Konzert: Herman van Veen
Ort: Tollhaus in Karlsruhe
Datum: 14. November 2013
Dauer: 170 min
Zuschauer: etwa 1000 (ausverkauft)
Oma erzählt wieder vom Krieg. Das war - augendverdrehend - unser Spruch, wenn es wieder um diese längst von der Geschichte verschluckten Zeiten ging, die für uns wie Es-war-einmal-Märchenstunde waren. Faktisch und emotional für uns in grauer Vorzeit. Inzwischen komme ich mir schon selbst manchmal so vor, wenn ich über die Zeit vor 1989 spreche. Aber in diese Zeit reicht meine Liebe zu Herman van Veen zurück. 1983 erschien ein Album seiner Musik bei AMIGA (*). Vor einer Ewigkeit. Und sie bleibt verwoben mit Hoffnung und Zuversicht gegen bessere Einsicht. Und mit dem Wissen, dass mich seine Musik davor bewahrt hat, erst den Verstand und dann den Lebensmut zu verlieren - oder umgekehrt (**). Neben seinen Liedern auch die eines deutschen Lebenskünstlers Gerhard Schöne. Auf dem Heimweg vom Abend mit Herman van Veen im Tollhaus musste ich passenderweise immerzu eines seiner Lieder summen:
Warst Du schon da? Warst Du schon da?
Warst Du in Phantasia?
Denn ich war am Abend dieses 14. Novembers genau dort gewesen. Für fast drei Stunden hatte Herman van Veen das Tollhaus und die 1000 Leute mitgenommen in eine Welt, die wie die unsre ist, nur ein bisschen freundlicher.
Verschiedne Wege führ'n dahin:
Der Luftweg mit dem Zeppelin.
Und ist dir das nicht schnell genug,
dann nimmst du den Gedankenflug.
Den Landweg ja nicht mit der Bahn,
sonst kommst du nie und nimmer an.
Du gehst zu Fuß, und zwar bei Nacht.
Dann bist du da, eh du`s gedacht.
...
Zensuren, Knast und Steuerpflicht,
Armee und Polizei gibt's nicht,
auch keinen Mörder, keinen Dieb.
Denn hier sind alle Menschen lieb.
Wenn du nur etwas Muße hast,
dann mache in Phantasia Rast.
Und wenn es dir dort auch gefällt,
bring etwas mit in unsre Welt.
Der Rückweg ist ganz schnell getan:
Man schaltet nur das Radio an
und guckt in einen Spiegel rein
und kneift sich in das linke Bein.
(Gerhard Schöne)
Und ich werde einen Teufel tun und ein Radio anschalten oder in einen Spiegel schaun. Statt dessen halte ich das Glück dieses Abends fest und bringe ein Stück davon mit in unsre Welt - jeden Tag auf's neue.
Aber wie beschreibe ich nun ein Konzert, das über 40 Einträge auf einer Setlist hätte, an dem ein Leben exemplarisch durchlebt wurde, wo einerseits Jux und Dollerei nicht zu kurz kamen, aber auch sehr traurige und ernste Fragen wie das alt werden, das sich selbst verlieren und sterben selbstverständlich nicht ausgelassen wurden?
Herman van Veen umgibt sich mit kongenialen und kompetenten Leuten. Seine Musiker beeindruckten uns jede und jeder auf seine und ihre Weise:
Jannemien Cnossen (Violine und Gesang seit 1998 dabei),
Edith Leerkes (Gitarre, Gesang und Koautorin, seit 1998 dabei),
Dave Wismeijer (ein Küken am Bass),
Willem Wits (ein Küken am Schlagzeug),
Erik van der Wurff (Klavier, seit 50 Jahren sein Begleiter, obwohl er keine rothaarige Frau ist).
Auch am Sound, am Licht und für alles andere hatte er seine eigenen Leute dabei (etwa 10 in Summe), was einen ordentlichen Bus füllt. Aber das hat so gar nichts protzendes oder abgeschliffen professionelles. An mehreren Stellen im Programm hatte jeder das Gefühl: dies ist nur für Karlsruhe und keine Plattitüde. Und er meint mich ganz persönlich. Unfassbar, wie jemand es schaffen kann, das in einem Saal für 1000 Leute herbei zu zaubern.
Neben mir saß eine Vertreterin der Alfred-Jodokus-Kwak-Generation. Bei uns ist "Das gibt Krawall im Hühnerstall!" nach wie vor der gern benutzte Ausdruck für Herjemine! Auch sie versicherte mir nach der ersten Stunde, sie hätte sich nicht vorstellen können, dass das Konzert sooo gut würde. Sie hätte selten so sehr gelacht und geweint - manchmal im gleichen Moment. Und hohe Erwartungen für den Abend hatten wir beide ohnehin gehabt.
Seit Mitte Oktober war die Gruppe um Herman van Veen schon unterwegs mit dem Programm Für einen Kuss von Dir und Karlsruhe war fast die letzte Station. Aber es wird in diesem Jahr in Deutschland noch Weihnachtskonzerte geben - die Termine finden sich unten. Ein unruhiger Geist, immer unterwegs, immer voller Energie, wenn es darum geht die Welt ein Stück weit heller zu machen. Natürlich stand er vor uns als reifer und weißhaariger Mensch, aber den Tanz- und Spaßeinlagen sah man das nicht an - auch nicht der kindlichen Haltung mancher Lieder. Hier hat es einer geschafft, sein inneres Kind nicht verkümmern zu lassen und lässt es leuchten und die Herzen wärmen ohne Abkürzung ins Kitschige.
Der Abend begann mit Unsere Strasse in niederländisch. Danach war das Programm bis auf Ausnahmen in deutsch und weil die Texte so viel ausmachen, ist das sicher auch richtig so. Trotzdem war für mich das eine niederländische Lied ganz gegen Ende des Programms eines der absoluten Höhepunkte. Er wirkte darin so sehr bei sich. Auch der Beginn in dieser, seiner Sprache war sicher ein klug gewählter Anker für den roten Faden des Abends, ist Unsere Straße doch ein Lied darüber, wie der Ort unserer Kindheit unser ursprünglicher Lernort für alles ist, was das Leben ausmacht und auch später als Grundanker dient.
Der ernste Ton, der im Beginn angeschlagen wurde, wurde auch gleich ein Stück weit gebrochen, mit Konfetti aus dem Schlagzeug und Gassenhauern wie Buona Sera Signorina mit sehr fetzigen Tanzeinlagen und Bei mir biste scheen mit einem ordentlichen Arschwackeln.
Wenns schon wieder Winter ist erzählte aus der Perspektive des eigenen Alters über die erste Liebe mit dem Gefühl dass sie unvergänglich ist - sie bleibt für immer in uns. Und im weiteren folgten wir als Zuschauer der zweiten Liebe und Schwierigkeiten von Partnerschaft
Lüg mich bitte nicht an über Sterben,
denn so lang es uns noch gibt,
find' ich das Zugangslose, nicht mitzuteilen,
find' ich das Zugangslose, nicht mitzuteilen,
was du denkst, schlimmer
und so viel toter. (Herman van Veen)
Danach wanderte der Fokus auf die Kinder, nämlich darauf, was die Trennung der Eltern mit Kindern macht und wie wunderbar es ist, als Großeltern für die Enkel dasein zu können. Das erste Mal kam hier auch das Motto Für einen Kuss von dir explizit vor. Sehr komisch wurde es bei einer Panflötenpantomime, bei einer Geigeneinlage und noch etwas später beim nachstellen einer endlosen Opernsterbeszene. Der Clown Herman van Veen zeigte sich umwerfend komisch.
Einen wunderbaren Eindruck hinterließ auch die Solonummer Frühling von Edith Leerkes. Nach einer Stunde waren schon 19 Nummern gespielt und es war Zeit für 30 Minuten Pause.
und so viel toter. (Herman van Veen)
Danach wanderte der Fokus auf die Kinder, nämlich darauf, was die Trennung der Eltern mit Kindern macht und wie wunderbar es ist, als Großeltern für die Enkel dasein zu können. Das erste Mal kam hier auch das Motto Für einen Kuss von dir explizit vor. Sehr komisch wurde es bei einer Panflötenpantomime, bei einer Geigeneinlage und noch etwas später beim nachstellen einer endlosen Opernsterbeszene. Der Clown Herman van Veen zeigte sich umwerfend komisch.
Einen wunderbaren Eindruck hinterließ auch die Solonummer Frühling von Edith Leerkes. Nach einer Stunde waren schon 19 Nummern gespielt und es war Zeit für 30 Minuten Pause.
Ein weiteres Solo der Gitarristin Ti vedo und Unterwegs zu dir mit exzessiver Trommeleinlage durch Willem Wits und im Anschluss mit Herman van Veen gemeinsam bleiben mir als besondere Glanzpunkte des zweiten Teils leuchtend im Gedächtnis. Das Lied Amsterdam Süd diente als logischer Schlußpunkt des Programms und des roten Fadens (nach fast zwei Stunden).
Freilich wußte jeder, es wird Zugaben geben und am Ende waren es insgesamt 35 Minuten, wobei er sich immer neu bitten ließ. Den Anfang bildete ein Lied mit einem Text von Selma Meerbaum-Eisinger, die im KZ umgekommen ist. Aber der Zugabenblock wurde auch genutzt, um die Mitmusiker zu präsentieren. Es gab einen Ragtime am Flügel und eine Nummer der beiden Frauen und schließlich eine Erstaufführung mit lateinischem Geflüster als Intro die unglaublich intensiv war. Bei einem niederländischen Lied, sollten wir mitsingen, ohne zu wissen was der Text sagt (ich traue Herman van Veen da alles zu!).
Wenn ich mit dir in den Süden zöge bildete schießlich den Schluss vom Schluss, auch wenn noch weiter geklatscht wurde. Ein Häufchen blieb noch weitere 15 Minuten wartend auf die allerallerletzte Zugabe, die es aber leider an diesem Abend nicht gab. Was natürlich nichts machte. In den Augen aller, die ausharrten war das Glitzern dieses Abends noch ganz frisch. Wir waren noch nicht zurück aus Phantasia.
Termine Weihnachtkonzerte in Deutschland
10.12. Greifswald, Dom St. Nikolai
11.12. Stralsund, Alte Brauerei
13.12. Rostock, Heiligen-Geist-Kirche
14.12. Lübeck, Dom zu Lübeck
15.12. Hannover, Markuskirche
(*) Veröffentlichung: 1983
AMIGA / VEB Deutsche Schallplatten Berlin
[01] Na ja (Veen / Wurff / Chrispijn / Woitkewitsch) (4:00)
[02] Einsam - zweisam - dreisam (Veen / Wurff / Woitkewitsch) (3:54)
[03] Herz (Veen / Sacksioni / Chrispijn / Woitkewitsch) (4:11)
[04] Die Macht der Gewohnheit (Theodorakis / Woitkewitsch) (2:47)
[05] Ein ganz dicker Kuß (Veen / Woitkewitsch) (2:07)
[06] Ich hab' ein zärtliches Gefühl (Veen / Bruining / Woitkewitsch) (2:12)
[07] Was man tut und wo man steht (Veen / Chrispijn / Woitkewitsch) (3:47)
[08] Stilles Glück, trautes Heim (Veen / Chrispijn / Woitkewitsch) (5:08)
[09] Kleiner Fratz (Girl On A Bicycle) (McTell / Peterson / Woitkewitsch) (3:21)
[10] Haben und halten (Fo / Chrispijn / Woitkewitsch) (2:35)
[11] Du bist wie sie (The Other Side Of Me) (Sedaka / Greenfield / Woitkewitsch) (3:48)
[12] Die Mädchen aus verflog'nen Tagen (Bannink / Wilmink / Woitkewitsch) (3:20)
[13] Etwas Wärme suchen (Veen / Wurff / Chrispijn / Woitkewitsch) (2:55)
(**)
Das hat nichts nostalgisches. Das Jahr brachte mich derbe an meine Grenzen. Ich gehe auch in der Erinnerung nicht gern dahin zurück. Es grenzt an ein Wunder, dass meine Lieben und ich das überlebt und überstanden haben.
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