Konzert:
Casper
Support:
Ahzumjot
Ort:
Forum, Bielefeld
Datum:
24.10.2013
Dauer:
100min (Casper), 35min (Ahzumjot)
Zuschauer:
ca. 450 - ausverkauft.
Aus
der Reihe „Leben
im Augenblick und fangen den Blitz in 'nem Glas ein“ - weil das
Leben zumeist viel zu schnell vorbeizieht und es sich lohnt zu
welchem Zeitpunkt auch immer rückblickend zu verweilen, den Moment
festzuhalten und wieder heraufzubeschwören.
Es
ist Mitte Juli. Viel zu heiß zum Denken und die letzten Tage des
Semesters wollen einfach nicht vergehen. Fast jeden Tag Klausuren und
natürlich auch an diesem Morgen. Der einzige Gedanke der meinen
Verstand an jenem Tag jedoch beherrscht ist folgender: „Ich brauche
verdammt nochmal Karten für die Clubtour von Casper im Herbst.“
So
schnell es menschenmöglich zu bewerkstelligen war, schrieb ich die
Klausur, klatschte sie der Dozentin auf den Tisch und suchte das
Weite. 45 Minuten Blut, Schweiß und Tränen in der Warteschleife von
Krasserstoff später, hatte ich es tatsächlich geschafft.
Fangirl-Problematik schlechthin.
Fast
forward zum 27.09.2013: „Hinterland“ erscheint. 10 Tage voller
Radiokonzerte von Berlin, über Magdeburg nach München. Weiter nach
Mannheim. Wieder weiter nach Frankfurt. Und Saarbrücken. Dann kurz
Videos drehen in New Orleans und dann noch eben Promo in Österreich.
Der wohlverdiente Lohn des Irrsinns: die Nummer 1 in den Charts,
Goldstatus für „Hinterland“ in kürzester Zeit und ganz nebenbei
auch noch Platin für das Vorgängerwerk „XOXO“. Promo extrem à
la Casper und man scheint wieder im Jahr 2011 angekommen zu sein,
„Hinterland“ polarisiert fast noch stärker und gekonnter als
„XOXO“. Zu festgefahren und auf Genre-Schubladen bestehend,
scheint die Mehrheit der Musikliebhaber in Deutschland zu sein, die
sich so gar nicht damit anfreunden können, wenn sich ein Künstler
nicht brav in eine Schublade stopfen lässt – und zwar auch dieses
mal nicht. 2011 versuchte man verzweifelt Casper und „XOXO“
greifbar zu machen, erschuf neue Genres wie „Post Hop“ um seine
Interpretation von Rap auf Indie-Beats erklären zu können; die
Massen und die Mehrheit der Kritiker feierten ihn schlussendlich
(vollkommen zurecht!), während andere scheinbar all das, was in
ihren eigenen Leben nicht stimmt, auf ihn zu projizieren versuchten.
Der
übertriebene Hype und die Hasstiraden in gleichem Maße sind auch
etwas mehr als 2 Jahre später nicht abgeklungen und positive, wie
negative treibende Kraft hinter „Hinterland“. Als bekannt wurde,
dass Caspers neues Werk von Konstantin Gropper, dem Mastermind hinter
Get Well Soon und Markus Ganter, der u.a. das Debüt „Psycho Boy
Happy“ von Sizarr zu verantworten hat, produziert werden würde, so
war es nicht abwegig Großes zu erwarten. Das Resultat vermag jedoch
für so manchen die kühnsten Fanträume zu übertreffen: Tom Smith
von Editors als Feature auf der selben Platte, auf der ein viel
offensichtlicheres, aber nicht minder gelungenes Feature mit
Kraftklub stattfindet. Für so manchen schlichtweg nicht
nachvollziehbar, für viele andere zum Glück eher ein kleines
musikalisches Wunder. Was sich allerdings mit Bestimmtheit sagen
lässt, ist das „Hinterland“ Toleranz und Offenheit von Caspers
Fans erfordert, die scheinbar nicht jeder aufbringen kann oder
möchte.
Der
erste Eindruck von „Hinterland“ live bei einem der Radiokonzerte
in Mannheim. Tested and approved. Es fühlte sich an wie ein
Festivalset mit überwiegend neuen Songs, vorgetragen in einer
Kirche. Sehr bizarr. Nach eigener Aussage betrieben Casper und seine
Band auf der Radiokonzerttour „Proben vor Publikum“, nahmen sich
selbst, wie immer, sympathischerweise nicht allzu ernst und
meisterten den Spagat zwischen Ernsthaftigkeit den neuen Songs
gegenüber und der Leichtigkeit und Souveränität, die man von der
Casper Gang gewohnt ist.
Weiter
zu einem kalten Tag Ende Oktober, genauer gesagt dem 24.10.2013.
Tourauftakt der Hinterland Clubtour in Bielefeld. Und ich nach 4h
Zugfahrt in mir komplett unbekannten Gefilden mittendrin. Tatsächlich
ließ ich mich in meiner Meinung etwas von Caspers Worten selbst
beeinflussen und befürchtete, dass mich humorlose Menschen erwarten
würden, die mit fremdem Menschen aus Prinzip nicht reden würden und
überwiegend sollte er leider irgendwie Recht behalten – an dieser
Stelle Grüße an den Menschen, der mir dann freundlicherweise doch
noch den Weg zum Forum gezeigt hat, nachdem mehrere Menschen einfach
keine Lust hatten mir weiterzuhelfen – es lebe das
nicht-funktionierende GPS auf dem Smartphone. Dennoch tat das der
Stimmung keinerlei Abbruch: weit nach Einlass reihten sich die Fans,
die sich ihrer exklusiven Situation mehr als bewusst waren und teils
leider mehr als den doppelten Originalpreis auf einschlägigen
Auktionsseiten gezahlt hatten, gefühlt mehrfach um das Forum herum
und ließen mich persönlich das Unvermeidliche bereits vorausahnen:
viel zu viele Menschen für diesen kleinen Laden, der idealerweise
auch noch mitten im Club eine Trennwand aufweist, wodurch einige
Menschen wohl wirklich wenig bis nichts sehen konnten.
In
überfüllten Locations wird jede Minute zur Qual und pure Vorfreude
reicht auch nur bis zu einem gewissen Grad aus, um betrunkene und
drängelnde Menschen auf Dauer tolerieren zu können – zum Glück
dauerte es nicht lang und es war Zeit für den Support in Gestalt von
Ahzumjot. Während mir Ahzumjot letztes Jahr in Wien noch vor
Kraftklub und Casper in Kombination einfach ein unnötiger Störfaktor
vor einem grandiosen Abend war, so schaffte er es dieses Mal auch
mich wirklich zu begeistern, denn er machte genau das, wofür
Supportacts eigentlich gedacht sind: gute Laune, spitzen Stimmung und
richtig Lust auf den Hauptact. Und man könnte deutlich hören, dass
sich einige Ahzumjot-Fans im Hause befanden, da das Publikum wirklich
Spaß hatte und mitmachte. Um es mit Caspers Worten zu sagen: Bock.
Dann
endlich das seit dem Sommer bekannte und nun gänzlich einzuordnende
Intro zu Im Ascheregen. Applaus. Vom ersten Moment „Kopfüber
nach vorn“ auf der Bühne. Vollgas. Abriss. „Schönen guten Abend
Bielefeld!“ - „Könnt ihr springen?“ - „Geht's euch gut?“.
Das darauffolgende ohrenbetäubende Kreischen und der tosende Applaus
sprechen für sich. Während
man wenige Tage nach Veröffentlichung von „Hinterland“ in
Mannheim noch merkte, dass Casper ausnahmsweise der Textsicherste
unter den Anwesenden ist, hat er knapp einen Monat später bereits
gegen seine treue Anhängerschaft keine Chance mehr – kleine
Texthänger seinerseits fallen kaum auf, da das Publikum mit
Textsicherheit auf ganzer Linie brilliert und „Alles endet, aber
nie die Musik“ lauter aus dem Publikum, als von der Bühne schallt.
Nach
bereits zwei Songs merkt man, dass die Setlist wie gewohnt eine
durchdachte Dramaturgie transportieren soll und mit Auf und Davon
bewegt man sich kollektiv in Richtung gemeinsames Klatschen und
vorprogrammiertes Ausrasten – die meisten Anwesenden machen das
hier wohl nicht zum ersten Mal. Sanft ans Thema „Ausrasten“
herangeführt folgt Casper Bumayé! und sofortiges mehr oder
weniger glückseeliges Chaos – immerhin mal keine Wall of Death.
„Alle Arme hoch und ich will den ganzen scheiß Laden springen
sehen“ - ein Klassiker unter den Bühnenansagen und funktioniert
natürlich. Das dieser Abend ein Heimspiel ist macht sich spätestens
durch das versierte „Ööööh“ an der richtigen Stelle bemerkbar
und man kann nur feststellen: jeder einzelne der Anwesenden hat derbe
Bock. Mindestens genauso viel Bock wie Casper und „seine Kapelle“
eben auch. Perfekte Voraussetzungen für ein herausragendes Konzert.
„Ihr seid doch verrückt.“ Recht hat er.
Und
weiter: Die letzte Gang der Stadt. „Und alle springen jetzt“.
Und wie wir das tun. Das live etwas dumpfere Ganz schön Okay
als Sinnbild purer Lebensfreude. „Hallooo-ooh-oh“ in
ohrenbetäubender Lautstärke bringt wahnsinnig viel Spaß und Felix
Brummer von Kraftklub fehlt nur ein kleines bisschen – das wäre
vermutlich auch zu viel des Guten für die meisten Fangirl-Herzen.
„Ganz schön Okay“ beweist auf jeden Fall, dass das mit dem
Schreiben von eingängigen Hooks auf „Hinterland“ definitiv auch
geklappt hat.
Besonders
verstörend für jemanden der nicht aus Bielefeld kommt und genau
deshalb umso erwähnenswerter: plötzliche „BIE-LE-FELD,
BIE-LE-FEEEELD“-Fangesänge und – und das weiß ich nur weil ich
Casper-spezifisches Wissen besitze – unweigerlich das „Wen lieben
wiiiiiir? DSC!“. Ich muss es nicht verstehen, aber ich kannte dank
der Festivalblogs immerhin die richtige Antwort. Schöner und
ultimativ nachvollziehbarer für mich der Moment mit dem „Ultra-Fan“,
persönlich von Benjamin mit Wasser versorgt, ganz charakteristisch
für Casper Konzerte – zum Glück! - ein Fan der anscheinend
überall am Start ist und „nur für Spritgeld und Eintrittskarten
arbeitet“. Und laut Casper ist das auch verdammt nochmal richtig
so! Finde ich auch. Es folgen Bühnenansagen aus der Hölle, ein
Geburtstagsständchen für Daniel aus der Casper Gang und dann
Coldplay-Potential bei 20QM, trotz minimaler
Textschwierigkeiten, die die Sympathie seitens des Publikums
vermutlich ins Unmessbare steigern.
Sobald
der Mikrofonständer in die Bühnenmitte gerückt wird ist es noch
nicht Zeit für Michael X, sondern, wie man an der Resonanz
seitens des Publikums nach wenigen Sekunden merkt, Zeit für einen
neuen Publikumsliebling: Lux Lisbon. Natürlich beehrt uns Tom
Smith, der das Feature im Original zur absoluten Perfektion treibt,
an diesem Abend nicht mit seiner Anwesenheit und Stimmgewalt – was
vermutlich ganz sinnvoll ist, da ich persönlich sonst einen
mittelschweren Nervenzusammenbruch erlitten hätte – dennoch ein
toller, emotional intensiver Moment zwischen all dem Durchdrehen und
Springen während des Konzerts. Während ich noch meinen Gedanken
hinterher hänge erfolgt der wohl massivste Stimmungswechsel des
Abends: Blut Sehen. Dramaturgisch wunderbar, auf und ab: „WER
IST WEGEN HIP HOP HIER? HIPPI HOPPI ABFEIERMODUS?“ (Ja, dies ist
ein direktes Zitat!) Und sowohl Band, als auch Publikum sind sofort
komplett dabei: mit beiden Armen in der Luft! Nahtloser (komplett
krasser, mind you) Übergang zu Halbe Mille, leider nur halb,
aber es folgt Double-Time auf den Beat von „N*ggas in Paris“ - in dem Mix
ist wirklich für jeden was dabei. Komplettes Durchdrehen und
kollektives Schwingen des imaginären Handtuchs beim Drunken Masters
Remix von So Perfekt. Und als wäre das noch nicht genug, walzt
das wohlbekannte Intro von Mittelfinger Hoch das Publikum
platt. Nicht einmal übertrieben gesagt: minutenlang ein kompletter
Raum in Ekstase. Oh und wir hatten übrigens ein Unentschieden! Ich
glaube das gab's wirklich noch NIE. WAHN-SINN.
Man
könnte ja meinen, dass das Konzert schon fast vorbei wäre, aber
nein: Lilablau und Ariel in perfektem Zusammenspiel. Der
erste Teil des Abends endet mit Nach der Demo gings bergab und Hinterland, wobei wir übereifrigen Deutschen abermals
eindrucksvoll beweisen, dass wir trotz oder gerade wegen all der
Begeisterung nicht richtig im Takt mitklatschen können. Ich bin bei
rhythmischem Mitklatschen sowieso raus, nehme aber amüsiert das
verzweifelte Kopfschütteln und vehement am Takt festhalten des
Drummers Timur zur Kenntnis und bin erleichtert, dass sich die Casper
Bande trotz katastrophalem Klatschen all around nicht aus dem Konzept
bringen lässt.
Leider
wieder viel zu schnell Zeit für das Finale mit Endlich
angekommen: alles zerberstender Beat von Herrn Gropper persönlich
– ich habe unter Einsatz meines Lebens persönlich nachgefragt –
und dafür Applaus. Der eigentlich bessere „Coldplay-Moment“ an
diesem Abend. Letzter Song, nochmal „alles geben, alles zerlegen“
mit Jambalaya. Die Boom Boom Band reißt ab, mit zusätzlichem
echten Trompetenspiel von „Hinterland“-Produzent Markus Ganter
himself. Und bis zum letzten Song des Abends zeigt sich das Publikum
auch als Cheerleader-Kinderchor perfekt textsicher.
Ein
ganzer Raum euphorisiert. „Der schönste Willkommensgruß
überhaupt, einfach wunderschön.“
„Hinterland“
funktioniert live bedingungslos. Was manchem auf Platte unmöglich,
zu weich, zu Pop, zu was auch immer erscheint, ist live immer noch
Casper. Und zwar sowas von. Es sei dahingestellt, ob die Art von
spezieller energetischer Show nächstes Jahr auch in den großen
Hallen genauso exzellent funktionieren wird, aber das ändert nichts
daran, dass dieser Abend in Bielefeld wirklich großartig war und ich
ihn Monate später noch unmittelbar in meinem Herzen trage.
Wer
sich den Artikel wirklich bis hierher durchgelesen hat: Chapeau und
danke! Solche Reviews in Romanlänge sind eben oft das Resultat
überbordender Begeisterung und wirklich guter Abende, nach denen
sich die Gedanken und Ideen in meinen Kopf förmlich überschlagen.
My apologies, aber zumindest ein Teil davon musste endlich
niedergeschrieben werden.
Setlist:
Casper, Forum Bielefeld, 24.10.2013
01
Im Ascheregen
02
Alles endet (aber nie die Musik)
03
Auf und Davon
04
Casper! Bumayé
05
Die letzte Gang der Stadt
06
Ganz schön okay
07
20 QM
08
Lux Lisbon
09
Blut Sehen
10
Halbe Mille/NIP/So Perfekt/Mittelfinger Hoch
11
Lilablau
12
Ariel
13
Das Grizzly-Lied
14
XOXO
15
Nach der Demo gings bergab
16
Hinterland
17
Der Druck steigt (Z)
18
Michael X (Z)
19
Endlich angekommen (Z)
20
Jambalaya (Z)
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