Freitag, 18. April 2014

Judith Holofernes, Stuttgart, 14.04.2014


Konzert: Judith Holofernes
Vorband: Mama Rosin
Ort: Saal T1 im Theaterhaus am Pragsattel, Stuttgart
Datum: 14.04.2014
Dauer: Judith Holofernes 99 Min.; Mama Rosin etwa 30 Min.
Zuschauer: vielleicht 700



Judith Holofernes möchte nicht von vorne fotografiert werden. "Bilder bitte von den Treppen aus aufnehmen", wird der Fotograf vor dem Einlass gebeten. Überraschende Eitelkeiten einer Sängerin, die mit Wir sind Helden doch gerne das Gegenteil glauben machte. 
37 ist Holofernes jetzt, ihre Hauptband derzeit auf Eis gelegt und sie, die prägende Frontfrau des Deutschpops der 00er-Jahre solo unterwegs. Nachdem ihr Solodebüt „Ein leichtes Schwert“ sich in ähnlichem Fahrwasser wie Wir sind Helden bewegte, war zumindest musikalisch nicht viel von einem Neuanfang zu spüren. So singt sie immer noch mit kindlicher Trotzigkeit, was allem Hohn zum Trotz zunächst einmal nicht schlimm ist, schließlich macht Andreas Dorau seit Jahrzehnten nichts anderes und außerdem war genau das ein wichtiger Indikator für den Charme ihrer Band, nur die Texte, die fallen bedauerlicherweise schwächer aus als gewohnt. Darüber kann auch ihre fantastische Live-Band nicht hinwegtäuschen, die zugegebenerweise das Maximale aus großer Mittelmäßigkeit herausholt.



Diesiges Blau flutet die Bühne des Theaterhauses, als Judith Holofernes und ihre fünf Mitstreiter die Szene betreten, um mit „Lose Kanone“, der B-Seite der Single „Danke, ich hab schon“, zu eröffnen. In einen weiten Mantel mit Katzenkopfaufdruck auf der Rückseite bewegt sich die Berlinerin behäbig über die Bühne, kann sich der treu ergebenen Euphorie ihrer eingeschworenen Fangemeinde sicher sein. Des Mantels entledigt, steht sie nun im blauen Kleid am Mikrophon, der Titeltrack ihres Solodebüts „Ein leichtes Schwert“ folgt. Trotz großer Gesten und schwerer Worthülsen kann es nicht an die starken Wir-sind-Helden-Momente anknüpfen, ist nicht poetisch, sondern albern-pathetisch. „Ich will ein Schwert, das bei der Arbeit singt“, heißt es, das Publikum „tanzt wie ein Schmetterling“. Selbstredend bedankt sich Holofernes bis zur ersten Zugabe nicht, nimmt die Euphorie vielmehr als gegeben hin und freut sich, dass das Publikum den nüchternen Saal fülle. Die Zuschauer auf den Sitzplätzen fordert sie auf, in japanischer Tradition einer „Sitzdisco“ zu tanzen. Spielend hat sie die Anhängerschaft in der Hand.
Währenddessen sehne ich mich ein wenig zurück zum Gypsy-Pop des Genfer Trios Mama Rosin, das im Vorprogramm mit Leidenschaft und sympathischer Ausstrahlung punkten konnte. Die Musiker aus der französischen Schweiz, die auf Holofernes‘ Album in „Pechmarie“ zu hören sind, glänzen mit bestechendem Akkordeon-Einsatz, prägnanten Beats und den passenden Riffs. Für einige Songs unterstützt von Jörg Holdinghausen, dem Bassisten des Hauptacts, bekommt den Stücken das zusätzliche Instrument ausgezeichnet. Als Bassist von Tele und Live-Mitglied von Wir sind Helden profiliert, ist Holdinghausen später einer der musikalischen Pfeiler des Konzerts der einstigen „Klassensprecherin der Nation“, wie mal über Holofernes zu lesen war. Genau das ist vielleicht das Problem: Wir sind Helden waren Anfang der 00er Jahre ungemein erfrischend, unkonventionell und hinter all der Ironie so herrlich ernst. Holofernes gelangen gute Wortspiele, schien vor überschäumender Kreativität zu strotzen, jetzt erscheint alles verkrampft. Gerade der Wortwitz geht in Songs wie „Platz da“ und vor allem „Brennende Brücken“ verloren, das wirkt, als habe sie lediglich händeringend nach ein paar Reimen gesucht.



Zusammengehalten wird das Konzert erfreulicherweise von ihrer tollen Band. Gerade die beiden Musikerinnen an Percussion und Keyboards sorgen mit hervorragenden Backroundgesang für einen angenehmen Gesamtklang. Dass der Sound bei dem Konzert einer deutschen Sängerin, die immer großen Wert auf ihre Texte legte, nicht entscheidend sein kann, versteht sich leider von selbst. So überrascht es da nicht, dass ausgerechnet „Kamikazefliege“, das „erste Lied, das ich mit 18 geschrieben habe“, der Höhepunkt des Sets ist. Auch einen Sympathiepunkt kann sie hier erzielen, als sie sich ein wenig im Anekdotenplaudern übt. Ihre Mutter sei heute Abend auch da, berichtet die 37-jährige mit leicht heiserer Stimme, sodass sie ihren ersten Songversuch mit zwölf nicht verschweigen könne.
In beständiger Regelmäßigkeit schreibt sie Gedichte über „evolutionär benachteiligte Tiere“ auf ihrem Blog. „Die Qualle“, ein im Vergleich mit Kuriositäten wie „Der Marabu“ eher schwächeres Gedicht, liest sie heute vor, doch beweist das folgende „Hasenherz“, dass Holofernes ihre stärksten Momente an diesem Montagabend mit Tierlyrik erreicht. „Opossum“ kann da trotz gleichem Topik allerdings nicht mithalten. „MILF“ vermag mit Namedropping gut unterhalten, ebenso wie ihre vermeintlichen Übersetzungen von Teitur- und Elvis-Costello-Songs. Dass diese wiederum recht freie Interpretationen zur bekannten Melodie sind, erklärt sie nicht, sodass auch das trotz guter Umsetzung ein flaues Gefühl hinterlässt.
„Danke ich hab schon“ mit der anbiederndsten Neil-Young-Referenz, die ich kenne („I’ve seen the needy and the damage done / A little part o fit in everyone“ übertrifft noch „Hey, hey, my, my, Selbstkritik will never die“ von den Sportfreunden Stiller), beendet das reguläre Set. Es gibt Zugaben, doch fühle ich plötzliche Solidarität mit dem letzten Stück.
Zwei Blöcke à zwei Songs folgen noch. Dabei mutiert "John Irving" zur großen Gala der beiden ergänzenden Sängerinnen und als es schließlich für „Pechmarie“ ein Wiedersehen mit Mama Rosin gibt, kehrt auch Leichtigkeit und Spielfreude zurück. Dass die Schweizer für den Abschluss mit der deutschen Interpretation des Rolling-Stones-Klassikers „You can’t always get what you want“ bleiben, rettet diese wiederum auch nicht. Zeilen über Weihnachtsfeiern verfehlen das Thema, leider. Denn eigentlich bin ich Fan der Frau Judith Holofernes, Fan von Wir sind Helden. Hoffen wir, dass die Auszeit nicht so lange andauert. Wenn nicht, liebe Judith, wünsche ich mir auf der nächsten Tour eine Übersetzung eines großen Carly Simon Hits. Der mit dem Pfau? Ja, genau.




Setlist Judith Holofernes, Stuttgart:

01: Lose Kanone
02: Ein leichtes Schwert
03: Platz da 
04: Liebe Teil 2 - jetzt erst recht 
05: Brennende Brücken 
06: Havarie 
07: Kamikazefliege 
08: Die Qualle (Gedicht) 
09: Hasenherz 
10: Jonathan der Kellner (Teitur - "Catherine the Waitress" auf Deutsch) 
11: Nichtsnutz 
12: Opossum 
13: MILF 
14: Ich will, dass du weißt, dass ich will, dass du glücklich bist (Elvis Costello & The Attractions - "I hope, you're happy now" auf Deutsch) 
15: Danke, ich hab schon 

16: Hätte ich ein Boot (Lyle Lovett - "If I Had A Boat" auf Deutsch) (Z) 
17: John Irving (Z) 

18: Pechmarie (mit Mama Rosin) (Z) 
19: Du kriegst nicht immer, was du willst (The Rolling Stones - "You Can't Always Get What You Want" auf Deutsch) (mit Mama Rosin) (Z)  

 

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