Dienstag, 11. Juni 2013

Spaceman Spiff, Stuttgart, 04.06.2013

Konzert:  Spaceman Spiff
Vorband: short story sports
Ort: Kulturzentrum Merlin, Stuttgart
Datum: 04.06.2013
Zuschauer: 70
Dauer: Spaceman Spiff 77 Minuten


Zugegeben, der Künstlername ist eher aus der Kategorie unglücklich, eine Songzeile wie „Vernunft kann so kalt sein“ gefolgt von „dass man immer die Wahl hat / zwischen Kant und Peter Pan“ ist so ziemlich das prätentiöseste, das deutsche Popmusik in den letzten Jahren hervorgebracht hat – und generell wirken viele Texte wie das unvollendete Werk eines typischen Bob Dylan Epigonen, der sich nicht so viele Gedanken um seine Texte macht und lieber Plattitüden setzkastenartig verbreitet.

Hannes Wittmer alias Spaceman Spiff macht es mir wirklich nicht leicht, denn andererseits schreibt der unterfränkische Liedermacher, den es vor einigen Jahren nach Hamburg zog, eingängige Stücke, die mal an Niels Frevert erinnern, stets durchzogen vom Thees Uhlmann'schen Pathos sind und niemanden wehtun.
Ganz selten fälle ich mein endgültiges Urteil über Künstler, zu denen ich ein derart ambivalentes Verhältnis habe, ohne mich eingehend mit ihnen auseinandergesetzt zu haben. Auch Hannes Wittmer möchte ich live die Chance geben, die er grundsätzlich verdient.


Im Vorprogramm tritt zunächst Potsy, ein Würzburger Freund Wittmers, der ihn als short story sports auf der kurzen Deutschland-Tour begleitet, obwohl er am Ende der Woche sein Staatsexamen schreibt, auf. So singt der bärtige Liedermacher über sein Umfeld, von Freundschaften, dem Studentenleben und nimmt die gut 70 Zuschauer im bestuhlten Merlin für sich ein. Beim letzten Song bittet er Spaceman Spiff auf die Bühne, der ihn als zweiter Gitarrist begleitet und einige Zeilen mitsingt. Einen sympathischen Ersteindruck hinterlässt dieser auch, weil er das Publikum dazu animiert, noch eine Zugabe zu fordern, die tatsächlich gut ist, obwohl Potsy das Lied bisher noch nicht live gespielt habe, wie er betont.

Die Pause bis zum eigentlichen Auftritt Wittmers ist kurz, später fragt er immer wieder, ob er schon zu lange spiele, wie lange er noch habe, da er keinesfalls wolle, dass jemand den letzten Bus verpasse, schließlich habe sich ein Mädchen diesbezüglich vor dem Konzert an ihn gewandt.

Ein zuvorkommender, junger Mann ist dieser Spaceman Spiff ohne Frage und auch die anfangs immense Skepsis meinerseits weicht im Laufe des Abends mehr und mehr. Natürlich gibt es noch immer zahlreiche Zeilen, die mich in ihrer Aufgeblasenheit oder Banalität stören, aber es überwiegen doch die schönen Momente, die wirklich guten Songs heute Abend.

Bereits bei „Hier und der Wahnsinn“, dem zweiten Lied, bröckelt mein vorheriges Bild des Hamburgers. Zu einfachen, dennoch druckvollen Akkorden singt Wittmer eine melancholische Ode des Großstadtlebens. „Ja klar, ein hoch auf freie Platzwahl / Aber hier ist was du draus machst / Und du sagst du hast die Schnauze voll vom Warten / weil sich nie etwas verändert / du glaubst, dass hier alles schläft / obwohl es du bist, der verpennt hat.“ Das Prätentiöse wird vom Alltag abgelöst, das ist aus künstlerischer Sicht konsequent, für mich angenehm festzustellen.

Nach einem halben Jahr auf Weltreise, in dem eine Menge neuer Lieder entstanden, ist er ohne seine Band unterwegs – auch um die neuen Stücke einem Livetest zu unterziehen. Einige sind richtig gut. Phrasenhaftes Namedropping, wie in „Egal“ (das mit Kant und Peter Pan), findet sich hier nicht, stattdessen wohltemperierte Bilder eines reiferen Songschreibers. Andererseits schreibt der bekennende Star Trek Fan Lieder, die mit Elementen der Science Fiction Serie arbeiten, sie als subtile Allegorie auf alltägliche Situation verwendet. Das ist nett und unaufgeregt und vor allem ehrlich. Bei Solokonzerten schreibt sich Wittmer keine Setlists, lässt sich vom Lauf des Abends treiben, was ihm eine angenehme Dynamik verleiht. Bei „Treibsand“, vom immer noch aktuellen Album „... Und Draußen Immer Noch Wetter“ werden Kindheitserinnerungen beschworen und aufgeblähte Phrasen ausgespuckt. Besser gefallen „Hin und her“ oder „Vorwärts ist keine Richtung“. Fraglos ist der Sänger aus dem Umfeld des Grand Hotel van Cleefs ein begabtes Talent, mit vielversprechender Zukunft. Ein junger Musiker, dem es gelingen kann, ein wichtiger Singer-Songwriter, ein Niels Frevert seiner Generation zu werden.

Dass man es mit einem Filmfan zu tun hat, zeigt sich immer wieder; so ist „Mit Scherenhänden“ an den Tim Burton Film mit ähnlichem Titel angelehnt, während er in „Han Solo“, die Nicht-Existenz von Helden leise besingt.
Der traurige Heimwehsong „Hamburg“ blass in der Anonymität der Metropole gezeichnet, ist dann der Höhepunkt eines entspannten Abends. Der riesige Pathos, die klimakterische Zuspitzung am Ende, alles passt in diesem Moment, während all der Kummer in zwei fatalistisch hoffenden Versen gipfelt; „Woanders bin ich wer gewesen / Hier werd' ich irgendjemand sein“.
Am Ende „Gedankenstricke I“ und „II“, nachdem das Konzert mit dem dritten Teil begann. Es schließt sich ein Kreis. Ich muss meine Meinung weitgehend revidieren. Es war ein schönes Konzert, wirklich. Vernunft kann so kalt sein.


Setlist, Spaceman Spiff, Stuttgart:

01: Gedankenstricke III
02: Hier und der Wahnsinn
03: Melancholie und Ich
04: Treibsand
05: 100.000 Kilometer
06: Photonenkanonen
07: Zeit zu bleiben
08: Hin und her
09: Vorwärts ist keine Richtung
10: Hamburg
11: Egal
12: Im Teesatz zum Sieg (?)
13: Mit Scherenhänden
14: Wände

15: Han Solo (Z)
16: Gedankenstricke (Z)
17: Gedankenstricke II (Z)

 

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