sich das Schlagzeug durch den ansonsten sehr feinziselierten Titel, der ebenfalls mit einer markanten Klaviermelodie glänzte und irgendwie auch wie eine traurige Hymne zu einem Kindergeburtstag wirkte. Schwer zu beschreiben wie sich das Ganze auf die Psyche ausschlug. Man war irgendwie gleichzeitig schwermütig und freudig gestimmt, es war ein Wechselbad der Gefühle. Schön, aber auch aufwühlend zugleich.

Ansonsten macht es aber wenig Sinn, einzelne Songs herauszugreifen. Pausen gab es so gut wie keine, die Lieder gingen ineinander über und die Sequenzen dazwischen wurden meist durch mystische Töne überbrückt. Letztlich klang das ganze Konzert fast wie ein Soundtrack, alles war miteinander verwoben und gehörte zusammen. Das sehr spezielle Ambiente, die kreierte Atmosphäre zählte mehr als bestimmte Songs. Dennoch verdichtete sich das Ganze am Ende. Es wurde immer dramatischer und intensiver. Nicht wie bei einem klassischen Postrockkonzert wo zum Schluß die Gitarren wie wild aufheulen und die Bandmitglieder auf dem Boden liegend spielen, sondern auf recht subtile Weise übermannend. Die letzten 10 Minuten haben mich wirklich umgeblasen und bereits zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Kauf der teuren Karte zumindest teilweise schon gelohnt!

Im Anschluß hieran spielten Baths. Deren Sound fand ich aber schon nach ein paar Minuten derart seicht und synthetisch, daß ich wieder nach draußen flüchtete. Viele bekannte Gesichter waren auf den Fluren unterwegs. Der aus Dresden nach Paris zurückgekehrte Brite Thos Henley, die Pariserin Mina Tindle, Labelmenschen, Booker, Musikmanager, alle schienen sie hier zu sein. Draußen abzuhängen war gar nicht so übel, da konnte man ein wenig plaudern und in Ruhe die trendigen Leute beobachten, wie sie ihre Pommes in sich reinstopften, oder sich gegenseitig abknipsten.



Nach ein paar Minuten war mir es feilich an der frischen Luft zu kühl und mich zog es wieder rein in die große Halle. Dort war Partytstimmung angesagt. Der syrische Musiker Omar Souleyman spielte auf und ließ die Puppen tanzen. Er hatte einen DJ dabei, der den rein elektronischen Sound, der mit starkem Orienteinschlag gewürzt war, abspulte. Was live performt wurde und was nicht, war mir nicht ganz klar, aber das Ganze hatte etwas von einer Karaokeshow. Omar selbst sang zu den synthetischen und sehr tanzbaren Ryhthmen auf arabisch und kurdisch und peitschte das Publikum immer wieder mit enstprechenden Handbewegungen an, oder klatschte einfach nur im Takt in die Hände. Mit seiner Djelaba, der rot weißen Kufiya (bei uns bekannt unter dem Namen Palästinenser-oder Arafta-Tuch) und der dunklen Sonnenbrille was er der coolste Typ weit und breit. Er wirkte fast wie eine Karikatur, hatte aber das Publikum fest im Griff und hielt es mindestens 45 Minuten unter Strom. Er entpuppte sich als glänzender Showman und Entertainer, was das Ganze msuikalisch wert war, fiel mir aber sehr schwer einschätzbar. Berühmte Musiker wie Björk und Damon Albarn haben schon mit ihm zusammengearbeitet, aber ist das ein sattelfestes Argument für seine Güte?

Dann aber endlich Yo La Tengo! Waren sie Headliner? Nach der Spielzeit zu beurteilen nicht, denn Hot Chip wurden später 20 Minuten mehr gewährt. Für mich nicht nachvollziehbar, aber es gibt anscheinend viele, die die Clowns von Hot Chip lustig finden, warum auch immer.

Ich aber war für Yo La Tengo genommen. Nur für Yo La Tengo. Der Rest war mir egal. Zumindest weitestgehend egal. Ich wollte die super Band aus Hoboken endlich mal wieder live sehen. Schändlicherweise hatte ich in den letzten Jahren viele ihrer Auftritte verpasst und somit war das heute auf jeden Fall ein Pflichttermin um begangenen Schaden wenigstens halbwegs wieder gut zu machen. Eigentlich gehört ja jedem Blogger die Lizenz entzogen, wenn er zu selten über Yo La Tengo schreibt. Aber nun gut, für mich gelten natürlich mildernde Umstände und Ausnahmen...

Der Gig begann mit Stupid Things, einem Albumtrack des neuesten Outputs Fade. Laut und kraftvoll dröhnte es aus den Boxen, Ira Kaplan bewegte sich wie ein Zappelphilipp und schien weiterhin der ewig junge Mann zu sein, der nie so richtig erwachsen wird, seine immer äußerst dezent und zurückhaltend auftretende Frau Georgia Hubley spielte bei diesem Song Bass und der recht füllig gewordene James McNew Schlagzeug. Leider war der Sound nicht optimal. Die Stimme von Ira hörte man nicht so richtig, das Ganze klang zudem zu breiig und verzerrt. Aber das war nicht so dramatisch, denn schließlich wollten wir hier keine punktgenaue und keimfreie Albumwiedergabe haben, sondern rohe Liveversionen der Songs.

Roh, krachig und ungehobelt blieb es auch noch bis zu Super Kiwi, das wahnsinnig schrammelig und lofi klang. Mit The Point Of It, ebenfalls von Fade wurde es aber zum ersten Mal besinnlicher und deutlich poppiger. Nun kam die sonnige und sanfte Seite von Yo La Tengo zum Tragen, Ira sang herzerweichend schön ( "when you're screaming in my head, waht's the point of it?") Georgia hatte längst hinter dem Schlagzeug Platz genommen und James spielte ganz lässig Akustigittarre.



AuchTrack Nummer 6, I'll be Around war soft und wundervoll, plätscherte ganz gemächlich vor sich hin und lud viele Leute dazu ein, mit geschlossenen Augen zuzuhören. Es war herrlich.

Dann kam Georgia fast wie ein schüchternes Mädchen nach vorne getrottet und sang mit der schönsten aller Stimmen Before We Run. Die Natürlichkeit und der Charme des Songs und des Vortrages waren atemberaubend, es war quasi unmöglich sich der entzückenden Wirkung zu entziehen. Ich persönlich schmolz auf jeden Fall dahin und hätte Georgia hinterher gerne ein kleines Küsschen auf die Wange gedrückt.



Im letzten Drittel wurde aber dann wieder die Noisekeule geschwungen. Sugarcube vom 1999er Album I Can Hear The Heart Beating As One besaß viel Lofi-Attitüde und trotzdem hübsche Gitarrenmelodien.

Der das neue Album eröffnende Midtempo Song Ohm bereitete schließlich auf das große Finale vor, welches nun folgen sollte. Der Blue Line Swinger, der Closer des 1995er Albums Electr-O-Pura, wurde nämlich zum krönenden Abschluß unter lautem Getöse abgefeuert und wütetete atemberaubende 10 Minuten lang wie ein Derwish. Definitiv eines der besten Livelieder die ich 2013 gehört habe, der fetzige Rhythmus war einfach unwiderstehlich, die Melodie wahnsinnig packend, das Zusammenspiel von Gitarre und Schlagzeug eine Wucht!

Dann aber verstummten die Gitarren und nach lediglich einer Stunde war schon Schluss. Ira Kaplan hatte es sich während der Show nicht nehmen lassen, gegen die Leute in der VIP Lounge zu ätzen. Den genauen Wortlaut seiner Kritik habe ich zwar nicht verstanden, aber er mahnte inhaltlich mehr Gerechtigkeit beim Pitchfork an. Die Verantwortlichen sollten nicht so stark zwischen VIPs und Fußvolk differenzieren, nicht die einen begünstigen und die anderen die überhöhte Zeche zahlen lassen. Recht hatte er!

Setlist

01: Stupid Thing
02: Big Day Coming
03: Super Kiwi
04: The Point Of It
05: ?
06: I'll Be Around
07: Before We Run
08: Sugarcube
09: Ohm 
10. Blue line Swinger

Demnächst geht es hier noch ein bißchen weiter...
 .

1 Kommentare :

E. hat gesagt…

sehr interessant dein ausflug nach hochpreishausen. mehr noch aber freue ich mich auf den ylt bericht, der verheißt mir dann positiver gestimmt zu sein.

 

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