Dienstag, 12. Oktober 2010

Wildbirds & Peacedrums, Paris, 11.10.10


Konzert Wildbirds & Peacedrums (My Bee's Garden)

Ort: Café de la Danse, Paris
Datum: 11.10.2010

Zuschauer: nicht sonderlich viele

Konzertdauer: Wildbirds 75 Minuten, My Bee's Garden etwa eine halbe Stunde



Hmm. Wie war das denn jetzt? Kunst oder Käse? Bevor ich meine Konzerteindrücke über die Schweden Wildbirds & Peacedrums in Worte fasse, muss ich erst noch einmal in mich gehen. Passiert mir eher selten, daß ich kein Statement parat habe, aber in diesem Fall drängt es sich auf, das Geschehene noch einmal in Ruhe Revue passieren zu lassen ...

So, bin in ich mich gegangen, hier der Bericht:

My Bee's Garden, das Projekt der jungen Französin Melodie Prochet, wird in Pariser Indiekreisen immer bekannter. Wie so oft war ich früh am Ball (Eigenlob stinkt? Egal!) und habe bereits am 7. Februar schwelgerisch über den luftigen Shoegaze-Pop von Melody berichtet (klick!). In der Zwischenzeit hat das innovative Label Kitchen (Young Man, Coming Soon, Wave Pictures) zugeschlagen und sich My Bee's Garden unter den Nagel gerissen. Und die Glückssträhne geht noch weiter und wird sie auch bald nach Deutschland führen: als Support der gehypten Psychedelic-Popper Tame Impala treten My Bee's Garden in Köln, München und Hamburg auf. Respekt!

Schade, daß heute in Paris nicht alles so rund lief. Melody, ihre Keyboarderin Maud Nadal (Myra Lee) und ihr Gitarrist Jerôme Pichon (Reza) hatten mit sehr unangenehmen Soundproblemen zu kämpfen. Gleich mehrfach und bei mindestens 4 Liedern knackte der Verstärker auf äußerst häßliche Weise. Die jungen Franzosen nahmen die Sache sehr professionell. Sie erschreckten sich zwar genauso wie die Zuschauer, spielten die Lieder aber zu Ende, als wäre nichts gewesen. Natürlich trübte das die Performance und die hübsch arrangierten Lieder konnten so nicht zu voller Entfaltung kommen. Dennoch: Potential ist bei My Bee's Garden reichlich vorhanden. Fans von Acts wie Pram, Stereolab, Blonde Redhead oder Broadcast sollten bei den Franzosen auf ihre Kosten kommen. Dream Pop ist angesagt und wird auf unterschiedliche Weise zelebriert. Die vermittelte Atmosphäre ist etherisch, traumversunken, melancholisch. Bubblegum-Refrains gibt es nicht, so daß sich die Songs nicht sofort einprägen, dafür aber Langzeitwirkung entfalten. Kommt bei den Konzerten von Tame Impala pünktlich, damit ihr euch die (Wahl)-Pariser in Ruhe ansehen könnt. Es lohnt sich auf jeden Fall, zumal Melody und Maud sehr hübsch sind. Aber das ist nur ein schöner Bonus zur ohnehin ansprechenden Musik...

Das mit dem hübschen Äußeren kann man sicherlich auch auf die Sängerin des schwedischen Duos Wildbirds & Peacedrums beziehen. Mit ihren dunklen Haaren und Augen sieht Mariam Wallentin zwar nicht unbedingt wie die typische Skandinavierin aus (und ist es auch nicht, sie stammt aus dem Iran), ist aber zusammen mit ihrem Ehemann Andreas Werliin fester Teil einer neuen schwedischen Musikszene fernab von Abba. Ihre Freunde heißen Loney, Dear, Lykke Li oder Frida Hyvönen, aber Wildbirds klingen ganz anders als diese folkig-poppigen Schweden. Schwer zu sagen, wem sie stilistisch ähneln. Betreiben wir doch ein wenig Namedropping, nur um eine ungefähre Standortbestimmung zu haben: Fever Ray, Zola Jesus, Björk, My Brightest Diamond, Micachu, Bat For Lashes, Tune-Yards, St. Vincent und ... ähem... Shakira! Das wären die Künstler, die mir in den Sinn kämen. Beschrieben ist damit der Sound von Wildbirds & Peacedrums aber immer noch nicht so richtig...

Das teilweise gothisch oder auch sakral angehauchte Spektakel begann gegen 21 Uhr. Die Sitzreihen waren nicht komplett besetzt, was vielleicht auch daran lag, daß Wildbirds & Peacedrums in der Vergangenheit bereits zwei mal Konzerte in Paris gecancelt haben. Da mochte sich der ein oder andere gedacht haben: diese Schweden können mich mal gern haben! Woran auch immer es gelegen haben mag, Fakt war, daß die Zuschauerresonanz nur mitelmäßig war. Die Band ist aber in der Tat auch eher etwas für Spezialisten. Ihre Musik ist schwer greifbar, experimentell, fordernd, um nicht zu sagen: anstrengend! Einen klassischen Aufbau "Strophe-Refrain- Strophe" gibt es bei dem Pärchen nicht und auch Gitarren fehlen völlig im Instrumentarium. Alles fokussiert sich auf das Zusammenspiel zwischen ihrer Stimme und seinem unkonventionellen Schlagzeugspiel. Ich musste mich schon stark konzentrieren, um den ersten drei Liedern zu folgen. Alles war so spröde, so düster, so wenig einladend. Für mich bisher Uneingeweihten, der noch nie eine Platte des Duos gehört hatte, ziemlich harter Tobak! Dann marschierte plötzlich ein gemischt-geschlechtlicher Chor ein. 4 junge Männer und vier junge Damen mit himmelblauen Kutten bauten sich im Hintergund auf und steuerten Gesänge bei, die ebenfalls sehr speziell klangen. Wert auf Harmonien im klassischen Sinne wurde jedenfalls nicht gelegt, stattdessen dominierten eher schräge Töne.

Ich bewegte mich nun bühnentechnisch in die Nähe der Sängerin und beobachtete hinter meiner Linse ihre Gestik und Mimik. Mit den Armen schien sie zu predigen, den Mund verzog sie bisweilen zur Grimasse. Nonverbale Kommunikation mit ihrem trommelnden Ehemann gleich 0! Jeder spielte seine Part runter und konzentrierte sich sich nur auf seine Aufgabe. Bei ihr kam zu dem bluesigen Gesang noch das Beklöppeln einer Steeldrum hinzu. Ein tolles Instument! Ich mag die karibisch angehauchten Töne die durch das Bearbeiten dieser großen Schale entstehen sehr gerne. Dennoch, das Liedmaterial blieb sperrig.

Im Laufe der Zeit kam ich aber trotzdem immer besser rein. Mit ihrer mir oft zu kraftvoll eingesetzten Stimme konnte ich mich zwar bis zum Ende nicht so richtig anfreuden, aber sein innovatives Schlagzeugspiel gefiel mir immer mehr. Auch die Chöre verblüfften mich, etwas Vergleichbares hatte ich bisher noch nicht gehört. Ein paar Kenner im Publikum gingen auf den Sitzen richtig mit, der Rest schaute sich die Sache stillschweigend und regungslos an. Ich begriff, daß von den Liedern hypnotische Wirkung ausgehen kann, wenn man die Gebrauchsanweisung oder die Affinität dafür hat. Für einen Ungeschulten wie mich war das Ganze allerdings nicht auf Anhieb berauschend und nachvollziehbar. Die eingefleischten Fans hingegen applaudierten so lautstark und langanhaltend, daß es nach einem ersten Zugabenblock mit drei Titeln sogar noch einen alles abschließenden Song gab. Ich hatte den Eindruck, daß Mariam um Fassung rang, denn sie verharrte einen Weile still hinter ihrem Mikro, bevor sie mit zitternden Gesichstzügen zu dem Lied ansetzte. Trotz steigender Bekanntheit und Popularität schien sie von dem stürmischen Empfang der Pariser sehr gerührt zu sein und musste sich eine Träne verdrücken. Da ich in ihrer unmittelbaren Nähe am Bühnenrand stand, war nun auch ich plötzlich stark ergriffen. Mir wurde klar, wie emotional belastend es sein muß, Konzerte zu geben, sich einem fremden Publikum auszuliefern. Vor allem, wenn man wie die Wildbirds einen Stil pflegt der nicht unbedingt gängig ist. Die Schweden liefern Kunst ab, die man nicht mögen muss, aber respektieren sollte. Das tue ich hiermit. Ob ich noch zum Fan werde, weiß ich hingehen nicht. Schau'mer mal...

Setlist Wildbirds & Peacedrums (merci à Michael):

01: The Wave
02: The Drop
03: Bleed Like There Was No Other Flood
04: Tiny Holes
05: Under Land And Over Sea
06: Great Lines
07: The Course
08: The Lake
09: The Well
10: Places
11: Fight For Me
12: Peeling Of The Layers

1. Zugabe: 3 Lieder
2. Zugabe: 1 Lied

Links:

- Fotos von Wildbirds & Peacedrums, klick
- Fotos von My Bee's Garden, klick

Aus unserem Archiv:

My Bees Garden, Paris, 07.02.10




2 Kommentare :

Christoph W. hat gesagt…

Ich fand Wildbirds & Peacdrums fürchterlich anstrengend, als ich sie letztes Jahr gesehen habe. Konnte da überhaupt nichts mit anfangen...

E. hat gesagt…

my bee's garden aktuelle scheibe habe ich auf dem tisch, aber noch nicht hören können. bin neugierig.

 

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