Freitag, 20. Januar 2012

Echo & The Bunnymen, Paris, 19.01.12


Konzert: Echo & The Bunnymen

Ort: Le Bataclan, Paris
Datum: 19.01.12
Zuschauer. nicht ausverkauft, aber gut besucht, mindestens 1000 also
Konzertdauer: gut 2 Stunden





Verfluchte Scheiße, was sollte das denn?! Echo & The Bunnymen fangen überpünktlich an? Ja waren wir denn hier bei den streberhaften Weichspülern von Coldplay? Eine ordentliche Rockband hat gefälligst zu spät zu kommen, launisch und unberechenbar zu sein! Das lob ich mir doch das Konzert von den Bunnymen vor gut sechs Jahren im Pariser Trabendo.* Da kamen sie wie es sich gehört fast eine Stunde zu spät auf die Bühne geschlichen.



Aber es ist halt alles nicht mehr wie es war. Wilde und ungezügelte Indiekonzerte werden zu Kindergeburtstagen, wo keiner sich daneben benimmt, niemand raucht und säuft bis die Schwarte kracht. Echo & The Bunnymen fangen um 20 Uhr 30 an, ein schlechter Witz! Ich kam eine geschlagene Stunde (!) zu spät, weil meine Rechnung wie folgt aussah: regulärer Beginn 21 Uhr + 30 Minuten einkalkulierte Verspätung der Band. Ich hasse es nämlich zu früh da zu sein, will sofort ins Geschehen eingreifen. Auch beim Sex verachte ich ein langes Vorspiel, will sofort losrammeln wie ein geiler alter Ziegenbock! (wenn meine Frau das jetzt lesen würde, auweia)

Nun ja, zumindest gab es für mich keine langatmige Warterei, sondern es ging gleich volle Pulle los. Als ich eintrat, wurde gerade Show Of Strength gespielt. Wie ich hinterher der Setlist entnehmen konnte, hatte ich satte 10 Songs verpasst, darunter absolute Klassiker und alte Lieblinge wie Villiers Terrace und Pictures On My Wall. Verfluchte Scheiße! Mein Zorn (den ich mir selbst zuzuschreiben hatte, wäre ich halt pünktlich gekommen, ich Depp!) verflog aber relativ bald, denn der Sound war richtig gut, die Gitarren herrlich schrammelig, das Schlagzeug wuchtig und präzise. Und der Gesang von Ian McCulloch? Sensationell gut! Nichts, aber auch gar nichts hatte seine Stimme von den alten Qualitäten verloren. Nach wie vor klingt sie herrlich verraucht, unbeschreiblich sehnsüchtig, greinend und durch Mark und Bein gehend.* "Over The Wall" schrie der abgehalfterte, Sonnenbrille tragende Knabe mit seinen pechschwarzen Klammotten in sein Mikro und mein Puls raste. Wow, da kam richtig geil rüber! Eine der stilprägenden Bands der Postpunk/New Wave-Bewegung Englands noch einmal mit ihren alten Hits zu hören, das hatte schon eine unwahrscheinlich intensive Wirkung. Ich stellte mir kurz vor, es sei Januar 1980 und ich stünde in der legendären Factory in Manchester, umringt von jungen, wutschnaubenden Punks beim Pogotanzen. Mit der Realität hatte das aber nichts zu tun. Obwohl Echo & The Bunnymen sicherlich genauso gut und messerscharf spielten wie früher, war das Publikum nicht mehr das Gleiche wie in den frühen Achtzigern. Hier und heute standen ausgemergelte, hüftsteife alte Böcke mit grauen Haaren und Falten in der Fresse rum und fühlten sich noch mal ansatzweise jung und an ihre Jugend erinnert. Typen wie ich also, bei denen das Leben seine Spuren hinterlassen hatte. Über die Frauen im Publikum reden wir am Besten gar nicht. Die waren erstens in der Minderheit und zweitens alt, bieder und verblüht. Hausmütterchen aus Wanne-Eickel (waren wir hier im schicken Paris?), die sich auch noch mal locker machten, so kam es mir fast vor. Aber das waren natürlich nur Äußerlichkeiten, das Hauptproblem war, daß das Publikum saumäßig lahm und die Stimmung entsprechend recht mau war. Dabei spielte die Band vorne wirklich tierisch gut auf, glänze mit einem rasiermesserscharfen Sound und optimaler klanglicher Aussteuerung. Aber es war nichts zu machen, die Post ging im Publikum nie ab, Crowdurfer gab es keine und Pogotänze auch nicht. Wie gerne hätte ich mich doch auf nette Weise mit ein paar Typen geprügelt, nur so zum Spaß. Die Musik war doch so herrlich aggressiv, da hätte das doch gepasst. Wenn ich Bock gehabt hätte, jemand Bestimmten in die Fresse zu ballern, wäre es der arrogante Typ mit seiner granatenhaft hübschen Freundin links von mir gewesen. Siegessicher hielt er seine nach einem Topmodel aussehende Puppe im Arm und grinste überheblich. Aber er war größer als ich, also ließ ich ihn in Ruhe und beschränkte mich darauf, seine Freundin dezent von hinten anzuglotzen.

Vorne wurde unterdessen munter das Programm abgespult, das da lautete "Echo The Bunnymen play Crocodiles and Heaven Up Here".* Von diesen beiden ersten Meisterwerken der Truppe aus Liverpool wurden alle Lieder gepielt und Ausfälle waren keine zu verzeichnen, was die enorme Qualität des Songmaterials eindrucksvoll unterstrich. Egal ob das morbide The Disease ("my life is a disease"), das gruftige, dreampoppige All My Colours oder das wahnsinnig aggressive With A Hip gespielt wurde, jeder Stoß war ein Treffer. Und dies obwohl sich McCulloch reichlich derangiert gebärdete. Zwischen den Liedern brabbelte er in einem unverständlichen Slang Sätze , die oft mit "Fuck" oder "Fucking" begannen und auch so endeten. "Fock (so sprach er das aus), fock, fock", bestimmt wurde dieses Fäkalwort 200 mal gebraucht. Der Rest waren Begriffe wie shit, crap etc. Es war köstlich das mitzuverfolgen. Ein paar Sachen verstand ich, zum Beispiel, daß sie heute in einer "focking televison show" ein "focking interview" gegeben hatten, das Paris eine "focking beautiful city" sei ("it's always rainig, Paris is like Manchester with nice bulidings"), überhaupt "the second most beautiful city in the world" (nach Liverpool natürlich) sei, daß seine Band Echo & The Bunnymen eine "focking great rock band" gewesen wären und das es sogar in absehbarer Zeit ein neues Album geben werde, das "focking amazing", ja mehr noch: "the best album ever written, by anybody", werden würde.

Manchmal unterbrach zwar diese Laberei von McCulloch ein wenig den Spielfluß, aber insgesamt war das dennoch eine tighte und knackige Sache. Die Jungs wussten einfach noch wie es geht, agierten so brillant, daß sich so manche Nachwuchsband noch mehr als eine Scheibe von der Klasse der Liverpooler abschneiden könnte. Kurzum, Echo & The Bunnymen sind eine essentielle Band und klingen heute noch alles andere als antiquiert. Mit dem Performen ihrer ersten beiden Alben hatten sie sich aber auf ihre düsterste Schaffensphase konzentiert, was danach kam war poppiger und lebensbejahender. So war es dann auch passend, daß Ian den abschließenden Song des Zugabeteils Lips Like Sugar als den "most sexy song I have ever written" bezeichnete. Zuvor hatte es noch das wundervolle Nothing Lasts Forever und den Klassiker The Killig Moon gegeben.

Alles in allem ein super Konzert. Wäre ich doch bloß pünktlich gekommen, verfluchte Scheiße!

* jeder Musikfan weiß, daß sie auch stark an die Stimme von Bono erinnert. Aber der U 2- Mensch hat alles geklaut. Bono, die Sackratte!

* aufgrund meiner ärgerlichen Verspätung für mich nur Heaven Up Here

Setlist Echo & The Bunnymen, Le Bataclan Paris, 2012:

01: Going Up
02: Stars Are Stars
03: Pride
04: Monkeys
05: Crocodiles
06: Rescue
07: Villiers Terrace
08: Pictures On My Wall
09: All That Jazz
10: Happy Death Men
11: Show Of Strength
12: With A Hip
13: Over The Wall
14: It Was A Pleasure
15: A Promise
16: Heaven Up Here
17: The Disease
18: AllMy Colours
19: No Dark Things
20: Turquoise Days
21: All I Want

22: Nothing Lasts Forever
23: The Killing Moon
24: LipsLike Sugar

* 15 November 2005, Siberia Tour, Setlist (Quelle: setlist.fm)

01: Going Up
02: With A Hip
03: Show Of Strength
04: Stormy Weather
05: Bring On The Dancing Horses
06: The Disease
07: Scissors In The Sand
08: All That Jazz
09: The Back Of Love
10: The Killing Moon
11: In The Margins
12: Never Stop
13: Villiers Terrace
14: Roadhosue Blues (The Doors)
15: Of A Life
16: Rescue
17: The Cutter

18: Nothing Lasts Forever
19: Walk On The Wild Side (Lou Reed)

20: Lips Like Sugar
21: Ocean Rain


Fotos 2 und 3 von Robert Loerzel, Chicago. Nicht von dem Pariser Konzert. Thanks, Robert!



 

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