Mittwoch, 18. Januar 2012

Entertainment For The Braindead, Köln, 17.01.12


Konzert: Entertainment For The Braindead (Cologne Music Week)
Ort: Stadtgarten Restaurant, Köln
Datum: 17.01.2012
Zuschauer: 150 ca.
Dauer: 60 min


Für Konzertjunkies wie uns bringt die jahrealte Krise der Musikbranche durchaus Vorteile; Bands touren häufiger, denn Konzerterlebnisse kann man nicht downloaden und auf dem Schulhof austauschen. Und häufig tourende Bands sind eine gute Sache, Konzertgänger also Krisengewinnler. Die vierteljährlichen Besuche der Pains Of Being Pure At Heart in Köln sind ein Running Gag bei uns, aber auch viele andere nordamerikanische Bands sind ganz regelmäßig in Europa zu finden (die Pains sind natürlich auch wieder einmal da, leider gerade nur in Belgien und Frankreich).

Die Cologne Music Week passt da vermutlich nur zum Teil ins Bild, sie hat sich der
Nachwuchsförderung verschrieben. Das Ergebnis ist allerdings das gleiche: es gibt noch mehr Möglichkeiten, extrem früh im Jahr tolle Konzertabende zu erleben. Bis Ende der Woche findet die vierte Ausgabe des Festivals statt, mit Künstlern mit regionalem Bezug, die an verschiedenen Orten in Köln auftreten. Entertainment For The Braindead ist aus unserer Sicht keine Nachwuchskünstlerin mehr, weil wir seit 2009 über einige Konzerte der Kölnerin (Julia Kotowski, die sich hinter dem Bandnamen verbirgt) gesehen haben. Unsere gemeinsame Geschichte fing schrecklich charmant an (hier nachzulesen) und führte zu zwei Auftritten der Musikerin in Olivers Wohnzimmern (hier und hier).

Julias Stücke sind sehr filigran und ruhig und erfordern Aufmerksamkeit. Einen zusätzlichen Reiz beziehen sie aus ihre
Instrumentierung und der eingesetzten Looptechnik. Das Loopen ist seit einigen Jahren in der Indiebranche fast so verbreitet wie Saxophone in den 80ern, im Gegensatz zu den Blechquäken kommt dabei aber in der Regel nur Gutes raus. Julias Geloope ist ganz besonders eindrucksvoll. Wenn die Sängerin sich selbst begleitet, aus ihrer geloopten Stimme einen Chor erschafft, durch Geklopfe auf der akustischen Gitarre ein elektronisch klingender Rhythmus entsteht, ist das schon phänomenal gut.

Dummerweise ist ein Restaurant mit angeschlossener Bar nicht die richtige Umgebung für ein solches leises und Konzentration benötigendes Konzert - was ich eigentlich vorher hätte wissen können. Es herrschte also ein furchtbar lauter Hintergrundlärm-Pegel, das übliche Gemurmel von angeregten Gesprächen, umfallenden Flaschen, Essgeräuschen, lachenden Menschen das es mir fast durchgängig schwer
machte, mich auf Julias Stimme zu konzentrieren, um überhaupt etwas vom Konzert mitzubekommen. Jaja, hätte ich wissen können.

Meine Lieblingsszene in dem Zusammenhang passierte, nachdem ein Mann sich an einem der Tische vorbeidrängte und dabei erst ein, dann erst eins, dann ein paar
weitere Gläser umriss, die laut klirrend kaputtgingen. In Konzertsälen wären rote Köpfe und schnelle Schadensbegrenzung Folge gewesen. Hier johlte ein Typ, der fünf Meter entfernt stand, laut und spendete Applaus, bevor er sich wieder zu seinen Freunden umdrehte, um sich weiter zu unterhalten. Wo ich gerade schon dabei bin... meine liebsten Ignoranten bei Konzerten sind die Typen, die laut quatschen, mit dem Rücken zur Band stehen (weil sie sich ja unterhalten), dann aber laut klatschen, wenn das Lied vorbei ist. Warum eigentlich? Damit sie hinterher glauben, bei einem Konzert gewesen zu sein? Ich werde diese coolen Menschen nie verstehen, fürchte ich.

Das Ergebnis war jedenfalls, daß Julia für die Zuschauer unmittelbar vor ihr gut zu verstehen gewesen sein wird, der Rest, der so weit weg stand wie ich, musste sich höllisch konzentrieren, um etwas mitzubekommen.

Ich kannte bei weitem nicht alle Lieder des Abends, mir ist zum Beispiel eine EP durchgerutscht, die Entertainment For The Braindead nicht auf dem Netlabel aaahh-Records veröffentlich hatte. Julia Kotowski spielte aber auch neue Stücke, die sich vor ihren älteren Geschwistern absolut nicht verstecken mussten. Neben den alten Lieblingen Resolutions und Animals gefielen mir insbesondere das erste Lied
Lighthouse mit seinem geloopten Gesang und das folgende Symbiosis, dessen Beat sensationell war! Der Rhythmus erinnerte mich an Depeche Mode Stücke (an Personal Jesus, denke ich) oder an... Portishead, wobei mir diese Erleuchtung erst kam, als Julia ein Cover der Engländer spielte (und ihre The rip Version war so wundervoll entrückt, daß ich hin und weg war).

Entertainment For The Braindead spielte eine Stunde. Blende ich die Umstände aus, war das Konzert vorzüglich - bei Bands, die mir egal sind, wäre ich allerdings sicher nach zwei Liedern gegangen. Im März kommt Julia, die mittlerweile in Berlin lebt, erneut nach Köln und spielt in sicher aufmerksamerer Umgebung. Schön!

Setlist Entertainment For The Braindead, Cologne Music Week, Stadtgarten, Köln:

01: Lighthouse
02: Symbiosis
03: The cold
04: A trace
05: A smile
06: Resolutions
07: It flew away
08: The rip (Portishead Cover)
09: ?
10: City
11: Animals
12: Blank

Links:

- aus unserem Archiv:
- Entertainment For The Braindead, Köln, 12.08.09
- Entertainment For The Braindead, Westfalde, 26.07.09
- Entertainment For The Braindead, Köln, 25.07.09
- Entertainment For The Braindead, Köln, 21.07.09
- Entertainment For The Braindead, Köln, 12.06.09
- Entertainment For The Braindead, Paris, 18.01.09



4 Kommentare :

Christoph W. hat gesagt…

Nichts gegen Entertainment For The Braindead (sie macht mit dem Loop-Gerät sicher nur tolle Sachen), aber mir geht das ewige Geloope mittlerweile gehörig auf den Geist.

Guido hat gesagt…

Und wo und wann spielt sie im März?

E. hat gesagt…

gekonnt eingesetzt, kann man gegen looping doch nichts sagen? aus der oft reichlich öden singer/songwriter nummer wird ein komplexes soundgebilde. ich bin es leid, die in sich hinein greinenden typen anzuschauen.

das konzertgequassel ist eine bestrafung für jeden interessierten. ich bin für eine gesetzliche grundlage, um persönliche handhabe gegen diese arschlöcher zu haben. legitimiertes verkloppen und verjagen sozusagen.
bislang bleibts beim kommentar: "scheiße wa, dass die musik so laut ist?"

Christoph W. hat gesagt…

Gegen gut gemachtes Looping habe ich ja auch gar nichts.

Leider entdecken aber auch zunehmend Musiker, die eigentlich gar nichts damit anzufangen wissen, es aber irgendwie cool finden, das Loopgerät für sich...

 

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