Freitag, 22. Oktober 2010

Sparrow And The Workshop & Marie-Flore, Paris, 21.10.10


Konzert: Sparrow And The Workshop
, Marie-Flore, Quidam
Ort: La Maroquinerie, Paris

Datum: 21.10.2010

Zuschauer: enttäuschend wenige, vielleicht 100 (Fassunsgvermögen des Ladens 500)




Bin seit heute mit kurzen Haaren unterwegs. Die Fußballermatte ist ab und ich ähnele jetzt frisurentechnisch Morrissey, wie er auf dem Cover von Bona Drag zu sehen war. Hinten und an den Seiten kurz, die Haare in der Mitte zur Tolle hochtoupiert. Hat meine Friseuse (ein süßes Ding!) toll hinbekommen. Irritierend war lediglich, daß mir ihre Friseusenkollegin zu Beginn nicht nur einen Kaffe brachte, sondern auch ein schwules Herrenmagazin, in dem Themen behandelt wurden wie: "Wie verhalte ich mich im Büro? Oute ich mich, oder sag ich's meinem Chef"...

Mit kurzen Haaren ist auch Jill, die Sängerin der pseudoschottischen Band Sparrow And The Workshop unterwegs. Im Booklet zu ihrem Album Crystals Fall waren sie noch deutlich länger. Hinten ist jetzt alles kurz, aber ein paar Strähnchen fielen ihr doch ins Gesicht und über die schönen Rehaugen. War aber auch kein Wunder, denn das kesse Mädel hatte jede Menge Energie und Tatendrang! Ihr Cowgirl-Look allein war das Kommen wert. Caramelfarbene Boots, enge Blue Jeans, und eine hellblau-weiß karrierte Bluse. Unglaublich wie amerikanisch Schottinen heutzutage aussehen! Wenn sie denn eine solche wäre, in Wirklichkeit ist sie nämlich Amerikanerin und kommt aus Chicago. Auch der Basser und Gitarrist Nick ist falscher Dudelsackbürger, denn er ist eigentlich Waliser und so bleibt lediglich Drummer Gregor um das schottische Fähnlein hochzuhalten. Neu ist dieser Etikettenschwindel freilich nicht, denn auch bei Franz Ferdinand stammt lediglich der Trommler Paul Thomsom aus Glasgow, die anderen sind Engländer. Glasgow zieht anscheinend Musiker von nah und fern an und bewahrt somit seinen Ruf als einer der wichtigsten Städte der Indieszene.

Musikalisch sind Sparrow and the Workshop ebenfalls gar nicht so leicht zu verorten. Ihr Sound ist eine Mischung aus Folk, Folkrock, Indierock, Country und 60ies Pop. Jedes Lied klang anders, wenngleich es so gut wie keine Ballade im Set gab. Es domierten ganz klar die schnellen, treibenden Stücke, bei denen sich der heißspornige Drummer nach Herzenslust austoben konnte. Die Varianten enstanden vor allem deshalb, weil Nick immer wieder vom knarzigen Bass zur melodiösen E-Gitarre überging. Sängerin Jill blieb indess das ganze Konzert über ihrer Linie treu. Sie sang stets mit hoher, aber sehr fester und kraftvoller Stimme und erinnerte mich an Folkeusen wie Neko Case, Dolly Parton, Sandy Denny, oder auch Marissa Nadler. Wenn ich Sandy Denny nenne, dann ist natürlich auch Fairport Convention nicht weit und teilweise konnte man in der Tat Parallelen zwischen der Musik von Sparrow and The Workshop und der kultigen britischen Hippieband feststellen. Dennoch haftete den Liedern der falschen Glasgower keineswegs der Duft der frühen 1970er Jahre an, ihre Stücke waren vielmehr eine moderne Variante traditioneller Musik und eindeutig in der Jetztzeit anzusiedeln. Besonders erfrischend empfand ich, daß es viele Brüche im Aufbau der Kompositionen gab. Die Lieder galoppierten nie gleichförmig voran, sondern stoppten mitunter abrupt, um dann wieder Fahrt aufzunehmen. Manchmal hätte ich mir zwar etwas reduziertere Arrangements gewünscht, aber das war wohl mit dem Temperament des sympathischen Trios nicht zu vereinbaren. Das leider sehr dünnn gesäte Publikum fand jedenfalls Gefallen an der Musik und dem unkomplizierten Auftreten der jungen Musiker und klatschte regelmäßig euphorisch Beifall, um den Zuschauermangel zu kompensieren. Besonders gut kam bei den Parisern auch an, daß sich Jill immer mal wieder auf niedliche Weise bemühte, Konversation auf französisch zu betreiben.

Wir werden noch mehr von Sparrow and The Workshop hören und sehen, dessen bin ich mir sicher.

Das Gleiche gilt für die Französin Marie-Flore, die den Konzertabend eröffnet hatte. Vor fast genau 3 Jahren gab sie hier in der Maroquinerie ihr erstes Konzert, als sie die New Pornographers supportete. Seitdem ist viel passiert. Sie hat zunächst eine Single (Empty Walls) veröffentlicht und kurze Zeit später eine erste EP folgen lassen, die in der Pariser Bloggerszene ein höchst positives Echo erfuhr. Slesbt das französische Rolling Stone Magazin und Les Inrockuptibles schwärmten von Marie-Flore in den höchsten Tönen. Und nach dem heutigen Konzert kann man nur noch einmal festhalten: die zierliche Pariserin hat sich enorm verbessert und verdient die Lobeshymnen! Ihre Looptechnik ist inzwischen perfekt und absolut fehlerfrei, ihr Gesang noch schöner und berührender und ihr Gitarrenspiel forscher und sicherer. Nur ihre fast notorische Schüchternheit hat sie immer noch nicht so recht abgelegt, aber das scheue Auftreten passt einfach auch zu ihr. Warum sollte sie sich verstellen?

Eine Sache war allerdings etwas bizarr: Ein Fan (Verehrer, Schwärmer, Stalker?), der sicherlich schon über 40 war, baute sich gleich vor der jungen Chanteuse auf, himmelte sie aus nächster Nähe förmlich an und schoss ein Foto nach dem nächsten. Das war deshalb besonders komisch, weil ansonsten alle anderen Zuschauern sehr weit weg waren und auf den Treppenstufen an der Seite saßen. Der Kerl stand ganz alleine im weiten Rund und nahm keine Sekunde lang den Blick von Marie-Flore. Ein Fall für die Frau von und zu Guttenberg oder einfach nur ein spätpubertäres Phänomen?

Marie-Flore spielt übrigens in den nächsten Tagen und Wochen etliche Konzerte im Vorprogramm von Peter Doherty. Da werden ihr sicherlich mehr Leute zuhören-und sehen.

Abschließend noch ein par Worte zum französischen Rocktrio Quidam. Die jungen Burschen sind tight wie sau, spielten wie aus einem Guss und legten sich voll ins Zeug, konnten aber nicht kompensieren, daß ihr auf französisch gesungener Post Punk irgenwie zu glatt und zu vorhersehrbar war. Ein Zuschauer brachte es auf den Punkt: "die klingen als würde Raphael (ein Pariser Chansonsänger) jetzt bei Placebo singen."



 

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