Konzert: New Fall Festival - Kate Tempest
Ort: Düsseldorf, Capitol Theater
Datum: 29.10.2016
Dauer: 60 min
Zuschauer: ca. 1.200
Wohl kaum ein Künstlerin war in den letzten Wochen so oft in den Medien anzutreffen wie Kate Tempest. Erst gab es überall Lobeshymnen für ihren Debütroman, dann folgte vor kurzem noch das neue Album "Let them eat Chaos".
Wie viele Feuilletonleser sich aber wirklich schon mit dem sperrigen Werk auseinander gesetzt haben, bleibt unklar. Das Capitol war jedenfalls in sehr gespannter Erwartung, schließlich handelte es sich um eines der allerersten Konzerte zur neuen Platte.
Wer Kate Tempest schon einmal erleben durfte, konnte sich die berechtigte Frage stellen, wie die Intensität der letzten Auftritte denn nun noch gesteigert werden sollten. Wenn die Messlatte an Emotionen und Tempo so hoch liegt, werden viele Erwartungen geweckt.
Ein Problem, das wohl auch Tempest erkannt hat. Daher beginnt sie vor dem eigentlichen Start zunächst mit einer kleinen Bedienungsanleitung: Handys sind bitte in der Tasche zu lassen. Wir sollen "bei ihr" und "mit ihr" sein. Auch die Bestuhlung soll bitte keine Distanz zum Geschehen auf der Bühne zulassen.
Punkt eins sollte kein Problem werden, bei der Distanz wurde es etwas komplizierter. Kate Tempest präsentiert in Folge nämlich kein Konzert, sondern ein einstündiges, verbales Musical ohne Showbeilage.
Alles spielt sich im Kopf der Künstlerin und der Zuschauer ab. Band und Licht, sowie das Auftreten von Tempest sind reines Mittel zum Zweck und völlig unprätentiös.
Und so folgt man ihren ständigen Themen von Jugend und Kapitalismus, von Großstädten und Einsamkeit, falschen Träumen und nicht erfüllten Wünschen.
Einmal gefangen in diesem Sog der Worte und den derben, unterkühlten Beats, gibt es kein Entrinnen mehr. Keine Pause, keine Chance innezuhalten, um das Gehörte zu reflektieren. Nicht einmal Applaus oder Zwischenrufe sind möglich.
Dabei bleibt manchmal unklar, in wie weit Kate Calvert (ihr richtiger Name) hier nur ihr Alter Ego "Kate Tempest" präsentiert, und ob das Ganze nicht doch nur eine Kunstfigur ist. Calvert jedenfalls äußerte in einem Interview kürzlich, sie sei eigentlich eine "Optimistin".
"Das Leben ist wundervoll, manchmal stimmt nur eben die Balance nicht".
Diese Sichtweise ist hier und heute, wenn überhaupt, weit unter allen Parolen, der Wut sowie den tiefsten Industrialbässen vergraben.
"We are lost, we are lost..." ist das Mantra des Abends. Nicht ganz klar wird, ob es trotz der ganzen Probleme des aktuellen Kapitalismus nicht auch noch andere Schauplätze auf der Welt gibt, denen man seinen Pessimismus der Menschheit aufdrücken könnte.
Das Konzert ist jedenfalls in vielerlei Hinsicht ein Schlag in die Magengrube. Tempest seziert das Leben der sieben Londoner um 04:18 am Morgen aus ihren Sichtweisen, und hier wird ein großer Unterschied zu meiner Jugend schnell klar.
Während es bei uns nur um die Selbstfindung innerhalb einer der Jugendkulturen ging, sind es heute die verschiedenen ethnischen Gruppen, die die Unterschiede der Kultur des Landes definieren. London als Schmelztiegel ist dafür die perfekte Kulisse.
Der Stil ihres Vortrags bleibt einzigartig. So wahnwitzig wie hier Wortfetzen, Poems und Lyrics verbunden werden, ist es eine völlige Reizüberflutung durch Sprache, die ohnegleichen ist.
Wahrscheinlich sind auch die besonders starken Bilder in ihren Texten der Kunstform des Rap, die sie ja eigentlich hier vorträgt, entliehen. Tempest macht des dem Zuhörer hier nur schwerer, da sie nie in völlige Überhöhung abgleitet, sondern die Szenarien immer einen realen Hintergrund haben.
Nach fast 60 Minuten begrüßt man fast erleichtert das Saallicht. Tempest verbeugt sich kurz mit ihrer Band am Bühnenrand und verlässt dann grußlos das größtenteils überforderte Publikum.
Im Foyer wird danach angeregt diskutiert: "Darf ein Konzert durchweg schlechte Laune verbreiten ?, war Tempest arrogant im Umgang mit ihrem Publikum ?, ist es Kunst ?, oder doch nur ein Lichtblick im sonst so unpolitisch gewordenen Kulturalltag des Pop ?".
Ich finde es wird sich bald entscheiden, ob Tempest auch andere Themen für sich in dieser Qualität besetzten kann als die, die sie durch ihre Sozialisation selber durchlebt hat. Erst dann wird sich zeigen, zu was die Autorin Tempest, neben ihrer fantastischen Bühnenpräsenz, noch fähig ist.
Fotos: FotoSchiko/New Fall
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