Konzert: Tetuzi Akiyama (Jozef Van Wissem, Chris Forsyth, Quentin Dubost)
Ort: Espace en Cours
Datum: 22.10.2010
Zuschauer: etwa 100
Ob ich jetzt noch zu diesem mysteriösen Ort namens Espace en Cours gehen soll? Ich sehe auf meine Armbanduhr und stelle fest, daß es schon 23 Uhr ist. Ich befinde mich gerade im Bastilleviertel, wo ich ein Konzert meiner Helden von Kim Novak gesehen habe. Ebenfalls heute abend spielte aber auch ein Musiker auf, den ich am Sonntag zu einer Oliver Peel Session erwarte. Sein Name: Jozef van Wissem. Ein Amerikaner mit holländischen Wurzeln, der als einer von ganz wenigen zeitgenössischen Künstlern auf einer mittelalterlichen Laute (Vorläufer der Gitarre) spielen und komponieren kann. Jozef war im Espace en Cours als einer von vier sehr speziellen Musikern angesetzt. Ich frage mich, ob es sich noch lohnt, von Bastille bis zum Place de Réunion zu fahren, der eine halbe Stunde entfernt liegt. Ehrgeizig und unermüdlich wie ich bin, versuche ich mein Glück. Laut Plan befindet sich der Ort in der Nähe der Flèche d'or. Ziemlich stark frierend latsche ich die Straßen des Viertels ab. Auf meinem Weg komme ich an einer Gruppe Farbiger vorbei, die auf Bänken abhängen und lauten, harten Rap hören. Sie sind friedlich, lassen mich unbeachtet passieren. Wir sind ja schließlich auch nicht in der Bronx der 1970er Jahre! Ich erreiche den Place de Réuninon, der wirklich ziemlich viel Charme hat. Keine reiche Gegend, aber ein Viertel mit Potential. Diejenigen, die schon länger hier wohnen, fürchten sich sicherlich davor, daß hier ein paar wohlhabende Schnösel auf den Geschmack kommen, die Wohnungen Luxus sanieren, schicke Cafés und Galerien aufmachen und die Mietpreise klettern lassen. Noch aber sind die Immobilienhaie nicht eingestiegen und kurioserwiese liegt ein einzelner Schuh auf dem verlassenen Platz. Warum bitte schön, verlieren Leute immer wieder einzelne Schuhe?
In einer Bar frage ich, wo man den Espace en Cours findet. Die marrokanische Kellnerin zuckt ratlos mit den Schultern und fragt ihren Chef. "Kennst Du hier einen Laden mit Livemusik?, fragt sie ihn ungläubig. "Zwei Häuser weiter unten", bedeutet mir der nette Herr und wünscht mir viel Spaß. Rue de la Réunion 56, eine Privatadresse, wie ich das schon geahnt hatte. Zum Glück ist die Eingangstür einen Spalt geöffnet, sonst wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß mein Wunschort wirklich hier sein soll! Ich durchquere einen Flur und stoße auf einen schönen Innenhof. Ob denn Jozef van Wissem noch hier sei, will ich von den zwei jungen Frauen wissen, die hier den Empfang machen. Gespielt habe er schon meint die eine, es gebe aber gerade eben noch ein letztes Konzert, ergänzt die andere. Im Innenhof treffe ich witzigerweise gute Bekannte von mir, die auch schon bei ein paar Oliver Peel Sessions zugegen waren. Echte Kenner, die immer Bescheid wissen, wenn es irgendwo in der Stadt sehr spezielle Konzerte gibt. Ich vernehme hypnotische Instrumentalmusik und frage meine Kumpels, wo denn überhaupt der Eingang zum eigentlichen Konzertsal sei. Sie zeigen auf den rechteckigen Raum neben uns. Das Problem ist bloß, daß die Tür zu ist und ein dunkler Vorhabg alles verhüllt. Ich schiebe dennoch die Tür auf und stehe plötzlich direkt neben Jeanne Madic, die auch schon einmal eine Oliver Peel Session bei mir gespielt hat. Neben ihr kauert ein Hüne mit langen, strähnigen Haaren, ich erahne sofort , daß es sich um Jozef van Wissem handeln muß. Ich kenne sein Gesicht von Videoplattformen im Internet. Hinter ihm stehend, sehe ich kaum, was sich auf der Bühne abspielt. Es ist mucksmäuschenstill und die Leute haben teilweise die Augen geschlossen. Wie in Hypnose hören sie der Instrumentalmusik des Japaners Tetuzi Akiyama zu. Der Asiat trägt einen schwarzen Cowboyhut und verzerrt auf verschiedene Weise seine Akustikgitarre. Das Ganze ist sehr monoton und repetitiv, aber kurioserweise gerade deshalb spannend. Die Atmosphäre ist knisternd, keiner rührt sich, niemand schießt Fotos. Die improvisierte Bühne ist nur durch eine funzelige alte Stehlampe erleuchtet. Ein Szenario wie in einem Indiefilm. Cool! Und Oliver Peel ist wieder mitendrin! Ein kultiviert ausehender Mann um die 50 hat die Augen geschlossen und hält sich förmlich an seiner Bierflasche fest. Es ist eine bizarre Geschichte, die Sache hat fast schamanischen Charakter. Mein Vater hätte mich bestimmt hier nicht hingehen lassen, aber er schlummert ja in Frieden.
Irgendwann ist Akiyama mit seinem Set durch, nimmt seinen Hut ab und verneigt sich kurz. Die Leute dringen nach draußen, es war heiß hier drin. Jetzt habe ich Gelegenheit den Raum zu inspizieren. Eine Art Künstleratelier. Maler oder Bildhauer könnten hier prima arbeiten, Architekten ihre Pläne zeichnen. Auf dem Boden liegen alte Teppiche und in dem Raum befindet sich auch ein hölzernes Möbel, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Auf französich heißt das gute Stück "une maie", eine Art Truhe. Das wäre dann doch wieder was für meinen Vater gewesen, den alten Antiquitätenfreak. Ich komme mit dem Amerikaner Chris Forsyth ins Gespräch, der vorher hier gespielt hatte und lerne dann auch endlich Jozef van Wissem kennen. Er war zufrieden mit der Veranstaltung, hat ein paar Cds verkauft und verabschiedet sich dann auch schon, denn morgen spielt er in Belgien, bevor er am Sonntag extra für die Oliver Peel Session zurück kommt. Was für eine Ehre!
Ich bin sehr gespannt! Ansonsten bleibe ich auch mit dem Veranstalter dieses sehr speziellen Abends in Kontakt. Seine Sache nennt der gebürtige Pole "le non_jazz "und demnächst organisert er auch in einem Laden namens Le Tunnel. Klingt ebenfalls verlockend!
Ausgewählte Konzerttermine von Jozef van Wissem:
23.10.2010: Le Vecteur, Charleroi
24.10.2010: Oliver Peel Session, Paris
31.10.2010: Walpodienakademie,Mainz
2.11.2010: Cairo, Würzburg
23.11.2010: Madame Claude, Berlin
0 Kommentare :
Kommentar veröffentlichen