Konzert: Bernd Begemann
Vorband: Pleil
Ort: Das Bett, Frankfurt
Datum: 12.03.2014
Dauer: 139 Minuten (exklusive Pause)
Zuschauer: etwa 70
Bernd Begemanns Debüt als Solokünstler war 1993 nichts weniger als eine Zäsur für die deutsche Popwelt. „Rezession, Baby“ hatte nicht nur einen brillanten Titel, es war auch gefeierter Meilenstein und kritisch beäugtes Werk zugleich. Begemann polarisierte und schenkte der Indieszene ein Album, das einen noch heute in seiner Direktheit, seinen beängstigenden Alltagsstudien gefangen nimmt, einen in seiner fragilen Schönheit in den sanften Momenten zart berührt und in der schonungslosen Dekonstruktion, der Offenlegung des Gewöhnlichen schockiert. Mit dem Zusatz „Der elektrische Liedermacher“ untertitelt, war Begemann Anfang der 90er nach der Auflösung der zweiten Besetzung seiner Band Die Antwort (unter anderem mit Lindenberg-Gitarrist Karl Allaut) in Deutschland unterwegs und schuf den Grundstein seiner bis heute einmaligen, ganz eigenen Nische. Auch wenn die Konzerte mit seiner 2003 ins Leben gerufenen, wahrlich formidablen Gruppe Die Befreiung, der vielleicht besten deutschen Liveband, mitreißende Rockkonzerte mit ganz erheblichen Beat- und Mod-Einschlag sind, versprühen die bis heute in seinem Tourkalender dominierenden Solo-Gigs einen eigentümlichen Zauber, der Zuschauer entweder verstört oder einem Erweckungserlebnis gleichkommt.
Gut 70 Leute versammeln sich im Club Das Bett in Frankfurt, während Marco Pleil, der Sänger der Frankfurter Indie-Band Cloudberry, die ich im Sommer 2009 einmal als Vorband der Editors in Aschaffenburg sah, den Abend mit eigenen, deutschsprachigen Stücken und unter seinem Nachnamen eröffnet.
Dionne Warwick singt „Walk on by“, Begemann im chicen Modanzug zum Beach-Boys-Hemd mit Dreitagebart justiert einige Einstellungen am Mischpult nach, grüßt das Publikum. Es geht los. Mit verlässlicher Beständigkeit sind seine Konzerte eine Mischung aus hochklassiger Werkschau, Kabarett, eigenen Hits und der Präsentation gänzlich unbekannter weil neuer Stücke. Eine Setlist im herkömmlichen Sinne gibt es nicht, vielmehr lässt sich Begemann von seiner Laune, spontanen Einfällen und Zuschauerwünschen leiten. Im Bett hat gleich die Eröffnung einen gewissen Premierencharakter. „Ich habe meinen Frieden gemacht“, singt der 51-Jährige milde in einem vermutlich neuen Lied, geht dann direkt in den Klassiker „Oh, St. Pauli“ über und hat das Auditorium in seiner Hand. Man kennt das, viele begleiten die graue Eminenz der Hamburger Schule schon seit Jahren und auch die Novizen verstehen die begemann'schen Rituale rasch und schon wird der Refrain traditionell vom Publikum getragen. Immernoch ziehen der pointierte Sprachwitz, die eingeschobenen Improvisationen und vor allem die eindringliche Präsenz des Protagonisten einen in ihren Bann. Zwischen neuen Songs wie „Lila Twingo“ oder „Es klappt gerade nicht mit dem Fahrrad“, die beim letzten Weihnachtskonzert im Hamburger Knust erstmals vorgestellt wurden, glänzen publikumgsgewünschte, häufig gehörte Standards wie „Fernsehen mit deiner Schwester“ (diesmal mit Californication-Dialog) oder „Ich hab nichts erreicht außer Dir“. „Stop Me If You Think You've Heard This One Before“ wird dann zwar angespielt, an kommen sie dennoch, die beliebtesten Lieder aus über fünfundzwanzig Jahren. Früher gerne als der Hamburger Morrissey bezeichnet, dankt er dem großen Applaus nach der Familien-Ode „Wir Drei“ mit der formvollendet-satirischen Imitation einer dieser überlebensgroßen Posen des Mozzers.
Neben Begemann beherrscht kaum einer das Spiel mit Klischees, die gekonnte Kombination aus trauriger Liebeslyrik und gewitztem Scharfsinn mit derartiger Leichtigkeit. Und so kann es sich der in Bad Salzuflen Aufgewachsene locker erlauben nach der Pause seinen gemeinsam mit Olli Schulz aufgenommenen Blödelsong und diesjährigen Karnevals-Hit „Verhaftet wegen sexy“ und seine Geburtstagshommage „Komm zurück, Olli Schulz, Hamburg braucht Dich“ vor einem der schönsten Liebeslieder deutscher Sprache, nämlich „Bleib zuhause im Sommer“ zu spielen. Die Reaktionen sind ähnlich positiv: So leidenschaftlich die gehaucht-gestöhnten „Hot“ und „Sexy“ - das man Marius Müller-Westernhagen entreißen müsse - mitgegrölt werden, so andächtig lauscht man Versen wie „Es ist egal, dass es keinen Strand gibt / Der Strand ist überall, wo man sich wirklich liebt“ - Größeres wurde nie einfacher in deutscher Sprache verfasst. Dennoch ist es ausgerechnet die Kollaboration mit seinem langjährigen Freund und Epigonen Olli Schulz, die den eigenen Bekanntheitsgrad überraschend ausweitet: „2013 war mein erfolgreichstes Jahr bisher: Auf der neuen Fettes Brot CD ist irgendein Sample von mir, Max Raabe hat ein Lied von mir gecovert, das auf seiner Nummer-1-LP ist, ich hatte meinen ersten Top-10-Hit mit Olli Schulz, der genau Nummer 10 war und zwar zwei Tage lange, aber auch nur in den Download-Charts“, konstatiert der Musiker, der sichtlich mit sich und seinem Leben im Reinen ist, lächelnd und man sieht ihm die Erholung des zurückliegenden All Inclusive Urlaubs mit seiner Freundin, der aufstrebenden Singer-Songwriterin Dorit Jakobs sofort an, „gebucht in einem Reisebüro, ich bin da altmodisch“.
Inmitten seiner direkten Abrechnung mit dem nationalen Medienbetrieb, moralischen Fragwürdigkeiten und dem peinlichen Schwermut der jungen, erfolgreichen Vertreter der deutschen Popzunft, blitzen in Begemanns Songs kleine Hoffnungsschimmer auf. In „Jetzt bist du in Talkshows“ führte er seine Hörerschaft Ende der 90er durch ein wahres Panoptikum einer absurden Medienwelt mit ihren Modetrends und anderen Eigenheiten. Unter all den Perlen dieses Albums schillert „Ein Fremder in Deiner Wohnung“ am Schönsten. Im Bett ist das dann zusammen mit „Ein Geständnis unter Fremden“, das, was man guten Gewissens als heimlichen Höhepunkt bezeichnen kann. Dazu nimmt einen der hallende Wohlklang seiner roten Gibson gefangen.
Der wohl rezipierte, zu Recht als Pate der Hamburger Schule betrachtete Popdichter konnte schon in den 80ern direkte Liebeslieder in der Güte von „Aber Du meine Liebste (Die schönste Rose)“ schreiben und nahm spätestens mit seinen besten Soloalben „Rezession, Baby“ und „Solange die Rasenmäher singen“ die Großtaten anderer Künstler vorweg. Das Recht, „euch weiterhin alle scheiße finden zu dürfen“, nimmt sich Begemann nichtsdestotrotz heraus. Und das hat dann nichts mit „Bigmouth strikes again“ zu tun, ist stattdessen lediglich das verdiente Selbstverständnis einen großen Künstlers fernab von Zynismus und plumper Arroganz.
„Der Junge, der nie mein Onkel“ wünsche ich mir als erste Zugabe und Begemann liefert. „Das ist ein Stück, das Schande und Ärger über mich brachte“, erzählt er, „man war sich in Hamburg nie in irgendetwas einig, außer darin, dass man keinen Song über einen Wehrmachtssoldaten schreibt“. Das ruhige, in keiner Form verherrlichende Lied, stellt die Schuld einer indoktrinierten Jugend in Frage. „Ich sage, er war 18 und es ist schade“, singt er über den in Frankreich gefallenen Bruder seiner Mutter und liegt damit so fern von einer vermeintlichen Landser-Romantik, wie man nur liegen kann. Begemanns Song ist ein tieftrauriges Stück über düstere Zeiten in der Familienhistorie, durchaus kritisch und von atemberaubender Klasse. Thees Uhlmann nahm sich vor zwei Jahren des Stückes bei der Gala zum 50. Geburtstag des Autors an und rief noch einmal die Qualität des Songwriters dahinter vor Augen. Ohne die endlos gedehnten uhlmann'schen Vokale bringt Begemann den Song so, wie er auf „Rezession, Baby“ erschien, nämlich als überhaupt nicht rührselige Antikriegsballade.
Dass der Übergang in zwei weitere Stücke des großen Albums so spielend glückt, sorgt für die fulminante Krönung eines großen Abends. „Deutsche Hymne ohne Refrain“ ist fraglos einer der großartigsten deutschen Popsongs, dem „Der lange Abend“ in nichts nachsteht.
Als Begemann am Ende zu Donna Summers Interpretation des Barry-Manilow-Songs „Could It Be Magic“ das Hemd öffnet, schließlich mitsingt, den Zuschauern dankt und sich noch einmal völlig verausgabt, lenkt er nach den nachdenklichen Momenten dann doch noch einmal den Blick auf seine unbeschreiblichen Entertainer-Qualitäten. Wer Thees Uhlmann als Rampensau bezeichnet, hat sein Vorbild Bernd Begemann noch nicht erlebt. Den Zuschauern erschließt sich eine neue Dimension der Unterhaltung, die man nur lieben oder schrecklich finden kann. Ich entschied mich in meiner Oberstufenzeit für ersteres und auch beim zehnten Besuch ist das weder langweilig noch zu übertreffen.
Setlist Bernd Begemann, Frankfurt:
01: Ich habe meinen Frieden gemacht (neu)
02: Oh, St. Pauli
03: Lila Twingo (neu)
04: Wahrscheinlich bin ich verloren (Bernd Begemann & Die Befreiung)
05: Fernsehen mit deiner Schwester
06: Hübscher als sonst (mit "Fun, Fun, Fun"-Intro)
07: Selten
08: Wir träumen von Liebe (Bernd Begemann & Die Befreiung)
09: Ich habe nichts erreicht außer Dir (Bernd Begemann & Die Befreiung)
10: Es klappt gerade nicht mit dem Fahrrad (neu)
11: Wir drei (Bernd Begemann & Die Befreiung)
12: Stop Me If You Think You've Heard This One Before (The Smiths-Cover; angespielt)
13: Arbeiter leiden unter dem Stockholm-Syndrom (improvisiert)
14: Ich identifiziere mich nicht mit der Firmenphilosophie (Bernd Begemann & Die Befreiung)
15: Judith, mach Deinen Abschluss (Die Antwort-Song)
PAUSE
16: Die besoffene Fahrerin (neu)
17: Verhaftet wegen sexy (Bernd Begemann & Olli Schulz-Song)
18: Komm zurück Olli Schulz, Hamburg braucht Dich
19: Bleib zuhause im Sommer
20: Aber Du meine Liebste (Die schönste Rose) (Die Antwort-Song)
21: Weil wir weg sind
22: Wir werden uns umsehen
23: Wir werden tanzen
24: Ich brauch dich so (neu?)
25: "Euch weiterhin alle scheiße finden zu dürfen" (neu?)
26: Ein Geständnis unter Fremden
27: Unten am Fluss (Die Antwort-Song)
28: Ein Fremder in Deiner Wohnung
29: Der Junge, der nie mein Onkel wurde (Z)
30: Deutsche Hymne ohne Refrain (Z)
31: Der lange Abend (Z)
32: Warum kommst Du nicht zu mir rüber (Die Antwort-Song) (Z)
33: Could It Be Magic (Z) (Donna Summer-Cover)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Bernd Begemann & Die Befreiung, Hamburg, 29.12.2013
1 Kommentare :
Großartiger Artikel von einem Fan für Fans. Und das schönste: schon am 17. Oktober ist der Meister wieder in Stuttgart. (oder gibt's vorher noch ein Wohnzimmerkonzert?)
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