Konzert: Haldern Pop Festival 2016, 2. Festivaltag mit dem Stargaze Orchestra, Money, Gogo Penguin, Drangsal, Arthur Beatrice, Glen Hansard, Lapsley, Loney Dear und vielen anderen
Ort: Rees-Haldern am Niederrhein
Datum: 12.08.2016
Am 2. Festivaltag kam ich nur schwer aus den Federn, aber ich hatte noch ein ganz anderes Problem. Mein Bed and Breakfast lag in Borghees bei Emmerich und somit fast 25 km von Haldern entfernt. Weil ich extrem spät gebucht hatte, bekam ich nichts mehr in Festivalnähe und muste deshalb eine weite Anreise zum Gelände in Kauf nehmen. Hinzu kam, dass der Zugverkehr zwischen Emmerich und Haldern pünktlich zum Festival eingestellt worden war (machten die das extra ?) und man auf Busse ausweichen musste. Ein äusserst pampiger Busfahrer (wo war die legendäre niederrheinische Freundlichkeit geblieben ?) kutschierte mich erst nach Rees und dann 15 Minuten mit einem anderen Bus nach Haldern. Bis ich endlich gegen 14 Uhr 30 ankam, waren die Stargazer mit ihrem David Bowie Special fast durch aber ich hatte das Glück noch zwei wirklich wunderbare Coverversionen zu hören, erst von Let's Dance, dann von Starman. Den Gastauftritt von Lokalgrösse Stefan Honig hatte ich aber verpasst, der spielte nämlich am Anfang einen Song (Ashes To Ashes) mit dem Ensemble.
Nach dem Ende des Bowie Specials hatte ich geplant, in der Kirche mit dem Programm weiterzumachen, aber die nun angesetzte Belgierin Melanie De Biasio liess wirklich sehr lange auf sich warten. Insgesamt eine Stunde harrte ich zusammen mit vielen anderen Leuten vergeblich vor der Tür aus, dann gab ich es auf und begab mich zu Fuss zum Spiegeltent, indem nun der Brite Money mit seiner wehklangenden Stimme verzweifelt-schöne Songs performte. Er spielte in kurzen Hosen, hatte unter anderem eine charmante Cellistin und eine Violonistin in seiner Band dabei und liess ein wenig den versoffenen Künstler raushängen. Gleich mehrfach sprach er leicht lallend über Alkohol und Alkoholismus, prostete den Leuten grinsend mit seinem Bierbecher zu und stellte sich desöfteren demonstrativ vorne an den Bühnenrand. Passend dazu schmetterte er den Song A Cocaine Christmas and an Alcoholic's New Year.
Money war (und ist) stimmlich durchaus mit Villagers vergleichbar (das Verletzliche, Sehnsüchtige, Weinerliche), aber während bei Villagers vor genau einem Jahr an gleicher Stelle volle Hütte (bzw. volles Zelt) war, hatte man hier und heute überraschend viel Bewegungsfreiheit. Möglicherweise zogen es einige Festivalgäste vor, draussen die endlich strahlende Sonne zu geniessen, um das Regendesaster des Vortages weitgehend vergessen zu lassen. Melancholiker wie ich aber weilten im Zelt und liessen sich von fragilen Stücken wie You Look Like A Sad Painting On Both Sides Of The Sky, welches die berühmte Pariser Blogothèque erst kürzlich live gefilmt hatte, "deprimieren".
Etwa 40 Minuten spielte Money getragenes und fast klassisch instrumentiertes Songmaterial, dann war Schluss und auch ich stürmte raus in die Sonne.
Auf der Hauptbühne spielten jetzt GoGo Penguin, eine rein instrumentale Jazztruppe mit Piano , Kontrabass und Schlagzeug. Bandleader schien der gut im Futter stehende Kontrabasser zu sein. Zumindest war er es, der die Ansagen machte und auch durchklingen liess, dass ihr Album bei dem legendaren Blue Note Label erschienen sei. Neben Jazz gab es aber auch Anklänge von Trip Hop und klassischer Musik und selbst wenn ich aus Manchester Formationen wie Joy Division, I am Kloot oder The Chameleons bevorzuge, liess mich das Konzert der drei Briten dennoch neugierig werden. Eine gute Abwechslung.
Ich lief nun rüber zum Spiegelzelt wo der Deutsche Max Gruber alias Drangsal spielte. Endlich mal ein New Waver dachte ich mir erwartunsgfroh, aber nachdem ich ein paar Stücke (auf englisch) von ihm gehört hatte, war die Euphorie auch schon verpufft. Er sang mit Robert Smith-Gedächtsstimme und klang mehr wie ein Plagiat alter britischer Post Punk Helden der frïhen 1980er als etwas Neues. Brachialpop kann man auf seiner Facebook Seite lesen, auf der er fast 10 000 Fans hat. Mich konnte der am Ende mit nacktem Oberkörper auftretende tätowierte Blondschopf nicht als Neufan hinzugewinnen und warum erzählte er überhaupt, dass ihm seine Freudin neue Birkenstock geschenkt hatte ? So was Uncooles verschweigt man doch eher.
18 Uhr 30, Zeit mal wieder auf der Hauptbühne vorbeizuschauen. Dort traten nämlich nun die Amerikaner Algiers auf. Die jungen Kerle aus Atlanta hatte ich bereits einmal in Paris in einem Clubkonzert gesehen. Ihre Mischung aus Gospel, Bluesrock und Post Punk hatte mir unter dem Strich durchaus gefallen, aber genau wie nun in Haldern ging mir die kratzige Stimme des völlig überdrehten Sängers und Gitarristen Franklin James Fisher irgendwann ziemlich auf die Nerven. Man hatte das Gefühl er würde um sein Leben kämfen, so zornig und aufgepeitscht wie der war. Dem Publikum schien es mehrheitlich zu gefallen, was der Bandleader mit dem Satz "Germany you have always been good to us" honorierte.
Zurück zum Zelt, wo nun Walking on Cars aus dem malerischen Dingle in Irland aufspielten. Sehr catchy und eingängig ihre oft von einer Fiddel begleiteten Songs, aber ihr ein wenig an Bands wie die Waterboys oder Dexy's Midnight Runners erinnernder Sound war mir etwas zu simpel und gefällig gestrickt um mich wirklich zu begeistern.
Ich ging ziemlich bald rüber zur Hauptbühne wo nun Michael Kiwanuka mit seiner Band bereit stand. Die ersten zwei Songs klangen sehr atmosphärisch und spannend und liessen mich etwas an Pink Floyd denken, dann aber verflachte das Set und wurde mir zu beliebig. Stimmlich und handwerklich konnte man schwerlich über Kiwanuka lästern, aber mir war das Meiste doch zu radiotauglich und die Mitsingnummern die gegen Ende kamen brauchte ich auch nicht.
Schnell rüber ins Zel also zum Set von Arthur Beatrice, die ich vor gut 4 Jahren für mich beim südfranzösischen Midifestival entdeckt hatte. Damals glaubte ich beim Lesen des Namens an einen französischen Chansonier und nicht etwa an eine junge britische Band. Als ich sie aber gesehen hatte, war ich beeindruckt und einige Zeit danach sah ich sie erneut und zwar im Spiegelzelt zu Haldern. 3 Jahre später nun also erneut Arthur Beatrice im Tent, aber dieses Mal sang nur die charmante Sängerin Ela Girardot und nicht wie damals auch noch ein Herr mit tiefer Stimme. Dies entzog dem Set ein wenig die Abwechslung, denn es war gerade das wechselseitige Spiel der wunderbar kontrastierenden Stimmen, die dem Ganzen noch mehr Würze und Abwechslung verabreicht hatten. Und nicht nur das, zudem klang heuer auch der Sound weniger wavig und stattdessen mehr soulig-jazzig. Aber natürlich war da immer noch die phantastische Stimme von Ela Girardot (bitte keine Vergleiche zur grässlichen Florence Welch anstellen!), die zudem durch Bühnenpräsenz und Eleganz (das stilvolle weisse Kostüm!) glänzte.
Man sollte die vier Londoner weiterhin im Auge behalten, auch wenn mir das zweite Album Keaping The Peace, auf dem inzwischen der Schwerpunkt liegt, etwas weniger zusagt als das erste.
Ich musste nun aber schnell zu Glen Hansard rüber, der zusammen mit den Stargazern die Hauptbühne eingenommen hatte.
Viele kannten und liebten Hansard, aber ich selbst war hinsichtlich seine Oeuvres eher unbeleckt. Vor einer ganzen Weile hatte ich mir mal ein Album des Iren zugelegt, es aber nicht oft gehört, weil es mir zu schmusig und gefühlsduselig war. Letztlich bestätigte sich auch dieser Eindruck bei der Liveshow in Haldern, die aber objektiv betrachtet herausragend war. Denn es wurde so ziemlich alles geboten, was sich das Publikum von einem feierlichen Auftritt auf der Hautptbühne erhoffte, als da wären: ein charismatischer Sänger, Streicher, Frauenchöre, Gastduette und viel Herz- Schmerz. Das volle Programm!
Dirk Langen hatte ja bereits ausführlich hierzu berichtet, so dass ich an dieser Stelle abkürze und sofort zu Lapsley komme.
Genau wie Arthur Beatrice zuvor hatte auch Lapsley bereits schon einmal in Haldern gespielt und dennoch ist sie gerade einmal 20 Jahre alt. Gut möglich, dasss die blonde Soulsängerin hier in den nächsten Jahren das halbe Dutzend voll macht und zum Liebling avanciert. Mein Fall war die Musik von Holly Fletcher trotz technisch brillanter Stimme aber nicht. Elektronischer Nu- Soul wie er zur Zeit im Vereinigten Königreich ist nämlich nichts, was mein Herz höher schlagen lässt und so eilte ich schon nach etwa 3 gehörten Liedern zur Hauptbühne um Loney Dear zu bewundern.
Loney Dear die Zweite also! Nach seinem Auftritt am Vortage in der Kirche nun also die Krönung zum König auf der Hauptbühne.
Zweifel ob ich mich erneut begeistern lassen könnte, waren schnell weggewischt. Die Sets waren nicht identisch, die Akustik war ganz anders (die Stargazer waren heute nicht dabei) und es wurden auch mehr Stücke auf der Main Stage als zuvor in der Church gespielt. Man sah also keineswegs zwei Tage hintereinander genau das gleiche Konzert und wer richtiger Fan war, durfte eh keinen der Auftritte verpassen. Zumal diesmal neben einem Bassisten, einem Drummer, einem Keyboarder auch nun die Percussionistin, Akkordeonistin und Keyboarderin Susanna Odell mit dabei war und für noch grösseren (schliesslich gab es auch die vielen Mädels vom Cantus Domus) weiblichen Charme sorgte. Ich hatte das Glück bei den ersten drei Songs im Fotograben knipsen zu dürfen und kosteste diese schöne Gefühl voll aus. Das hatte schon was, da ganz vorne zu stehen und fast von den Kameras des WDR umgeremplet zu werden! Wie feierlich das Ganze schon wieder klang! Wie glücklich und erfüllt die Musiker aussahen! Wieviel Sensibilität da rüber kam! Es war irre!
Gespielt wurden erneut nagelneue unveröffentlichte Stücke und ein paar Klassiker. Saturday Waits kam ziemlich weit vorne und bezauberte wie eh und je und auch Violent stach hervor, der Titel klang sehr intim. Ein paar Pannen gab es auch, ein Tambourin ging zu Bruch, aber mit seiner nonchalanten und sympatischen Arrt meisterte Emil auch dieses kleine Problemchen souverän.
Von den neune Sachen waren von gestern noch Dark Lights und besonders Hulls präsent. Wenn die Studioaufnahmen so gut werden wie die Livedarbietung dürfte dieses Album eines der stärksten in einem ohnhein schon exquisiten Katalog werden!
Setlist Loney dear, Mainstage Haldern:
01: There Are Several Alberts Here
02: Pun
03: Saturday Waits
04: My Heart
05: Lilies
06: Airport Surroundings
07: Violent
08: Dark Light
09: Young Hearts
10: Ignorant Boy, Beuatiful Girl
11: Hulls
Loney Dear war gegen 24 Uhr durch aber eigentlich ging es musikalisch in Haldern noch ein wenig weiter. Da ich aber öffentliche Verkehrsmittel benutzen wollte (musste), hetzte ich wie ein verfolgtes Tier Richtung Bahnhof, nur um festzustellen, dass ich den letzten Zug (der ohnehin nur bis Empel-Rees gefahren wäre) verpasst hatte. Mir blieb nichts anderes übrig als erneut ein teures Taxi zu nehmen. Verflucht! Aus Knauserigkeit bat ich aber den Taxifahrer mich früher rauszulassen, was ich später bitter bereuen sollte. Ich sparte zwar ein paar Euros, verlief mich aber auf dem Weg zu meinem Bed and Beakfast in stockfinsterer Nacht und irrte wie ein Narr durch die schwarzen Wälder an der holländischen Grenze. Nur duch Zufall und erst gegen 4 Uhr morgens fand ich schliesslich meine Unterkunft in Borghees...
Was für ein Tag!
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