Montag, 7. April 2014

John Lennon McCullagh, Schorndorf, 05.04.2014


Konzert: John Lennon McCullagh
Ort: Club Manufaktur
Datum: 05.04.2014
Dauer: 57 Minuten
Zuschauer: 35-40

 

„Ich muss jetzt ins Bett“, sagt der unscheinbare Jugendliche im blau-grauen Hemd. John Lennon McCullagh, vielversprechende Hoffnung des englischen Folks, wirkt abseits der Bühne ein wenig unsicher, ist ganz der 16-jährige Junge aus einer Kleinstadt in der Nähe von Manchester, dem es schwerfällt mit dem Ansturm einer euphorischen Mädchen-Clique, durchweg ein, zwei Jahre älter als er selbst, umzugehen. Wird einem das Alter nun mit großer Wucht offenbar, konnte man in der Stunde zuvor nur staunen über die reife Stimme, das präzise Fingerpicking und die Güte der Songs und sich ungläubig die Augen reiben. 
 Jungspunde, die mit ihrer authentisch-leidenschaftlichen Rückbesinnung auf die Musik der ersten beiden Popjahrzehnte Aufsehen erregen, werden in den letzten zwei bis drei Jahren vermehrt an die Wahrnehmungsoberfläche der einschlägigen Medien und Konzertgänger gespült. Den Anfang machte der als Folk-Wunderkind gefeierte und hin und wieder liebevoll bis spöttisch als „pretentious little fucker“ betitelte Jake Bugg, bevor The Strypes aus Irland mit ihrer 50er Rock’n’Roll-Show folgten. 

Entdeckt vom Oasis-Guru, Creations-Co-Gründer und Libertines-Wegbereiter Alan McGee, hätte John Lennon McCullagh folglich vom Bugg-Epigonen bis zum wirklich interessanten Act alles sein können. Einerseits ist McGees Lebenswerk schließlich unbestritten, andererseits hat er in den letzten Jahren massiv an Relevanz eingebüßt, sodass es durchaus denkbar war, dass der erste, bei seinem neu gegründeten Label 359 Music unter Vertrag stehende Künstler, den Versuch darstellte, ein wenig Profit aus dem Hype um Jake Bugg zu schlagen, erst recht, wenn sein Schützling einen Namen mit derart ausgeprägter pophistorischer Referenz hat. 
Zudem meist mit Bob Dylan verglichen, braucht John Lennon McCullagh, nicht einmal zwei Songs, um das postulierte Epigonentum aufzubrechen. Natürlich assoziiert man bei Folksongs mit Akustikgitarre und Mundharmonika rasch Nummern aus dem Frühwerk Dylans, doch ist es gänzlich unmöglich das lyrische Schaffen sinnvoll miteinander zu vergleichen. McCullagh ist jung und ambitioniert, sicherlich bibelfest in Sachen Dylan, doch bietet schon die Eröffnung mit „She’s Calling Me“ einen weiteren, offensichtlicheren Einfluss an. Ebenso wie „Towerland Lullaby“, das im direkten Anschluss folgt, ist der Song im Britpop-Muster verankert, reinstes Noel-Gallagher-Songwriting, das sich am signifikantesten in den Passagen zeigt, die ganz ohne Mundharmonika auskommen. 

„Cheers, thank you, thank you“, der Teenager bedankt sich artig. An runden Tischen sitzen nicht einmal 40 Zuschauer in der zum Großteil hinter schwarzen Tüchern verhängten Manufaktur, vor der eigentlichen Bühne steht McCullagh auf einem kleineren Provisorium und wechselt zwischen seinen zahlreichen Mundharmonikas. Die Folk-Café-Atmosphäre scheint ihn zu inspirieren, auch wenn der schöne Schorndorfer Provinz-Club sicher nicht das New Yorker Gaslight Café der 60er ist. Dass so wenige Leute da sind, scheint ihn nicht zu kümmern. Das in der Brotfabrik in Frankfurt angesetzte Konzert wenige Tage zuvor wurde abgesagt, das in Berlin am Folgetag von der Kantine am Berghain in den kleineren Privatclub verlegt. Zumindest was die Besucherzahlen angeht, läuft die erste Deutschland-Tournee des Nordengländers schleppend. Ein negatives Wort darüber fällt nicht, vielmehr scheint er denjenigen, die ihn sehen wollen, äußerst dankbar zu sein. Mit dem breiten Northern Accent des jüngeren Gallaghers lobt er die „crowds“ in Kontinentaleuropa und besonders in Deutschland. Einen Moment fragt man sich, ob McCullagh seine Fähigkeiten als Zyniker übt, lässt sich dann jedoch vom lausbubenhaften Lächeln eines Besseren belehren. 


Vor wenigen Monaten von Billy Bragg gepriesen, steht „North South Divide“, die erste Single, dessen Haltung in nichts nach. Ein 16-Jähriger bezieht klar politisch Stellung, allein das ist schon etwas, das ihn vor seinen Kollegen in der entpolitisierten Hipster-Kultur auszeichnet. David Camerons Politik scharf kritisierend und den wirtschaftlichen Verfall des einst so wichtigen industriellen Norden Englands besingend, steht McCullagh wie ein Vorkämpfer des linken Protestsongs auf der Bühne, resigniert geißelt er wütend die Perspektivlosigkeit der Jugend und das Unvermögen der Politik, sich diesen Problemen anzunehmen. Dass er in seiner Heimat auf Demonstrationen, Konzerten zur Aufrechterhaltung des National Health Service (NHS) spielte, passt da gut ins Bild. Wie ernst ihm das Thema ist, zeigt er auch heute. Erfrischend aufrüttelnd ist das, McCullagh transferiert das beklemmende Gefühl aus Braggs „Northern Industrial Town“ in die Gegenwart. 

Auf der Bühne steht ein Teenager in Hemd und Lederjacke mit Beatles-Frisur und dem ein oder anderen Pickel. Scheinbar schon aus dem Stimmbruch heraus, zeigt er sich frei von pubertären Problemen und bereit auch große Themen anzupacken. Courtney Love schwärmte von seiner Stimme und der Fähigkeit Dylan-Songs besser singen zu können, als Dylan. Die ähnliche Ästhetik seiner Songs ist freilich immer ersichtlich, doch bleiben am 20. Todestag von Loves Mann „It Rains“ oder „Short Sharp Shock“ in der profanen Liedsprache eines Jugendlichen verhaftet. Das ist sowohl berührend als auch angenehm anachronistisch. Nach dem politischen Diskurs in „North South Divide“ leben diese Songs von ihrer rührenden Naivität. Ein wenig steht er da in der Tradition von Ritchie Valens, dem vielleicht ersten großen Popmusiker im Teenager-Alter. „We Belong Together“ singt McCullagh inbrünstig und ohne Distanz. „Kennt hier jemand Ritchie Valens, es nicht schlimm, wenn ihr es nicht tut.“ Es ist das Fehlen jeglicher Ironie, das die Performance des zum Folksänger gereiften Kinds so unwiderstehlich macht. Den Song des gemeinsam mit Buddy Holly bei einem Hubschrauberabsturz 1959 Gestorbenen, präsentiert McCullagh gewissermaßen als Zugang zur eigenen Musik. Die Grenze zwischen prätentiösen Worthülsen, Kitsch und übertriebenen Ernst verläuft in so jungen Jahren sehr fließend, doch es gelingt ihm das Ganze in einem bestechend homogenen Ganzen zu verpacken. Selbst wenn „55 Blues“ Jake Buggs „Lightning Bold“ verblüffend ähnelt, ist John Lennon McCullagh diesem überlegen.
Alan McGee hat mal wieder alles richtig gemacht und als sich sein Schützling nach 13 Liedern mit dem durch Bob Dylans Fassung bekannt gewordenen Blues-Klassiker „See That My Grave Is Kept Clean“ verabschiedet, ist man ergriffen von der Spielfreude und bescheidenen Dankbarkeit. Dass sich mit einem northern accent auch Demut zeigen lässt, kommt überraschend. Ebenso wie der große Applaus, der McCullagh verabschiedet. Zur Zugabe kehrt er strahlend zurück. Vor wenigen Wochen habe er Jack Kerouacs „On The Road“ gelesen, ob der Autor jedem ein Begriff sei, fragt er höflich. Wenn nicht, sei das wieder nicht schlimm, erklärt er und zeigt sich erneut als wissbegieriger Teenager. „Sal Paradise Blues“, ist offen inspiriert vom wichtigen Roman der Beat Generation. Am Ende ist es vor allem das ehrfürchtige Studium der Wurzeln der Popkultur, das die McCullaghs junge Songs und ihn selbst vor den anderen pretentious little fuckers auszeichnen.


Dass das mehr Zuschauer verdient hätte, steht gänzlich außer Frage. „Hope to see you again very soon“, verabschiedet er sich nach etwas über 50 Minuten. Die Saalmusik geht an, doch der Applaus ebbt nicht ab, McCullagh kehrt zurück, nuschelt ein paar Worte des Dankes. „Ich hätte nicht erwartet, dass wir uns so schnell wiedersehen“, dann überlegt er, welche Songs, er noch hat, spielt „Rivers of Blood“, verlässt die Bühne. Zeit für eine weitere Zugabe bleibt nicht; der deutsche Jugendschutz. 
Anschließend steht er vor der Tür, schreibt den begeisterten Mädchen Autogramme auf ihre Eintrittskarten. Ein wenig verwirrt vom Interesse um seine Person scheint er noch immer. Ob ich ein Gruppenfoto mit ihrem Handy machen könne, fragt mich eines der Mädchen und siezt mich. Ich komme dem Wunsch nach und fühle mich alt. Während McCullaghs Vaters lachend über Groupie-Klischees witzelt, weiß der talentierte Sohn nicht weiter. „I think I have to go to bed now“, wiederholt er sich. 
Der Unsicherheit, den mageren Zuschauerzahlen und auch mancher setzkastenartiger Songs zum trotz dürfte, daran lässt er heute Abend keinen Zweifel, der Zukunft des jungen Folkbarden nichts im Weg stehen. Denn eines steht fest: Auch wenn die Musik definitiv nicht innovativ ist, ist er doch ein Ausnahmetalent.



Setlist John Lennon McCullagh, Schorndorf:

01: She's Calling Me
02: Towerland Lullaby
03: North South Divide
04: It Never Rains
05: Long Long Way
06: Short Sharp Shock
07: We Belong Together (Ritchie Valens-Cover)
08: Patterns
09: Sunrisin' Queen
10: Dead Letters
11: 55 Blues
12: Colour of the Sun
13: See That My Grave Is Kept Clean (Blind Lemon Jefferson-Cover)

14: Sal Paradise Blues (Z)

15: Rivers of Blood (Z)



 

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