Samstag, 10. Oktober 2009

Ramona Falls & Dear Reader, Wien, 08.10.09


Konzert: Ramona Falls & Dear Reader
Ort: Chelsea, Wien

Datum: 08.10.2009
Zuschauer: etwa 150


von Julius aus Wien

Ein Dear Reader-Experte, wie es Christoph und auch Oliver sind, bin ich zugebenermaßen nicht, aber vielleicht ist es ja auch ganz reizvoll, mal einen Bericht von einem „Laien“ zu lesen. Ganz unbewandert bin ich aber auch nicht, ich kann den Auftritt der Südafrikaner im fernen Haldern auf mein virtuelles Konzert-Konto verbuchen. Und als sie für FM4 im Rahmen eines exklusiven Überraschungskonzerts das Radiokulturhaus bespielt haben, war ich zumindest per Videostream dabei.

So hatte ich schon eine recht gut Vorstellung von dem, was mich erwarten würde, als ich mich auf den Weg zum Wiener Chelsea machte, einem Indie-Schuppen am Gürtel, der wochenends immer grausam überfüllt ist. Dass es an diesem Abend etwas gemütlicher zugehen würde, stand aber außer Zweifel. Da fährt die Eisenbahn drüber, wie man so schön sagt, nur dass es in diesem Fall die U-Bahn ist, liegt das Chelsea doch in einem der U-Bahn-Bögen der U6-Hochtrasse. So kann es leicht mal sein, dass ruhigere Momente eines Konzerts vom Rumpeln der Waggons direkt über den Köpfen der Musiker etwas verfremdet werden. Meist führt so ein „Zwischenfall“ bei der jeweiligen Band aber nur zu einem leichten Schmunzeln und besonders gut gelaunte Bands, zu denen Dear Reader auf jeden Fall gezählt werden müssen, haben ihren Spaß an diesen Einlagen.

Kurz vor zehn, die U-Bahn fährt jetzt nur mehr im 6-Minuten-Takt, schlängeln sich Dear Reader durchs Publikum, einen Backstageraum gibt es im Chelsea nicht. Zu fünft standen Dear Reader schließlich auf der Bühne, unter ihnen auch Brent Knopf, der Produzent von Dear Reader und Kopf von Menomena, der mit dem Vierer aus Johannesburg als Ramona Falls den Hauptact im Chelsea geben sollte. Doch dazu später, denn Dear Reader fangen ohne große Umschweife und salbungsvolle Ansprachen an und geben Never Goes zum Besten, ein Song über Einsamkeit mit allem Drum und Dran, dass eine heutige Indie-Band im Normalfall im Repertoire hat: Streicher, zartes Geklimper am Keyboard, etwas Chorgesang und – je nach Abend und Auftritt – auch hübsches Gepfeife.

Nun stellten sich Dear Reader vor, sie würden sich freuen, wieder „back again“ zu sein, sagte Cherilyn und gewinnendere Lächeln als die, mit denen sie ihre phasenweise auftretene Schüchternheit zu überspielen versucht gibt es einfach nicht. Nach sympathischeren Menschen als es alle fünf, die da auf der kleinen erhöhten Fläche gedrängt stehen, kann man lange suchen. Die bedingungslos ausgelebte Liebenswürdigkeit, für die man etwas übrig haben muss, ist Programm. Das zeigt sich an der höflichen Anrede (lieber Leser, liebes Herz etc.), genauso wie an der Interaktion mit dem Publikum. Und diese ist natürlich um einiges besser als am Haldern. Je kleiner der Rahmen, in dem das Konzert statt findet, desto besser, meine ich. Und dass zwischen dem frühen Nachmittag und dem späten Abend natürlich ein großer, ein existenzieller Unterschied ist, ist auch unbestritten.

Das angesprochene „liebe Herz“ (also auf Deutsch klingt das nicht sehr schön...) wurde dann in Dearheart behandelt, gleich darauf folgte mit Bend mein erster persönlicher Höhepunkt: „If you do not bend, you will eventually break.“ Bei den in diesem Song vorkommenden Back-Vocals (bap bap bap) tat sich Brent Knopf erstmals hervor. Die Arme auf dem Rücken verschränkt und leicht vornüber gebeugt, wippte er leicht mit dem Kopf hin und her und konzentrierte sich mit geschlossenen Augen auf seinen nicht allzu einprägsamen Text. Ganz brav wirkte er hier, doch man merkte, dass man hier einen ausgemachten Schelm vor sich hatte. Diesen sollte man aber erst beim Auftritt von Ramona Falls bewundern dürfen, das Dear Reader-Set ging mit What We Wanted weiter. Ein Zuschauer ließ sich zur Aussage „What we wanted, is Dear Reader!“, woraufhin sich eine hübsche kleine Konversation dieses Mannes mit Cherilyn entwickelte. Einer der besten Aspekte an Dear Reader ist ja das akzent- und slangfreie Englisch, das jeder, der mit ein paar Jahren Schulenglisch ausgestattet durch die Welt geht, sowohl Songs, als auch Ansagen auf Konzerten problemlos versteht. Jeder, der auch nur einmal eine schottische Band gesehen bzw. gehört hat, weiß was er an den Südafrikanern phonetisch hat. Fran von Travis und die Glasgower Mogwai sind nur die Speerspitze einer Nation von Brabblern und Brummlern. Aber das soll jetzt keine Verunglimpfung der Schotten werden, zu sehr mag ich die zwei eben erwähnten Bands, sondern vielmehr will ich meiner Freude über die Schönheit des simplen Standardenglisch der Südafrikaner Ausdruck verleihen. Dieses ihr Heimatland thematisierten Dear Reader dann auch in The Same. Out Out Out kündigte Brent mit den Worten an, es sei wieder Zeit für den Rock´n´Roll-Song. Es ist wohl nicht notwendig, hinzuzufügen, wie ironisch er dabei zu seinen Bandkollegen grinste und welch Gelächter er damit erntete. Dear Reader haben mit der rohen Spielweise der Gitarrenmusik einfach wenig am Hut und überhaupt sind sie viel zu freundlich, um auf der Bühne herumzuwüten. Dieses Feld dürfen andere getrost beackern.

Darryl überließ glücklichweise auch das Feld des 80er-Trashs, das er ja in Marburg gründlich bestellt zu haben scheint, den Dorfdiscos und war generell sehr unauffällig.

Mit Heavy folgte der einzige unveröffentlichte Song dieses Abends und mit Release Me und dem Great White Bear zehn wunderschöne Minuten, die das Ende des eigentlichen Sets darstellten. Auch die Geschichte mit dem Eisbär, der für die Wärmebildkamera unsichtbar ist gab Cherilyn zum Besten. Sehr groß war der Applaus dannach und so gab man noch ein Stück zu, welches aus der Zeit, in der Dear Reader noch Harris Tweed hießen, stammte: Better Than This.

Setlist Dear Reader, Chelsea, Wien:

01: Never Goes
02: Dearheart
03: Bend
04: What We Wanted
05: Way Of The World
06: The Same
07: Out Out Out
08: Heavy
09: Release Me
10: Great White Bear

11: Better Than This (Z)

Nach ganz kurzer Umbauphase, die eigentlich nur darin bestand, dass ein Laptop fachgerecht verkabelt wurde, standen dieselben Musiker wieder auf der Bühne. Glücklicherweise sind die Wiener keine Freiburger, sondern wohl eher Menschen vom Schlag des Mittelhessen, um Christoph zu zitieren, das Publikum wusste, was es erwarten darf. Und tatsächlich gab es fast genauso viele Besucher, die wegen Ramona Falls ins Chelsea gekommen waren, wie für Dear Reader. Ich war wohl eher für Dear Reader gekommen und Ramona Falls kannte ich nicht so gut. Was ich dann allerdings von dieser „Supergroup“ (ein absurder Fachbegriff, der zurzeit so inflationär verwendet wird, dass ich diesen auch mal schreiben will) geboten bekomme, begeisterte mich schwer. Freilich kannte ich das Album, aber die Live-Umsetzung war fast noch besser. Für Erheiterung hatte anfangs noch die verblüffende optische Ähnlichkeit Brent Knopfs mit dem österreichischen Stürmer Marc Janko gesorgt, doch von dessen leicht arroganter Art besitzt Brent zum Glück nichts. Vielmehr punket er mit Humor und seiner wahrlich perfekten Stimme, die nicht nur bestens verständlich und klar artikuliert ist, sondern auch sehr angenehm anzuhören. Die musikalische Unterstützung durch seine Freunde von Dear Reader ist ebenfalls absolut wunderbar und dafür, dass sie offenbar tatsächlich erst seit ganz kurzer Zeit zusammen performen, eine Sensation...Die Setlist ähnelt sehr ihrer Kollegin aus Marburg, genau habe ich sie leider nicht notiert. Als Brent jedenfalls ziemlich in der Mitte des Sets Russia ankündigte, fing ein stämmiger Mann direkt neben mir in einer osteuropäischen Sprache – wohl russisch - zu schreien an. Den Grund dafür erfuhren wir leider nicht, denn von Brent freundlich gefragt, ob er aus Russland sei, verstummte er einfach und schwieg. Zu schade, wirklich!

Ramona Falls ließen sich von diesem interessanten Zwischenfall nicht irritieren und überzeugten auch die restlichen 20, 30 Minuten von der Güte ihres Materials, die erstklassig ist.

Interessant ist auch Brents Körpersprache während der gesamten Dauer „seines“ Auftritts. Unaufhörlich versuchte er, seine Augäpfel so zu verdrehen, dass nur mehr das Weiße sichtbar war, was auch mehrmals gelang. Ganz gesund kann das nicht sein, aber spaßig war das allemal. Ob das wohl einen tiefergründigen Sinn hatte? Das, dear reader, müssen Sie wohl selbst beantworten. Ich halte hiermit noch fest, dass dieser achte Oktober ein unglaublich unterhaltsamer Abend war und an den musikalischen Qualitäten der „eineinhalb“ Bands absolut nichts auszusetzen war. Sowohl Ramona Falls als auch Dear Reader haben unglaubliches Potenzial und so freuen wir uns einfach mal auf deren nächste Veröffentlichungen bzw. Konzerte, währenddesssen werde ich mal einen Slawistik-Experten konsultieren.





 

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