Sonntag, 9. März 2014

The 1975, Stuttgart, 08.03.2014


Konzert: The 1975
Vorband: Trümmer
Ort: Wagenhallen, Stuttgart
Datum: 08.03.2014
Dauer: The 1975 etwas über eine Stunde; Trümmer 30 Minuten
Zuschauer: einige hundert (ausverkauft)



Selten lagen die Hobby-Enzyklopädisten von Wikipedia mit der Verleihung des Labels Indie so falsch wie im Falle der Boygroup The 1975 aus Manchester, die man dem Genre so sehr zurechnen kann wie 30 Seconds to Mars dem Alternative Rock. Also gar nicht. Dafür ist The 1975 angesagt, sogar schwer. Vor den Wagenhallen wartet eine lange Schlange auf den Einlass, selbstredend ist das Konzert ausverkauft. In England führte das Debütalbum direkt die Charts an, ist inzwischen Gold prämiert und selbst der schwierige US-Markt wurde geknackt. In Deutschland stieg man immerhin auf Platz 57 und wird auch hier in Zukunft noch größer werden. 
 Das Stuttgarter Publikum ist jung, auffallend herausgeputzt und fast komplett weiblich. Vor dem Konzert tritt ein Security-Mann an mich heran: „Der Fotograben ist verdammt eng, schau Dir das bitte mal vorher an.“ Und tatsächlich zwischen Bühne und Zuschauern ist wenig Distanz, in den ersten Reihen wird vornehmlich Englisch gesprochen und man nimmt dem Herren von der Security die Befürchtung, einige Fans könnten kollabieren, sofort ab. 
Dass eine junge Band, deren erfolgreichsten Videos auf Youtube weit über zehn Millionen Mal angeschaut wurden, polarisiert, versteht sich von selbst. Solche Bands werden gleichermaßen geliebt und gehasst. Die Gründe sind vielschichtig, das Resultat nicht. So kommt es, dass ich mir selbst ein Bild von den Live-Qualitäten des Quartetts machen möchte. Außerdem ist meine kleine Schwester zu Besuch, die sich die Band gerne ansehen würde und dann ist da noch der Support und der eigentliche Hauptgrund meines Besuchs: 


 Trümmer aus Hamburg begleiten The 1975 in Heidelberg und Stuttgart und auch beim vierten Mal können mich Paul Pötsch, Tammo Kasper und Maximilian Fenski mit einer souveränen Performance vor einem jungen Publikum begeistern, dessen Gros Fran Healy in „U16 Girls“ besungen haben könnte. Die vermutlich etwa zur Veröffentlichungszeit dieses Britpop-Klassikers geborenen Mädchen in den Wagenhallen hingegen dürften sich kaum für Travis interessieren.


Fokus der Hysterie ist „der Matthew“, ein junger, schlaksiger Mann mit Skrillex-Frise und ein paar Tattoos. Der Matthew heißt mit Nachnahmen zwar auch Healy, hat ansonsten aber wenig mit dem Travis-Sänger zu tun. Betrachtet man die Vorfreude der Fans zwischen Dehydration und ehrlicher Bewunderung einer schwer angesagten Band, ist es erstaunlich, dass es Trümmer gelingt, ein wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Im Gegensatz zum Hauptact ist das Hamburger Trio durchweg politisch, arbeitet mit Punk-Gitarren und Noise-Anleihen, setzt die Zeichen ganz auf Diskurs in Tradition der Hamburger Schule, selbst wenn man sich gegen derartige Labels sträubt.
Auch wenn die Reaktionen freilich weniger frenetisch ausfallen, als noch beim Silvester-Konzert in einer WG in ihrer Heimatstadt, kann die Gruppe einige der geschätzt 700 Zuschauer gewinnen. „Wo ist die Euphorie?“, fragt Pötsch im ersten Stück des Konzerts und man ahnt, an den Blicken der ersten Reihen, dass sie diese für ihren Matthew und die anderen Boys aufheben. Ab und an, wenn ich die Kamera Richtung Publikum drehe und blitzschnell freudestrahlend Arme in die Luft gerissen werden, lässt sich etwas von den ekstatischen Momenten erahnen, die kurz darauf folgen sollen. Währenddessen können Trümmer vor den Augen des befreundeten Die Nerven-Gitarristen Max Rieger wie erwartet überzeugen. 

Das Set ist kurz, erstaunlich roh und mitreißend. „Revolte“, „In all diesen Nächten“ und natürlich „Saboteur“ zum Schluss sind schon jetzt starke musikalische Statements einer Band, die erst im Frühsommer ihr Debütalbum veröffentlichen und die Indie-Gemeinde mit Babyshambles-Gitarren zur Blumfeld-Attitüde verzücken wird.


Setlist Trümmer, Stuttgart: 

01: Wo ist die Euphorie?
02: Revolte
03: In all diesen Nächten
04: Scheinbar
05: Schutt und Asche
06: Nostalgie
07: Saboteur


Es ist halb zehn als The 1975 das Konzert beginnen. Von Max Rieger ist nichts mehr zu sehen, dafür steht Ex-DSDS-Juror und Fanta-4-Entdecker Andreas Läsker in einigem Abstand zur Bühne. Der gravierende musikalische Unterschied zwischen Hauptact und Support zeigt sich auch an den prominenten Gästen. 
Unter tosendem Applaus betreten Healy (Gesang und ab und zu Gitarre), Adam Hann (Gitarre und Keyboards), George Daniel (Drums) und Ross MacDonald (Bass und Keyboards) die Bühne. Die Anspannung der Fangirls löst sich in ohrenbetäubender Euphorie. Der Sound ist dicht, die Stimme des Sängers gepitcht. Wie Oscar-Preisträger Jared Leto beherrscht der Frontmann die Klischee-Posen eines Rockstars spielend. Um so etwas zu sehen, muss man gewöhnlich wohl zu Linkin Park, den Killers oder eben 30 Seconds to Mars gehen. In den eher intimen Wagenhallen wirkt das alles eine Spur weit überzogen, die Band ist jetzt schon reif für die großen Mehrzweckhallen, die man in England längst bespielt. Versteckt unter einer schwarzen Kapuze, bewegt sich Healy während des Openers „The City“ wie Marilyn Manson, nach wenigen Songs entledigt er sich seines Hoodies und präsentiert im weißen T-Shirt seine Tätowierungen.
„Milk“, „M.O.N.E.Y.“ und „So Far“, irgendwie klingt das alles gleich und viel zu glatt, als würde dem Ganzen durch Playbackelemente ein wenig Feinschliff verpasst werden. Zumindest Healy singt live und mein Verdacht legt sich ein wenig, außerderm weiß er auch, dass er in „Germany“ ist und ist erstaunt, so manchen Groupie, der der Band hinterher reist, zu erkennen. „Hey you're from Finland. That's weird, but I like it.“ Über treue Fans verfügt das Kollektiv also schonmal und als "Heart Out“, „You“ oder „Girls“ und all die anderen gleich klingenden Wolpertinger-Songs tatsächlich lautstark mitgesungen werden, erkenne ich, dass es etwas geben muss, das diese Band auszeichnet, etwas, dass sie zu mehr als einer Projektionsfläche für Teenie-Mädchen macht. Eingängig ist das alles ja, das stimmt, und irgendwie auch angenehm leicht, trotz vermeintlichen Tiefgang in den Texten. Professionell und routiniert ist die Show und ich vermute, neben der ästhetischen Gesamtinszenierung, ist das der Trumpf von The 1975. 
Inmitten eines leuchtenden Quadrats, dem Markenzeichen der Band, trommelt George Daniel locker vor sich hin und wirkt in den wenigen unbeobachteten Momenten ein wenig wie der Schlagzeuger einer Schülerband. Es sind die ruhigen Stellen, in denen die Superstar-Fassade wackelt, an denen ich für einen kurzen Moment so etwas wie Sympathie für The 1975 entwickeln kann. Mit „Robbers“ verflüchtigt sich dieser sentimentale Moment und ich mache mich auf den Weg zur Toilette. Während The 1975 noch einmal aus dem Vollen schöpfen, Arme geschwenkt werden, läuft mir Paul Pötsch von Trümmer über den Weg, der das große Pop-Appeal der Engländer lobt. „Ich mag das“, sagt er, bevor sich der Hamburger verabschiedet und seine Band den Heimweg antritt. Am Nächsten Tag unterstützt man die befreundeten Riot-Grrrls von Zucker beim ersten eigenen Videodreh in Bremen. Einer der zahlreich mitgeschleppten Väter der 1975-Zielgruppe erkennt den Trümmer-Sänger, nickt ihm anerkennend zu. „Ihr wart viel besser.“ Natürlich hat er Recht. 

Als ich zurückkehre, lässt sich Healy im weißen Shirt feiern, die Bühne ist wie in all den Bandvideos in weiß-graues Licht und Nebel gehüllt, die Band zitiert die visuelle Kraft des Film Noir auf der Bühne und scheitert im Spannungsaufbau. Gerade wird „Chocolate“, einer dieser 10-Millionen-Klick-Songs gespielt, die Masse tobt, bevor mit „Sex“, das wahrhaft beste Stück des Quartetts gespielt wird, die Gitarre setzt sich über den flächigen Einheitsbrei hinweg, kurz schimmert ein gewisses Talent aus der erschreckend mediokren, grauen Masse der Band, durch den Nebel des Mittelmaßes hindurch. Zugaben gibt es keine, nach gerade einmal einer Stunde schlurfen die jungen Musiker unter hohen Kreischen von der Bühne, kein Winken, kein echter Abschied, der Matthew und die anderen Boys sind der Nacht entschwunden.
Nach Joy Division, den Stone Roses, Oasis, den Smiths oder auch Elbow ist die nächste vermeintliche Indie-Sensation aus Manchester langweiliger Mainstream-Pop an der Schnittstelle zwischen 30 Seconds to Mars und The Script. Den Fans, die mit dem Schlachtruf „madferit“ sicherlich wenig anfangen können, ist das egal. In England ist man auf dem Weg zum Superstar und auch Deutschland ist bald geknackt. Im Sommer warten hohe Slots bei Hurricane und Southside auf die nordenglischen Schwarz-Weiß-Poser. Auf dem Heimweg blicke ich ratlos meine Schwester an. „Ja, ich hab auch mehr erwartet“, gibt sie schulterzuckend zu.
Ich habe überhaupt nichts gegen guten Pop, diese Band leider ist erschreckend uninspiriert. Dann höre ich lieber Take That. Manchester, du kannst mehr.


Setlist The 1975, Stuttgart: 

01: The City
02: Milk
03: M.O.N.E.Y.
04: So Far
05: Talk
06: She Way Out
07: Settle Down
08: Heart Out
09: Pressure
10: Falling For You
11: You
12: Menswear
13: Girls
14: Robbers
15: Chocolate
16: Sex


Links:
- aus unserem Archiv:
- Trümmer in Stuttgart, 17.01.2014
- Trümmer in Hamburg, 01.01.2014
- Trümmer in Feldkirch, 15.08.2013
- Trümmer in Frankfurt am Main, 12.02.2013

2 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Mir fällt auf das du bei der Bewertung sehr oft zu der Vorband zurück gegriffen hast. Ich denke wenn man diesen Ruhm am Anfang nicht gewohnt ist, mehr als 10 Jahre darauf hingearbeitet hat und dann diese Welle von Fans bekommt die mehr Mädchen sind und dann noch mehrere Monate von Zuhause weg ist um auf jedem Konzert das gleiche Lied zu spielen. Dann muss man auch irgendwo Verständnis haben.

Es liegt nicht immer an denen die Oben stehen, sondern manchmal auch an denen die unten sind. Wenn man die Musik nicht mag, kann man es ihnen auch nicht vermitteln, dann haben alle kein Spaß dran. Das Publikum muss bei jedem Lied mental dabei sein. Wenn die Band merkt dass das Publikum einfach nicht dabei ist, dann würde ich mich auch mehr zurück ziehen.

Dazu muss noch gesagt sein das die Lieder von The 1975 Tiefgründig sind. Die meisten zu mindest. Man sollte sich über diese Band informiert haben, sie wollen Menschen erreichen, das man mit ihren Liedern Erinnerungen schafft.
Und was mir auch sehr bei deiner Bewertung aufgefallen ist, das du oft nur 1975 geschrieben hast. Es ist zwar für viele Unwichtig. Aber die Band heißt The 1975. Man nennt ja 30 second to mars ja auch nicht nur: to mars.

Na ja, am Ende braucht man Sympathie für diese Jungs. Man muss sie mögen, da gibt es leider keinen Mittelteil.
Vielen Menschen hat diese Band schon unglaublich geholfen.
Schlecht sind sie alle male nicht. Sonst wären sie nicht so erfolgreich und hätten jetzt nicht ihre Platte 'The 1975' in Platin.

Anonym hat gesagt…

Wow. Mainstream-Pop?
Wenn Sie mir nur eine andere Band nennen können, die eine atmosphärisch derart dichte Musik macht, wie The 1975 beispielsweise in fallingforyou, dann stimme ich Ihnen gerne direkt zu.
Das wird Ihnen aber nicht gelingen, denn ihre Musik ist ein Alleinstellungsmerkmal von The 1975, nicht ihre Routine oder ihr Auftreten (wo kommt denn bitte diese Interpretation her?).
Es tut mir leid, aber wenn Sie The 1975 und The Script vergleichen, kann man Sie nicht ernst nehmen; sie scheinen ja keinerlei Interesse an einer eingehenden Beschäftigung mit der Musik gehabt zu haben.

 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates