Konzert: Misuk & Dominik von Gerwald
Ort: Kulturzentrum Merlin, Stuttgart
Datum: 15.02.2014
Dauer: Misuk etwa 85 Minuten / Dominik von Gerwald etwa 35 Minuten
Zuschauer: ca.100
Bericht und Fotos von Fabian aus Stuttgart
Wenn man bestimmte Musik ganz grob gesagt als Brecht-Pop bezeichnen müsste, würde sie nirgendwo in Stuttgart einen geeigneteren Platz als im Merlin finden. Musik von heute mit den Werken des Augsburger Dramatikers zu verbinden und dieses Experiment aufzuführen ist schon auf dem Papier eher was für's Kulturzentrum, aber im Merlin nichts Exotisches, denn es findet beides das ganze Jahr hier statt. Heute eben komprimiert in einem Abend aus Kontrasten, Sitztanz, Interpretation, Erhalt bedeutender Werke, Provokation und vielleicht sogar einem Bildungsauftrag für knapp 100 Leute, die das Merlin besuchen.
Diesen 'Bildungsauftrag' darf man aber nicht wörtlich sehen, sondern eher mit Augenzwinkern. Als Verein und öffentlich geförderter Kulturstätte hat das Merlin einen solchen auch und dient sicher nicht nur als Tempel für Popfreaks. Heute bilden Misuk, die vierköpfige Band, deren Fokus Bertolt Brechts Werk ist und die mit ihren Liedern die große Bedeutung dieses Manns unterstreichen und erhalten wollen. Denn die Songs basieren ausschließlich auf den Texten Brechts, man möchte sie in einem neuen, zeitgemäßen Gewand darstellen, was Sängerin Eva Gold gleich zu Beginn erwähnt.
Bei einem solchen Abend, sind bestimmt auch Deutschlehrer anwesend. Ohne Zweifel lernt man heute einiges dazu, was man sich für den Unterricht abgucken kann, um Brecht oder andere Literaten der Jugend schmackhafter machen, wenn schon Mathesongs auf Youtube funktionieren. Es geht Misuk aber nicht zwangsläufig um die Jugend, sondern stets um Brecht, der primär für alle da ist. So schließen sich viele Kreise, denn natürlich kommt die Band aus Augsburg, Brechts Geburtsort und auch der Bandname ist eine Wortschöpfung von Brecht. Gegründet wurde Misuk im Rahmen des hiesigen Brecht-Festivals, das immer zum Geburtstag des Dramatikers stattfindet, also gerade vor einigen Tagen erneut. Selten touren sie, denn jedes Bandmitglied ist mit vielen Nebenprojekten beschäftigt, ansonsten bringen sie Brecht in die Clubs. Das scheint eine schwere Aufgabe, der ebenfalls Augsburger Popsänger Oliver Gottwald (Anajo, 2011 im Merlin gewesen) ist sich mit Brecht nicht so vertraut, bezeichnet Misuk aber als guten Pop. Augsburgconnection.
Wie Brecht in Popsongs stattfinden kann, zeigten schon Rammstein ("Haifisch"), Samy Deluxe ("Poesiealbum") oder auch Gisbert zu Knyphausen in "Verschwende deine Zeit" und bauten seine Zeilen bruchstückhaft in ihre Songs ein. Aber nur Brecht?
Die Band selbst weiß um die Sperrigkeit, die sie nach kurzem Instrumental-Intro aufzeigen, aber mit äußerst vielseitigem Sound und Genresprüngen abwechslungsreich gestalten. Gitarrist und Bassist Girisha Fernando, Keyboarder Lilijan Waworka und Drummer Stefan Brodte sind Profis an ihren Instrumenten, was allein schon die Tatsache beweist, Brecht-Texte zu vertonen. Die ausgesprochen gute Rhythmusgruppe treibt nach vorn, stützt die langen, kopflastigen Zeilen und gibt ihnen mit Jazz und Disco-Elementen Tempo und eingängige Beats. Sperrig gestaltet sich auch Golds variable Stimme, die mal energisch, schrill, operettenhaft oder nur gesprochen an die von Nina Hagen erinnert, aber viele Ausdrücke beschert, was den Texten ein Gesicht, einen passenden Körper gibt. Zusätzlich beeindruckt auch Golds Textsicherheit. All diese Texte ohne Fehler auswendig vorzutragen ist unglaublich. Sicher hilft es, dass der Text in einem Lied verbunden ist, doch die Texte muss man trotzdem kennen. Und das tut sie hervorragend. Der Zugang ist dennoch schwierig, wenn das der Versuch ist, Brecht zugänglicher zu machen. Hervorstechend ist aber die Art und Weise, wie die Texte in „Vom Geld“ oder „Das Lied vom Schuh“ performt werden. Und jene Zeilen Brechts, die schon Gisbert zu Knyphausen verwendete, sind bei Misuk heute im Gesamtwerk von der „Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“ zu hören.
Gegen Ende spielen Misuk "Surabaya Johnny", das auch die deutsche Indierock-Legende Element of Crime live performt. Das „Solidaritätslied“ wird zum Mitsinghighlight und Eva Gold ist freudig-enthuasiastisch über die Bereitschaft im Publikum. Gold ist neben ihrem variablen Ausdruck, der deshalb auch mal kantig sein kann, immer charmant. Doch Kunst muss in gewissen Maße auch anecken. Brecht ebenso.
Und auch der heutige Support Dominik von Gerwald, der dies im gesamten Vorprogramm eindrucksvoll beweist.
Der kommt jedoch weder aus Augsburg, noch hat er etwas mit Brecht zu tun. Möglicherweise mag er ihn, doch die Musik und Show des eigentlichen Backnangers, der jetzt in Tübingen lebt und als Sänger der Stuttgarter Americana-Folkband Yasmine Tourist auch dem Merlin bekannt ist, hat nur eins mit Brechts Werken gemein: Sie eckt hier und da an. So sehr, das heute einige den Saal verlassen. Das war bei Brecht auch so. Den Zuschauern wird er am Ende dennoch mehr als Misuk im Kopf bleiben. Dass Gerwalds Auftritt bei einem Abend, der Popmusik mit Brecht-Texten verspricht, nur anecken wird, war im Vorfeld schon klar, denn seine neue Soloperformance hat nichts mit Yasmine Tourist, braver Liedermacherei oder gar Brecht zu tun.
Neue Performance von Dominik von Gerwald heißt folgendes: Als Sänger von Yasmine Tourist spielte er ab und an Sologigs mit der Akustikgitarre. Seit Anfang diesen Jahres, genauer seit Releaseparty von Kollege Philipp Eißler (BRTHR) im 1.Stock, verschleiert er sich komplett schwarz, spricht kein Wort, spielt nur seine Songs mit Samplings, Hall und Rauschen. Man merkt: Die Maske ist zwar Teil des Ganzen, aber eigentlich soll sie die Aufmerksamkeit komplett auf die Musik lenken, ähnlich wie bei Peter Licht. Doch ein Musiker wird niemals nur durch seine Musik bewertet. Auch das Aussehen, das Auftreten und die Interaktion spielen eine Rolle. Mit der Verschleierung erschafft Gerwald zwar Distanz, aber gleichzeitig
Aufsehen, denn es ist ein besonderes Merkmal, ein Reizpunkt. Sein Auftreten mit beinah gänzlichem Wegfall von Publikumseinbeziehung umso mehr. Bei Leuten, die von Künstlern in den Arm genommen werden wollen, macht er sich unbeliebt, doch diese geben sich auch mit gefälliger Musik zufrieden ohne wahrhaftig spannende Projekte entdecken zu wollen. Gerwald will nur Musik machen und nicht labern. Das einzige was er heute sagt, ist "The next song ist about killing Huckleberry Finn", eine kühlen Ansage, die wieder ein bisschen provoziert, aber einen unheimlich schönen Song folgen lässt. Es ist sicher Gerwalds Stimme, die auch im Fokus dieses Songs steht, aber genauso die komplette Aufmerksamkeit, die man dieser dramatischen Hymne widmet. Ein Mann allein mit Gitarre kann so viel Strahlkraft im dunklen Raum erzeugen.
Nach einer halben Stunde Spielzeit spricht er erneut: „Vielen Dank“ - und wünscht einem Publikum, das ihn teilweise links liegen ließ, tatsächlich viel Spaß bei Misuk. Das ist anständig und respektvoll. Freunde werden sie vielleicht nicht, aber man gibt sich die Hand.
Sicher hätte das Merlin auch einen 'harmlosen' und lieben Singer/Songwriter einladen können. Vielleicht wusste man auch gar nicht um die große Wandlung des Dominik von Gerwald, schließlich macht er das live erst zum dritten Mal, Yasmine Tourist waren erst letzten Sommer hier zu Gast. Oder die gute Merlin-Bookerin Bärbel Bruns, die das Publikum heute begrüßt, wusste wie so oft genau Bescheid und wollte diesmal nicht den bekannten, warmen Platz im Bett anbieten, sondern auch mal das Dornennest, obwohl es nicht mal so schlimm ist. Genug Punkte sprechen dafür, Gerwalds Show reizvoll und interessant zu finden. Für die, die sich daran stören: Offen zu sein, über den Tellerrand zu schauen, ist das Beste. Heute verlassen eben ein paar den Raum, das ging im 1.Stock raumbedingt schlecht und da waren diese eher mit Bier statt Musik beschäftigt, im Merlin hört das Publikum prinzipiell zu.
Und es hört verzerrte Gitarren, laute Trommelschläge, die vom beklebten Macbook gesampelt werden und die raumfüllende Stimme Gerwalds. In einer völlig anderen Umgebung als der im 1.Stock (und einer besseren Anlage als dort), sehen völlig andere Leute, die an den Tischen sitzend gefangen wirken (wer aufsteht, fällt auf) Dominik von Gerwald musizieren. Heute schließt er alle Songs im Gegensatz zum 1.Stock-Gig ab, statt sie von einer Noise-Feedbackwolke in die nächste zu lenken. Aber es ist weiterhin mal brachial, dann fast Stadionrock mit dem Song, dessen Refrain mit „I don't care“ endet und später wieder sanfter. Ruhige und klagende Balladen treffen auf ungestüme Schrammel-Songs, die manchmal ein bisschen The Mars Volta oder Radiohead sind, die er einst gecovert hat. Hier geht Gerwald in seinem breiten und umfangreichen Sound von dumpfen Synthies, düsteren Gitarrenriffs und einigen aggressiven Werken ohne bisherige Titelbezeichnungen auf und bewegt sich auf der dunklen Bühne wie ein Panther im Käfig. Das war zwar nicht Brecht, aber Rilke. Und die Titel seiner Songs weiß bisher nur er selbst, auf der Bühne redet er nicht darüber. Seine EP „Tough Beach“ soll jedoch bald erscheinen.
Kombiniert mit dem eher braven, gesitteten Publikum, die Brecht hören wollten und sichtlich wenig mit Gerwald anfangen können, ist es ein amüsantes Bild mit Kontrast. Doch man muss sich drauf einlassen um die Größe zu erkennen, den Umfang, der sich mit Misuk auf alle Fälle messen lässt. Misuk ist zwar nicht musikalisch oder optisch besonders auffällig, aber durch Sängerin Eva Gold hervorstechend. Auch sie ist auf der Bühne nicht immer gefällig und sanft, sie eckt auch mal an. Komisch, dass es hier das Publikum aushält. Zwei komplett verschiedene Herangehensweisen treffen sich an diesem Abend, das macht es so interessant.
Der Abend zeigt, dass Brechts Texte immer noch ankommen, angenommen werden und interpretiert werden. So viel wie sie enthalten, sind sie heute noch gültig und inhaltlich fordernd. Misuk greifen diese Stimmung auf und vertont sie, es ist neben dem Pop auch ein wenig Theater mit Gestik und Mimik, denn die Texte sind der Grundstein, sie sollen vorgetragen werden. So wird auch das Denken der Leute umgekehrt, Songtexte sind bei Musik nur Beiwerk, kaum relevant, durch "Lorem Ipsum" zu ersetzen, was in allein in der künstlerischen Gesamtbetrachtung eines Werks völliger Unsinn ist. Subjektiv wäre nur die klassische Geschmacksfrage, ob man persönlich einen Song wegen der Musik gut findet, aber den Text weniger. Objektiv kann man ihm aber fairerweise immer Größe zollen. Bis auf kleine Ausfälle tat das heute fast jeder.
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