Konzert: John Cale
Ort: Salle Pleyel, Paris
Datum: 05.09.2010
Zuschauer: fast 2000
Konzertdauer: ungefähr 90 Minuten netto
Am Tage nach einer meiner Oliver Peel Sessions bin ich immer platt wie eine Flunder. Wenn dann noch hinzukommt, daß zur Zeit gerade die US Open im Tennis laufen und ich um 5 Uhr morgens ins Bett gehe, kann man sich ausrechnen, daß ich heute auf dem Zahnfleisch gekrochen bin. Es fehlt nicht mehr viel und ich bin reif für die Rehab! Den Hals kriege ich dennoch nie voll genug. Nachdem ich eine 0,5 Liter- Dose Red Bull gesoffen hatte (ein fieses Zeug!), fühlte ich mich gegen 19 Uhr wieder halbwegs wach und bereit für ein neues Konzert. John Cale, der alte Haudegen, spielte im Salle Pleyel auf, um sein vielgerühmtes Meisterwerk Paris 1919 zu performen. Da musste ich doch dabei sein, oder etwa nicht? Um mich fit zu kriegen, musste ich aber erst noch einmal ausgiebig kalt duschen. Gegen 19 Uhr 30 klingelte das Telefon und der weltberühmte Rockerparis war am Telefon. Mit nassen Händen nahm ich den Anruf entgegen und vereinbarte mit meinem Kumpel, John Cale live unter die Lupe zu nehmen. Ich musste mich also nun ein wenig sputen. Die Webseite des Salle Pleyel behauptete, das Konzert fänge um 20 Uhr an, aber das nahm ich nicht allzu ernst. Ich war felsenfest davon überzeugt, daß es erst frühestens um 20 Uhr 30 losgehen würde. Dementsprechend trudelte ich auch ganz lässig erst um halb neun vor dem Salle Pleyel ein. Der gefuchste Rockerparis verhandelte gerade vor der Türe mit einem Typen den Preis für die Tickets. Wir Chaoten kamen nämlich coolerweise ganz ohne Billet oder Gästenlistenplatz an. Ist ja auch für was Spießer, diese ganze Reservierungskacke! Spontanen Menschen wie uns kommt das nicht entgegen. Lediglich zehn Euro pro Nase sollten die Plätze kosten. Ein super Geschäft (und legal obendrein!), bedenkt man, daß es sich um Plätze der ersten Kategorie handelte, die eigentlich 45 Euro wert waren! Wir schlugen zu und ließen die Scheinchen rüberwachsen. Die Sache hatte aber einen kleinen Haken: Das Konzert hatte schon angefangen und zwar pünktlich um 20 Uhr! Was für eine pedantische Scheiße seitens des Veranstalters. Wo gibt es denn so etwas, bitte schön? In jedem vernünftigen Konzertsaal beginnen die Konzerte mindestens eine halbe Stunde später als auf den Karten ausgewiesen. Aber wir waren nun einmal nicht in einem vernünftigen Konzertsaal, sondern in einem altmodischen Theater, wo sonst klassische Musik gespielt wird. Die alten Leute müssen halt früh ins Bett!
Ziemlich angepisst kletterten der Rockerparis und ich die mit rotem Samt ausgelegten Treppenstufen hoch und platzten zur Tür rein, wo schon wie blöd rummusiziert wurde. Der Platzanweiser (dieser Hanswurst!) erklärte uns, daß wir unsere Plätze erst nach der Pause einnehmen dürften. Hä? Was für eine Pause? Tja, das Konzert war in zwei Hälften eingeteilt, beide 45 Minuten lang, unterbrochen von einer 20 minütigen Pause. Höchstwahrscheinlich hatte man Rücksicht auf die ganzen Sozialkundelehrer im Publikum genommen, die von der Schule her Lerneinheiten à 45 Minuten gewohnt sind. Da standen wir also wie die Deppen im Gang rum und glotzten auf die Bühne, wo ein ganzes Orchester rumfiedelte wie auf Droge. John Cale croonte mit seinem weißen Schopf in der Mitte und sang zum Abschluß des ersten Teils Macbeth. Die alten Herrschaften im Publikum klatschten wie die Gestörten, so ähnlich wie in der Berliner Philharmonie, wenn Sir Simon Rattle mit seinem Rumdirigieren fertig hat. Pause war angesagt...
Unten im Flur tummelte sich das gesamte Musik-Bildungsbürgertum. Überflüssig zu sagen, daß kaum junges Publikum da war, die gehen ja schließlich zu den Kooks oder so. Welche junge fetzige Pariserin will schon einen zerknautschten Crooner im Anzug auf der Bühne sehen? Na keine, eben! Ich sah mich also umgeben von gleichaltrigen oder noch älteren Semestern. Deprimierend. Meine Laune wurde gänzlich beschissen, als ich erfuhr, daß im ersten Teil sämtliche Lieder von dem wunderschönen Album 1919 gespielt worden waren. Verflixte Axt! Ich wollte doch unbedingt Endless Plain Of Fortune, Andalucia oder Paris 1919 einmal live sehen und hören! Lieder, die mich auf fabelhafte Weise an vorzügliche zeitgenössiche Bands wie Midlake oder die Flamming Lips erinnern. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich sofort die Fliege machen und mir den zweiten Teil schenken sollte. Meine Neugier siegte schließlich, ich blieb.
Nach der Pause nahmen der Rockerparis und ich unsere Sitzplätze ein. Vierte Reihe, super Sicht, diesbezüglich gab es nichts zu meckern. John Cale kam nun mit seiner Band, aber ohne die Streicher des Orchestre National d'Ile-de-France zurück. Der alte Ex-Velvet ließ nun den Rocker raushängen, aber das Stück Hello, There klang so hausbacken und altmodisch, daß ich am liebsten auf den Fußboden gekotzt hätte. Bluesrock für alte Herren, ganz fies. Catastropic war dann zwar nicht katastrophal, aber immer noch nicht wirklich gut. Zu Whaddya Mean By That trat Cale dann in die Mitte der Bühne und performte ohne Instrument. Das Licht war glänzend und ich hielt es für an der Zeit, den grauen Fuchs abzulichten. Ich hatte gerade ein einziges Foto abgefeuert, da kam schon ein Ordner (was für ein Heini!) angesprungen und befahl mir, die Knipserei sofort einzustellen. Ich tat ihm den Gefallen und steckte meine kleine Kompaktkamera wieder ein. Ohnehin galt es sich jetzt ganz auf die Musik zu konzentrieren, denn die wurde mit der Ballade Amsterdam vorzüglich. Das Streicherorchester war nun wieder mit von der Partie und die Stimme von Cale war einfach sensationell! "But I love her still and need her company still more. Come down, come down once more. And I think, the journey, did her well", sang John kraftvoll, präzise und mit einem formidablen Timbre. Keine Frage, der alte Bock hat es noch drauf! Ich schnalzte mit der Zunge, war plötzlich topfit und bester Laune. Von nun wurde das Konzert der erhoffte Genuß. Sechs Violinen, drei Celli und zwei Kontrabässe zauberten Wohlklänge in den Salle Pleyel, in dem nun Secret Corrida ertönte. Schön! Aber es wurde noch schöner: Do Not Go Gentle Into That Good Night (von Fragments Of A Rainy Season) kam traumhaft und in allerbestem Klang rüber. Eine Trombone versüßte das Ganze noch zusätzlich. Toll, toll, toll!
Zu dumm nur, daß nach Hedda Gabler schon Schluß war. Der Salle Pleyel tobte. Natürlich kam John Cale noch einmal zu Zugaben zurück und spendierte Gun und nach einer weiteren Pause Pablo Picasso. In dieser Phase gab er noch einmal den Rocker und ließ seine Elektrische aufjaulen. Ich ließ meiner Fantasie freien Lauf und fühlte mich an Shadowplay, den Klassiker meiner Lieblingsband Joy Division erinnert. Wahrlich keine schlechte Assoziation und am Ende stand fest: John Cale müssen Fans von Bands wie The National, Interpol und den Tindersticks einmal live gesehen haben, schon allein wegen der famosen Baritonstimme des Altmeisters!
Die Abschiedsworte des Walisers: "Eine kleine Nachtmusik"
Setlist John Cale, Salle Pleyel, Paris:
01: Childs Christmas In Wales
02: Hanky Panky Nohow
03: Endless Plain Of Fortune
04: Andalucia
05: Paris 1919
06: Graham Green
07: Half Past France
08: Antarctica Starts Here
Pause
09: Hello, There
10: Catastrophic
11: Whaddya Mean By THat
12: Amsterdam
13: Secret Corrida
14: Do Not Gentle
15: Hedda Gabler
16: Gun
17: Pablo Picasso
- Englische Review bei Rockerparis, klick!
Sehr schöne Videos von einem Konzert in Norwich von John Cale:
- Whaddya Mean By That
- Secret Corrida
- The Endless Plain Of Fortune
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