Konzert: Prinz Pi & Band
Ort: Großpösna, Störmthaler See (Highfield Festival)
Datum: 18.08.2013
Dauer: etwa 45 Minuten
Zuschauer: viele tausend
Manchmal hat die Witterung einen Hang zu übertrieben kitschigen Bildern. Friedrich Kautz, der sich mit den letzten Veröffentlichungen unter seinem Künstlernamen Prinz Pi als Rettung des Deutschraps, als bester Hip-Hopper dieses Landes bewies, schaut über die Köpfe der zahllosen Zuschauern zum Himmel auf, Wind treibt einem Sandkörner in die Augen. Sieben Songs spielte der Berliner Künstler mit seiner tadellosen Band bereits, als er „Laura“, die emotionale Verarbeitung des Selbstmords einer Ex-Freundin, über den er nicht hinwegkommt, ankündigt.
Prinz Pi rappt sich bei seinem letzten Festivalauftritt in diesem Jahr mit düsterer Miene durch die aufrüttelnden Verse, es beginnt zu regnen. Die Stimme des Studentenrappers überschlägt sich leicht: „Wenn das Abendlicht in genau dieser Farbe ist / dann ist ein Loch in der Luft wo du standest / Hörst du mich wo du bist? / Bleib genau da! / Bald komm ich nach nach / Also wart auf mich“; Zeilen an der Grenze zum Kitsch werden verstärkt durch das Wetter, Kautz selbst scheint ehrlich gerührt.
Gefühlt schallt der Text aus tausenden Mündern. Die verbale Anteilnahme an massiven Selbstbeschuldigungen, an tiefster Trauer, am emotionalen Horrortrip ist am windigen Spätnachmittag des letzten Highfield-Tags erstaunlich. „Als mein Handy dann klingelte, mit deiner Nummer, / ich erst mal nicht ran ging, / beim dritten Mal unter Fluchen dann doch, / als irgendwer dran war, der fragte: / "Wer sind sie?" Von dir ein Bekannter? / Der sagte, meine Nummer wär' die letzte gewesen, / die du vor dem Unfall dann wähltest / als dein Vater, den ich nie getroffen hab, / sagte dein Wagen - Brücke - mehrfach überschlagen / Sekundenbruchteile - keine Bremsspur zu finden / Selbstmord - 10. Mai - Beerdigung München / dann Klicken - Stille bei klingelnden Ohren / so bin ich erfroren im inneren Norden“.
Angekommen im deutschen Pop-Mainstream ist der ehemalige Underground-Held heute der Inbegriff niveauvollen Deutschraps. Es war Prinz Pi, der auf seiner „Neopunk“-Tour vor einigen Jahren eine junge Bielefelder Nachwuchshoffnung als Support mitnahm. Der phänomenale Erfolg des heutigen Popstars Casper wäre ohne diese Hilfestellung kaum vorstellbar. Doch auch seine eigenen Alben werden immer populärer.
Ohne ein Major-Label im Rücken landete bereits „Rebell ohne Grund“ 2011 in der Top10 der deutschen Charts, bevor das weit poppigere „Kompass ohne Norden“ in diesem Jahr sogar die Spitze erklimmt hat.
Live-Bands bekommen Hip-Hoppern in der Regel gut. Auch wenn Prinz Pi diesen noch in „Bombenwetter“ auf „Rebell ohne Grund“ eine Absage erteilte, unterstützt ihn seit vergangenem Jahr selbst eine. Und natürlich hauchen Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier dem Ganzen Leben ein.
Als ich ihn auf den Tag genau zwei Jahre zuvor in der ausverkauften Frankfurter Batschkapp sah, gingen mir der elektronisch erzeugte Orgelsound, die DJ-Einlagen noch gehörig auf die Nerven, heute kann ich jede Minute genießen.
Lediglich E-Rich, langjähriger Back-Up des Prinzen, ist glücklicherweise noch mit von der Partie und rettet den oft atemlosen – weil asthmatischen – Protagonisten immer wieder in heiklen Situationen. Die Technik meint es, wie bei vielen anderen Auftritte des diesjährigen Highfields auch nicht gut, mit dem studierten Grafikdesigner, der erstaunlich freundlich immer wieder darauf hinweist, dass sein Monitor nicht angeschaltet sei. Nach wiederholten Bitten, wird diese Hürde genommen und das tadellose Konzert, das mit „Fähnchen im Wind“, dem Opener des aktuellen Langspielers, äußerst vielversprechend begann, nimmt seinen hektischen Lauf.
„Kompass ohne Norden“ ist verstärktem Pop-Appeal zum trotz eine fantastische Veröffentlichung, eine Coming-Of-Age-Erzählung erster Güte. Friedrich Kautz entwirft eine autobiografische Collage zwischen Oberstufe, Mensaessen, Karrieristen und Gescheiterten. „Fähnchen im Wind“ fungiert als erster Track wie eine programmatische Einführung in das konzeptionell ambitionierte Album. Auch live entfaltet das neue Stück seine Tiefenwirkung, was die Klasse des Künstlers zeigt.
Wo andere Rapper im Livetest kläglich versagen, gelingt es dem 33-jährigen mit Mütze, Nerd-Chic-Brille, unscheinbarem T-Shirt und kurzer Jeanshose, die Spannung zu halten, ohne das alles in öder Animation mündet. Selbstverständlich wird auch hier mit Plattitüden („Macht mal richtig Lärm“, „Alle Hände hoch“, etc.), nerviger Publikumsbespaßung und den üblichen Ritualen gearbeitet, die musikalisch-lyrische Qualität gleicht das allerdings locker aus. „Ich komme wie Jimi, gehe wie Kurt / Mit einem Knall so laut das ihn jeder hört / Altes Manowar Shirt, die Jeans mit Loch / Chucks war'n weiß, sind grau, viel gerockt“, „Du bist“, der große Hit des vorangegangenen Albums, wird kollektiv mitgesungen, Prinz Pi kultiviert ein stilvolles Name-Dropping, biedert sich nicht an, verwendet die richtigen Schlagworte, bevor sich die dunkle Liebesballade zur unnachahmlichen Schlüsselzeile zum Werk des Rappers - „Melancholie ist die Lederjacke meines Vereins“ - steigert.
Dendemann mag die originelleren Wortspiele finden, Casper größeren Pathos generieren, doch niemand beherrscht Worte und Namen mit vergleichbarer Eleganz und klugem Schmunzeln wie Prinz Pi. „Bob Dylan gab mir einst einen Kompass ohne Norden“, heißt es im darauffolgenden Titeltrack des aktuellen Werks. Dylan-Zitate wirken oft abgedroschen, Pi gibt die Fußnote wenigstens an und hat den Text verstanden. Zur gefälligen Pianomelodie schildert er die persönliche Entwicklung seines Abijahrgangs mit Tod, Erfolg und der ständigen Suche nach der eigenen Identität. Nach einer treffenden Abrechnung mit deutschen Familien-Erwartungs-Klischees, folgt offensichtliche, nicht minder wirkungsvolle Kapitalismuskritik: „Hab gestern einen wieder getroffen / Mit ihm paar Biere gesoffen / Den ganzen Abend hat er durch meine Miene gesprochen / In den Spiegeln hinter mir / Er ist sehr erfolgreich / Ich weiß jetzt alles über teure Uhren und den Goldpreis / Wie er stetig steigt / Und über junge Frauen, die immer wollen wenn er kann / Und er selber will immer / Über den Aufsichtsrat, sein neues, teures Auto / Nach dem 4. Bier wird er für mich lautlos / Und ich schreie, was hast du schon erreicht? / Du bist nur der größte Hai in einem kleinen Teich / Doch es kommt stets ein größerer, besserer, stärkerer, cleverer Hai / Sei ein Mensch und kein Hai, Mensch! / Zwischen den Beinen von deiner Sekretärin / Findest du keinen Lebenssinn, vergisst du deinen Ehering / In einem Lebenslauf völlig ohne Lücken, hört das Leben auf /Alter, zähl da drauf!“
Deutscher Hip-Hop muss nicht stumpf sein, auch wenn das – ironisch – nach Dendemann Trumpf ist, deutscher Hip-Hop braucht keinen Sexismus, keine Homophobie. Prinz Pi ist ein Beweis gegen diese, von den Bushidos und Sidos der Szene gepflegten, Klischees. Ein anderer Beweis dagegen ist natürlich Casper, der sich auch auf „Kompass ohne Norden“ als Feature findet. In „100x“ rappt er einen Gastpart. Auch in Großpösna kommt der Song im klassischen Hip-Hop-Beat gut an, auch ohne Casper.
Das wunderbar selbstironische „Der neue iGod“ lädt zum Armschwenken ein. Das gefällige Spiel mit der meist als Angriff gedachten Betitelung als Studentenrapper ist die perfekte Antwort auf all die Prolls. Mit scharf geschliffenen Zeilen wie „Ob an Humboldt oder Technischer, egal wo ich rumsause / Promo? Ich promoviere – summa cum laude“ oder „Und weil mir dumme Frauen zu wider sind / Häng' ich ab mit Medizinerinnen, die gut beim Anästhesieren sind“ gewinnt der Berliner Beatles-Fan, der seinen Hund Penny Lane taufte, das Battle und auch jeden noch so reservierten Hip-Hop-Skeptiker, bevor der Refrain mit größtmöglich geheuchelter Arroganz besticht („Ich weiß das alles hier ist fremd für dich, aber bitte mach dir nicht ins Hemd / Meine Musik zeigt dir nur wie beschränkt du bist, und was du alles noch nicht kennst“).
Das schönste an „Glück“, einer erfolgreichen Single jüngeren Datums, ist der plakativ geklaute Beatles-Bläsersatz gegen Ende. Dazu ist der eingängige Song natürlich ein angenehmes Liebeslied. Junge Mädchen singen mit Tränen in den Augen mit, während Mit-40er, die auf Tocotronic warten, anerkennend lächeln. Prinz Pi gelingt es problemlos Gegensätze zu vereinen. Der Baggie-Träger und der Irokesen gestählte Punk treffen auf Hipster und Indie-Jünger.
„Wir meinten immer nur einander, wenn wir Glück sagten“, die vermeintliche Plattitüde wächst mit der Zeit, die Anspielung auf einen Teenie-Blockbuster der 80er, „Hol' den DeLorean, lass' uns damit zurückfahren“, kommt punktgenau komisch.
Dann folgt "Laura" mit Tränen und Regentropfen, bevor Friedrich Kautz noch ein letztes Mal in die Rolle des Animateurs schlüpft, die Menge auffordert die Faust zum Refrain, zum „Oi, Oi, Oi“ skandieren, zu heben. „Aus politischen Gründen bitte die linke Faust. Mann, Mann, auf so etwas muss man echt nur hier hinweisen“, merkt er pennälerhaft kichernd an, bevor mit dem zynischen „Generation Porno“ das energische Ende des Konzerts in ausgelassener Party mündet. Der ehemalige Prinz Porno hat seine Vormachtstellung als Speerspitze des deutschen Hip-Hops eindrucksvoll gefestigt. Step aside, Casper!
Setlist Prinz Pi & Band, Großpösna
01: Fähnchen im Wind
02: Du bist
03: Kompass ohne Norden
04: 100x
05: Der neue iGod
06: Die letzte Ex
07: Glück
08: Laura
09: Generation Porno
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