Dienstag, 30. September 2008

Interview: Pete & The Pirates

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Verabredet waren wir um kurz vor fünf. Eine halbe Stunde früher bekam ich (im Stau stehend) eine SMS, daß die Band auch noch irgendwo im Verkehr stecke und später komme.

Also machte ich es mir im Stadtgarten gemütlich, gab meine letzten 1,90 € für Espresso aus und laß im Rolling Stone, was Noel Gallagher von Fans mit Ohrstöpseln hält. Auf die Idee, einmal auf mein Ticket zu gucken, wann das Konzert beginnen sollte, war ich da noch nicht gekommen. Dann ruft der Tourmanager an und nennt die neuesten Verkehrsinfos. Als sie dann endlich ankommen, müssen Pete & The Pirates erst zum Soundcheck. Der Tourmanager findet mich nicht und sagt durchs Telefon: "Ich schreie jetzt mal ganz laut! Sag mal, ob Du das hörst!" Ich höre, renne ihm hinterher und verabrede, daß nach dem Soundcheck Bandmitglieder zu mir kommen.

Zwei sind es dann, Schlagzeuger Jonny, der auch die Plattencover gestaltet, und Gitarrist David. Sie kommen abgehetzt um 19.15 Uhr zu mir. Zwischenzeitlich hatte ich auf mein Ticket geguckt: Beginn 19.30 Uhr PÜNKTLICH...

Das schnelle Interview mit der netten und vor allem sehr talentierten Band findet ihr hier.





Sonntag, 28. September 2008

Wire, Paris, 27.09.08

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Konzert: Wire
Ort: La Maroquinerie, Paris
Datum: 27.09.2008
Zuschauer: ausverkauft
Konzertdauer: ca. 75 Minuten



Bin ich Punk?

Wenn ich mich so im Spiegel betrachte: nö, nicht wirklich. Zwar erkennt man den ehemaligen spießigen Jura- Studenten nur noch auf den zweiten Blick, aber trotz der langen (wenngleich inzwischen ein wenig schütteren) Haare, den oft schwarzen Klamotten und der (ebenfalls schwarzen) Militärkappe von Carhartt sehen echte Punks anders aus. Witzigerweise sehe ich auf dem Weg zum Wire Konzert ein paar originale Vertreter dieser Bewegung. Völlig versifft laufen sie die Rue Oberkampf entlang, räudige Hunde im Schlepptau und schnorren Passanten an: "Ey, haste mal ne Kippe, oder ey haste mal nen Euro", die Sprüche kennt man ja. Von dem schlechten Atem des Typen mit dem Irokesenschnitt wird mir ganz übel. Meine Güte, war der je in seinem Leben beim Zahnarzt? Ich bin etwas angewidert, da kommt der Spießer in mir durch. Dabei bin ich gerade auf dem Weg zu einem Punk-Konzert. Die echten Punks können sich so 'nen Gig gar nicht leisten. Gut 20 Euro für ein Konzert abdrücken? Hast Du 'ne Vollmeise, Alter?

Ein bißchen Punkspirit schreibe ich mir aber doch zu. Seitdem ich mit 16 oder 17 in meiner Indie-Disco Logo mit dem Virus Punk in Berührung kam, lässt mich zumindest die Musik nie so richtig los. Damals entdeckten meine Freunde und ich die Faszination, die von Bands wie den Ramones, The Clash, Siouxsie And The Banshees, The Fall, etc. ausging. Klaaus, der super DJ in dem ranzigen Schuppen, hat uns eingeheizt mit Sachen wie Somebody Put Something In My Drink (Ramones), Rock The Casbah (The Clash), Spellbound (Siouxsie) oder New Big Prinz (The Fall). "Rockin' records, rockin' records, rock the record rockin' records" (Text Mark E. Smith), ja das stachelte uns schon an. Wir hatten Blut geleckt! Und in meinem Falle auch Bier und Schnaps. Und zwar in rauen Mengen, ich war erst zufrieden, wenn ich besoffen war wie ein Schwein! Wenn mein Magen irgendwann revoltierte, raste ich auf die Toilette, hing mich über das Pinkelbecken und reierte das Ding randvoll. Dann wurde weitergesoffen. Und geraucht, filterlose Zigaretten mussten es sein, alles andere war für Mädchen. A propos Mädchen. Mit denen lief nicht viel, obwohl ich manchmal Avancen bekam. Aber da war der Song von den Dead Kennedys Programm: Too Drunk To Fuck! (Video hier). Also wenn ich es mir recht überlege, war ich damals doch recht punkig drauf! "Wir saufen und wir bürsten, wir sind die Fürsten", das war unser Leitspruch. "Sauf Junge!", schrie mich mal ein guter Freund an, da verstand er keinen Spass und ich folgte dem Befehl gehorsam. Anschliessend wurde nächtelang gezecht und um die Häuser gezogen, ein Wunder, daß in dem Zusatnd nichts Schlimmeres passiert ist. Aber wir hatten Dusel, irgendwie verlief alles immer glimpflich und dann wurden wir vernünftig. Sehr vernünftig. Spießig und strebsam. Jurastudenten eben.

Das Ganze ist jetzt fast 20 Jahre (die wilde Phase war zwischen 88 und 91) her und komischerweise waren die meisten Punkbands auch ähnlich lange inaktiv. Ihr Stil war einfach out, Techno war in den 90ern angesagt. Auch Wire haben zwischen 1991 und 2003 kein Album mehr veröffentlicht. Erst 2003, als das Post Punk Revival mit Bands wie Franz Ferdinand und Interpol einsetzte, kamen Wire wieder aus ihren Löchern gekrochen und brachten das Werk Send auf den Markt. Das ging an mir vorbei, genau wie im Übrigen die frühen Sachen von Wire. Die liefen einfach damals in unsere Indie-Disco nicht, oder wir haben sie nicht wahrgenommen. Erst als ich im Zusammenhang mit neuen Gruppen wie den Futureheads, den bereits zitierten Franz Ferdinand und Bloc Party ständig den Namen Wire als Haupteinfluss um die Ohren geschmettert bekam, besorgte ich mir das Kultalbum Pink Flag, damals im Jahre 1977 das Debüt von Wire. Und es ist in der Tat eine geile Scheibe, die zweifelsohne etliche andere beinflusst hat. Dieses kurze Stoppen und Wiedereinsetzen der Musik als Markenzeichen, genauso machen es die Futureheads oder Maximo Park heutzutage auch.

Eine nach wie vor wichtige Band also und das dachten sich wohl auch die schon recht alten Zuschauer heute. Die Maroquinerie war ausverkauft. Und dummerweise kam ich auch noch zu spät und verpasste die Hälfte des Konzerts! Punks sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, die fangen pünktlich um 21 Uhr an, die Spießer! Ich hatte einfach zu lange zu Hause rumgetrödelt und erreichte den Konzertsaal erst um kurz nach halb 10. Aber ich hatte Glück im Unglück, denn die Klassiker von Pink Flag hatten sich die alten Haudegen für das Ende aufgehoben, nachdem sie in meiner Abwesenheit etliche Sachen von dem neuen, hochgelobten Output Object 47 zum Besten gegeben hatten. Auch das starke The 15th vom Album 154 (1979) kam im hinteren Drittel. Von den Hauptdarstellern sah ich am Anfang nicht sonderlich viel, denn der Laden war sehr voll und ich konnte kaum sehen, wer da auf der Bühne agierte. Irgendwann hatte ich dann aber doch bessere Sicht und erkennte einen Brillenträger mit schütterem Haar an der Gitarre ( "Boss" Colin Newman), einen Wollmützenträger am Bass (Graham Lewis), einen Glatzkopf mit Muskelshirt an den Drums (Robert Gotobed) und eine Frau an der zweiten Gitarre (Margaret Fiedler Mc Ginnis).

Diese vier rissen mir in den mir verbleibenden knapp 40 Minuten ganz schön meinen verpoppten Arsch auf! Der Bass polterte düster, der Gesang war giftig und gemein und die Gitarrenriffs kamen scharf und kantig. Insgesamt ein richtig schwerer, harter Sound. Und die Knüller von Pink Flag, als da wären 106 Beats That, Pinkflag, Lowdown und natürlich der abschließende Hammer 1 2 X U (Want To Ex You) kamen richtig gut und unterstrichen, daß Wire auch heute noch eine Daseinsberechtigung haben.

Jeder Musikfan, ob echter, halber, oder gar kein Punk sollte die sich also mal ansehen!

Setlist Wire, La Maroquinerie, Paris (merci à Stéphane!)

01: Our Time
02: Mr Marx's Table
03: Comet
04: Being Sucked In Again
05: Mekong Headman
06: Perspex Icon
07: Advantage In Height
08: The Agfers Of Kodack
09: All Fours
10: One Of Us
11: Boiling Boy
12: The 15 th
13: 106 Beats That
14: I Don't Understand

15: He Knows
16: Pink Flag

17: Lowdown
18: 1 2 XU

Links: Videos von:

- The 15 th, alte Aufnahme vom Rockpalast
- Pink Flag, live South Street Seaport NYC 2008
- Lowdown, ebenfalls SS Seaport 2008




The Courteeners, Köln, 27.09.08

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Konzert: The Courteeners
Ort: Luxor, ähh Köln
Datum: 27.09.2008
Zuschauer: keine 100
Dauer: The River Phoenix 35 min., The Courteeners 55 min.


Gemein, gemein. Nach dem aufregenden Konzert (und Sound) von Pete & The Pirates gestern, konnten die Courteeners nur zweiter Sieger werden. Meine Neugierde war allerdings größer als meine Vorurteile, also zog es mich ins Luxor. Einlaß 18.30 Uhr hatte ich im Internet gelesen. 18.30 Uhr! Ich war eine gute Stunde später da und kurz danach erschienen bereits ein paar schwarzgekleidete Bandmenschen auf der diesmal ungewohnt unrot ausgeleuchteten Luxorbühne und begannen ein sehr lautes Programm.

Laut machte die Musik der dänischen The River Phoenix vor allem der exzessive Einsatz von drei Gitarren. Die hohe Stimme des Sängers, die mich stark an Death Cab For Cutie Frontmann Ben Gibbens erinnerte, passte für meinen Geschmack nicht richtig zu diesem Gitarrenkrach.
Auch fehlten mir dadurch die bemerkenswerten Melodien. Immerhin hatte The River Phoenix den schönsten Songtitel seit langer Zeit: I'm USA, you're Canada. Aber das ist vielleicht auch mein Problem mit ihnen. Mich zieht es musikalisch ja so sehr mehr nach Kanada, daß eine Band, die lieber die USA ist, mich einfach nicht überzeugen kann. Schön zurechtgelegt, oder?

Sehr sympathisch war der Sänger der Band. "Hallo, wir sind die Special Guests heute. Also um genau zu sein, sind wir die Vorgruppe!"

Setlist The River Phoenix, Luxor, Köln:

01: Rabbit Island
02: 28-83-7
03: Dashboard/Attic
04: March into hell for a heavenly cause
05: Radar gloves
06: I'm USA, you're Canada
07: A seed upon the wind
08: Echo valley
09: Five wheel drive

Standen bei The River Phoenix (ob es auch eine Band The Joaquin Phoenix gibt?) noch eine Handvoll Zuschauer auf der Tanzfläche des Luxors, wurde es in der Umbaupause einen Hauch besser, auch, weil einige feierfreudige Engländer anwesend waren und nach vorne kamen.

Um 20.45 Uhr erschienen bereits vier unspektakulär und sehr jung aussehende Musiker. Sänger Liam Fray sah eigentlich wie der typische englische Gitarrenband-Frontmann aus. Er trug das obligatorische schwarze Tennis-Polo - aber auch die
unvermeidliche Goldkette plus Armbändchen. Eher untypisch seine Getränkewahl, er trank Rotwein aus dem Glas.

Das Debütalbum der Band aus Manchester,
St. Jude, erschien im April und wurde in Zusammenarbeit mit Stephen Street, dem Produzenten der Smiths, aufgenommen. Das wirklich markante Coverartwork stammt von Sänger Liam (und erfreut mich immer wieder, wenn bei mir Lieder der Courteeners laufen.

Den ersten Song kannte ich auch gleich vom Album. Aftershow eröffnet auch die Platte. Das fällt mir überhaupt häufig auf, daß Bands Konzerte gerne mit dem ersten Lied der aktuellen Platte beginnen. Weil es sich bewährt hat? Ich weiß es nicht, aber im großen Rockstar-Handbuch steht nun mal, daß das eine gute Idee ist.

Den Nachfolger Trying too hard to score kannte ich nicht. Ist das Wayne Rooney gewidmet? Ich vermute es. Das Lied scheint eine B-Seite zu sein (von Not nineteen
forever). Und es war nett, wie eigentlich alles in der ersten Hälfte des Konzerts. Aber ich war nicht hingerissen. Das hatte mir der Abend vorher vermutlich versaut. Die Courteeners sind eine gute Band, die schöne Musik macht und eine solide Platte veröffentlicht hat, die es schließlich nicht von ungefähr auf Platz vier der englischen Charts geschafft hat. Aber um es auf den Punkt zu bringen, Mitte des Konzerts plätscherte alles an mir vorbei und langweilte mich ein wenig. Kein gutes Zeichen aber auch nicht böse gemeint. Allerdings muß ich der Gerechtigkeit halber feststellen, daß die Leute um mich rum nicht gelangweilt aussahen. Im Fall der Engländer neben mir lag das aber nicht nur an der Musik, was zu einigen schönen Szenen führte. Da knipsten sich zum Beispiel die Landsleute der Courteeners ununterbrochen. Als sich zwei von ihnen so posierten, daß auf dem Bild auch die Band zu sehen war, reagierte Liam geistesgegenwärtig und drängelte sich mit einem Victory-Zeichen aufs Foto. Später fragte er, ob jemand schon mal in Manchester gewesen sei. Einige schrieen. Einer der Engländer brüllte heiser: "I AM from Manchester." Das war komischer, als es sich hier liest... Eine der Frauen brüllte irgendwann begeistert "He's my brother!" und zeigte auf irgendjemanden auf der Bühne, um Liam dann zu fragen, was er trinken wolle. Man unterhielt sich ein wenig und einigte sich offenbar auf "Jagermeister", der dann auch recht schnell vor dem Frontmann stand.

Huch, die Musik scheint mich wirklich nicht richtig mitgerissen zu haben.

Aber... es wurde besser. Es packte mich dann schließlich doch noch. Ich glaube, das
fing ab Fallowfield Hillbilly an, dem Lied über ihre Heimatstadt Manchester. Danach verschwanden Bassist, zweiter Gitarrist und Schlagzeuger und überliessen ihrem Sänger die Bühne alleine. Er spielte als erstes An ex is an ex for a reason, das als Bonustrack zum Album erschienen war, und danch das letzte Lied der Platte mit dem schönen Titel Yesterday, today & probably tomorrow. Seine Band kam danach zurück, um die Top 20 Single Not nineteen forever (einer Frau in der ersten Reihe gewidmet...) zu spielen. Ein klasse Lied! Das große Highlight kam aber wie es sich gehört zum Schluß: What took you so long. Das Lied selbst mag ich schon sehr. Aber die Abwandlung bzw. Ergänzung um ein kleines Stück von Tomorrow, einem meiner Lieblingslieder von James, zauberte mir ein sehr breites Grinsen ins Gesicht! Eine sehr liebenswerte Band, diese Courteeners!

Setlist The Courteeners, Luxor, Köln:

01: Aftershow
02: Trying too hard to score
03: That kiss
04: Acrylic
05: Kings of the new road
06: Bide your time
07: Cavorting
08: Please don't
09: Bo Jangles (?)
10: Fallowfield Hillbilly
11: An ex is an ex for a reason (Liam Fray solo - haha, das paßt)
12: Yesterday, today & probably tomorrow (Liam Fray solo)
13: Not nineteen forever
14: What took you so long?

Links:

- The Courteeners in Paris im Januar
- mehr Fotos



Freitag, 26. September 2008

Pete & The Pirates, Köln, 26.09.08

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Konzert: Pete And The Pirates
Ort: Studio 672. Köln
Datum: 26.09.2008
Zuschauer: ca. 40
Dauer: 40 min.


Das Timing war nur fast perfekt. Eigentlich hätte das Konzert von Pete & The Pirates vor genau einer Woche sein müssen, denn da war der internationale Talk Like A Pirate Day!

Ursprünglich war heute auch ein sehr anstrengender Konzertabend geplant. Neben Pete & The Pirates, auf die ich mich seit langer Zeit gefreut hatte, hätten Cut Off Your Hands spielen sollen. Es wäre also Konzerthoppen geworden. Leider hatte die Neuseeländische Band aber vor
einiger Zeit abgesagt, sodaß es plötzlich weit weniger kompliziert wurde.

Pete & The Pirates kenne ich seit ihrer EP Get even. Und seitdem hoffte ich, die Band aus Reading endlich einmal live zu sehen. Aber auch nach Erscheinen ihrer ersten Platte Little death im Februar waren keine Deutschlandkonzerte in Sicht, die Band hatte das in England hochgelobte Album hierzulande gar nicht veröffentlichen
können. Eine echte Schande, denn Little death zählt für mich zu den besten Platten des Jahres und hätte wirklich mehr Wahrnehmung verdient.

So kamen die fünf Piratenfreunde dann auch nicht als Headliner nach Deutschland sondern als Special Guest
(und zumindest auf einer Sorte Eintrittskarten gleich groß gedruckte Band) der Black Box Revelation aus Brüssel. Da ich mich bei den Belgiern, als sie als Vorgruppe der Blood Red Shoes im Gebäude 9 aufgetreten waren, schrecklich gelangweilt hatte, stand für mich fest, daß die Petes meine Hauptgruppe sein würden.

Von kurz nach sieben an hatte ich Schlagzeuger Jonny
Sanders und Gitarrist David Thorpe im Restaurant des Stadtgartens interviewt. Erst kurz davor hatte ich gesehen, daß auf den Tickets "Beginn 19.30 Uhr pünktlich" stand. Als wir uns dann noch in aller Ruhe unterhielten, auch einer der beiden Petes der Band (der Gitarrist und Sänger) dazu kam, war es plötzlich 19.22 Uhr, und die Musiker sollten schnellstens auf die Bühne.

Es verzögerte sich dann aber doch noch um einige Minuten, denn der ganze Zeitplan der Engländer hatte sich durch Staus und Freitagsverkehr rund um Köln massiv verschoben. Der um 20
Minuten verschobene Beginn hatte aber wohl vermutlich auch damit zu tun, daß man mehr Leuten die Chance geben wollte, noch zum Studio 672 zu kommen, damit es nicht zu intim werden würde.

Immerhin hatten dann gut 40 Leute die Tickets aufmerksamer als ich angesehen und
waren rechtzeitig genug da, um nichts zu verpassen - eine sehr gute Idee, das Konzert der Südengländer wurde nämlich richtig gut...

Charakteristisch für die fünfköpfige Band sind die hochmelodischen und mehrstimmigen Lieder. Für die Melodien zeichnen die beiden (dauerhaften) Gitarristen
Pete und David verantwortlich. Oft spielt aber auch Sänger Tommy eine dritte Gitarre, was aber nichts an seinem inbrünstigen und punktgenauen Gesang ändert. Das kleine, vor allem verwinkelte Studio 672 ist sicher kein Traum eines Soundmanns, der der Engländer hatte aber ganze Arbeit geleistet, was das Konzert zu einem besonderen Vergnügen machte. Tommy, der Sänger, beherrscht seine Parts vorzüglich. Er traf jeden Ton, egal wie hoch oder anspruchsvoll er (für mein Laienohr) auch gewesen sein mag. Fantastisch! Meist singen zusätzlich die beiden Petes der Band, Bassist Cattermoul und Gitarrist Hefferan, so daß sich bei mir ganz automatisch Gedanken an das hervorragende Futureheads-Konzert vor ein paar Tagen einstellten.

Auch wenn die Readinger einen sehr eigenen Stil haben, drängen sich Gedanken an die Futureheads automatisch auf. Auch im NME fand ich diese gerade, nur schöner formuliert. "Yet dig beneath the surface and you’ll have your senses rearranged by the tightness of Hamburg-era Beatles, the indie aesthetic of C86 and the dizzy vocal interplay of a more chart-friendly Futureheads." Ja genau, so sind sie. Aber eben auch sehr eigenständig und daher
außerordentlich originell - was ich mich bei den vielen hundert "nächsten großen Dingen" kaum zu sagen wage.

Nach Bright light und Knots, die ich bereits kenne, kam mit Cold black Kitty ein mir neues Lied. "It's about a cat." Katzen mag ich nicht, Cold black Kitty schon, der Song war eine weitere kleine Perle mit Tempowechseln, feierlichem Gesang und wahnsinnigem Bass. Schade, daß es Kitty wohl nirgendwo zu kaufen gibt, das Lied hat mich verzückt. Wo ich eben schon bei Referenzen war, die feierlichen Gesänge erinnerten mich ein wenig an Mykonos von den Fleet Foxes, einer der anderen aufregenden neuen Bands des Jahres.

Neu für mich war auch das folgende Josie ("die folgende Josie" besser). Herrlich war dabei schon einmal der kleine "Streit" zwischen Tommy und Gitarren-Pete. "The next song is about a tortoise." "No, it's about a turtle!" "No! Tortoise!" "Turtle!" Ob das Vieh nun im Wasser oder an Land lebt, ist egal, das Lied gefiel mir! Ich weiß nicht, ob das schon ein neuer Song ist, denn später kündigte Tommy eines der Stücke als Titel eines neuen Albums an, das wohl bald erscheine. Eine sehr schöne Aussicht!

Es folgten vier Titel von Little death,
die Single She doesn't belong to me (sehr catchy!), Lost in the woods, Eyes like tar und This thyme, bevor mit Blood gets thin ein weiterer neuer Song gespielt wurde.

Not a friend stammt aus der Feder von Gitarrist David. Tommy kündigte es originell an: "It's about stuff. Sailing the sea, right?" David bestätigte das und alle anderen nannten weitere Themes des Stücks. "And bitterness." Not a friend mit sehr charakteristischem Gitarrenbeginn gibt es als Liveversion zu kaufen, vielleicht wird es auch auf der nächsten Platte sein. So wie Jennifer imAnschluß ("brandnew!"), das ich also auch nicht kannte. Trotzdem war es sofort vertraut, ein großes Stück Musik, das amerikanischer als die anderen Lieder klang, es ging schon ein wenig in Richtung Shins.

Leider kamen im Anschluß nur noch die beiden großen Hits
Mr. Understanding und Come on feet. "Nur noch" ist natürlich Blödsinn, denn beide Lieder reichen alleine aus, um diese Band zu lieben.

Auch wenn Pete & The Pirates einen holprigen Start in Deutschland hatten, weil ihr Album hier bisher nicht erscheinen konnte, bin ich sehr sicher, daß wir sie bald wiedersehen werden. Und dann kann ich nur dringend raten, sich die Band aus der Stadt mit dem Festival anzusehen! Ahoy me Mateys!


Setlist Pete & The Pirates, Studio 672, Köln:

01: Bright lights
02: Knots
03: Cold black Kitty
04: Josie
05: She doesn't belong to me
06: Lost in the woods
07: Eyes like tar
08: This thyme
09: Blood gets thin
10: Not a friend
11: Jennifer
12: Mr. Understanding
13: Come on feet

Links:

- unser Interview mit Pete & The Pirates
- Pete & The Pirates in Paris im März
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Billy Bragg, Paris, 25.09.08

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Konzert: Billy Bragg
Ort: La Maroquinerie, Paris
Datum: 25.09.2008
Zuschauer: die Marooquinerie war nicht ausverkauft, aber letztlich doch gut gefüllt
Konzertdauer: brutto knapp 100 Minuten, netto (also abzüglich der Anekdoten) vielleicht 80...




Ich frage mich vorab:

- Kann ich als Sohn eines Unternehmers jemanden wie Billy Bragg mögen, der einem das Hohelied des ehrlichen kleinen Arbeiters und des fiesen, korrupten Kapitalisten singt?

- Kann ein bekennender Fußballhasser wie ich, auf einen Typen stehen, der einen verbal permanent mit diesem beknackten Ballspiel belästigt?

- Kann ein Verteidiger der freien (und sozialen!) Marktwirtschaft wie ich, jemandem zuhören der auf recht infantile Weise in Zeiten der Börsenturbulenzen den Abgesang des Systems verkündet und dabei seine Schadenfreude nicht verbergen kann?

Da muß ich nicht lange überlegen: dreimal jaaa!

Warum denn auch nicht, alles andere wäre ja auch vollkommen albern! Erstens weil die Musik von Billy spitzenmäßig ist und zweitens weil der Bursche authentisch rüberkommt und an das glaubt, was er da erzählt, auch wenn es teilweise naiv und halbwahr ist.

Aber mal von vorne:

Es ist 21 Uhr. Meine pechschwarze Prada-Jacke (ja was denn? Firmengründerin Muccia Prada war und ist Kommunistin!) liegt auf der Bühne, die gleich Billy Bragg betreten wird. Um das (inzwischen recht alte) Teil aufzupeppen, habe ich seit geraumer Zeit zwei Buttons darauf angebracht, einen von Ian Curtis und einen von den Mods. Von den Mods hat Billy auch etwas und sei es nur die stimmliche Ähnlichkeit zu Paul "Modfather" Weller. Und genau wie der Ex - The Jam - Sänger ist Herr Bragg für viele ein Idol, zumindest in England. Bloggerfreund Eike bezeichnete den Künstler mit dem Bürstenhaarschnitt (hier) sogar als eine Art Mentor.

So weit würde ich bei mir nicht gehen, einen Mentor habe ich persönlich überhaupt nicht. Mein Vater war dies auch nicht für mich. Allerdings hat er mir (mal davon abgesehen, daß er auch viel dummes Zeug erzählt hat) ein paar wichtige Dinge eingebläut, die mich geprägt haben. Arbeite auch mal mit den Händen, selbst wenn Du es nicht unbedingt nötig hast! (unvergessen die schlechtbezahlte Arbeit am Fließband in vielen Sommerferien!) Scheue Dich nicht davor, Dich schmutzig zu machen! Sei Dir im Klaren darüber, daß viele Leute für einen Hungerlohn verdammt hart arbeiten müssen! Behandele einfache Leute mit Respekt!

Recht hatte er damit, der alte Sack! Und irgendwie erinnerte mich Billy Bragg an meinen Vater. Die direkte Art, der nahe Kontakt zu den Leuten, das Eigenbrötlerische, viele Züge waren mir vertraut.

Kurz nach 21 Uhr kam der Musiker mit seiner Gitarre und einem dampfenden Tee
(ja genau, kein Bier!, nur Tee! , genau wie Madonna, wie er erklärte!) auf die Bühne spaziert, die eine viertel Stunde vorher noch von Kathryn Williams und Neil Maccoll, dem Halbbruder von der im Jahre 2000 bei einem Tauchunfall tragisch verstorbenen Kirsty Maccoll besetzt worden war (Zum Abschluß gab es dort übrigens ein Cover von Jeff Buckley's Hallelujah).

Er spielte zunächst The World Turned Upside Down, das auf der Setlist schlicht mit 1649 vermerkt war. Textlich geht es da wie so oft bei dem Engländer um den Kampf der einfachen Leute (the dispossessed- die Enteigneten wie Billy Bragg sie nennt) gegen die Landlords, um das zu beanspruchen, was ihnen einst gehörte (they defied the laws where the dispossessed reclaiming what was theirs). Die Erde ist Allgemeingut (a common treasury) heißt es da und weiter: Eigentum ist eine Sünde (the sin of property) und niemand hat das Recht, zu kaufen und zu verkaufen, also mit dem Land zu spekulieren (No man has any right to buy and sell the earth for private gain). Während er dies sang, verzog er scharf die Mundwinkel, so als wolle er seine nach wie vor vorhandene Kampfbereitschaft demonstrieren, spuckte ein wenig beim Intonieren der Silben und entlockte seiner Gitarre ein paar schräge Riffs. Ein charismatischer Typ, keine Frage! Sein Haar war kurz ausrasiert und seine Augen hellblau und stechend, aber auch gütig wirkend. Um zu unterstreichen, daß er sich der Arbeiterklasse zugehörig fühlt, trug er ein einfaches T-Shirt und eine kakifarbene Stoffhose der amerikanischen Work clothing - Marke Carhartt. Seine Füße steckten in stabilen Stiefeln, mit denen man auch in einem Bergwerk hätte arbeiten können. Selbst mit seinen inzwischen 50 Jahren und einem mit Sicherheit recht gut gefüllten Bankkonto ( er hatte immerhin Nummer eins Hits in England) wirkte er trotzdem nicht verkleidet. Unwahrscheinlich, daß sich Billy etwas aus teuren Anzügen und noblen Uhren macht. Sein Anwesen in Dorset, wo er lebt, soll allerdings hübsch und großzügig bemessen sein, wofür er sogar schon von dem linken Rockjournalisten Gary Bushell verhöhnt wurde. Also wie war das noch mit dem Spruch von "Privateigentum ist eine Sünde" und der Sache mit dem "the earth is a common treasury"? Ein Widerspruch? Nicht wirklich, Billy Bragg ist kein Kommunist, (singt er ja auch bei To Have And To Have Not: "just because I dress like this ,doesn't mean I'm a communist") bekennt sich zur Sozialdemokratie und scheut sich trotzdem nicht davor, Tony Blair zu kritisieren. "Wofür steht (stand) der Kerl eigentlich, was ist sein ethisches Grundprinzip, das hinter seiner Politik steckt?", fragt sich der Musiker nachdenklich und würgt auch noch Maggie Thatcher bei dieser Gelegenheit verbal einen rein. Er sinniert jetzt über die bebenden Finanzmärkte und selbst wenn er die Sache differenzierter schildern könnte, sagt er doch am Ende etwas Goldrichtiges: Es kann nicht sein, daß Banker Riesengewinne anhäufen und dann, wenn sie sich verspekuliert haben, die Steuerzahler die Zeche zahlen sollen!

Mit dem Prinzip Gewinne privatisieren und Verluste verstaatlichen, kann ich auch wenig anfangen. Allerdings ist es ja nicht so, daß auf einer Seite die fiesen geldgierigen Machtmenschen stehen und auf der anderen die armen redlichen Arbeiter.
Das Streben nach schnellen Gewinnen mit Immobilien ging in England und den USA auch von vielen Kleinanlegern aus, die die Banken bedrängten , ihrer nicht hinreichend abgesicherten Hausfinanzierung zuzustimmen. Diese Tatsache erwähnt Billy nicht, aber wir sind ja nicht auf einem politischen Seminar, obwohl das Konzert teilweise Züge davon annimmt.

Aber es gibt neben den Statements und Anekdoten, die immer sehr humorvoll und mit einem Augenzwinkern erzählt werden,
natürlich auch Musik. To Have And To Have Not z.B. ist sowohl musikalisch als auch textlich ein Leckerbissen. "Just because you're better than me doesn't mean I'm lazy, just because you're going forwards doesn't mean I'm going backwards", alle im Raum singen lauthals mit, auch ich. Vermutlich hat Billy in dem Klassiker seine persönliche Leidensgeschichte verarbeitet, man liest, er habe die Schule einst ohne Abschluss verlassen. Vielleicht auch deshalb textlich die Aussage: "Qualifications once the golden rule are now just pieces of paper"...

Irgendwann stellt er auch sich und sein konzerttechnisches Verhältnis zu Paris vor, ich weiß nicht mehr ob dies nach dem zweiten Lied war. Das letzte Mal habe er 1989 in Paris gespielt, vor 19 Jahren! An die Location kann er sich noch erinnern,
es war im New Morning, ein Saal der heutzutage hauptsächlich für Jazzkonzerte genutzt wird. Eine andere Location erfindet er aber, den Wortwitz versteht aber nicht jeder sofort. 1984 will er zum ersten Mal in Paris gewesen sein, er habe in einem Club gleich am Flughafen gespielt, im CDGA. CDGA ?, den Laden kennt noch nicht einmal mein französischer Freund Philippe und der ist seit 20 (!) Jahren in punkto Livegigs unermüdlich unterwegs. Kein Wunder, es gibt einen Club diesen Namens auch nicht, es war lediglich eine Anspielung auf den legendären New Yorker Punkschuppen CBGB, der unlängst seine Pforten für immer geschlossen hat. Wie wir hinterher bei einem Plausch von Billy persönlich erfahren, steht CDGA einfach für Charles de Gaulle Airport...

Der Mann hat Humor, dafür lieben ihn seine Fans, auch wenn dieser manchmal recht bissig ist. Carla Bruni wird verhohnepipelt, "die sei ja furchtbar" grinst der Engländer und schlägt die Hände vor sein spitzes Gesicht. "Da war es wirklich Zeit, daß ich mal wieder nach Paris komme." Ich hätte fast hereingerufen, daß Carla Bruni ja wohl besser als Kate Nash sei, mit der er schon "A New England" live performt hat, lasse das aber lieber sein, weil ich Angst habe, von den Franzosen im Publikum gelyncht zu werden. Aber was sage ich da, Franzosen? Die sind hier in der Minderheit. Darüber ist sich auch der Künstler bewußt: " I don't speak fucking much french, but anyway I think you understand me, because I guess you are not fucking french, but fucking english!" "And fucking german", rufe ich fast herein, verkneife mir aber auch diesen Spruch...

Der Künstler selbst hingegen verkneift sich keine Dreistigkeit und manchmal muss man schon wissen, daß er manche Dinge nur scherzhaft meint. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, gefällt ihm z.B. am Anfang der Sound nicht und er flucht mit böser Miene auf die Scheiß-Tontechniker. "Fucking shit", er teilt jetzt aus wie ein Preisboxer und um zu unterstreichen, daß ihn im Moment alles ankotzt, nimmt er die Setlist, die zu seinen Füßen liegt, zerknüllt sie und schleudert sie mit Schwung ins Publikum. Eine super Szene, vor allem weil er die gespielt grimmige Miene noch eine ganze Weile beibehält, um die Sache pikant zu machen. Ein glänzender Entertainer, der natürlich keineswegs die armen Tontechniker persönlich angreifen will, sondern lediglich - wie jeder Musiker - soundtechnisch ein Perfektionist ist. Ansonsten betont er aber auch an einer anderen Stelle einmal, daß eine bessere Welt - so wie er sie sich wünscht- keine perfekte Welt ist. Auf Dauer wäre es ja scheißlangweilig, wenn alle Frauen so toll wie Carla Bruni aussehen würden, meint er schelmisch und bekommt davon von mir Szenenapplaus (ich alter Heuchler, meine Frau ist ja optisch auch eine Spur schöner als Alice Schwarzer).

Gelacht wird ohnehin viel im Publikum, das wie erwähnt stark englisch unterwandert und im Übrigen natürlich in den seltensten Fällen proletarisch ist. Machen wir uns nichts vor, Folk, Punk, Indierock, all dies sind musikalische Genres,
die intellektuelle, gutausgebildete und in einigen Fällen gutverdienende Leute anzieht, wie das grelle Licht die Mücken. Echte Proleten sehen anders aus, auch wenn einige Engländer hier ihren Cockney - Akzent besonders theatralisch zur Schau stellen. Farbige im Publikum? - Fehlanzeige! Arabischstämmige Pariser? - No. Schon seltsam, wenn man mit dem Bus 96 zur Maroquinerie hinauffährt, sitzt man neben etlichen Schwarzen, in dem Konzertsaal selbst sieht man sie aber nicht mehr. Der einzige Schwarze ist der Ticketkontrolleur am Eingang und der hört bestimmt lieber Hip Hop als Billy Bragg! Woran das liegt? Die Leute hier im 20. Arrossindissement von Paris haben nicht genug Kohle, um 24, 20 Euro für ein Konzert eines kreidebleichen Engländers abzudrücken, der sich vehement (und natürlich vollkommen zu Recht!) gegen Rassismus ausspricht. Irgendwie kommt mir der Gedanke, daß Herr Bragg doch einfach die Leute aus dem Viertel hätte einladen können, der Saal war doch gar nicht richtig voll, hätte noch Besucher vertragen. Dann aber stelle ich fest, daß das ja auch albern wäre. Was würde das an ihrer schwierigen Situation ändern? Auch Billy macht sich weiterhin so seine Gedanken, hofft, daß Ende des Jahres zum ersten Mal ein Farbiger Präsident wird, gibt aber zu bedenken, daß dies allein den Lauf der Welt ja auch nicht ändern grundlegend ändern würde. Außerdem fügt er hoffnungsspendend hinzu: "a musician like me can't change the world, but the audience - you! (er zeigt in die Menge)- can!"

Verstand ich ehrlich gesagt nicht so ganz, denn wenn ein Sänger es schafft, sein Publikum dazu zu bringen, etwas (was eigentlich genau?) zu bewegen, dann hat er doch die Kausalität in Gang gesetzt, wie ich als neunmalkluger Ex- Jurastudent noch von den staubtrockenen Vorleseungen her weiß. Aber solche Spitzfindigkeiten spielen auch keine Rolle, denn Billy Bragg hat in der Tat geschafft, das ich ins Nachdenken über sozialpolitische Zusammenhänge komme. Verflucht, meine schwarzen, totschicken The Clash Turnschuhe der Marke Globe sind bestimmt auch von Kinderhänden zu Billiglöhnen in Asien hergestellt worden! Und so etwas soll Punkspirit sein! Ich bin wütend auf mich selbst! Aber würden sich normale Leute die Treter noch leisten können, wenn die Dinger anstatt 75 Euro, 300 Euro kosten würden, also den Preis hätten, den sie wahrscheinlich haben müssten, damit man die Arbeiter in den Zulieferländern ordentlich entlohnen kann? Darüber hat sich der Künstler bestimmt auch schon den Kopf zermartert, ich erinnere an seinen Satz "Fair Trade, Not Free Trade". Ich labere zuviel? Sorry! Weiter mit Musik. Nach Farm Boy vom neuen Album Mr Love & Justice kommt mit Greetings To The New Brunette (Shirley) ein klasse Stück, in dem es um das Lieblingstehema des Künstlers geht. Nein, nicht Politik. Liebe!!! "Here we are in our summer years living on icecream and chocolate kisses would the leaves fall from the trees if I was your old man and you were my missus." Mensch Billy, sensationelle Lyrics, Du alter Poet! Und auch der Spruch mit dem Bezug zum Fußball ist hier großartig: "How can you lie there and think of England when you don't even know who's in the team?" Gab es je bessere Songtexte? Wohl kaum und allein dieses Lied war das Eintrittsgeld voll und ganz wert!

Bei Way Over Yonder In The Minor Key kommt Country-Parfum in die Sache rein. Ein Lied, das Billy für das Album Mermaid Avenue beigesteuert hat, das zusammen mit Wilco entstand. Geschrieben wurde es ursprünglich von Country - Legende Woody Guthrie (die Bragg Fans unter unseren Lesern wissen das natürlich alles, aber es gibt ja auch neue, noch junge Anhänger, denen noch nicht alles bekannt ist), dessen Tochter Nora die Herren Billy Bragg und Jeff Tweedy 1995 beauftragte, die Texte ihres Vaters mit Musik auszumalen. Zu einer Tour mit Wilco kam es aber damals nicht, es gab Unstimmigkeiten und so tourten Billy und die Band The Blokes gemeinsam, um das Album zu vermarkten. Das Ergebnis dieser Tournee konnte man dann übrigens heute in CD-Form käuflich erwerben. Von besagtem Album kam auch der Song Ingrid Bergman, zu der Billy eine witzige Geschichte zu erzählen wusste, die natürlich mit folgender Textzeile zu tun hatte: I will pay you more than money, Ingrid Bergman. Not by pennies dimes nor quarters but with happy sons and daughters and they'll sing around stromboli (die italienische Insel)...

In der Setlist war das Lied nicht vermerkt, genauso wenig wie ein anderer Titel nach Woody Guthrie in dem die Zeile: "gambling man is rich, working man is poor" vorkam. Wer kann mir sagen, wie dieser Song heißt?* The Unwelcome Guest, wo ähnliche Lyrics darin vorkommen, war es jedenfalls nicht. Witzig in diesem Zusammenhang: Auch durch das Googeln dieser Zeilen habe ich das gesuchte Stück nicht gefunden und dass obwohl Billy scherzhaft anmerkte und kritisierte, daß man heute alles herausfinden könnte, indem man einfach irgend etwas bei Google eingibt. Damals hätte man sich noch Recherchearbeit machen müssen...

Langweile ich? Bin ich zu langatmig? Es gab nun einmal soviele interessante Anekdoten, soviele brilliante Texte zu besprechen...

Sehr gut war zum Beispiel auch der Text zu Sexuality, indem sich Billy gegen Homophie zur Wehr setzt: "just because youre gay I wont turn you away". Wie sehr er mir damit aus der Seele sprach! Es gibt unter meinen Freunden und Bekannten auch Schwule und Lesben, so what? Sollen sich alle Schwulenhasser zum Teufel scheren! "Fucking bastards", wie Mister Bragg richtigerweise zu ihnen sagen würde, genauso wie er die Rassisten in seiner provinziellen Nachbarschaft auch titulierte. Typen, die ihn als Jugendlichen ankotzten, mit ihren menschenfeindlichen Ansichten und ihrer Dummheit. Deshalb habe es ihn auch besonders geprägt, als er The Clash bei einem Konzert gegen Rassismus 1978 gesehen habe.
Rock against racism hieß die Veranstaltung und sie fand im Victoria Park in London satt. Und - den Segnungen von Google und des Internets sei Dank! - hier gibt es sogar eine Setlist und nähere Informationen zu diesem historischen Event. Vor diesem Hintergrund spielte er auch ein Lied, das eigentlich keinen richtigen Titel hat, das man aber als Old Clash Fan Fight Song (inklusive reingetexteter Songzeile "I'm so bored with the USA) bezeichnen kann, wie er erklärte. Er erwähnte auch Johnny Cash dabei, deshalb auch der Wortwitz mit Johnny Clash.

Die Anekdote, die er zur Entstehungsgeschichte des Liedes erzählte - ein Bericht von einem Gig in Minneapolis bei dem er seine Stimme verlor und sich seinem Manager ratsuchend anvertraute, der ihm ihm aber nur trocken entgegnete: "don't worry Billy, nobody comes to hear you singing" - hat er genauso auch bei dem berühmten Festival SXSW 2008 in Texas den Zuhörern aufgetischt, genauso wie die eingebaute Stelle: "George Bush will soon be gone".

Es ist also nicht jeder Gag spontan bei Billy Bragg, manchmal thomasgottschalkt er schon etwas, aber das verzeiht man ihm gerne. Auch dass er bei der ersten wunderbaren Zugabe " Waiting For The Great Leap Forewards" einen kurzen Gag einbaut : "we are not here at fucking popstars (american idol)", den er ganz genauso bei anderen Konzerten gebracht hat, sieht man ihm nach. Und wie kann man überhaupt jemandem überhaupt etwas übel nehmen, der einen mit der großartigen Hymne "A New England" in die Nacht entlässt,
zu der alle - auch die Mädchen - mitsingen und zugeben, daß sie nicht die Welt verändern wollen, sondern nur nach einem neuen Girl suchen?

Man kann auch ohne den passenden Haarschnitt und die entsprechenden Klamotten ein Punk sein, gibt Billy Bragg, der sich sehr darüber freute,
daß er auf dem Flyer der Maroquinerie unter Stilrichtung Punk vermerkt war - noch mit auf den Weg. Sagt es, bedankt sich verbal bei seinen Fans ("thank you, thank you", er zeigt dabei auf die gemeinten Leute) und schüttelt mir von der Bühne aus die Hand. Er zieht jetzt auch noch den Teebeutel aus seinem Becher und besudelt damit meine schöne Prada-Jacke. Cool, die wasche ich jetzt nicht mehr (die Jacke, die Hand schon!)! Ich alter Punk! Oder so...


Setlist Billy Bragg, La Maroquinerie, Paris:


01: 1649 (The World Turned Upside Down)
02: To Have And To Have Not
03: Farm Boy
04: Greetings To The New Brunette
05: O Freedom
06: Way Over Yonder in The Minor Key
07: I Ain't Got No Home
08: NPWA
09: Sexuality
10: Sing Their Souls Back Home
11: Levi Stubbs Tears
12: Old Clash Fan Fight Song (Johnny Clash)
13: I Keep Faith
14: There Is Power In The Union

15: Waiting For The Great Leap Forwards
16: A New England


Gespielt wurde (zum Glück!) auch Milkman Of Human Kindness, obwohl der Song nicht auf der Liste notiert war.


Links:

- Video Old Clash Fan Fight Song live at SXSW 2008 (angucken, er hat in Paris haargenau das Gleiche erzählt...)
- Video A New England live at SXSW zusammen mit Kate Nash (Warum nur spielt der Kerl mit der Käthe??)

- Video Sexuality live @ Fillmore San Francisco, 11. Juni 2008 (brauchbare Qualität)
- Video I Ain't Got No Home, ebenfalls live @ Fillmore
- Video Greetings To The New Bruntte (Shirley) live
- Video To Have And To Have Not, live 16.04.2008
- Milkman Of Human Kindness (Mensch, da war Billy noch sehr jung!)
- Mehr Fotos von Billy Bragg hier

Deutsche Konzerttermine von Billy Bragg:

28.09.2008: Batschkapp Festival, Frankfurt
29.09.2008: E-Werk, Köln
03.10.2008: Century Of Song Festival, Bochum
05.10.2008: Century Of Song Festival, Bochum




* ich habe es selbst herausgefunden, es handelt sich um I Ain't Got No Home nach Woody Guthrie und der Song war doch in der Setlist erwähnt.




 

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