Mittwoch, 14. September 2011

John Grant, London, 07.09.11


Konzert: John Grant (with Midlake) & Lanterns on the Lake

Ort: Royal Festival Hall, London
Datum: 07.09.2011
Zuschauer: wohl ausverkauft
Dauer: Lanterns on the Lake 45 Minuten, John Grant 100 Minuten


"Welcome the boys from Midlake!" Keine Viertelstunde war seit ihrem Auftritt vergangen, da standen Midlake schon wieder bei ihrem Freund John Grant auf der Bühne. Auch wenn sie nur eine Zuschauerrolle einnahmen und sich vornehm im Hintergrund hielten - die Freude war dem ehemaligen Czars-Frontmann deutlich anzumerken. All das geschah am End of the Road-Festival in Südwestengland (Berichte von diesem fantastischen Wochenende folgen!), wenige Tage später kam die englische Hauptstadt in den Genuss eines noch denkwürdigeren Abends. Hauptverantwortlich dafür: John Grant und Midlake.

Als ich mir meinen Platz in der riesigen Royal Festival Hall kurz nach sieben zuweisen ließ, war noch wenig los im Konzertsaal. Die meisten Leute trieben sich noch im Foyer, an den Bars und in was-weiß-ich-noch welcher Ecke des Southbank Centres herum. Dieses darf man sich als lebendiges Kunstviertel vorstellen, einer der sympathischeren Gegenden Zentrallondons.

Gegen halb acht begannen dann Lanterns on the Lake aus Newcastle vor halbvollem Saal. Schon am End of the Road hatte das Sextett mit einem wunderschönen Auftritt seine Zuseherzahlen in kurzer Zeit verdoppelt und so strömten auch in London im Laufe des Konzerts immer mehr Leute in den Saal, die zuvor vielleicht noch die Bar vorgezogen hatten.

Erstes Highlight war Keep on trying, ein exemplarisch für das Gesamtwerk zu wertender Song: verträumte Stimme, Klangelegien aus Streichern und sanfter Elektronik, im Takt gehalten von samtweichem Schlagzeug. Die Songs haben großteils das Meer und seine Geschichten zum Thema, nicht umsonst heißt das Album Gracious Tide, Take me Home.

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Sängerin Hazel Wilde bedankte sich sichtlich beeindruckt beim Publikum, dies sei die größte Location, die sie bis dato bespielt hätten. Das wird auch hoffentlich so bleiben, denn einer Band wie den Lanterns on the lake tut man mit einer intimen Schauplatzwahl wohl den größten Gefallen. Der glasklare Sound und die der Band entgegenschlagende Zuneigung ließ einen die Größe des Saals allerdings weitgehend vergessen.

Es folgten A Kingdom und You Need Better, einer der letzten Songs endete in einem energiegeladenen Ausbruch, zu dritt wurde das Schlagzeug bearbeitet, das Keyboard wurde behämmert, zum Schießen der Gitarrist, der sein Instrument mit einem Geigenbogen spielte und dessen heftige Bogenstriche in keinerlei Verhältnis zur erzielten Lautstärke standen. So sieht das also aus, wenn eine brave Truppe wie die Newcastler aufdreht. Lanterns on the lake gone wild!
Den Abschiedsapplaus hatten sie sich dann redlich verdient, eine dreiviertel Stunde lang haben sie den Saal verzaubert, möchte man angesichts ihres Faibles fürs Wasser eine Band mit ungleich weniger Eleganz zitieren: die perfekte Welle (zum Dahinträumen) erwischt.
Schon bald übrigens, im Oktober, eröffnen sie ein weiteres Mal für einen großen Namen in London, Yann Tiersen diesmal.

Der große Name des Abends aber war John Grant und der ließ nicht lange auf sich warten. Auf Midlake dagegen schon, denn Grant kam vorerst nur mit einer Geigerin auf die Bühne und hatte sichtlich Freude mit den bereits im Vorraus empfangenen Begeisterungsbekundungen. Zurückgezahlt wurden diese mit neuen Songs, der erste davon You don't have to. "Love songs with a certain 'Hope you end up in a wheelchair'-attitude."
Ein nettes Kerlchen, dieser John Grant. Aber es ist kein verbitterter Zynismus, den man einem Menschen mit Grants Biographie nicht einmal verdenken könnte, es ist die pure Lebenslust und Menschenliebe, transportiert einfach mit einem ganz eigenen Humor.

Dass man diesen Menschenschlag in seinem Element, der Bühne, erleben darf, das hat man Midlake zu verdanken. Die Geschichte ist bekannt: Den sich aus seiner Musikerlaufbahn mit The Czars in ein neues Leben mit altem (fortgsetztem) Dolmetscherstudium zurückgezogenen John Grant laden Midlake zu sich nach Hause ein und versprechen ihm jegliche Unterstützung, wenn er doch nur wieder Musik macht.
John Grant erzählt diese Geschichte gerne, man spürt, wie er sich noch immer freut, sich überredet haben zu lassen. Er erzählt vom Essen, das die Frau von Eric Pulido ihm gekocht hat, vom Aufnahmeprozess und vom Spaß, den er so noch nie im Studio gehabt hätte.

Über den Lauf des Abends verteilt stellt Grant dann ganz entgegen seines Nachnamens Entertainerqualitäten unter Beweis, alle Mitglieder seiner backing band bekommen - liebvoll, versteht sich - ihr Fett weg. "When I first met Eric Pulido, I thought he was the biggest asshole." Kunstpause. "But as time passed by, I realized that he really was." John Grants Art zu scherzen ist nicht unbedingt die handelsübliche. Lieber einen guten Freund verlieren, als eine gute Pointe auszulassen - das wäre wohl seine Devise. Wenn Midlake nicht die Sorte von Freunden wären, mit denen man sowas halt auch wirklich machen kann. Die dickhäutig sind und selbst nur auf die Chance zur Revanche warten.

Aber es werden auch viele Komplimente gewechselt, Bassist Paul Alexander hat es Grant besonders angetan. Basslinien, die dieser im Studio spaßeshalber improvisiert hatte, sind der Grund dafür. Von Alexander für lächerlich trashig befunden, machte Grant von seinem Recht auf das letzte Wort Gebrauch und verewigte diese in seinen Songs. "I have most fun watching Paul Alexander play the bass."

In der Tat ist der Grat, auf dem das Album Queen of Denmark wandelt, ein ganz schmaler (das beweisen auch die Berichte von Oliver und Christoph, die John Grant vom Grat abgestürzt sehen), begrenzt von großen Gesten und stellenweise radikal-seichten Lyrics, andererseits ein großartiges, subtiles Werk. So grundverschieden die Harmonievorstellungen von Midlake und dem ehemaligen Czars-Sänger sind, so fantastisch ist die Leistung, die mit diesem Album geglückt ist.

Auch an diesem Abend verstanden sich Midlake zwar nicht als bloße Begleitband, aber doch eindeutig in der Rolle der Unterstützer, die Grant den Rücken quasi freihielten und ihn zu Höchstleistung antrieben. Solche gelangen zum Beispiel mit I wanna go to Marz oder dem fabelhaften Where dreams go to die, Gänsehaut und wohlige Seufzer rief allerdings auch Outer Space, gewidmet einem Freund und zur Verstärkung der Emotion solo am Klavier vorgetragen, hervor.

Der letzte reguläre Song sollte das spottbeseelte und titelgebende Queen of Denmark sein, als Grant zu letzten Worten ansetzte, unterbrach ihn allerdings Eric Pulido, Grant hätte doch schon genug erzählt, jetzt seien einmal er und seine Band dran: "First of all: Before I first saw him, I knew that he was the biggest asshole ever." Da waren sie wieder quitt. Pulido nutzte noch die Chance um zu verkünden, wie gerne er Grant hätte und wie großartig es für sie, die damals noch kleinen Midlake, gewesen sei, den Bella Union-Kollegen vor Jahren auf dem SXSW-Festival zu treffen. Obwohl natürlich: "We knew that he was an asshole." Und wie schön, dass sich daraus eine Freundschaft und eine schöne Tour ergeben hätte.

John Grant gab dann noch Caramel zum Besten, bis schließlich ein Klassiker seiner Ex-Band den Abend beenden sollte. John Grant, alleine am Klavier: Little Pink House.
Die Londoner tobten regelrecht vor Begeisterung, erwiesen ihm mit Standing Ovations die Ehre und machten den sonst in allen Situationen souverän wirkenden Amerikaner gerührt. London bekam dann eine Dankesrede gehalten, an deren Ende: das Versprechen, bald zurückzukehren.

Wie dankbar muss man Midlake für ihre in Taten umgesetzte Verehrung John Grants sein, welch kurzweiligen und tiefgründigen Abende wären der Welt vorenthalten geblieben, hätten sie ihren Freund nicht zurück zur Musik gebracht. Dabei hatte ich bei den ersten Hördurchgängen des Albums noch zeitweise Langeweile bis Abneigung gegenüber der dick aufgetragenen Gefühlspaste verspürt.
John Grant, when I first saw you, I thought that you're just a ordinary songwriter. Gut, dass ich ihn ein zweites Mal erleben durfte. John Grant - eine Ausnahmeerscheinung.

Thanks for the photos to Sapphire Mason-Brown!

Aus unserem Archiv:

John Grant, Paris, 14.06.10



 

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