Konzert: Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen
Ort: Bürgerpark, Stade (Müssen Alle Mit Festival)
Datum: 03.08.2013
Dauer: ca. 45 Min
Zuschauer: vllt. 500
Der Tod des BootBooHooks ist sicherlich nicht das prominenteste Opfer des immer beängstigender erscheinenden Festivalsterbens, das die europäische Konzertlandschaft erfasst hat. Nichtsdestoweniger ist das Verschwinden des gemütlich-familiären Festivals in Hannover einer der schmerzhaftesten Schläge für Indie-Connaisseure und Liebhaber hochwertiger deutscher Popmusik.
Dass das ausrichtende Hamburger Indie-Label Tapete Records dieses Jahr mit dem „Müssen alle mit – Festival“ (MAMF) erstmals ein weiteres Sommerfestival veranstaltet, trocknet so manche Träne.
Als weitere Veranstaltung neben dem etablierten BootBooHook geplant, könnte das im Bürgepark in Stade stattfindende Eintagesfestival irgendwann einmal in die Fußstapfen des verblichenen, großen Bruders treten.
Mit Kettcar als Headliner und Künstlern wie Tusq, Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, Me And My Drummer, Naked Lunch und Turbostaat lockt Tapete knapp 2.000 Besucher in die kleine, pittoreske Hansestadt unweit von Hamburg.
Von meinem Sommerurlaub an der Ostsee ist es nicht allzu weit nach Stade, sodass ich mich freue, die Erstauflage des MAMFs mitzuerleben. Ein Stau vor der Elbfähre in Glückstadt zieht sich in die Länge, wir müssen uns damit abfinden, die vielversprechende Hamburger Nachwuchsband Tusq zu verpassen. Schade, denn der Ruf des Grand Hotel van Cleef – Acts ist mehr als vielversprechend.
Es ist heiß: Hohe Luftfeuchtigkeit und Schwüle des frühen Nachmittags empfangen uns nach unkomplizierter Parkplatzsuche in Stade, bevor bei Betreten des Festivalgeländes gerade das markant-skurille Trabrennbahn-Intro von „Jeder auf Erden ist wunderschön (sogar Du)“ erschallt: „Cheri Cheri Lady an der Spitze...“
Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen erscheint vor noch nicht allzu vielen Zuschauern auf der Bühne und besticht wie schon vor wenigen Monaten im Stuttgarter Club Schocken mit unnachahmlichen, scharfzüngigen, deutschsprachigen Northern Soul.
Carsten Friedrichs (Gitarre und Gesang) und Tim Jürgens (Bass) veröffentlichten schon vor der Auflösung der besten deutschen Modband, Superpunk, gemeinsam mit Philip Morton Andernach (Gitarre und Saxophon), Ex-Blumfeld-Drummer André Rattay und Gunther Buskies, Tapete-Records-Co-Gründer, den fantastischen Fußballsong „Die Gentlemen Spieler“ auf einem Rolling-Stone-Sampler.
Dass die Nachfolgeformation als kleine Supergroup Superpunk in nichts nachsteht zeigte schon der vielversprechende Clubauftritt im April, nachdem ich vom Debütalbum zunächst eher enttäuscht war. Doch scheinen weitere Spielpraxis und das an Arroganz grenzende Vertrauen in die Klasse der eigenen Songs die Band zu weiteren Höchstleistungen angespornt zu haben. In Stade genügen wenige Minuten, um überaus deutlich zu zeigen, welch enormes Potential in diesem scheppernden Hamburger Quintett und seinen bestechenden Songs steckt. „Ich lass mich gehen in letzter Zeit“, singt Carsten Friedrichs im schwarzen Fred-Perry-Polo-Shirt und adretter Frisur und konterkariert die Zeilen mit demselben Humor, mit dem er im thematisch ähnlichen Superpunk-Song „Das Feuerwerk ist vorbei“ verblüffte: „Im Spiegelbild ein fremder Mann, / der mal schön war irgendwann / Und ich tu mir selber leid / Da ist ein Cut über der Braue, bekam ich gestern Abend Haue? / Mein Anzug dreckig, die Pupillen weit / Ich lass mich gehen in letzter Zeit“.
Gunther Buskies, der vor etwa zehn Jahren gemeinsam mit Dirk Darmstaedter Tapete Records ins Leben rief, erschien im Frühling hinter den Keyboards noch etwas unscheinbar, heute strotzt er nur so vor Selbstbewusstsein und betört mit herrlichen 60s Orgelsounds zwischen Bahnhofskino-Soundtrack, Motown und dem Klang britischer Beatbands.
Thies Mynther schien Superpunk, die ihren letzten Auftritt in Deutschland vor ihrer Auflösung vergangenes Jahr beim BootBooHook-Festival hatten, mit seiner harmonischen Tastenarbeit zusammenzuhalten, regelrecht zu zügeln. Gemeinsam mit Philip Morton Andernachs perfektionierten Saxophoneinsatz schlüpft Buskies mittlerweile glänzend in die Rolle als elementares Bindeglied.
„Ich hoffe, es bleibt trocken. Lasst uns gegen den Regen ansingen. Dieses Lied ist über eine wundervolle Band“, kündigt Friedrichs vor verdüstertem Himmel „Der fünfte Four Top“, eine sagenhafte Liebeserklärung an den Soul Detroits, an.
Thees Uhlmann im Publikum hat seinen Spaß und lässt sich auch nicht vom einsetzenden Regen abschrecken. „Weine nicht, es ist nur ein Film“, ein bizarrer Song über die Spiderman-Filme und das herrliche „Frühling im Park“ sind Highlights des Sets, während mir „Meine Jeans“ wohl nie gefallen wird.
Bassist Tim Jürgens, der sich als profilierter Sport- und Lifestyle-Journalist - als Ex-Redakteur des deutschen Playboys und derzeit als stellvertretender Chefredakteur des besten Fußballmagazins, 11 Freunde, - ein zweites Standbein aufbaute, singt jene locker um den Finger gewickelten Harmonien noch immer mit ironischem Lächeln um die Mundwinkel und gibt die Schlagrichtung der Gruppe subtil vor.
Vermutlich auf dem zweiten Album der Hamburger Band lässt sich irgendwann einmal „Kennst Du Werner Enke“, eine Hommage an den gleichnamigen Schauspieler, der vor über vierzig Jahren in Filmen wie „Zur Sache, Schätzchen“ oder „Nicht fummeln, Liebling“ zu sehen war, finden.
Kaum ein Songwriter kann in Puncto Originalität und unterschwelligem Humor hierzulande Carsten Friedrichs das Wasser reichen. Bernd Begemann, der Pate der Hamburger Schule, der seit 30 Jahren fest integriert in den deutschen Pop-Underground ist, gehört zu denjenigen, denen eben dies gelingt. Wenig verwunderlich ist es daher, dass Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen ausgerecht bei der Gala anlässlich seines 50. Geburtstags am 31. Oktober letzten Jahres im Hamburger Knust erstmals auftrat und bis heute sein Anti-Liebeslied „Viel zu glücklich (um es lange zu bleiben)“ im Live-Repertoire hat. Im idyllischen, von Bäumen gesäumten Bürgerpark gehört es erwartungsgemäß zu den Highlights des Sets.
Der Regen nimmt zu, Zuschauer suchen unter den Überdachungen der Getränkestände Schutz, während Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen standhaft mit der stolzen Urbanitätshymne „Ein Fremder in der eigenen Stadt“, dem Fußballsong „Nimm mich mit zum Spiel“ und der Marotten-Ode „Mach mich traurig“ (mit Zeilen wie: „Bitte sei lieb und lass mich allein / Oder nimm die Bratpfanne und schlag auf mich ein / Denn aus seltsamen Grund bestimmt nicht gesund / Lieb ich es, traurig zu sein“) ihre fulminante Mod-Freilicht-Disco auch ohne eine einzige Superpunk-Nummer souverän beenden.
Setlist Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, Stade:
01: Jeder auf Erden ist wunderschön (sogar Du)
02: Ich lass mich gehen in letzter Zeit
03: Der fünfte Four Top
04: Weine nicht, es ist nur ein Film
05: Frühling im Park
06: Meine Jeans
07: Kennst Du Werner Enke?
08: Viel zu glücklich (um es lange zu bleiben) (Bernd Begemann - Cover)
09: Ein Fremder in der eigenen Stadt
10: Nimm mich mit zum Spiel
11: Mach mich traurig
Links:
- aus unserem Archiv:
- Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, Stuttgart, 24.04.2013
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