Konzert: Haldern Pop Festival, 3. und letzter Festivaltag mit Conner Youngblood, Wintergatan, Ebbot Lundberg & The Indigo Children, Hubert von Goisern, Julia Holter, Yak, Thees Uhlmann, Albin Lee Meldau, Daughter, Jason Isbell, Minor Victories, The Graveltones und vielen anderen
Ort: Rees-Haldern am Niederrhein
Datum: 13.08.2016
Den letzten Festivaltag liess ich spät angehen. Ich war am Samstag erst gegen 4 Uhr ins Bett gekommen und hatte mächtig Schlafrückstand. Ich entschied mich den Haldern-Sonntag ganz entspannt erst um 16 Uhr beginnen zu lassen, um mir als Ersten den jungen Amerikaner Conner (Conner mit "e" und nicht mit "o", wie es im Programmheft fälschlicherweise stand) Youngblood im Tonstudio anzusehen. Allerdings war ich nicht der Einzige der auf diese Idee gekommen war. Als ich meinen netten Spaziergang durch die idyllischen Felder zur Venue hin beendet hatte, sah ich eine Menschenschlange draussen rumstehen. Leute die gerne reinwollten, aufgrund Platzmangels aber nicht konnten.
Diejenigen die es allerdings geschafft hatten pünktlich in das Tonstudio reinzukommen wurden mit einem kostenlosen Saunagang belohnt. Ich selbst gehörte nicht dazu und hörte von draussen aus ein wenig zu. Das war natürlich unbefriedigend (nicht der verpasste Saunagang, sondern das Nichtsehen des Konzertes). Gegen Ende des Sets wurde es aber leerer und ich schaffte es in den kleinen Raum durchzudringen in dem die Luft regelrecht stand und Conner schweisstriefend mit Gitarre und Laptop agierte. Der Bursche sah blendend aus, hatte einen gestählten Body und Rastazöpfe und sang im angesagten James Blake Stil, sprich mit Kopfstimme und souligem Einschlag. Conner war nicht der klassische folkige Singer Songwriter mit Bart und Karohemd, sondern ein sportlicher Jungspund, der auch musikalisch modern und cool klang. Ganz zum Schluss spielte er sogar einen rein akustischen Song, ohne Samples, ohne Loops und ohne Stimmverfremdung und interessanterweise gefiel mir diese puristische Darbietung sogar am Besten, weil man sehen konnte, dass der Texaner auch ganz ohne technische Hilfsmittel was rüberbringen konnte. Definitiv ein Talent, das man beobachten sollte!
Talent hatten auch die schwedischen Postrocker Wintergatan die ich vor ein paar Jahren schon ein mal im Halderner Tent gesehen hatte. Damas war ich begeistert von der Kreativität, der Frische, der Originalität dieser instrumentalen Band, die sogar eigene Instrumente bastelt und bezaubernde Töne produzierte. Allerdings fragte ich mich, ob ohne den Überraschungsfaktor die Musik immer noch betörend auf mich wirken konnte. Sie konnte! Und wie! In der herrlichen Mittagssonne boten die Skandinavier auf der Hauptbühne ein äusserst unterhaltsames, abwechslunsgreiches und bewegendes Set voller packender Melodien und Einfälle.
Der Chef der Band war zudem zu Scherzen aufgelegt. Er erklärte, dass die ganze Musiziererei eine Arbeit von "try and error" sei, was aber nicht notwendigerweise schlimm sei, denn selbst Fehler könnten in der Kunst dafür sorgen, dass ein Projekt paradoxerweise besonders gut klappt. Er nannte einen Haifilm von Spielberg als Beispiel, in dem die Haiaufnahmen zu Beginn wegen technischer Probleme weggeschnitten werden mussten, was aber nur eine Steigerung der Spannung zur Folge hatte, weil der Hai so plötzlich und so überraschend auftauchte.
Anekdoten dieser Art trugen zu einer lockeren Atmosphäre hinzu, aber Wintergatan waren keine Witztruppe, die nur von visuellen Effekten und netten Ansagen lebte, sondern auch wirklich spannende Musik macht, die auch an jedem Ort der Welt funktionieren könnte. Ich langweilte mich jedenfalls keine Spur und verbuchte insgesamt ein wirklich gelungenes Konzert. Schweden sind eben toll.
Halt! Sagte ich gerade Schweden sind toll ? Grundsätzlich würde ich das so unterschreiben, allerdings konnte mich Albin Lee Meldau, der mit Ebbott Lundberg den Startplatz getauscht hatte im Anschluss im Spiegeltent nicht wirklich überzeugen. Lag aber eher an meinen musikalischen Präferenzen als an anderen Dingen. Wie schon erwähnt bin ich kein Fan dieser Neo Soul- Neo Jazz Szene, die James Blake und Sam Smith losgetreten haben und Kopfstimmen gehen mir inzwischen meistens auf die Nerven. Somit war dann der Auftritt von Albin eher nicht mein Fall.
Hubert von Goisern vermochte mich danach auf der Hauptbühne allerdings noch weniger zu begeistern. Ein jodelnder Steirer mit Blasmusik, Alpen Pedalsteel und jovialer Kommunikation mit dem Publikum ("sann Steirer do?"), das war schon sehr speziell. Ich fühlte mich fast wie im Musikantenstadl, aber zum Glück gibt es in Haldern ja auch einen schönen Pressebereich am Waldrand, in den ich mich während des Konzertes des Österreichers verzog.
19Uhr 30: Zeit für Julia Holter
Was für ein Leckerbissen! Julia Holter in Haldern auf der Hauptbühne! Im Spiegelzelt hatte sie ja bereits schon mal gespielt, nun also der Aufstieg auf die Main Stage. Schade nur, dass sich nicht extrem viele Festivalgäste zur Prime Time vor der grössten Stage des Popfestivals wiederfanden, sondern stattdessen mehrheitlich den neben dem Spiegeltent gelegenen Biergarten bevölkerten. Da legt die Holter das laut Kritikern allerbeste Album des Jahres 2015 vor und dennoch ist sie noch kein richtiger Star, zumindest ist sie hinsichtlich ihres Publikumerfolges immer noch nicht im Mainstream angekommen! Sehr verwunderlich ist das allerdings nicht. Obwohl ihr letztes Album wesentlich zugänglicher als die Vorgänger war, bleibt sie immer noch ein wenig verhuscht, schrullig und experimentell und letztlich ist das auch gut so, denn wollen wir wirklich alle einen gleichklingenden Einheitsbrei hören ?
Allerdings hätte auch ich als bekennender Fan der begnadeten Chanteuse etwas zu beanstanden und zwar die Livepräsenz der Band. Schon bei einem Konzert in Paris war mir aufgefallen wie bräsig und abwesend der Drummer spielte, wie wenig mitreissend die rothaarige Violonistin bei der Ausübung ihrer Kunst anzusehen war und wie weltenrückt der gothische angehauchte (schwarze Fingernägel) Kontrabassist agierte. Eine fetzigere Band hätte dem Set sicherlich gutgetan. Nun muss man natürlich auch berücksichtigen, dass die Studioversionen der Songs äusserst komplex und live nur schwer umsetzbar sind, aber ein wenig mehr Schwung und Harmonie (manchmal klang alles ein wenig schief) hätte ich mir schon gewünscht. Holter selbst war allerdings kein Vorwurf zu machten, sie sang sehr gut und äusserst lieblich und verzog ihren Mund beim Singen immer wieder zu einer süssen Schnute. Auf Kumpel mit dem Publikum machte sie aber nicht, das ist nicht so ihre Art und passt auch nicht sonderlich zu der traumversunkenen, bizarren Musik der Amerikanerin.
Julia Holter spielte vorwiegend Songs von ihrem aktuellen Album Have You In My Wilderness (glänzend: Feel You und Betsy On The Roof) aber auch 2 vom Vorgänger Loud City Sounds (u.a. Opener In The Green Wild) und eins von Tragedy.
Das etwa 60 minütige Set war unter dem Strich sehr ordentlich, vermochte aber aus oben genannten Gründen nicht ganz die Brillanz der Alben widerzuspiegeln. Julia Holter muss noch etwas arbeiten (oder eine bessere Band verpflichten) um ein Publikumsmagnet zu werden. Angesichts des riesigen Talentes der sympathischen Dame mit den inzwischen leicht graustichigen Haaren mache ich mir dahingehend aber keine allzu grossen Sorgen.
Setlist Julia Holter
01: In The Green Wild
02: Silhouette
03: So Lilies
04: Horns Surrounding Me
05: Lucette Stranded On The Island
06: Hello Stranger (Barbara Streisand)
07: Feel You
08: Everytime Boots
09: Betsy On The Roof
10: Vasquez
11: Sea Calls Me Home
Die jungen Briten Yak im Spiegeltent danach waren vor allem eins: laut. Sehr laut. Sie mischten das Publikum von Beginn an auf und Sänger und Gitarrist Oliver Henry Burslem liess es sich nicht nehmen in der Mitte des Sets in die Menge zu springen. Da johlte die aufgepeitschte Meute. Mir war dieser schwere Indie Rock mit Punkeinschlag aber doch etwas zu wild, in meinem Alter mag man es halt eben eher gesetzter. Das jugendliche Publikum kam allerdings voll auf seine Kosten.
Leiser waren dann Thees Uhlmann und Band auf der Hauptbühne danach. Der solide melodische Gitarrenrock des Neuschriftstellers gefiel mir gut, war aber natürlich nicht wirklich originell. Manche fanden auch seine Ansagen etwas nervig, ich hingegen fand sie eher lustig. Ein netter Kerl, der Thees. Kommt vom Land, genau wie ich. Und seine Musik mag ich im Zweifel lieber als die des 17. neuen James Blake Klon.
Ebbot Lundberg and The Indigo Childern im Zelt wollte ich danach auf keinen Fall verpassen. Seit dem Album Origins Vol 1 von The Soundtrack of Our Lives bin ich grosser Fan der schwedischen Rockband, die auch schon in der Vergangenheit in Haldern auf der Hauptbühne gespielt hatte. Deren Sänger Ebbot kam dann auch mal als akustischer Soloact und heuer nun wieder mit einer neuen, sehr jungen Band, in der es auffällig viele attraktive junge Männer gab. Ebbot wirkte neben den dünnen Heringen noch etwas fülliger als sonst schon, aber das machte natürlich überhaupt nichts, weil ihm die Leibesfülle noch mehr Bühnenpräsenz und Power verleiht und sicherlich auch zur ungemeinen Wucht seiner fabelhaften Reibeisenstimme beiträgt. Der notorische Kuttenträger hatte zur Feier des Tages ein feines Tuch um seinen breiten Hals gelegt und das Gesicht mit Kriegsbemalung überzogen, die durch den Schweiss bedingt in der Folge von seinen Wangen und seiner Stirne hinunterlief. Ein Bär von einem Mann dieser Ebbot, so urwüchsig wie man ihn wohl nur in wilden Ländern wie Schweden oder Kanada finden kann! Und sein Gebaren auf der Bühne hatte nichts von seiner hypnotischen Wirkung verloren, der Bartträger zog mich schon in den allerersten Minuten in seinen Bann.
Eingefleischte TSOOL Fans fragten sich möglicherweise vorher ob auch Stücke der inzwischen aufgelösten Band gespielt werden würden (Antwort: ja eins am Schluss, und was für eins!), ich hingegen war offen für die neuen Titel und das aktuelle Projekt von Ebbot. Musikalisch konnte ich ohnehin keine grossen Unterscheide zu TSOOL erkennen, Ebbot ist seinem Mix aus Psychedelic Rock, Hardrock und schwermütiger Popballade weiterhin treu geblieben und so waren dann auch die Stücke schön abwechslungs- und facettenreich. Nach einem ersten Teil mit einem eher soften For The Ages To Come gab es im Mittelteil zwei Songs die man fast als heavy bezeichnen konnte, bevor gegen Ende mit I See Forever wieder eine dieser herzzerreissenden und keine Spur kitschigen Balladen gespielt wurde.
Dass der krönende Abschluss dann mit Second Life Replay ein Song von TSOOL war, war vielleicht ein Zugeständnis an die Fans dieses tollen Projekts und trotz der Güte der mit den Indigo Childern gebotenen Lieder ragte dieser Song von 2008 heraus. Er begann schleppend mit Orgel und Mundharmonika bevor er sich in einen hymnisch epischen Schocker mit wildem Schlagzeugwirbel verwandelte. Das war atemberaubend und dauerte auch fast 10 Minuten, von den keine einzige langweilig war. Hinterher fiepten kräftig die Ohren, aber man verliess das Tent mit dem guten Gefühl hier ein absolutes Highlight miterlebt zu haben.
Dann Daughter auf der Hauptbühne.
Schon ein paar Stunden vor dem Konzert von Daughter hatte ich zufällig erfahren, wer die britische Band um Elena Tonra verstärken würde: Cathy Lucas, die ehemalige Geigerin von Fanfarlo! Ich hatte die nette junge Dame mittags zufällig auf dem Gelände getroffen und sie in meiner penetranten Art in ein Gespräch verwickelt, in der es natürlich hauptsächlich um Fanfarlo, eine Band die in der Vergangenheit bereits auf der Hauptbühne gespielt hatte, ging. Dieses Projekt sei beendet, aber sie sei nun seit einem Monat Keyboarderin bei Daughter. Leider sah man Cathy dann aber kaum auf der Bühne, sie agierte weit hinten rechts im Dunkeln. Ohnehin war die Show eher auf die zierliche Sängerin Elena ausgerichtet, die in elegante schwarze Kleidung gehüllt war und so auch optisch den düster-melancholischen Charakter ihrer Musik unterstrich. Die Männer in der Band spielten eher Nebenrollen und waren weit aussen postiert. Aber auch Tonra selbst war nicht die klassische Bandleaderin, die überdrehte Frontfrau, die für Stimmung sorgt. Der mystischen Musik enstprechend, war sie eher zurückhaltend, hielt sich nicht mit langen Ansagen (die ohnehin unpassend gewesen wären) auf und konzentrierte sich ganz auf ihr Gitarrenspiel und ihren wundervollen Gesang. Hauchzart und flehentlich sang sie und die Gitarrenmelodien klangen fast ähnlich genial wie bei Interpol oder The National, zwei Bands die man durchaus mit Daughter vergleichen kann. Zwar sind Daughter weder wirklich Post Punk (wie eben Interpol) oder folkig (wie bisweilen The National), aber dennoch hört man eine ähnliche ADN heraus. Allesamt sind die Künstler Nachtschattengewächse, Leute, die erst im Dunkeln aufblühen und das Tageslicht eher meiden (daher sicherlich auch der blasse Teint von Elena) und Zuflucht in depressiven Songtexten suchen. Das mag teilweise ein wenig gekünstelt wehlklagend rüberkommen und manchmal auch bombastisch, aber die Anziehungskraft war heuer dennoch so gross, dass kein Plaz blieb um musikphilosophisch erötern zu müssen, ob die genannten zeitgenössischen Bands ähnlich authentisch wie Joy Division sind oder nicht.
Das Set bestand je zur Hälfte aus Stücken des Debüts If You Leave und des Zweitlings Not To Disappear so dass auch diejenigen auf ihre Kosten kamen, die das erste Album bevorzugen. Von diesem stammte das himmlisch leichte Tomorrow mit seinen mandolinenartig klingenden Perlgitarren und dem "Ohohoho-Refrain", während Numbers (an dritter Stelle gespielt) von dem 2. Werk stammte. Alles klang sehr harmonisch und atmosphärisch langsame und rockig schnelle Songs wechselten sich perfekt ab.
Gut eine Stunde genoss ich den luftigen Schwebesound und weil das Konzert so gut war verzichtete ich auch am Ende auf einen Abstecher in das Spiegeltent in dem der begabte Countrysänger Jason Isbell auftrat.
Musikalisch war dieser Schachzug von mir clever, denn die heutigen Headliner Minor Victories (oder waren Daughter Headliner?) knüpften stilistisch an den Sound von Daughter an.
Minor Victories, eine Art Supergroup mit Rachel von Slowdive, Stuart von Mogwai, Martin Bulloch (dem Drummer von Mogwai) und dem Bassisten James Lockey der Editors.
Rachel war von Beginn an Blickfang mit ihrem extravaganten Kleid mit dem auffälligen Federkragen, aber auch stimmlich wusste sie zu entzücken. Die Sanftheit und Melancholie ihrer Stimme war nach wie vor unbeschreiblich und sie schien kaum gealtert zu sein, obwohl die besten Zeiten von Slow Dive schon gefühlte Ewigkeiten zurückliegen. Aber es muss nicht immer Slow Dive und auch nicht immer Mogwai sein, das Mischprodukt Minor Victories war ähnlich berauschend und hypnotisch. "Tolle Atmosphäre" lobte der holländische Moderator gleich mehrfach hinterher und in der Tat kam der Shoegaze Sound zu der späten Uhrzeit perfekt rüber. Dennoch waren anscheinend schon ein paar Festivalbesucher in ihren Zelten verschwunden, vor der Hauptbühne war es keineswegs brechend voll. Diejenigen die nicht da waren, verpassten brillante Stücke wie A Hundred Ropes oder Higher Hopes und vor allem das gigantische und abschliessende Out To Sea, das feuerwerksähnlich knallte
Das Haldern Pop Festival 2016 wurde nach dem letzten Ton der Minor Victories für beendet erklärt. Zumindest von dem holländischen Moderator. Dabei spielte aber noch eine Band im Anschluss im Spiegeltent. Nein, nicht wie geplant die Schotten Frightened Rabbit, die mussten kurzfristig absagen, sondern die bluesrockigen Graveltones, die bereits am morgen in der Bar auf dem Programm gestanden hatten. Ein wildes Duo, bestehend aus Jimmy O (Gitarre, Gesang) und dem Hut tragenden Drummer Mikey Sorbello, das schnörkellos und roh auftrumpfte und sichtlich seinen Spass hatte. Ich sah mir 3 Songs von ihnen noch an, dann waren auch meine letzten Kraftreserven erschöpft und ich trat die Reise in mein Bed And Brekfast in Borghese bei Emmerich an. Alles Hat ein Ende nur die Wurst hat zwei, wie Jimmy O richtig sagte...
1 Kommentare :
launige berichte, oliver, sehr unterhaltsam zu lesen.
dass das nichts mit dir und hubert wurde, mmh,
hätte ich erwartet.
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