Konzert: Casper
Vorband: Trümmer
Ort: Poolbar, Feldkirch
Datum: 15.08.2013
Dauer: Casper 75 Minuten / Trümmer etwa 30 Minuten
Zuschauer: etwa 1.000
Bericht von Fabian von Gefuehlsbetont:
Naturgewalt trifft auf Liveshowgigant: Im idyllischen Rahmen unter Bergen legte Casper in seiner laufenden Festivaltour einen Zwischenstopp in Feldkirch ein, um das Abschlusskonzert in der Poolbar zu spielen.
Im ländlichen Raum begeistert er die überwiegend jugendliche Masse und sorgt im sommerlichen Ambiente für ein gewohnt intensives, wenn auch überraschungsarmes Konzert und liefert dem Poolbar-Festival einen würdigen Abschluss.
Der Himmel glänzt golden, die Stadt trägt Nirvana-Tanktops oder Mit Verachtung-Shirts, während sich eine Schar an gut gelaunten Menschen vor dem Alten Hallenbad tummelt.
Derweil spaziert die Band des Abends noch in der Stadt herum. Star-Allüren sind hier Fehlanzeige, so besucht Band-Fokus Casper alias Benjamin Griffey regelmäßig Fans auf den Campingplätzen, wenn er im Sommer auf Festivals spielt. Heute ist er zu Gast in Feldkirch, eine überschaubare und geschichtsträchtige Kleinstadt in Vorarlberg, Österreich.
Vor dem Konzert treffen sie niemanden in der hiesigen Pick up-Bar an, in der Poolbar später knapp tausend Konzertwütige. Nach sechswöchigem bunten Festivalprogramm der Poolbar, mit Konzerten von Tocotronic, Bad Religion, Kate Nash oder Friska Viljor findet dieses mit Casper nun ein Ende. Dieser hat bereits einen Lauf, spielte schon auf Rock am Ring, splash! oder dem Deichbrand und wird einen Tag später direkt zum Frequency fahren.
Auf den Leinwänden der Poolbar-Halle werden die Highlights der letzten Wochen gezeigt, viele Anwesende waren mehrfach zu Besuch. Dies zeigt, wie gut das breitgefächerte Programm der Poolbar angenommen wird und Menschen trotz großer Unterschiede der einzelnen Szenen zusammenbringt. Wer könnte dies besser aufzeigen als Casper, der einst in Hardcorebands sang, zum Rap fand und dessen Musik von Indie-Bands geprägt ist.
Mit seinem Meisterwerk XOXO begeisterte er vor zwei Jahren szenenüberschreitend, riss die Ketten des Raps auseinander und zog Massen an. Nun schmückt das neue Casper-Backdrop den Raum, dem Cover des neuen Albums Hinterland, das am 27.09.2013 erscheint. Einen Song daraus spielte er bereits auf dem diesjährigen splash!, dem wohl bedeutendsten deutschen Hip Hop-Festival, die neue Single Im Ascheregen wurde bereits veröffentlicht. Dennoch verzichtete er in Feldkirch auf diese, dafür ist der splash!-Auftritt dann doch zu besonders, um anderen Terminen ebenfalls neues Material zu präsentieren. Nach XOXO ist die Erwartungshaltung und freudige Anspannung unter Fans wie Kritikern hoch.
Dass nach vielen Touren zum letzten Album die Live-Qualitäten keineswegs verblassen, zeigte auch der Auftritt in Feldkirch. Um 21 Uhr lässt seine Band mit einem instrumentalen Intro früh erahnen, wie der Abend werden wird. Benjamin Griffey springt in die Mitte, wechselt oft die Seiten und sofort sind alle Stimmen da: Auf und Davon dient seit längerem als Opener, vor zwei Jahren begeisterte man im dunkelblauen Nebel mit Wolfsmasken mit Der Druck steigt, einem äußerst feinen Beginn für ein Konzert. Diesen nutzt Casper nun für die Zugaben – so auch heute.
Wer Casper noch nie live sah, bekommt in Feldkirch wie auch auf allen anderen laufenden Festivalterminen ein Standardset, das es in sich hat. Klar XOXO-geprägt, aber auch Medleys (Alles verboten, Mittelfinger hoch, Guten Morgen Herzinfarkt) und Songs aus alten Tagen (Unzerbrechlich, Hin zur Sonne) sind mit dabei. Trotzdem würden kleine Variationen der Setlist gut tun. So fehlen Songs wie Die Welt steht still oder Alaska, die es vor einiger Zeit noch live zu hören gab. Auch 230409 wäre denkbar.
Die Band und Casper selbst haben Spaß – doch es fordert auch Professionalität, jeden Tag vor anderen Leuten das exakt gleiche zu spielen. So ist Casper, wie er selbst vor Unzerbrechlich erwähnt, vom verkannten Underground-Emo-Rapper zum Berufsmusiker geworden. Waren die Clubs vor einigen Jahren nur spärlich besucht, sind sie heute brechend voll. Die Leinwände in der breiten Halle werden auf einmal notwendig, wenn Dirigent Casper sagt, was zu tun ist. Er hat die Masse fest im Griff, weiß, wie er sie kriegt. Nur werden seine immergleichen Ansagen wie „Habt ihr Bock?“, „Schreit so laut ihr könnt!“, „Alle springen jetzt!“ irgendwann lästig, zumal Casper das Publikum auch ohne ständige Imperative mit seiner Musik begeistert und zur Ekstase bringt.
Das steckt bereits in der Intensität seiner Aufnahmen, ein zusätzliches Aufwirbeln wäre kaum nötig. Genauso wie den Schrei-Wettbewerb bei Mittelfinger hoch, der mit dem alten ‘Unentschieden’-Witz seitens der Band zwar in Ironie trieft, aber gähnend langweilig geworden ist. Bei Michael X bittet er dann um Ruhe und verlässt nach dem aufwühlendsten Song im Set die Bühne.
Anders geht das die heutige Vorband Trümmer an, die wie Casper von Landstreicher Booking betreut wird. Diese begrüßt den noch halbvollen Saal freundlich, aber unspektakulär mit “Es ist 20.30 Uhr – Zeit für ein bisschen Punkrock.” und macht damit gleich eine Ansage.
Im dritten Song Scheinbar nehmen sie eben jenes ermüdendes Publikumsentertainment ein wenig auf die Schippe, als sie sich sehr überschwänglich nach dem Wohl im Publikum erkundigen und dabei nur eine Verbindung zum folgenden Song herstellen, der mit der Zeile “Scheinbar geht es allen gut” die Antwort von Paul Pötschs Frage erneut wiedergibt. Neben durchaus poppig-eingängigem, selbsternannten Punkrock erinnern Trümmer in ihrer Formation als Trio mit roten Instrumenten an frühe, weniger protestierende Tocotronic (Auch wegen der Trümmer-Songtextzeile “Ich starte die Revolte”) und an verbissenere Die Sterne, Mikroboy oder Ja, Panik.
Mit ihrem deutschsprachigen Indie-Rock und der Herkunft Hamburg ist für eine Verbindung zur vielbesagten Hamburger Schule schon einiges gegeben, die junge und nonchalante Band hätte sicher auch kein Problem mit dieser Einordnung. Die Haltung ist eher die: Wir spielen euch ein paar Songs und ihr fühlt euch gut dabei, wir haben genauso Spaß. Der Band kann man die Freude am Musizieren deutlich ansehen, sie spielen druckvoll und brillieren mit frischem Indie-Sound, der von Paul Pötschs kantiger Stimme umgarnt wird.
Zudem ist die Band äußerst adrett gekleidet und liefert zu ihrem beinahe overdressed-wirkenden Outfit stabilen Pop mit guter Lyrik, stets auf der Suche nach Wegen, Gründen oder dem Sinn und sorgen dennoch für tanzbare Momente. Nach üblichen dreißig Minuten Spielzeit beenden Trümmer ihr Set mit In all diesen Nächten und skandieren gemeinsam mit dem Publikum Cas-per im “oh-oh”-Chor am Ende des Songs. Dieser Song ist zudem das einzige Fundstück im Internet, denn mehr als dieses Youtubevideo findet man nicht.
Leider wirkt das bisher anwesende Publikum vom guten Auftritt der Band weniger angetan, sondern unbeteiligt und gelangweilt. Dies ist eine fast schon typische Erscheinung bei Casper-Konzerten, die von hartgesottenen Fans belagert werden und sich bis auf Benjamin Griffey’s eineinhalb Stunden kaum für etwas anderes interessieren. So haben die einen exzellente Wartemusik und die, die sich öffneten, einen überzeugenden Trümmer-Auftritt gesehen schnell vergessen, sobald Casper auf der Bühne steht und sich seinem Publikum trotz Massenbegeisterung liebevoll widmet, ihm Komplimente macht, Wasser verteilt und auf viele einzelne eingeht, von deren Freude er sichtlich angetan ist.
Gemeinsam singen sie für Keyboarder Konrad Happy Birthday am heutigen Tage. Das ist wiederrum der Casper, in den sich die Mädchen verlieben. Lässig, cool und nie arrogant – er zeigt ihnen, dass Überheblichkeit und Egozentrik nicht sexy ist. Kein Wunder, dass er als Sprachrohr der Jugend gilt, was man auch am jungen Alter des Publikums feststellt. Die leichte Kehrseite sind die vielen, treu ergebenen 14-jährigen Fangirls in der ersten Reihe, die Griffey bindungslos und abgöttisch verfolgen.
Diese junge und leidenschaftliche Schar himmelt den bodenständigen 30-Jährigen wie einen Popstar an, er ist Idol und Kultfigur zugleich. So sehr es auch nicht passt, wird der Bielefelder sie nicht los werden. Doch zumindest tut es gut, dass eben jene Mädchen qualitativ hochwertiger und inhaltsstarker Musik folgen und sich nicht an schiefe Figuren im gleichen Genre hängen.
Casper hingegen ist fast schon ein fürsorglicher Vater und vermittelt die Größe seiner persönlichen Helden an die Kids weiter: So lernen sie nicht nur Turbostaat (Michael X), Bruce Springsteen und Joy Division (Kontrolle/Schlaf) oder The Smiths (XOXO) kennen, sondern auch den Sound von Odd Future bei Rock’n'Roll, Kanye West bei Guten Morgen Herzinfarkt und Cas in Paris sowie Jay-Z. Wenn das nicht reicht, liegen sich nach dem fulminanten So perfekt-Radiohit bei Don’t look back in Anger alle in den Armen, selbst Trümmer sind auf der Bühne zum Mitsingen zurück. Casper, ein bekennender Oasis-Fan, singt lautstark und mit weicher Stimme. Jetzt ist wirklich alles perfekt.
Setlist Casper, Feldkirch:
01: Auf und Davon
02: Casper Bumayé!
03: Die letzte Gang der Stadt + Ms. Jackson (OutKast)
04: XOXO
05: Unzerbrechlich
06: Das Grizzly Lied
07: Rock'n'Roll / Alles verboten
08: Blut sehen
09: Medley (Cas in Paris, Guten Morgen Herzinfarkt, Mittelfinger hoch)
10: Hin zur Sonne
11: Lilablau
12: Michael X
13: Der Druck steigt (Z)
14: So perfekt (Z)
15: Don't look back in anger (Oasis Cover) (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Thees Uhlmann und Band feat. Casper, Mannheim, 01.06.2013
- Trümmer, Frankfurt, 12.02.2013
- Casper, Trier, 10.12.2011
2 Kommentare :
Hallo Jens, vielen Dank für Deine Konzertberichte! Beim Lesen Deiner Beiträge über u.a. Tocotronic und Casper ist mir am Wochenende aufgefallen, wie angenehm es ist, nicht vor allem über die unangenehme Fahrt zum Konzert, die allgemeine Terminkonkurrenz, die Anzahl der besuchten Konzerte im Zeitraum xy oder die Frechheit, seinen Hocker nicht mit auf ein Festival nehmen zu dürfen, unterrichtet zu werden.
Stattdessen: hintergründige und kluge Beiträge. Danke!
PS Christoph und Gudrun: wir lesen Euch trotzdem (nehmen es aber eben nicht so ernst :-)).
Hallo Anonym,
vielen Dank für die positive Rückmeldung. Der Casper-Text ist allerdings gar nicht von mir, sondern von Fabian vom wunderbaren Stuttgarter Blog http://gefuehlsbetont.wordpress.com/.
Jeder Leser hat eben seinen eigenen Geschmack und ich selbst schätze die Detailbeobachtungsgabe meiner Kollegen sehr. Alle Autoren des Konzerttagebuchs haben eben ihren persönlichen, markenten Stil, das ist unsere große Stärke.
Gruß
J
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