Donnerstag, 28. Oktober 2010

Weyes Blood, Father Murphy, u.a., Paris, 27.10.10


Konzert: Weyes Blood, Father Murphy, u.n.d.o., Eyes Behind

Ort: Le Tunnel, Paris
Datum: 27.10.2010
Zuschauer: 80-100

Konzertdauer: Beginn 20 h 30, Ende 0 h 30


Mein Vater hätte mich hier nicht hingehen lassen. Zu diesem mysteriösen, sagenumwobenen, bizarren und vermutlich illegalen Ort für ein Konzert: Le Tunnel - der Tunnel.

Der umtriebige polnische Organisator Yendrick hatte mich auf die Location aufmerksam gemacht. Unter dem Namen "le non_jazz" organisiert der Bursche mit den schütteren Haaren Konzerte der speziellen Art. Hier im Tunnel und im Espace en Cours ist er aktiv, lädt Bands ein, von denen selbst Spezialisten in vielen Fällen noch nie gehört haben. Weiter weg vom Mainstream könnte man kaum sein. Dennoch sind die auftretenden Künstler keineswegs Hobbymusiker, die sich in düsteren Schuppen einen auf der Elektrischen abschrammeln, sondern ganz feine, handverlesene Acts. Am letzten Freitag beispielsweise traten im Espace en Cours der formidable Lautespieler Jozef van Wissem und der amerikanische Gitarrist Chris Forsyth auf.

Mit einem Kribbeln im Bauch machte ich mich am Abend des 27. Oktober Richtung Le Tunnel auf. Die Metrostation schien mir für einen verwegenen Ort reichlich unpassend. Hier ist es für Pariser Verhältnisse architektonisch sehr modern und kühl, das Finanzminsterium liegt nur eine U-Bahnstation entfernt und neuartige Ketten haben sich breit gemacht. Sie bieten unter anderem Bauchmuskeltraining auf diesen doofen Power Plates an (das funktioniert nicht, meine Frau hat es ausprobiert!).

86, rue Baron Le Roy war mein Zielort. Auf dem Weg dorthin latschte ich an etlichen asistischen Restaurants vorbei und konnte mir nicht vorstellen, wo hier in der Gegend eine kultige, geheime Party gefeiert werden könnte. Dann aber sah ich ein altes Steingemäuer zu meiner Linken in dem ein Museum untergebracht war. Mein Auge schweifte nun geradeaus und ich erblickte an einer Mauer die Ziffer 86. Ich kam näher und sah das die Pfeile nach rechts deuteten. Und dann erblickte ich ihn: den Tunnel! Fast gruselig. Hier in der Nähe musste es sein. Ich ging durch die Steinröhre und stieß auf eine Gruppe junger Leute, die auf der Straße rauchten und diskutierten. Unter ihnen war auch ein alter Konzertbekannter, der schon zu einer meiner Oliver Peel Sessions gekommen ist. Alban ist ein Spezialist für das besondere Konzert, wenn ich ihn treffe, weiß ich, daß es spannend und ungewöhnlich wird. Ich erkundigte mich, wer gerade spielt und er deutete mir mit einem Grinsen an, daß der piepsige Lärm, der aus dem Lagergebäude drang, von der ersten Gruppe des Abends stammt. Ich solle meine Ohrenstöpsel benutzen, besser sei das, meinte er weise. Ich kletterte ein paar Treppenstufen hoch und öffnete die Tür zum Sesam. Drinnen hingen nur ein paar Typen apathisch rum und glotzen nach vorne, wo zwei Musiker (?) namens u.n.d.o. unmelodiösen Lärm erzeugten. Obwohl mir der Sound nicht unbedingt zusagte, fand ich die Atmosphäre hier drinnen sofort geil. Rechts auf der kleinen Bühne stand ein alter Kassettenrekorder rum und auch die dazu passenden Kassetten lagen ungeordnet auf einem kleinen Berg. Ich wußte sofort, daß mir ein kultiger Konzertabend bevorstehen würde. Dann sah ich plötzlich Pascal, einen anderen Konzertkumpel von mir, der sage und schreibe 10 000 CDs sein Eigen nennt. Er kaufe jeden Tag mindestens eine, erzählte er mir irgendwann einmal. Rockefeller ist er aber nicht, sondern lediglich ein Musikverrückter, der auch mal gerne bei Konzerten das Gesamtwerk des Künstlers erwirbt. Kürzlich hatte er bei Jozef van Wissem sieben CDs auf einen Schlag erstanden. Leute wie Pascal sollten einen Verdienstorden umgehängt bekommen. Andere wurden schon für weniger rühmliche Dinge ausgeichnet.

u.n.d.o. hatten irgendwann mit ihrem Getöse fertig und es war Pause ansgesagt. Mein filmender Freund Benoit war auch da, er hatte die wundervollen Videos von der Oliver Peel Session mit Simone White erstellt. Auch er ist immer dort, wo es musikalisch prickelnd ist. Und prickelnd wurde es nun auch mit der zweiten Band, den Italienern Father Murphy. Ein Dreier, bestehend aus einem hageren Sänger mit häßlichem Schnauz, einer hübschen schwarzhaarigen Percussionistin und einem kurzgeschorenen Drummer. Der Gesang des Frontmannes erinnerte mich an Efrim '"A Silver Mount Zion" Menuck : Wehklagend , greinend und durch Mark und Bein gehend. Manchmal sang auch die schwarzhaarige Beauty, aber den Hauptpart übernahm Mr. Pornobalken. Toll war der Drummer, er kloppte so übel drauf, daß es sich nach Peitschenhieben anhörte. Die Atmosphäre war düster, wolkenverhangen, gespenstisch. Eine bessere Location für ihren Musikstil hätten Father Murphy nicht haben können. Und auch kein dankbareres Publikum, denn sie verkauften etliche Vinylalben und CDs im Laufe des Abends.

Nach Father Murphy waren Franzosen dran. Eyes Behind kommen aus Paris und sind ebenfalls ein Trio, bestehend aus zwei Weiblein und einem Männlein. Besonders auffällig agierte die zierliche asiatische Drummerin. Sie wirbelte wie ein Derwisch hinter ihrer Schießbude und schüttelt permanent ihr Haar im Takt. Niemals konnte sie ruhig sitzen und auch ihr Spiel war entsprechend wild und unkonventionell. Stilistisch wurde Garagenrock in der Tradition der Ramones mit einer Prise New Wave geboten. Insgesamt ein cooles Set, das gut beim Publikum ankam. Eyes Behind werden demnächst Pains Of Being Pure At Heart in Paris supporten, vielleicht sehen wir uns da ja schon wieder...

Inzwischen war es schon recht spät geworden und ein paar Leute verließen die Location. Auch ich fürchtete, die letzte Metro zu verpassen und ein teures Taxi bezahlen zu müssen, wollte aber unbedingt noch die Amerikanerin Weyes Blood sehen. Gut, daß ich geblieben bin, denn das Konzert von Weyes Blood war für mich das beste des Abends. Die hübsche junge Frau mit der frechen roten Strumpfhose spielte Keyboard, Orgel und Gitarre und verzerrte den Sound auf hypnotisierende Art und Weise. Ihre Stimme war super, sie erinnerte mich an viele meiner Lieblingsfolksängerinnen. Dem Ganzen haftete eine spirituelle und esoterische Note an, die mich enorm faszinierte. Schwer zu sagen, wo man sie musikalisch hinstecken soll. Sie ließ mich ein wenig an die duchgeknallte Tickley Feather denken, aber auch an eine deutlich weniger mainstreamige Ausgabe von Beach House.

Eine tolle Entdeckung, ich habe ihr konsequenterweise auch ihre selbstgebastelte CD abgekauft. Interessant: auf ihrer Mailing-Liste hatten sich auch etliche Deutsche eingetragen. Meine Landsleute kamen aus Leipzig, Hamburg und Berlin. Unfassbar, daß sie von "Le Tunnel" gehört hatten. Ist der Ort doch nicht so geheim und verwegen, wie ich urspünglich dachte?






3 Kommentare :

E. hat gesagt…

sieht mir ja doch eher nach einem bourgeoisen spielplatz als nach einer verruchten oder sogar verbotenen veranstaltung aus. aber des meckerns treu kann ich doch auch loben. denn das, ich hatte es mehrfach erwähnt, sind hier in diesem schmucken blog die mir liebsten berichte. an den gründen forschend, das lebendige, neue entdeckend! du bist mein held, oliver!

Oliver Peel hat gesagt…

Bourgeoiser Spielplatz stimmt sicherlich zum Teil. Aber man muss bedenken, das auch in den Hochzeiten des Punk in New York und London immer Leute mit bürgerlichem Hintergund Teil der Szene waren. Insofern hat sich nix geändert. Dennoch kennen "Le Tunnel" nur sehr wenige Konzertgänger in Paris. Ausnahmen sind die Leutchen, die ich im Text erwähne. Kerle, die immer auf der Suche nach dem Speziellen sind. Damit kann ich mich identifizieren.

Zum Helden tauge ich deshalb freilich nicht, Eike!

Oliver Peel hat gesagt…

Musikalisch sei noch einmal unbedingt auf Weyes Blood hingewiesen. Eine neue, experimentelle Mazzy Star. Ihr Album ist super!

 

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